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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Die pessimistische Revolution (4256 Aufrufe)
Graeculus schrieb am 17.04.2009 um 12:32 Uhr (Zitieren)
Folgenden Gedanken möchte ich zur Diskussion stellen:
I.
Die archaische Phase

• Schamanismus (verbreitet in allen ursprünglichen, ‘primitiven’ Kulturen): Die Natur ist ein Kreislauf von Entstehen und Vergehen, Wachsen und Schwinden, Sommer und Winter; der Mensch ist ein Teil dieses Kreislaufs. Eine Alternative zu diesem Zustand zu denken, ist nicht einmal ein Problem; der Sachverhalt gilt als selbstverständlich.
• Daoismus (China, zurückreichend in das 2. Jahrtausend vorchristlicher Zeit): In der Natur herrscht eine Gesetzmäßigkeit der Polarität/Gegensätzlichkeit; alle Gegensätze gemeinsam bilden das Ganze in ausgewogenem Verhältnis: gut/böse, stark/schwach, männlich/weiblich usw.; alle Gegensätze sind gleich wichtig für das Ganze. Lediglich der Mensch kann dieses harmonische Maß verfehlen; die Natur hingegen ist unveränderbar.
• Homer (der berühmteste Dichter Griechenlands, ca. 1000/800 v. Chr.): Dieses jetzige Leben ist das einzig Wünschbare; das Leben nach dem Tod ist ein freudloses Schattendasein. Es gibt neben dem Glück die Trauer und neben dem Erfolg das Scheitern - aber keinen Ansatz, das Ganze negativ zu bewerten. Alles gehört zur Natur, etwas anderes gibt es nicht, und selbst die Götter gehören zu dieser Welt.

Bis hierhin ist allen Weltanschauungen, Religionen usw. gemeinsam, daß das Problem einer Bewertung der Natur und des Lebens als ganzes nicht existiert, weil es keine Alternative gibt.

In der Zeit zwischen 1000 und 800 v. Chr. erfolgt ein Bruch im Denken der Menschen.

II.
Die Erlösungs- und Jenseits-Religionen

• Griechenland: Es entstehen: der Mythos von der Priesterin, die ihren Gott um das bestmögliche Geschenk für ihre Söhne bittet, welche daraufhin sterben; Sprichwort „Das Beste ist, nicht geboren zu sein“ (Sophokles u.a.); Platons ‘Höhlen- gleichnis’: Dieses Leben ist eine finstere Höhle, aus der wir uns befreien sollten; Sokrates’ letzte Worte vor seinem Sterben: „Denkt daran, daß wir dem Gott der Heilkunst ein Dankopfer schulden!“; Hesiods Mythos vom Eisernen Zeitalter als der letzten Stufe des Verfalls, in der wir leben usw. (ca. 700 - 400 v. Chr.)
• Judentum: Diese Welt, in der wir jetzt leben, ist das Ergebnis eines Sündenfalls; an sich und ursprünglich, nach dem Willen Gottes, war die Welt gut (Paradies), aber der Mensch hat alles verpfuscht. (ca. 800 v. Chr.)
• Buddhismus: Leben heißt Leiden. Der Weg, dieses Leiden zu überwinden, ist ein Weg aus diesem Leben ins ‘Nirvana’. (ca. 500 v. Chr.)
• Christentum: Dieses Leben ist eine Zeit der Prüfung, welche nur diejenigen bestehen, die ihre natürlichen Instinkte überwinden und statt dessen ihre Feinde lieben, sich selbst aufopfern usw.; als Lohn winkt ihnen ‘das wahre Leben’ im Jenseits. (um die Zeitenwende)

Ab jetzt ist allen Weltanschauungen, Religionen usw. gemeinsam, daß IST und SOLLTE auseinanderklaffen. Die Welt ist nicht so, wie sie sein sollte. Ein anderer Zustand als dieses Leben ist wünschenswert und unter vielen Mühen auch erreichbar.


Für die Ausgestaltung dieses Gedankens bin ich verantwortlich; aber angeregt worden bin ich dazu durch Hans Peter Duerr: Sedna oder die Liebe zum Leben. Frankfurt/Main 1984, in gewissem Sinne auch durch Karl Jaspers' geschichtsphilosophisches Konzept der "Achsenzeit" im 1. Jhtsd. v. Chr.

Was völlig in der Luft hängt, ist die Frage, warum es im 1. Jhtsd. v. Chr. zu dieser Revolution im menschlichen Denken gekommen ist. Warum redet man nun vom verlorenen Paradies oder vom verlorenen Goldenen Zeitalter usw.?
Re: Die pessimistische Revolution
Arborius schrieb am 17.04.2009 um 12:54 Uhr (Zitieren)
Graeculus, Hut ab! Diese Frage ist der Grundstein für eine Kathedrale an Gelehrigkeit, Einsicht und persönlicher Philosophie.
Darf ich noch eine zweite Frage anhängen und dann einen Vorschlag machen?

Zweite Frage: Gab es noch eine "Achsenzeit", d.h. wie sehen wir (ganz allgemein gesprochen) die Sache heute?

Vorschlag: Du hast die Sache mit den Kniescheiben auf verschiedene Arten beantwortet (aus Hegels Sicht etc.) - wollen wir das auch hier versuchen?

Ich bin nämlich, ohne mich in eine esoterische Ecke zu stellen, beim Golden Dawn auf die verschiedenen Äonen gestoßen, vulgo: Fische- und Wassermannzeitalter. Der Übergang liegt auf 250 v.Chr., aber wir können ja feilschen!
Das Fischezeitalter (siehe Wikipedia s.v. Äon_Thelema) sieht als Motto vor: "Alles ist eins."
Ist das vergleichbar mit der archaischen Phase?
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 17.04.2009 um 13:28 Uhr (Zitieren)
Ich denke noch nach.
Hierzu
"Alles ist eins."
Ist das vergleichbar mit der archaischen Phase?

meine ich spontan: Das ἓν καὶ πᾶν ist nicht eo ipso archaisch, obwohl man es eigentlich annehmen sollte. Aus dem (Zen-)Buddhismus kenne ich die Formulierung (Hervorhebung von mir): "Alles ist eins, und dieses Eine ist leer."
Aber bei den Vorsokratikern entspricht es sicherlich dieser archaischen Einstellung. Der Bruch was Griechenland angeht, läßt sich tatsächlich lokalisieren im klassischen Athen: bei Solon, Herodot und vor allem Platon.
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 17.04.2009 um 13:56 Uhr (Zitieren)
Ich glaube, diese Wiederherstellung der Harmonie von seiender und gesollter Welt ist das, was Nietzsche als Idee vorgeschwebt hat: die Welt so zu lieben, wie sie ist.
Aber das ist schwer durchzuhalten. Viele Menschen werden die Frage bejahen, daß diese Welt die einzige ist, die es gibt, und daß sie auch keine andere wollen. Aber wenn man sie dann auf Krieg, Gewalt, Hunger, Krankheit usw. anspricht und fragt, ob dies für sie zu dieser einen Welt gehöre und in Ordnung sei, zögern sie oft.
Man kann das nur sehr schwer wertfrei sehen.
Homer hat das noch gekonnt.
(Obwohl ich manchmal denke: geliebt hat er den Ares nicht.)
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 17.04.2009 um 15:14 Uhr (Zitieren)
Vorschlag: Du hast die Sache mit den Kniescheiben auf verschiedene Arten beantwortet (aus Hegels Sicht etc.) - wollen wir das auch hier versuchen?

