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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Xenophon - der Caesar des Griechischunterrichts (661 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 19.10.2019 um 14:53 Uhr (Zitieren)
In den sechziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts an einem altsprachlichen Gymnasium. Lateinunterricht ab der Sexta. In der Quarta kam - als Zugeständnis an den Zeitgeist - Englisch dazu, in der Untertertia dann Altgriechisch.
Latein und Griechisch wurden bis zur Oberprima unterrichtet und im Abitur geprüft; Englisch entfiel ab der Unterprima, worüber heutige Pädagogen, wenn sie es hören, in Schockstarre verfallen.

Sobald man im Lateinunterricht in der Lehrbuchphase die Grundlagen geschaffen hatte, begann die Lektürephase: mit Caesars "De bello gallico". Warum gerade damit? Klassisches Latein, aber nicht allzu schwierig. Das sprach für Caesar. Aber warum seine - für uns Schüler - unsäglich langweiligen, ruhmseligen und so weit von unseren Anliegen entfernten Taten in Gallien und Germanien? Warum nicht "De bello civili", wenn es schon ein Krieg sein mußte? Weil es mehr mit unseren eigenen Vorfahren zu tun hatte? Niemand hat uns das erklärt. Die Wahl des Unterrichtsstoffes war wie eine Papstwahl: unverständlich und einfach hinzunehmen.

Im Griechischunterricht füllte diese Rolle, also die der ersten Originallektüre im Anschluß an die Legung des Fundaments - Xenophon aus, und zwar genau derselbe Typ von Text: die "Anabasis". Ein Feldzug, berichtet von einem seiner führenden Teilnehmer, in einem Krieg, der uns ferner nicht hätte sein können. Stilistisch wertvoll? Kaum zu zählen, wie oft uns ein mit Ἐντεῦθεν beginnender Textabschnitt begegnet ist. Das wirkte schon damals auf uns Kinder unsäglich monoton. Aber: klassisches Griechisch, nicht allzu kompliziert.
Das Argument mit den eigenen Vorfahren konnte man hier nicht mehr anbringen.
Dafür ist mir noch der Titel des Buches in Erinnerung, den ich heute gar nicht mehr finde: Ἡ τοῦ Κύρου ἀνάβασις.

Warum nicht ein anderes Werk Xenophons, das von Politik, griechischer Geschichte oder gar von Sokrates handelt? Immerhin waren wir doch schon Untersekundaner, also keine ganz kindischen Kinder mehr.

Vielleicht - immerhin leben wir im Zeitalter der Verschwörungstheorien - handelte es sich um den Plan einer geheimnisvollen, bösen Macht, den Latein- und Griechischunterricht so langweilig und weltfern wie möglich zu gestalten?

Kein Mensch durchschaut den Lauf der Welt, ich schon gar nicht; aber so ganz zufällig scheint mir der Verfall der Idee des altsprachlichen Gymnasiums nicht zu sein.
Re: Xenophon - der Caesar des Griechischunterrichts
Wort zum Sonntag schrieb am 20.10.2019 um 10:50 Uhr (Zitieren)
Kein Mensch durchschaut den Lauf der Welt,

Das Ganze ist undurchschaubar, aber es gibt Konstanten, die immer wieder auftauchen
und die Geschichte vorantreiben:
Streben nach Macht und Einfluß, Wohlstand und (maximaler) Freiheit,
der Kampf gegen Unterdrückung und Ungleichheit,
wissenschaftlicher und technischer Fortschritt und nicht zuletzt
die Frage nach dem Sinn des Ganzen.
Alles nur Zufall oder Notwendigkeit oder beides
zugleich? Oder nur ein Betriebunfall in der Welt
der Quanten?
Der Zufall spielt eine enorme Rolle und der
Faktor Zeit. Gib dem Zufall genügend Zeit
und er bringt ein Wesen hervor, das über ihn und sich selbst
reflektieren und Erstaunliches zutage fördern kann.
Ohne das Gehirn des Menschen wüsste das "Sein" nicht, dass es ist und
was man aus ihm und mit ihm so alles machen kann.
Vlt. hat das etwas mit dem Sinn des Ganzen zu
tun? Vlt. auch nicht. Wer weiß?
Re: Xenophon - der Caesar des Griechischunterrichts
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 20.10.2019 um 13:41 Uhr (Zitieren)
Wie sich Gleiches (das umrissene Curriculum) doch nicht immer gleich darstellen, wenigstens nicht gleich empfunden werden muß ...

Wir hatten Latein und Griechisch bei verschiedenen Lehrern, aber jeder verstand es, das Gelesene (teils mühsam Übersetzte) nicht nur "abzuhaken", sondern dann mit einiger Distanz zu betrachten, mit Hintergrundinformationen (im Falle Latein: was ein 'magnis itineris' für eine Schinderei für die Legionäre gewesen, wie die dabei bepackt waren, was es hieß, castrum munire, usf.) und Exkursionen (Köln, Xanten, Trier, Museen, Limes, usw.) anschaulich und begreiflich zu machen, nicht zuletzt auf die "kulturelle/zivilisatorische Brille" aufmerksam zu machen und Geschichtsschreibung als die des Siegers deutlich werden zu lassen.
Unvergessen auch die Hinweise zum soldatisch-einfachen Rapportstil des Xenophon, den schier endlosen Marsch mit Hinterhalt, Verhandlungen, Entbehrungen, unterfüttert aus dem Erleben des Griechischlehrers, der als 18jähriger in russische Gefangenschaft geraten war, und dann derjenige auf das Lautmalerische des ἐπτήρυξεν τίς bei der Beratung der Griechen nach Kyros' Fall, das Niesen, das den göttlichen Beistand manifestierte.
Gut möglich, daß es nicht jeder von uns gleich intensiv empfand, aber da hatten wir unseren Bezug zur eigenen Gegenwart, bzw. der unmittelbaren Vergangenheit. Wir sahen, was Krieg bedeuten kann, was er mit Menschen machen kann, welche Typen und Charaktere sich in einer auf Gedeih und Verderb zusammengezwungenen Truppe herausschälen.
Re: Xenophon - der Caesar des Griechischunterrichts
Γραικίσκος schrieb am 20.10.2019 um 14:15 Uhr (Zitieren)
Aucb ei Euch war es die "Anabasis".

