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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
ἔχετε πίστιν θεοῦ (465 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 21.07.2019 um 14:36 Uhr (Zitieren)
Anderntags aber, als sie weggingen von Bethanien, hungerte ihn [sc. Jesus].
Er sah von weitem einen Feigenbaum, der Blätter hatte, und ging hin, ob er vielleicht etwas finden könnte an ihm. Doch als er hinkam, fand er nichts als Blätter; es war nämlich nicht die Zeit der Feigen.
Da redete er ihn an und sprach: Nimmermehr esse jemand eine Frucht von dir in Ewigkeit!“ Seine Jünger hörten dies.
[...]
Als sie in der Frühe vorbeigingen, sahen sie den Feigenbaum verdorrt von den Wurzeln auf.
Da erinnerte sich Petrus und sprach zu ihm: „Meister, sieh, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist verdorrt.“
Jesus antwortete ihnen: „Habt Glauben an Gott!“

(Mk 11, 12-22)

Welch eine befremdliche Geschichte!
Re: ἔχετε πίστιν θεοῦ
HB schrieb am 21.07.2019 um 14:44 Uhr (Zitieren)
Ein wissenschafticher Kommentar könnte Licht in die Sache bringen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Evangelium_nach_Markus#Literatur
Re: ἔχετε πίστιν θεοῦ
Γραικίσκος schrieb am 21.07.2019 um 15:06 Uhr (Zitieren)
Ein interessanter, für mich gut nachvollziehbarer Kommentar findet sich bei Bertrand Russell in dem (1927 gehaltenen) Vortrag "Warum ich kein Christ bin":
Der Charakter Christi

Ich möchte nun ein paar Worte über ein Thema sagen, das meiner Ansicht nach von den Rationalisten nicht ausreichend behandelt wird. Es ist die Frage, ob Christus der beste und weiseste der Menschen war. Im allgemeinen wird es als selbstverständlich gesehen, daß wir alle darin übereinstimmen sollten. Ich selbst bin nicht dieser Ansicht. Es gibt, glaube ich, sehr viele Punkte, in denen ich mit Christus weit mehr einig bin als die Bekenntnischristen. Ich bin nicht in allem mit ihm einig, aber ich stimme mit ihm weit mehr überein als die meisten Bekenntnischristen. Sie werden sich erinnern, daß er sagte: „Ihr sollt dem Bösen nicht widerstehen, sondern wenn dich jemand auf deine rechte Wange schlägt, so halte ihm auch die andere hin.“ Das ist kein neues Gebot oder Prinzip. Es wurde von Laotse und Buddha schon etwa fünf- bis sechshundert Jahre vor Christus verkündet, aber es ist kein Grundsatz, den die Christen wirklich befolgen. Ich zweifle beispielsweise nicht daran, daß der gegenwärtige Premierminister ein durch und durch aufrichtiger Christ ist, aber ich würde keinem von Ihnen raten, hinzugehen und ihn auf eine Wange zu schlagen. Sie würden wahrscheinlich feststellen, daß er der Ansicht ist, dieser Text sei in übertragenem Sinne gemeint.
Dann gibt es noch einen andern Punkt, den ich für ausgezeichnet halte. Sie werden sich erinnern, daß Christus sagte: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“ Ich glaube nicht, daß Sie feststellen könnten, dieses Prinzip sei an den Gerichtshöfen christlicher Länder sehr verbreitet. Ich habe zu meiner Zeit eine ganze Anzahl von Richtern gekannt, die eifrige Christen waren, und keiner von ihnen hatte das Gefühl, sein Tun stehe im Widerspruch zu christlichen Grundsätzen. Ferner sagt Christus: „Wer dich um etwas bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, von dem wende dich nicht ab.“ Das ist ein sehr gutes Prinzip. [...]
Dann gibt es eine weitere Maxime Christi, in der meiner Ansicht nach sehr viel steckt; aber ich kann nicht feststellen, daß sie bei einigen unserer Christenfreunde sehr beliebt ist. Er sagte: „Willst du vollkommen sein, so gehe hin und verkaufe alles, was du hast, und gib den Erlös den Armen.“ Es ist eine ausgezeichnete Maxime, aber wie ich schon sagte, wird sie nicht sehr häufig in die Tat umgesetzt. Das alles sind meiner Ansicht nach gute Grundsätze, wenn es auch ein wenig schwierig ist, sein Leben danach einzurichten. Ich behaupte nicht, daß ich selbst danach lebe; aber schließlich ist das für mich nicht ganz dasselbe wie für einen Christen.