Das können wir gerne tun, lieber Arborius.
Mich hat bisher immer nur die Frage beschäftigt, was da im 1. Jahrtausend v. Chr. passiert sein mag, so daß es zu dieser neuen Art des Denkens gekommen ist.
Duerr macht in seinem Buch die Neolithische Revolution dafür verantwortlich, die zwar zu Ackerbau & Viehzucht, aber auch zur Erfindung von Krieg (jedenfalls einer enormen Zunahme von Gewalttätigkeit), Sklaverei und Patriarchat geführt hat.
Aber diese Revolution setzt man im Vorderen Orient auf 8000-6000 v.Chr. an. Da bestünde doch zwischen Ursache und Wirkung eine Riesenlücke.
Obwohl es sehr verführerisch ist, die Mythen vom Goldenen Zeitalter und Paradies als Erinnerungen an die Zeit vor der Neolithischen Revolution zu interpretieren.

Ich persönlich favorisiere jedenfalls eine andere Hypothese.
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 17.04.2009 um 15:21 Uhr (Zitieren)
Dies ist das älteste Zeugnis für ein pessimistisches Weltbild, das ich bisher kenne:
Gespräch eines Mannes mit seinem Ba
[Ägypten, ca. 1800 v.u.Z.][/i]


Mit wem soll ich heute sprechen?
Die Angehörigen sind schlecht, die Freunde von heute
kann man nicht lieben.

Mit wem soll ich heute sprechen?
Habgierig sind die Herzen, ein jeder beraubt seinen Nächsten.

Mit wem soll ich heute sprechen?
Der Milde ist zugrundegegangen,
Gewalttätigkeit ergreift Besitz von jedermann.

Mit wem soll ich heute sprechen?
Das Antlitz des Schlechten glänzt zufrieden,
das Gute ist zu Boden geworfen überall.

Mit wem soll ich heute sprechen?
Wer einen Mann wegen seiner schlechten Tat zur Rede stellt,
bringt alle Bösewichter zum Lachen.

Mit wem soll ich heute sprechen?
Man plündert. Jeder bestiehlt seinen Nächsten.

Mit wem soll ich heute sprechen?
Der Verbrecher ist ein Vertrauensmann,
der Bruder, mit dem man lebte, ist zum Feind geworden.

Mit wem soll ich heute sprechen?
Man erinnert sich nicht an Gestern
und vergilt (auch) nicht dem, der jetzt (Gutes) tut.

Mit wem soll ich heute sprechen?
Die Angehörigen sind böse,
man wendet sich zu Fremden, um Redlichkeit zu finden.

Mit wem soll ich heute sprechen?
Die Herzen sind zugrunde gerichtet,
jedermann wendet den Blick zu Boden vor seinen Angehörigen.

Mit wem soll ich heute sprechen?
Die Herzen sind habgierig,
man kann sich auf keines Menschen Herz (mehr) verlassen.

Mit wem soll ich heute sprechen?
Es gibt keine Gerechten,
die Welt bleibt denen überlassen, die Unrecht tun.

Mit wem soll ich heute sprechen?
Es mangelt an Vertrauten,
man nimmt Zuflucht zum Unbekannten, um ihm zu klagen.

Mit wem soll ich heute sprechen?
Es gibt keinen Glücklichen,
und jener, mit dem man (früher) ging, ist nicht mehr.

Mit wem soll ich heute sprechen?
Ich bin mit Elend beladen, weil mir ein Vertrauter fehlt.

Mit wem soll ich heute sprechen?
Das Übel, welches die Welt schlägt - kein Ende hat es!

***

Der Tod steht heute vor mir
wie das Genesen eines Kranken,
wie wenn man ins Freie tritt nach einem Leiden.

Der Tod steht heute vor mir
wie der Duft von Weihrauch,
wie Sitzen unter dem Segel am Tag des Windes.

Der Tod steht heute vor mir
wie Duft der Lotosblüten,
wie Wohnen am Ufer der Trunkenheit.

Der Tod steht heute vor mir
wie das Aufhören des Regens,
wie die Heimkehr eines Mannes vom Feldzug nach Hause.

Der Tod steht heute vor mir
wie die Klarheit des Himmels,
wie wenn ein Mensch die Lösung eines Rätsels findet.

Der Tod steht heute vor mir
wie der Wunsch eines Menschen, sein Heim wiederzusehen,
nachdem er viele Jahre in Gefangenschaft verbrachte.

***

Wahrlich, wer dort ist, ist ein lebendiger Gott,
der die Sünde bestraft an dem, der sie tut.

Wahrlich, wer dort ist, der steht im Sonnenschiff,
Erlesenes verteilt er daraus für die Tempel.

Wahrlich, wer dort ist, der ist ein Weiser,
der nicht gehindert werden kann,
zum Sonnengott zu gelangen, wenn er spricht.

[Quelle: Erik Hornung (Hrsg.), Gesänge vom Nil. Dichtung am Hofe der Pharaonen. Zürich/München 1990, S. 114-117]


Wenn man beachtet, was diesen Menschen mit der Welt zerfallen sein läßt, so sind es weder Krieg noch Sklaverei noch Patriarchat - also nicht die Neuerungen der Neolithischen Revolution.
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 17.04.2009 um 15:31 Uhr (Zitieren)
Es ist eigentlich der Kollaps der sozialen Beziehungen, der hier beschrieben wird.
Paßt das zum Bericht der Genesis: dem Brudermord als dem ersten Ereignis nach dem Verlust des Paradieses?
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 17.04.2009 um 16:22 Uhr (Zitieren)
Keine Antworten? Kein denkendes Wesen weit & breit?
Ich möchte wie Diogenes mit einer Laterne über die ἁγορά laufen.
:-)

Oh, kein alpha mit Spiritus lenis im Angebot. Webmaster!!!




Oh, kein

Upps, kein αααα
Re: Die pessimistische Revolution
Arborius schrieb am 17.04.2009 um 16:51 Uhr (Zitieren)
Ein denkendes Wesen ist häufig ein Wann, kein Wer.

Jetzt muss ich denken.
Aber ich denke.
Re: Die pessimistische Revolution
Arborius schrieb am 18.04.2009 um 15:52 Uhr (Zitieren)
Ich wollte doch mal wissen, was die neolithische Revolution ist (Wikipedia hilft), und da bin ich auch auf das Jahr 1000 v.Chr. gestoßen: Als Abschluss!

Wäre das nicht interessant, wenn die pessimistische Revolution sozusagen die neolithische beendet?

So ganz, Graeculus, habe ich etwas nicht verstanden: Ist die Frage, wie eine Weltsicht entsteht, in der das Jenseits wichtiger/besser/schöner ist als das Diesseits?
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 18.04.2009 um 21:54 Uhr (Zitieren)
ad 1.: Da, wo der Pessimismus entstanden ist (Vorderer Orient, Griechenland, Indien), war die Neolithische Revolution schon weit vorher abgeschlossen: dort war um 1000 v. Chr. sogar schon die Bronzezeit vorbei und in die Eisenzeit übergegangen.
In China habe ich übrigens einen genuinen Pessimismus nicht feststellen können - nur die Ausbreitung des Buddhismus durch Bodidharma.

ad 2.: Entweder nimmt man an, das künftige, jenseitige Leben sei besser als das jetzige, irdische; oder man vergleicht das jetzige, irdische Leben im negativen Sinne mit dem früheren irdischen (Goldenes Zeitalter, Paradies); oder man lehnt das jetzige, irdische Leben ab als etwas, das es besser gar nicht gäbe (Sophokles: μὴ φύναι τὸν ἁπάντα νικᾶ λόγον [falls ich mich jetzt nicht mit den Akzenten vertan habe; ich zitiere den "Ödipus auf Kolonos" aus dem Kopf], oder das Nirvana. Das sind drei Varianten, die eines gemeinsam haben: so, wie es jetzt & hier ist, ist es nicht gut.

