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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Einige launige Gedanken zu den "Bakchen" (618 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 02.09.2009 um 09:23 Uhr (Zitieren)
Es ist die älteste Temperenzlertragödie der Welt: stocknüchterner Sohn von stockbesoffener Mutter getötet. In Stücke zerrissen. Leichenteile im Wald verstreut. Da aber der Rausch dieser Mutter Agaue von Dionysos kam, dem Gott des Weines, des Tanzes, der Raserei und der Trunkenheit, der darüber hinaus auch noch der Neffe der Agaue ist, Sohn ihrer Schwester Semele, die diesen Gott Dionysos mit dem Obergott Zeus gezeugt hatte, aber bei der Geburt des Dionysos ums Leben kam, weil Semele den Zeus in wahrer Gestalt sehen wollte und dieser sie daraufhin in einer Gotteswaberlohe verbrennen ließ; und weil der stocknüchterne und dieserhalb am Ende mütterlich zerfleischte Pentheus Staatschef von Theben ist, ergeben sich bezüglich der „Bakchen“ des Euripides, uraufgeführt um 405 vor Christus, ein paar parteiliche Fragen.
Soll man bei diesem Stück, das am Urgrund unserer Zivilisation steht, der naturgemäß sofort ein Abgrund ist, sich auf die Seite des Gottes schlagen? Heute, in gottfernen Zeiten? Auf seiten des Gottes, der mit einem Heer wilder asiatischer orgiastischer Weiber, der Mänaden, in Theben einfällt, wo man nicht an ihn glaubt, seiner Mutter Semele den Gottesbeischlaf mit Zeus abspricht? Auf seiten des beleidigten Gottes, der die atheistischen Thebaner, vor allem deren Frauen, mit Lust und Wahn und Raserei schlägt, sie ins Kithairon-Gebirge hetzt, wo sie um Weinbrunnen und Milchbäche und Honigseen tanzen, Viehherden mit bloßen Händen schlachten und sich ins Anarchische versteigen in ewigem Rausch? Oder soll man sich, heute, in vernunftsatten Zeiten, auf die Seite des Pentheus schlagen, des nüchternen Realpolitikers, der nur Ordnung, Maß, Gesetz, Vernunft, Unverstiegenes gelten läßt – und am Ende grausam dafür büßen muß, weil seine eigene, durchgeknallte Mutter ihn für einen Löwen hält und ihm den Kopf abreißt? [...]

[Gerhard Stadelmaier in Frankfurter Allgemeine vom 13. Oktober 2005]

Gute Frage!
Re: Einige launige Gedanken zu den "Bakchen"
Γραικίσκος schrieb am 02.09.2009 um 20:48 Uhr (Zitieren)
Ist der Begriff "Temperenzler" noch bekannt? Nahc meinem Eindruck verschwindet auch er langsam aus dem deutschen Wortschatz.
Aber gegenüber der Frage, ob man sich auf die Seite dieses Gottes oder eines durch und durch vernünftigen & maßvollen Menschen schlagen soll, verblaßt dieses Problem natürlich.
Obwohl mir der Pentheus so vernünfig gar nicht vorkommt. Immerhin ist er sehr fasziniert und neugierig gegenüber dem Irrationalen, und er zieht sogar Frauenkleider an, um die 'Orgie' gefahrloser beobachten zu können.
Re: Einige launige Gedanken zu den "Bakchen"
Ὑληβάτης schrieb am 03.09.2009 um 21:21 Uhr (Zitieren)
Chapeau:
Urgrund unserer Zivilisation, der naturgemäß sofort ein Abgrund ist

Ich habe es immer so verstanden, dass die Frage, auf wessen Seite man sich stellt tatsächlich verblasst, aber hauptsächlich, weil die Götter eine Seitenwahl nicht wirklich in Erwägung ziehen. Bisher habe ich nur gedacht, dass Pentheus auf keinen Fall von Dionysos unberührt bleiben kann - der Gute bekommt einen auf die eine oder andere Weise.
Jetzt aber sagst Du etwas ganz Elementares, Γραικίσκος: Pentheus ist von Dionysos gefangen; Frauenkleider erinnern ein wenig an Kybeles Galli, nicht wahr? Pentheus ist ein "Transvestit" geworden, um bei der Orgie des Gottes zu sein! Wenn das man nicht ausschweifen ist!
 
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