Mängel in der Lehre Christi

Nachdem ich die Vortrefflichkeit dieser Maximen eingeräumt habe, komme ich zu gewissen Einzelheiten, bei denen man meiner Meinung nach Christus, wie er in den Evangelien geschildert wird, weder die höchste Weisheit noch die höchste Güte zuerkennen kann; und hier darf ich noch einfügen, daß ich mich nicht mit der historischen Frage befasse. Geschichtlich gesehen ist es ziemlich zweifelhaft, ob Christus überhaupt jemals gelebt hat, und wenn ja, so wissen wir nichts über ihn. Deshalb beschäftige ich mich nicht mit der historischen Frage, die sehr schwierig ist, sondern mit Christus, wie er in den Evangelien auftritt, wobei ich die Erzählungen der Evangelien so nehme, wie sie geschrieben stehen. Da findet sich nun einiges, das nicht sehr weise erscheint. Zunächst einmal glaubte er gewiß, daß er noch vor dem Tode aller seiner Zeitgenossen in Wolken der Glorie wiederkehren würde. Es gibt viele Textstellen, die das beweisen. Er sagt beispielsweise: „Ihr werdet noch nicht fertig sein mit den Städten Israels, bis der Menschensohn kommt.“ Dann sagt er: „Einige von denen, die hier stehen, werden den Tod nicht kosten, bis sie den Menschensohn in seinem Reiche kommen sehen.“ Und es gibt noch viele Stellen, in denen es ganz deutlich ist, daß er der Meinung war, er werde zu Lebzeiten vieler damals Lebender wiederkehren. Das war auch der Glaube seiner frühen Anhänger und die Grundlage eines großen Teils seiner Sittenlehre. Wenn er sagte: „Sorget nicht ängstlich für den morgigen Tag“, und ähnliches, so größtenteils deshalb, weil er glaubte, er werde sehr bald wiederkehren und alle gewöhnlichen irdischen Angelegenheiten seien bedeutungslos. Ich habe tatsächlich einige Christen gekannt, die glaubten, seine Wiederkehr stehe kurz bevor. Ein Geistlicher, den ich kannte, jagte seiner Gemeinde eine schreckliche Angst ein, indem er ihr sagte, die Wiederkehr Christi stehe wahrhaftig unmittelbar bevor; aber als sie sahen, daß er in seinem Garten Bäume pflanzte, waren sie wieder beruhigt. Die frühen Christen glaubten wirklich daran, und sie unterließen solche Dinge, wie in ihren Gärten Bäume pflanzen, da sie von Christus den Glauben übernahmen, daß die Wiederkehr nahe bevorstehe. In dieser Hinsicht war er eindeutig nicht so klug wie manche andere Menschen, und die höchste Weisheit besaß er gewiß nicht.