Bei den Germanen, Galliern usw., die später zu Ackerbau & Viehzucht gewechselt sind, ist es zu sowas gar nicht gekommen bzw. sie haben es mit dem Christentum (denke an dessen ursprünglich stark eschatologische Ausrichtung!) übernommen.
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 18.04.2009 um 21:57 Uhr (Zitieren)
Die Römer sind übrigens auch nicht von selbst drauf gekommen; sie haben es zunächst mit den Mysterienkulten, später mit dem Christentum importiert.
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 18.04.2009 um 21:58 Uhr (Zitieren)
Das stellt übrigens jede Erklärungshypothese, auch die, der ich anhänge, in Frage: Warum ist es in manchen Kulturen dazu gekommen, in anderen nicht?
Re: Die pessimistische Revolution
Arborius schrieb am 19.04.2009 um 19:11 Uhr (Zitieren)
Welcher Erklärungshypothese hängst Du denn an?

Wenn ich mir Lateinhelfers Kolonialisierung angucke und dabei bedenke, dass Entdeckungsfahrten weit über diesen Raum hinausgingen, stelle ich mir die Frage, ob es nicht einen Ursprung dieses Gedankens gibt, der sich verschiedenartig ausprägt.

Ödipus auf Kolonos war das Thema meiner Examensarbeit - schönes Stück!
Interessanterweise haben die Griechen, bis auf die Mysterienreligionen, (soweit ich weiß) des Diesseitspessimismus nichts entgegengestellt. Wenn im Ödipus das Leben hier nicht gut ist, gibt es keine bessere Alternative. Eine Zwickmühle!
Re: Die pessimistische Revolution
Arborius schrieb am 19.04.2009 um 19:32 Uhr (Zitieren)
Oje. Jetzt lese ich gerade, dass Du schon sagtest, dass der Pessimismus im Vorderen Orient entstanden ist.

Weder der Aton-Hymnus noch der Psalm, den Du zitiert hast, enthalten solche Gedanken! Die Welt ist hier, solange Gott da ist, gut (wenn ich nicht was übersehen habe).
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 19.04.2009 um 19:43 Uhr (Zitieren)
Nein, beide Texte enthalten nichts dergleichen.

Meine eigene Hypothese existiert vorläufig nur in meinem Kopf. D.h. ich kann sie hier nicht - wie viele andere Texte - einfach einspeisen.
Ich werde sie in absehbarer Zeit ausformulieren; jetzt bin ich aber - bis Donnerstag - mit der Vorbereitung eines Referates über unseren alten Freund Lucifer (auch darüber haben wir hier ja schonmal gesprochen) befaßt. Abgesehen von dem ... wie heißt es doch gleich? ... ah ja, Unterricht, der morgen wieder beginnt.

Bis dahin: Hast Du eine Vermutung?
Methodisch müßte man wohl so vorgehen, daß man sich einschlägige Texte wie die "Werke und Tage" Hesiods oder "Das Gespräch eines Mannes mit seinem Ba" oder den Chorgesang im "Ödipus auf Kolonos" oder diverse Platon-Texte (z.B. die Abwertung der sinnlichen Liebe im "Symposion") anschaut und darauf achtet, was genau denn das Leben so unleidlich macht. Und was davon ist neu im 1. Jhtsd.? Z.B. klagt der Chor über das Alter - was ja an sich nicht neu ist. Nun, was stört ihn am Alter?
So ungefähr müßte man vorgehen, meine ich.
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 19.04.2009 um 20:02 Uhr (Zitieren)
Wer Interesse daran hat, eine gut geschriebene moderne Variante des Problems zu lesen und dabei zudem einen zeitgenössischen Schriftsteller kennenzulernen, für den habe ich hier was:
[...]
Der Taxifahrer äugte im Spiegel nach mir.
„Gibt’s denn gar nichts Schönes in deinem Leben?“
„Nein“, entgegnete ich.
„Wie kann das sein?“
„Hat sich so ergeben.“
„Ein einziges Jammertal?“
„Klar. Ist doch bei Ihnen nicht anders.“
„Mach halblang, Mädel“, lachte der Taxifahrer. „Das kannst du gar nicht wissen.“
„Doch“, sagte ich. „Sonst säßen Sie ja nicht hier drin.“
„Wieso?“
„Ach, das könnte ich Ihnen erklären, aber ... ich weiß nicht, ob Sie es verstehen.“
„Pfffh!“, machte der Fahrer. „Glaubst du, ich bin doofer als du? Wenn du es verstanden hast, dann werd’ ich’s wohl auch noch raffen.“
„Na schön. Ist Ihnen klar, dass das Leiden die Materie ist, aus der die Welt besteht?“
„Wie kommst du darauf?“
„Das ließe sich nur an einem Beispiel erklären.“
„Dann tu’s.“
„Kennen Sie die Geschichte vom Baron Münchhausen, der sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zieht?“
„Kenn ich“, sagte der Chauffeur. „Hab ich sogar mal im Kino gesehen.“
„Die Realität der Welt steht auf ähnlichen Fundamenten. Man muss sich vorstellen, dass Münchhausen im leeren Raum schwebt und sich mit aller Kraft die Eier quetscht, was höllisch wehtut, sodass er schreit wie verrückt. Einerseits bedauerlich. Andererseits ist seine Situation dadurch besonders heikel, dass er, wenn er seine Eier losließe, sich augenblicklich in Luft auflösen würde. Seiner Natur nach ist er nämlich nur ein Gefäß für den Schmerz, mit grauem Zopf. Sobald der Schmerz weg ist, verschwindet auch er.“
„Haben sie dir das in der Schule beigebracht oder zu Hause?“, fragte der Chauffeur.
„Weder noch“, sagte ich. „Auf dem Nachhauseweg von der Schule. Ich habe einen weiten Weg, da hört und sieht man so manches. Haben Sie mein Beispiel verstanden?“
„Klar“, antwortete er. „Ich bin ja nicht blöd. Und jetzt hat dein Münchhausen also Schiss, seine Eier loszulassen, oder wie?“
„Ist doch logisch. Er wäre sofort nicht mehr da, wie gesagt.“
„Aber vielleicht wäre das ja besser so? Was ist denn das für ein Leben?“
„Stimmt. Und deswegen existiert der Gesellschaftsvertrag.“
„Gesellschaftsvertrag? Was ist das nun wieder?“
„Jeder Münchhausen für sich genommen könnte beschließen, seine Eier fahren zu lassen, aber ...“
[...]
„Was, aber?“, fragte der Chauffeur nach.
Ich tauchte aus meinen Gedanken auf.
„Aber wenn sechs Milliarden Münchhausens einander kreuzweise bei den Eiern gepackt halten, hat die Welt nichts zu befürchten.“
„Wieso?“
„Ganz einfach. Sich selber könnte ein Münchhausen leicht loslassen, wie Sie ganz richtig bemerkten. Aber je kräftiger irgendein anderer bei ihm zudrückt, desto härter fasst er die beiden an, die er im Griff hat. Und so geschieht das sechs Milliarden Mal. Verstehen Sie?“
„Pah! So was kann sich auch bloß eine Frau ausdenken.“
„Da bin ich schon wieder anderer Meinung“, sagte ich, „es ist im Gegenteil ein extrem männliches Weltbild. Ein chauvinistisches, würde ich sagen. Die Frau kommt darin überhaupt nicht vor.“
„Wieso nicht?“
„Na. Die Frau hat nun mal keine Eier.“
Den Rest des Weges fuhren wir schweigend.
[...]

[Quelle: [b]Viktor Pelewin[b], Das heilige Buch der Werwölfe. München 2006, S. 40-42]

Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 19.04.2009 um 20:04 Uhr (Zitieren)
Nun, Viktor Pelewin kam jetzt nicht so raus, wie ich mir das gedacht hatte. Ist ein russischer Autor, geb. 1962.
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 19.04.2009 um 20:47 Uhr (Zitieren)
Als sehr drastische Variante des sophokleischen "Nicht geboren zu werden, das ist das Beste ..." erscheint mir Buddhas Gleichnis vom Kot (dürfte obendrein das kürzeste Gleichnis in der religiösen Literatur sein):
"Genauso wie auch ein kleines Stück Scheiße stinkt, genauso lobe ich nicht einmal ein kurzes Leben. Nicht einen einzigen Tag."
Re: Die pessimistische Revolution
Arborius schrieb am 22.04.2009 um 11:07 Uhr (Zitieren)
Gerade kam dieser Dialog auf SWR1 (ich hab nur mitgeschrieben, evtl. ist es nicht genau):
Frage: Erfüllt sich für Sie der Sinn des Lebens erst nach diesem Leben?
Antwort: Ich glaube, Gott schenkt uns in diesem Leben viele Lebensziele. Das Leben ist schön, ich habe es geliebt, ich lebe sehr gerne, ich möchte alt werden. Wenn ich nur diese Leben hätte, wäre ich totunglücklich.

Die Antwort war von Pater Karl Wallner, Zisterziensermönch und Dogmatikprofessor, deshalb fand ich sie für diese Frage interessant.
Re: Die pessimistische Revolution
Lateinhelfer schrieb am 22.04.2009 um 13:59 Uhr (Zitieren)
Ich bin jetzt nicht der gläubigste Mensch, eher Realist, aber manchen Leuten kann die Möglichkeit der Auferstehung einen Sinn im jetzigen Leben geben.
Aber da wir ja auch in einem Griechisch-Forum sind, bewundere ich auch die Hingabe an die verschiedenen Götter, die die Alten Griechen hatten und ihnen die verschiedensten Bauten und Riten widmeten. So wie in Delphi (Apollontempel) machten sie sogar ihr Leben und zukünftige Entscheidungen davon abhängig....
Re: Die pessimistische Revolution
Arborius schrieb am 24.04.2009 um 08:55 Uhr (Zitieren)
Graeculus, mir ist neulich aufgefallen, was Dir auch aufgefallen ist, aber Du hast Dich noch nicht korrigiert.
Homer ist ja in Deiner obigen Darstellung in der archaischen Phase, aber im Lateinforum und in diesem Beitrag:
http://www.albertmartin.de/altgriechisch/forum/?view=75#3
ist der Diesseitspessimismus zu spüren - wie Du ja auch sagst.
Butter bei die Fische: Gibt es nichtpessimistische Aussagen bei Homer?
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 24.04.2009 um 13:35 Uhr (Zitieren)
Vielleicht muß ich mich korrigieren? Ich werde am Wochenende darauf zurückkomen.
Was es sicherlich nicht gibt bei Homer, ist die Vorstellunge von einem vergangenen Goldenen Zeitalter oder einem künftigen Himmel. Sein Geschichtsbild ist zyklisch, nicht linear (progressiv oder regressiv). Das ist in der archaischen Phase durchweg so.
Natürlich beantwortet das noch nicht Deine Frage.
Mir fällt die Bemerkung Nietzsches ein: "Bei Homer liegt ein goldener Schleier über den Dingen" (sc. auch dort, wo sie schrecklich sind).
Re: Die pessimistische Revolution
Arborius schrieb am 24.04.2009 um 18:48 Uhr (Zitieren)
Aha. Der Hellenismos, ein rekonstruktionistischer Polytheismus:
http://de.wikipedia.org/wiki/Hellenismos_(Religion)

Vielleicht können die Fragen nach dem Polytheismus beantworten.

Man beachte aber:
Der Hellenismos ist eine lebensbejahende, diesseitige Religion. Ein "Jenseitsglaube" spielt keine wichtige Rolle.
Re: Die pessimistische Revolution
Arborius schrieb am 24.04.2009 um 18:50 Uhr (Zitieren)
Ah ja. Da ist sich jemand wohl nicht einig. Auf der Diskussionsseite steht:
Der Jenseitige Glaube spielt eben doch eine wichtige Rolle.
Ohne Signatur. Mit inhaltlichen Fehlern.
Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 25.04.2009 um 18:57 Uhr (Zitieren)
Friedrich Nietzsche: Die Götzendämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophiert, Das Problem des Sokrates 1:
Über das Leben haben zu allen Zeiten die Weisesten gleich geurteilt: es taugt nichts ... Immer und überall hat man aus ihrem Munde denselben Klang gehört, - einen Klang voll Zweifel, voll Schwermut, voll Müdigkeit am Leben, voll Widerstand gegen das Leben. Selbst Sokrates sagte, als er starb: "leben - das heißt lange krank sein: ich bin dem Asklepios einen Hahn schuldig." Selbst Sokrates hatte es satt.
Re: Die pessimistische Revolution
Arborius schrieb am 26.04.2009 um 11:47 Uhr (Zitieren)
War Nietzsche eigentlich anderer Meinung?
Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 26.04.2009 um 14:26 Uhr (Zitieren)
O ja, gewiß. Er sah den Wurm der Fäulnis ("décadence") am Werk in der abendländischen Geschichte seit Sokrates, verstärkt durch die jüdisch-christliche Tradition. Dem hat Nietzsche seine "Umwertung der Werte" entgegengehalten: einen "Pessimismus der Stärke". Obwohl die Welt so und so ist und wir, sofern wir aufrichtig sind, keinen metaphysischen Trost haben, wollte er das Leben lieben ("amor fati"), trotz und wegen seiner tragischen Elemente.
Die Inkarnation, sozusagen die Symbolfigur dieses Glaubens war ihm Dionysos, "Hat man mich verstanden? Dionysos gegen den Gekreuzigten!" einer seiner letzten Gedanken vor dem geistigen Zusammenbruch.
Re: Die pessimistische Revolution
Arborius schrieb am 26.04.2009 um 16:19 Uhr (Zitieren)
Wieso denn "Pessimismus der Stärke"? Gerade das Zitat im anderen Beitrag klingt eher lebens- und stärkebejahend.
Ich will doch aber nicht hoffen, dass der geistige Zusammenbruch mit der Philosophie zusammenhängt. In die eine oder andere Richtung.
Re: Die pessimistische Revolution
Arborius schrieb am 26.04.2009 um 16:24 Uhr (Zitieren)
Habe gerade ein Buch am Wickel, in dem ich nochmal gelesen habe, dass die Entwicklung der Schrift ...
Ich guck's nochmal nach. Ich dachte auf jeden Fall, dass die "Zivilisation", wie wir sie kennen, zu einer pessimistischen Revolution beigetragen haben könnte. Dein Ägypter moniert den sozialen Zusammenbruch, Pelewin die verfehlte Orientierung auf Macht und Kontrolle -
- aber viele Griechen scheinen eine metaphysische Ablehnung des Lebens anzuführen.

Ich bekomme heute keinen Gedanken mehr hin.
Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 26.04.2009 um 16:27 Uhr (Zitieren)
Pessimismus ...: Es gibt keinen metaphysischen Trost, keine bessere Welt, und diese hier ist eine Welt des Willens zur Macht.
... der Stärke: Das halte ich aus, mehr noch: so will ich es!