Das moralische Problem

Wenden wir uns nunmehr moralischen Fragen zu. Christus hatte nach meiner Ansicht einen sehr schweren Charakterfehler, nämlich daß er an die Hölle glaubte. Ich meinerseits finde nicht, daß jemand, der wirklich zutiefst menschenfreundlich ist, an eine ewigwährende Strafe glauben kann. Christus, wie er in den Evangelien geschildert wird, glaubte ganz gewiß an eine ewige Strafe, und wiederholt findet man in ihnen eine rachsüchtige Wut auf jene Menschen, die auf seine Predigten nicht hören wollten – eine bei Predigern nicht ungewöhnliche Haltung, die aber die höchste Vortrefflichkeit etwas in Frage stellt. Bei Sokrates beispielsweise findet man diese Einstellung nicht. Er ist gegenüber den Menschen, die nicht auf ihn hören wollten, höflich und verbindlich, und meiner Meinung nach ist diese Haltung eines Weisen viel würdiger als die der Entrüstung. Sie erinnern sich wahrscheinlich alle daran, was Sokrates vor seinem Tode sprach, und an jene Worte, die er im allgemeinen zu Leuten sagte, die mit ihm nicht übereinstimmten.
Christus sagte in den Evangelien: „Ihr Schlangen- und Natterngezücht! Wie werdet ihr der Verurteilung zur Hölle entrinnen?“, und zwar sagte er es zu Leuten, denen seine Predigten nicht gefielen. Nach meiner Meinung ist das nicht gerade das beste Verhalten. Es gibt jedoch viele derartige Stellen über die Hölle, zum Beispiel den bekannten Ausspruch über die Sünde wider den Heiligen Geist: „Wer aber wider den Heiligen Geist redet, dem wird weder in dieser noch in der künftigen Welt vergeben werden.“ Diese Stelle hat in der Welt unaussprechliches Elend verursacht, denn alle möglichen Leute glaubten, sie hätten wider den Heiligen Geist gesündigt und es würde ihnen weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben werden. Ich finde wahrhaftig nicht, daß ein Mensch, dessen Natur ein rechtes Maß an Güte enthält, soviel Angst und Schrecken in die Welt gesetzt hätte.
Dann sagt Christus: „Der Menschensohn wird seine Engel aussenden. Diese werden aus seinem Reiche alle Verführer und Übeltäter sammeln und werden sie in den Feuerofen werfen. Da wird Heulen und Zähneknirschen sein.“ Und über das Heulen und Zähneknirschen spricht er immer wieder. Es kommt in einem Vers nach dem andern vor, und deshalb ist es für den Leser ganz offenbar, daß ihm die Vorstellung des Heulens und Zähneknirschens ein gewisses Vergnügen bereitete. Dann erinnern Sie sich natürlich alle an die Stelle über die Schafe und Böcke, wie er bei seiner Wiederkehr zu den Böcken sagen wird: „Weicht von mir, all ihr Übeltäter, in das ewige Feuer.“ Er fährt fort: „Und sie werden in das ewige Feuer gehen.“ Dann wieder sagt er: „Wenn deine Hand dir Ärgernis gibt, so haue sie ab; es ist für dich besser, verstümmelt ins Leben einzugehen, als mit zwei Händen in die Hölle zu fahren, in das unauslöschliche Feuer, wo der Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt.“ Auch das wiederholt er immer wieder. Ich muß sagen, daß diese ganze Lehre vom Höllenfeuer als Strafe für die Sünde eine grausame Lehre ist. Sie hat Grausamkeit in die Welt gebracht und für Generationen unbarmherzige Foltern. Und könnte man annehmen, daß der Christus der Evangelien auch in Wirklichkeit so war, wie ihn seine Chronisten darstellen, so müßte man ihn gewiß zum Teil dafür verantwortlich machen.
Es gibt aber noch andere Dinge von geringerer Bedeutung. Da ist die Begebenheit mit den Gadarener Säuen, wo es den Schweinen gegenüber gewiß nicht sehr nett war, die Teufel in sie fahren zu lassen, so daß sie den Hügel hinab ins Meer stürmten. Sie müssen bedenken, daß er allmächtig war und die Teufel einfach hätte fortschicken können; aber er zog es vor, sie in die Säue fahren zu lassen. Sie erinnern sich sicher auch an die seltsame Geschichte vom Feigenbaum, von der ich nie wußte, was ich davon halten solle. „Des anderen Tages aber, da sie von Bethanien weggingen, hungerte ihn. Er sah von ferne einen Feigenbaum, der Blätter hatte, und ging hinzu, ob er wohl etwas an ihm fände. Als er aber hinzukam, fand er nichts als Blätter, denn es war nicht Feigenzeit. Da sprach er zu ihm: Niemals esse jemand wieder eine Frucht von dir in Ewigkeit! ... Und Petrus ... sagte zu ihm: Meister, sieh, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist verdorrt.“ Das ist eine sehr eigenartige Geschichte, weil man dem Feigenbaum wirklich keinen Vorwurf daraus machen konnte, daß es nicht die rechte Jahreszeit für Feigen war. Ich meinerseits kann nicht finden, daß Christus an Weisheit oder Tugend ganz so hoch steht wie einige andere geschichtliche Persönlichkeiten. In dieser Hinsicht würde ich Buddha oder Sokrates noch über ihn stellen.

(Bertrand Russell: Warum ich kein Christ bin. Reinbek 1968, S. 26-31)
 
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