Der geistige Zusammenbruch (Januar 1889) war wohl die Folge einer progressiven Paralyse, ein spätes Stadium der Syphilis.
Auf den Inhalt seines Denkens hat sich die Krankheit - vor dem Zusammenbruch - wohl nicht unmittelbar ausgewirkt, eher vielleicht durch den (für meinen Geschmack) überdrehten Stil. Ich glaube, bestimmte Phasen dieser Krankheit sind durch eine Art Hyperaktivität gekennzeichnet.
Näheres weiß vermutlich Lateinhelfer.
Re: Die pessimistische Revolution
Arborius schrieb am 26.04.2009 um 16:40 Uhr (Zitieren)
Oh, ich kenne auch jemanden, der "Lateinhelfer" heißt. Sein Zweitname ist Βοηθός Ἑλληνικός!
;-)
Re: Die pessimistische Revolution
Βοηθός Ἑλληνικός schrieb am 26.04.2009 um 17:02 Uhr (Zitieren)
Die progressive Paralyse ist ein Spätstadium der Syphilis oder der sogenannten Neurolues.
Es treten bei Gehirnbefall psychiatrische Symptome mit Wesensveränderung,Demenz,Halluzinationen und Wahnideen auf.

Gott sei Dank, tritt das bei uns kaum mehr auf. Die Syphilis ist ja auch heutzutage durch Antibiotika gut behandelbar...
Re: Die pessimistische Revolution
Βοηθός Ἑλληνικός schrieb am 26.04.2009 um 17:09 Uhr (Zitieren)
Wichtig ist eine frühe Diagnosestellung und dann die anitibiotische Behandlung...
Re: Die pessimistische Revolution
Βοηθός Ἑλληνικός schrieb am 26.04.2009 um 17:09 Uhr (Zitieren)
.....antibiotische....
Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 26.04.2009 um 17:11 Uhr (Zitieren)
Mein Erklärungsversuch:
Die Neolithische Revolution setzt ca. 8000 v. Chr. an verschiedenen Stellen der Welt ein und breitet sich nach und nach aus. Manche Kulturen der Welt haben ja noch bis vor kurzem auf dem vor-neolithischen Standard gelebt (Buschmänner der Kalahari, die Papua auf Neuguinea usw.).
Diese neolitihsche Revolution bringt mit sich Ackerbau und Viehzucht, dadurch eine erhebliche Zunahme von Gewalt (Krieg), die Entstehung von Sklaverei, Patriarchat etc.
Mythen vom (verlorenen) Goldenen Zeitalter oder Paradies könnten ein Reflex der vor-neolithischen Ära sein.
Die pessimistische Revolution (übrigens: meine Bezeichnung, kommt also in der Literatur nicht vor) setzt mit den frühesten (ägyptischen) Zeugnissen im 2. Jahrtausend v. Chr. ein und breitet sich im 1. Jahrtausend in den schon erwähnten Kulturen (Ägypten, Griechenland, Judentum, Indien) aus.
Was ist in dieser Zeit geschehen?
Krieg etc. gab es schon vorher, und die Zeugnisse des Pessimismus beziehen sich nicht oder doch sehr selten (Hesiod als Ausnahme) auf Krieg, gar nicht auf Sklaverei oder die Unterdrückung von Frauen (Patriarchat). Sie beklagen oft einen Kollaps der sozialen Beziehungen, bei den Griechen z.B. die Freundlosigkeit des Alters. Das "Gespräch eines Mannes mit seinem Ba" ist in dieser Hinsicht sehr beredt.
Was in dieser Zeit historisch geschehen ist, ist die Ausbreitung einer Lebensweise in Städten und Staaten.
Und während man vorher in Stämmen organisiert lebte, die zwar miteinander Krieg führten, einander versklavten oder exogam (!) erworbene Frauen unterdrückten, tritt nun - mit dem Verlust der Stammesstruktur und dem Leben etwa in einer größeren Stadt oder gar einem Staat- eine Anonymisierung der menschlichen Beziehungen ein.
In einem Stamm führte man, wie gesagt, Krieg mit anderen Stämmen, aber man bestahl, beraubte, tötete nicht einander! Jetzt wird der Freund ein potentieller Verräter, ein Rivale in meiner Karriere, ein Brecher meiner Ehe usw.
Ein Stamm verfügt über soziale Mechanismen wie Androhung/Durchführung von partiellem/totalem Ausschluß aus der Gemeinschaft; jetzt aber zieht der Übeltäter einfach in einen anderen Stadtteil und spielt sein Spiel weiter.
Will sagen: die traditionellen sozialen Mechanismen funktionieren nicht mehr. Deswegen entsteht u.a. ein Bedarf nach Ethik, die früher gar kein Thema sein mußte. Aber Ethik ist natürlich bloß ein papierner Regenmantel gegen starke antisoziale Motive, mit denen man dann auch noch durchkommen kann.
Meine Lebenswelt ist jetzt nicht mehr gerecht, nicht mehr sozial geordnet. Es gibt nicht mehr - wie noch im Stamm - ein Refugium, in dem ich mich sicher fühlen kann.
Und das bringt Menschen zur Verzweiflung an der Welt, das läßt in ihnen die Hoffnung auf eine ganz andere Welt keimen, in welcher die Gerechtigkeit wiederhergestellt wird.
Gott kennt die Übelgesinnten,
und Gott straft mit Blut.

heißt es in der ägyptischen "Lehre des Mery-Ka-Re".
Und mit unüberbietbarer Bitterkeit schreibt der Pharao Amenemhet:
Vertraue keinem Bruder, kenne keinen Freund,
schaffe dir keinen Vertrauten - das führt zu nichts.
Wenn du schläfst, behüte dir selbst dein Herz,
denn niemand hat Anhänger am Tage des Unheils.
Ich habe dem Hilfsbedürftigen gegeben
und die Waise aufgezogen,
ich ließ den Habenichts ebenso vorwärtskommen
wie den, der etwas hatte.
Aber gerade der, der meine Speise gegessen hatte,
der nahm Rekrutierungen (gegen mich) vor,
und der, dem ich geholfen hatte, nützte das zum Terror.
Die mein feines Linnen trugen, sahen mich als Fußmatte an,
und die sich mit meinem kostbaren Öl salbten,
schlugen an mir (ihr) Wasser ab.

"und die sich mit meinem kostbaren Öl salbten, schlugen ihr Wasser an mir ab" - drastischer kann ich die vollständige Korrumpierung der sozialen Beziehungen nicht ausdrücken.

Ich hoffe, ich habe mich verständlich ausgedrückt.
Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 26.04.2009 um 17:17 Uhr (Zitieren)
Ich möchte noch ein italienischer Sprichwort hinzufügen, das Kant einmal zitiert hat:
"Gott schütze mich vor meinen Freunden; vor meinen Feinden will ich mich schon selber in acht nehmen."
Re: Die pessimistische Revolution
Bibulus schrieb am 26.04.2009 um 17:20 Uhr (Zitieren)
ich denke,
der "Pessimismus" kam in dem Moment zur Welt,
als der Mensch seiner Endlichkeit gewahr wurde...

(Es gibt allerdings auch Theorien,
daß höhere Wirbeltiere auch eine
gewisse Ahnung von der Endlichkeit/vom Tod haben)

Ich persönlich halte mich an das "carpe diem",
mit all seinen Facetten...
Re: Die pessimistische Revolution
Bibulus schrieb am 26.04.2009 um 17:22 Uhr (Zitieren)
Es gibt dann auch noch die Theorie der Soziologen,
daß der Mensch nicht für Gemeinschaften mit mehr als 3.000 Mitgliedern geschaffen ist.

Unsere "soziologische" Evolution hat weder mit der technischen noch der geistigen "Evolution" schrittgehalten...
Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 26.04.2009 um 17:27 Uhr (Zitieren)
Es gibt dann auch noch die Theorie der Soziologen,
daß der Mensch nicht für Gemeinschaften mit mehr als 3.000 Mitgliedern geschaffen ist.

Das geht so in meine Richtung. Danke für den Hinweis!
Das bloße Bewußtsein unserer Endlichkeit hat z.B. die Indianer nicht daran gehindert, sich ein Leben nach dem Tod als nahtlose Fortsetzung des diesseitigen Lebens vorzustellen: die "ewigen Jagdgründe". Das ist nicht pessimistisch, sondern eine Affirmierung des irdischen Lebens.
Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 26.04.2009 um 18:16 Uhr (Zitieren)
Daß unsere technischen Möglichkeiten die moralischen bei weitem übersteigen, diesem Satz wird Bibulus sicher zustimmen.
Ich erinnere mich an eine Diskussion, die wir hier einmal geführt haben über die Inflation im Begriff des Nächsten, betr. Nächstenliebe. Ursprünglich eine klare Sache: der Stammesangehörige.
Aber als Gebot? Wie Lao Dse schon sagt: Erst der Verfall der Sitten erzeugt das Bedürfnis nach Moral.
Re: Die pessimistische Revolution
Bibulus schrieb am 26.04.2009 um 19:06 Uhr (Zitieren)
Daß unsere technischen Möglichkeiten die moralischen bei weitem übersteigen, diesem Satz wird Bibulus sicher zustimmen.


Gewiß!
und auch Lao Dse.

Es läuft, meine ich, immer auf den Kategorischen Imperativ hinaus.
oder
"Was du nicht willst, was man dir tut,
das füg' auch keinem andern zu"

Moral:
Damit ist zuviel Schindluder getrieben worden:
Wasser predigen, aber selbst Wein trinken
Re: Die pessimistische Revolution
Bibulus schrieb am 26.04.2009 um 19:09 Uhr (Zitieren)
oder
"You can't tell the bottom from the top"

(So wie unsere Wirtschaftsbosse es machen
Bescheidenheit einfordern, aber selbst einem
Lebensstil frönen...)
Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 26.04.2009 um 19:22 Uhr (Zitieren)
Kant hat der Philosophie vier Fragen zugeordnet; deren zweite und dritte lauten:
2. Was soll ich tun? (--> kategorischer Imperativ)
3. Wenn ich nun tue, was ich soll, was darf ich alsdenn hoffen? (Und das ist der springende Punkt; daß die Befolgung des kategorischen Imperativs auf Erden keine Erfolgsstrategie ist, war Kant klar. Insofern war auch er Pessimist - bezogen auf die Welt hier & jetzt: "Der Mensch ist aus krummem Holz geschnitzt.")

Ab Dienstag werde ich mit 12er-Schülern Kants Schrift "Zum ewigen Frieden" behandeln. Dann kann ich mich auch im Unterricht mal wieder diesem Thema hier widmen.
Re: Die pessimistische Revolution
Arborius schrieb am 27.04.2009 um 21:56 Uhr (Zitieren)
Γραικίσκε, Deine Theorie kommt mir nicht unwahrscheinlich vor. Gar nicht schlecht.
Kommen denn alle Zivilisationen an den Punkt, oder ist es ein Kennzeichen der Zivilisation, dass man sich nach einem Goldenen Zeitalter sehnt?

War die chinesische Kultur, in der der Daoismus entstanden ist, noch nicht in dieser Art entwickelt? Ich werde Dich eingehend und kritisch prüfen, mein Lieber!

Elisabeth meinte mal, ich sollte an solchen Stellen Smileys verwenden, also hier hast Du Deinen:
;-)

Ach ja: Danke für die erhellende Erklärung!
Re: Die pessimistische Revolution
Bibulus schrieb am 27.04.2009 um 23:55 Uhr (Zitieren)
Auffallned ist,
daß zu allen Zeiten ein bestimmter Kultur-Pessimismus auftauchte
(z.B. Ende 19.Jh., mit einer "Todessehnsucht",
der im Jubel zu Beginn des 1.WK ausbrach,
auch am Ende des 20.Jh., mit dem Jahr "1984" der Tschernobyl-Katastrophe.
Die gesellschaftlichen Krisen in der Mitte des 18.Jh.:
amerik. Unabhänigkeitskrieg
Frz. Revolution,
Sturm und Drang
Aufklärung,
das 17.Jh ,mit seiner Katastrophe des "30"-jährigen Krieges.
das 16 Jh.Reformation, Religionskriege
das 15 Jh.Untergang von Byzanz,
endgültiges "Aus" der Antike und gleich danach die "Wiederbelebung"
das 14. Jh. die Pest
usw....

fühlen wir uns zum Tode wohl?
;-)
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 28.04.2009 um 11:36 Uhr (Zitieren)
Mangels neuer Gedanken zum Thema kann ich einen alten Text dazu vorstellen, der immerhin einen griechischen Titel hat.
Und den letzten Vers, den halte ich geradezu für ein Sophokles-Theognis-Zitat:
(George Gordon Noel) Lord (of) Byron
(1788-1824)

EUTHANASIA


When Time, or soon or late, shall bring
The dreamless sleep that lulls the dead,
Oblivion! may thy languid wing
Wave gently o’er my dying bed!

No band of friends or heirs be there,
To weep, or wish, the coming blow:
No maiden, with dishevell’d hair,
To feel, or feign, decorous woe.

But silent let me sink to earth,
With no officious mourners near:
I would not mar one hour of mirth,
Nor startle friendship with a fear.

Yet Love, if Love in such an hour
Could nobly check its useless sighs,
Might then exert its latest power
In her who lives and him who dies.

‘Twere sweet, my Psyche! to the last
Thy features still serene to see:
Forgetful of its struggles past,
E’en Pain itself should smile on thee.

But vain the wish - for Beauty still
Will shrink, as shrinks the ebbing breath;
And woman’s tears, produced at will,
Deceive in life, unman in death.

Then lonely be my latest hour,
Without regret, without a groan;
For thousands Death hath ceased to lower,
And pain been transient or unknown.

„Ay, but to die, and go,“ alas!
Where all have gone, and all must go!
To be the nothing that I was
Ere born to life and living woe!

Count o’er the joys thine hours have seen,
Count o’er thy days from anguish free,
And know, whatever thou hast been,
‘Tis something better not to be.

[Quelle: The Works of Lord Byron. Complete in Five Volumes. Leipzig Bernhard Tauchnitz 1866. Vol. IV, p. 84 sq.]

Re: Die pessimistische Revolution
Bibulus schrieb am 28.04.2009 um 17:36 Uhr (Zitieren)
Oh,
sogar die wikipedia hat einen Artikel über den "griechischen Pessimismus"

http://de.wikipedia.org/wiki/Griechischer_Pessimismus
Re: Die pessimistische Revolution
Bibulus schrieb am 28.04.2009 um 17:39 Uhr (Zitieren)
@Graeculus,
Kennst Du das Buch?

Norbert Wokart: Die Sandalen des Empedokles. Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag, 2001. ISBN 3-7466-8056-5

In einem anderen wikipedia-Artikel wird darauf Bezug genommen

Θνάτοισι μὴ φυναι φέριστον.
Thnatoisi mē phynai pheriston.
„Für die Sterblichen ist nicht geboren zu werden das Beste.“

Ausdruch des griechischen Pessimismus, über den Norbert Wokart in seinem Buch Die Sandalen des Empedokles schreibt:

„Dieses Spruches wegen, der wie ein Leitmotiv die gesamte Literatur und Philosophie der griechischen Antike durchzieht hat man den Griechen Pessimismus unterstellt. Sie litten gewiss am Leben, und die Vergänglichkeit des Menschen, seine Hinfälligkeit und Verletzlichkeit warfen ihnen so düstere Schatten, dass das Leben ihnen manchmal nichtig schien. Diese Erfahrung der Leiblichkeit musste umso schwerer wiegen, als sie durch keine Hoffnung auf Erlösung gemildert wurde; denn der griechische Glaube versprach den Menschen weder hier im Leben noch dort im Tod irgendeinen Trost.“
Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 28.04.2009 um 18:17 Uhr (Zitieren)
Oh,
sogar die wikipedia hat einen Artikel über den "griechischen Pessimismus"

Jetzt fängt er an, mir zu glauben!

Nein, lieber Bibulus, das Buch kenne ich nicht. Ich werde mich damit noch beschäftigen. Danke für den Hinweis, den ich als Beitrag verstehe zu meiner unermüdlichen Bemühung, mit wikipedia intellektuell Schritt zu halten.
:-)
Re: Die pessimistische Revolution
Arborius schrieb am 28.04.2009 um 20:05 Uhr (Zitieren)
Das Zitat aus Bibulus' Buch liefert Meinungen zum griechischen Pessimismus, den man in den anderen Kulturen noch gegenprüfen müsste:
Vergänglichkeit des Menschen, seine Hinfälligkeit und Verletzlichkeit

Das ist ja weniger ein sozialer, als eher ein philosophischer Grund, das Leben zu hassen.

Wir könnten uns hier mit Lateinhelfers - oh, Entschuldigung - Βοηθοῦ Ἑλληνικοῦ Suche nach der Seele der Griechen in der Architektur treffen:
Man könnte doch denken, dass sie das Ideal immer vor dem geistigen Auge hatten, also das Soll im Gegensatz zum Ist; und dieses Ideal konnten sie als Plastik z.B. darstellen, erreichen aber nicht.
Idealisten, die am Ideal litten.

Wie Rilke sagt:
denn das Schöne ist nichts, als des Schrecklichen Anfang


Was meint Ihr?
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 30.04.2009 um 10:35 Uhr (Zitieren)
Wenn Pessimismus (so wie wir diesen Begriff im Rahmen unserer Diskussion verwenden) eine historisch in einer bestimmten Epoche entstandene Lebenseinstellung ist, dann kann man doch nicht als Erklärung dafür etwas angeben was das menschliche Leben immer schon bestimmt hat.

Ausgelöst hat all diese Gedanken bei mir ja das anfangs genannte Buch "Sedna oder Die Liebe zum Leben" von Hans Peter Duerr (dem Ethnologen). Sedna ist eine Eskimogöttin, und Duerr stellt in diesem Buch das traditionelle Denken, die Weltanschauung der Eskimos vor. Natürlich werden auch sie krank, natürlich müssen auch sie sterben. Vermutlich verlieben sie sich auch schonmal unglücklich. Und auf jeden Fall sind ihre Lebensbedingungen zeitweilig sehr rauh; sie leben ja nicht gerade in den Tropen. Aber keine Spur davon, daß sie in irgendeiner Weise sich negativ zur Welt als ganzer verhielten. Keine Mythen von früher besseren Zeiten, keine Mythen von einem besseren Leben im Jenseits, keine Sprichwörter, es sei besser, nicht geboren zu werden usw. Nichts von alledem.

Wir müssen also bei der Erklärung nach einem Faktor suchen, der im 2. oder 1. Jhtsd. v. Chr. in manchen Kulturen wie z.B. der griechischen gewirkt hat.
Meine hypothetische Erklärung hat den Vorzug, daß sie das leistet, aber den Nachteil, daß sie nicht in allen Kulturen funktioniert, die den Schritt von der gewissermaßen sozial kuschligen Stammesgesellschaft weg getan haben zu politisch größeren, weniger überschaubaren und anonymeren Gebilden.
Insbesondere kenne ich keinen Pessimismus bei den Chinesen, bevor der Buddhismus dort seinen Einzug gehalten hat.
Allerdings weiß man über das ältere chinesische Denken auch nicht so viel - wegen dieser katastrophalen Kulturrevolution (Verbrennung aller Bücher!) auf kaiserlichen Befehl im 3. Jhdt. v. Chr. Von allen Werken, die heute als "älter" laufen (Lao Dse, Dschuang Dse, Kung Fudse) muß man ja eigentlich sagen: angeblich älter. D.h. nach der Herrschaft dieses Kaisers tauchten Bücher auf, die angeblich die Verbrennung überstanden hatten.
Re: Die pessimistische Revolution
Ὑληβάτης schrieb am 30.04.2009 um 11:51 Uhr (Zitieren)
Wenn Pessimismus ... eine historisch in einer bestimmten Epoche entstandene Lebenseinstellung ist, dann kann man doch nicht als Erklärung dafür etwas angeben was das menschliche Leben immer schon bestimmt hat.


Die menschlichen Verhältnisse sind ja immer gleich geblieben, aber evtl. die Sicht auf diese Verhältnisse nicht immer. Aber halt: Das war Deine Frage, nicht wahr? Warum ändert sich diese Sicht, warum sehen Kulturen Dinge pessimistisch, die es immer schon gegeben hat?

...
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 30.04.2009 um 11:54 Uhr (Zitieren)
Genau (endlich versteht mich mal jemand): Das war meine Frage!
Re: Die pessimistische Revolution
Bibulus schrieb am 30.04.2009 um 18:21 Uhr (Zitieren)
Ὑληβάτης schrieb am 30.04.2009 um 11:51 Uhr:
....
Warum ändert sich diese Sicht, warum sehen Kulturen Dinge pessimistisch, die es immer schon gegeben hat?
...
Re: Die pessimistische Revolution
Graeculus schrieb am 30.04.2009 um 11:54 Uhr:
Genau (endlich versteht mich mal jemand): Das war meine Frage!


Liegt es an der "Erkenntnis"?

Jemand, der nicht weiß,
daß es z.B. einen "Porsche" gibt,
begehrt keinen "Porsche".
oder
In einer steinzeitlichen Stammeskultur gibt es
keine Metallwerkzeuge.
Gelangt nun ein Mitglied des Stammes
wie auch immer an ein Metallwerkzeug
und kann dadurch schneller und besser
Wild jagen, es zerlegen und sich
dadurch einen "Überlebensvorteil"
vrschaffen, erregt er natürlich
bei seinen Stammesgenossen
den Wunsch, es ihm gleich zu tun.
Nun sind Metalle ein knappes Gut,
über das nicht jeder verfügen kann.
Was geschieht mit denen,
die keine Metalle haben?
Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 30.04.2009 um 18:37 Uhr (Zitieren)
Kennst Du/Kennt Ihr den Film "Die Götter müssen verrückt sein"? Da geht es um eine rezente Kultur auf vor-neolithischem Stand, die dadurch aufgemischt wird, daß ein Pilot über ihrem Gebiet achtlos eine leergetrunkene Cola-Flasche abwirft.
Es braucht, wie sich zeigt, keinen Porsche und nichtmal ein Metallwerkzeug.
Übrigens geht es von da an innerhalb des Stammes heiß her.
Re: Die pessimistische Revolution
Bibulus schrieb am 30.04.2009 um 18:49 Uhr (Zitieren)
@Γραικίσκος φιλον,
ich kenne den Film,
aber...
öhem..
Filmen messe ich keinen großen Belegwert,
ausser der zur Unterhaltung, bei....
;-)
Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 30.04.2009 um 18:54 Uhr (Zitieren)
Vermutlich nicht, nein; hat aber immerhin ein echter Buschmann mitgespielt.
Allein die Sprache voller Klicklaute zu hören fand ich spannend ... Das Volk heißt "!Kung", wobei das "!" für einen speziellen Klicklaut steht.
Re: Die pessimistische Revolution
Bibulus schrieb am 30.04.2009 um 19:45 Uhr (Zitieren)
Eine Arbeitskollegin meiner Ex-Frau spricht
auch eine dieser Sprachen.
Sehr interessant.
Diese Sprachen haben eine anlautende
Beugung und Wortklassen,
die die gesamte Grammatik beherrschen.
Re: Die pessimistische Revolution
Bibulus schrieb am 30.04.2009 um 19:49 Uhr (Zitieren)
Die Wörterbücher dieser Sprachen sind nach diesen Wortklassen sortiert.
Man muß also zunächst die Wortklassen lernen

Beispiel
Wortklasse für große belebte Dinge
(Elefant, Nashorn, Nilpferd, usw...)
Wortklasse für belebte Dinge
(Mann, Mensch, Löwe usw...)
Wortklasse für belebte Dinge, die klein sind
(Frau(!), Kind, Hund, Katze, Schwein usw)
Wortklasse für große unbelebte Dine
Wortklasse für Dinge, die man in die Hand nehmen kann..

usw...

;-)
Re: Die pessimistische Revolution
Bibulus schrieb am 30.04.2009 um 20:18 Uhr (Zitieren)
ha!
ein Beispiel aus
Frederick Bodmer, Die Sprachen der Welt

"Wenn Deutsch das gleiche System hääte,
so würde der Satz:
"Hungrige Hunde greifen manchmal junge Schafe an"
folgendermaßen lauten:
"ti-hungrige ti-Hunde ti-sie greifen manchmal f-junge f-Schafe an."
Wobei "Hund" in der Wortklasse "ti" zu finden ist (ti= Tier) und Schaf in der Wortklasse "f" ("f " für essbares "Fleisch")
Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 30.04.2009 um 20:43 Uhr (Zitieren)
Das habe ich mir gedacht, daß Dich das interessiert. Bibulus, Du bist ein richtiger Sprachfreak!
Hast Du uns - im Lateinforum - nicht mal was über die Navajo-Sprache erzählt? Klavier und so? Und ich habe eine falsche Vermutung über die Geige geäußert?
Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 30.04.2009 um 20:45 Uhr (Zitieren)
Wortklasse für belebte Dinge, die klein sind
(Frau(!), Kind, Hund, Katze, Schwein usw.)

Zum Kichern!
Aber ob auch die Damen hier darüber kichern?
:-)
Re: Die pessimistische Revolution
Bibulus schrieb am 30.04.2009 um 21:19 Uhr (Zitieren)
Γραικίσκος schrieb am 30.04.2009 um 20:43 Uhr:
Das habe ich mir gedacht, daß Dich das interessiert. Bibulus, Du bist ein richtiger Sprachfreak!
Hast Du uns - im Lateinforum - nicht mal was über die Navajo-Sprache erzählt? Klavier und so? Und ich habe eine falsche Vermutung über die Geige geäußert?

ja...
:-))
Die Indianer-Sprachen sind ein höchst
interessantes Gebiet.
Sprachen, bzw. das Sprechen,
DAS Kommunikations-Medium,
gehören zu den ganz großen
Evolutionsleistungen der Natur.
(das bewusste Kommunikations-Medium,
es gibt ja auch die,
vielleicht viel wichtigere:
"olfaktorische Wahrnehmung"
("ich kann dich nicht riechen")
"me olet" <- Witz! Stilblüte)
Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 02.05.2009 um 22:23 Uhr (Zitieren)
Es reizt mich, einmal der Frage eines Vergleichs von Laudse und Homer nachzugehen. Zwei große Klassiker der Literatur, die im Großen & Ganzen im Einklang mit der Welt, ihrer Welt leben ... in einer Weise, wie das Spätere kaum noch können.
Auch ist, glaube ich, noch niemand auf den Gedanken gekommen, diese Beiden zu vergleichen.

Aber interessiert das hier noch jemanden?
Re: Die pessimistische Revolution
Bibulus schrieb am 03.05.2009 um 02:22 Uhr (Zitieren)
Natürlich interessiert das!

Aber...
Ich traue es mir nicht zu
Homer und Laotse auch nur versuchsweise
einem Vergleich zu unterziehen.

Weder bin ich in der Lage,
die Quellen im Original mit dem
ausreichenden Verständnis
zu studieren,
noch bin ich intellektuell auch nur annähernd
fähig, diesen beiden großen Denker der Menschheit
im gebührenden Maße beizukommen.

Ich stehe einfach nur staunend vor
ihren großen Gedankengebäuden...



Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 03.05.2009 um 14:10 Uhr (Zitieren)
Ich weiß, daß diese Menschen über mir stehen. Aber ich glaube fest, daß sie von ihren Lesern verstanden werden wollten.
Meine Bemühung darum ist mein Dank an sie.
Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 20.06.2009 um 19:58 Uhr (Zitieren)
Das folgende sind zwei der Gedichte Laudses (aus dem "Daudedsching"), die man auf eine pessimistische Einstellung hin untersuchen kann:

Gedicht 20

Gib die Gelehrsamkeit auf und mache Schluß mit deinen Sorgen.

Gibt es einen Unterschied zwischen Ja und Nein?
Gibt es einen Unterschied zwischen Gut und Böse?
Muß ich fürchten, was andere fürchten? Welch ein Unsinn!
Andere Menschen geben sich zufrieden
und erfreuen sich am Opferfest des Ochsen.
Im Frühling gehen manche zum Park und ersteigen die Terrassen.
Nur ich allein lasse mich treiben, weiß nicht, wo ich bin.
Wie ein neugeborenes Kind, bevor es das Lachen lernt,
Bin ich allein, nirgends ein Ort hinzugehen.

Andere haben mehr als sie brauchen,
nur ich allein besitze nichts.
Ich bin ein Narr. O ja! Verwirrt bin ich.
Andere Menschen sind hell und licht,
Nur ich allein bin trüb und schwach.
Andere Menschen sind flink und schlau,
Nur ich allein bin träg und dumm.
O, ich treibe dahin wie die Wellen des Meeres,
Richtungslos, wie der rastlose Wind.

Jedermann sonst ist geschäftig,
Nur ich allein bin ziellos und niedergedrückt.
Ich bin anders.
Mich ernährt die Große Mutter.


Gedicht 13

Nimm Ungnade bereitwillig an.
Nimm Unglück als menschliche Bedingtheit an.

Was meinst du mit „Ungnade bereitwillig annehmen“?
Finde dich damit ab, bedeutungslos zu sein.
Sei nicht um Verlust oder Gewinn besorgt.
Dies wird „Ungnade bereitwillig annehmen“ genannt.

Was meinst du mit „Unglück als menschliche Bedingtheit annehmen“?
Unglück rührt daher, einen Körper zu haben.
Wie könnte es Unglück ohne einen Körper geben?

Gib dich voller Demut hin; dann kann dir die Sorge für alle Dinge anvertraut werden.
Liebe die Welt wie dein eigenes Selbst, dann kannst du wirklich für alle Dinge Sorge tragen.

(in der Übersetzung von Gia-Fu Feng & Jane English)

[Die Reihenfolge ist gleichgültig; die originale Anordnung ist ohnehin unbekannt - ebenso wie die Identität des Autoren; Laudse/Lao Tse ist kein Eigenname, sondern meint "weiser alter Mann".]
Re: Die pessimistische Revolution
Γραικίσκος schrieb am 20.06.2009 um 20:52 Uhr (Zitieren)
Die interessanten letzten Zeilen des Gedichts 20 lauten in der der chinesischen Grammatik angenäherten Übersetzung von Jan Ulenbrook:

doch/ich/allein/eigensinnig/wie/hinterwäldler:
ich/allein/anders/als/andern
und/preise/nährende/mutter.
 
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