In einer Herausarbeitung des Typischen, des allgemein Menschlichen kann eine Lösung liegen. Allerdings hatten wir meiner Erinnerung nach bei weitem kein so großes Interesse am Krieg wie unsere Lehrer, die durch ihn geprägt worden waren.
Ich glaube, uns (reines Jungengymnasium, Hochpubertät) hätte mehr interessiert, was "die Griechen" zur Liebe, zu Frauen, zum Rausch zu sagen hatten - und das ist ja nicht wenig.
Einiges dazu kam immerhin später (Sappho sogar, obwohl die sprachlich nicht für die Anfangslektüre geeignet ist); aber der Einstieg mit der "Anabasis" ist mir in unguter Erinnerung geblieben.
Jedenfalls - da nehme ich Deinen Eindruck gerne auf - darf sich der Unterricht nicht aufs Übersetzen und die Bestimmung der Formen beschränken.

Daß man auch aus der "Anabasis" im Unterricht etwas machen kann, akzeptiere ich; aber warum es unter allen möglichen Texten, die das Doppelkriterium (klassische und doch relativ einfache Sprache) erfüllen, gerade "De bello gallico" und "Anabasis" sein mußten, weiß ich dennoch nicht.

In der späteren Ausbildung von Lehrern war die Motivation der Schüler das A und der Lernferfolg das Ω.
Re: Xenophon - der Caesar des Griechischunterrichts
Γραικίσκος schrieb am 20.10.2019 um 14:30 Uhr (Zitieren)
P.S.:
Es ist wohl nicht unerheblich, daß ich nicht aus einem (möglicherweise verklärten, jedenfalls irgendwie bearbeiteten) Rückblick heraus urteile, sondern auf der Basis von Tagebuchaufzeichnungen aus der damaligen Zeit.
D.h. ich gebe die Eindrücke wieder, die ich damals gehabt und niedergeschrieben habe, nicht bloß die, an die ich mich heute erinnere.

Oft überrascht es mich selbst, wenn ich meine Erinnerungen mit Notizen zur Zeit der Ereignisse vergleiche.
Re: Xenophon - der Caesar des Griechischunterrichts
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 20.10.2019 um 14:51 Uhr (Zitieren)
Interesse am Krieg hatten wir sicherlich auch nicht gerade, aber - und hier wage ich zu fragen, ob unsere Lehrer nicht genau das von Dir abschließend Geforderte taten - unser Interesse wurde geweckt, und zwar nicht am Krieg an sich, sondern was ihn bedingt und was er mit den Menschen macht.
Zu sehen (und gerade wegen der relativ einfachen Sprache einigermaßen zügig) verstehen zu können, welche Konstanten es im Leben von Menschen und Völkern gibt, und zwar aus dem Munde / dem Griffel dessen, der es vor hunderten von Dekaden aus eigener Anschauung schildern kann, war (mir jedenfalls) wichtiger als der fehlerfrei übersetzte Satz (den wir natürlich auch zu produzieren angehalten waren).

Nicht daß, ich den Lektüreplan als optimal ansähe, aber welche Alternative zum Caesar und der Anabasis, die das genannte Doppelkriterium erfüllte, siehst Du denn für den Anfang?
Re: Xenophon - der Caesar des Griechischunterrichts
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 20.10.2019 um 15:12 Uhr (Zitieren)
Dein PS lese ich eben erst.

Es mag durchaus sein, daß mir im Rückblick manches rosiger erscheint als in der damaligen Situation - ich selbst habe nie Tagebuch geführt -, insofern kann ich mich für die Haltung zum Stoff natürlich nicht vollständig verbürgen, sondern muß meine erinnerten Eindrücke und das Gelernte für wahr halten, ohne dies genau zu wissen / belegen zu können.
Aber selbst wenn: "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern, wenn ich heute etwas dazulernen kann?" Und wir schreiben unsere Erinnerungen stets neu just in dem Moment, in dem wir, und dadurch, daß wir uns erinnern - und erst das befähigt uns dazu, unsere Erfahrungen für die Zukunft nutzbar zu machen.
Re: Xenophon - der Caesar des Griechischunterrichts
Γραικίσκος schrieb am 20.10.2019 um 15:14 Uhr (Zitieren)
Welche Alternative?
Das ist eine interessante Frage, über die ich sofort nachdenken werde.

Ich weiß nicht einmal, wie der aktuelle Stand ist.
Bei uns bzw. "zu unserer Zeit" ging es um neun Jahre Latein- und sechs Jahre Griechischunterricht. Heute steht m.W. nach vier Jahren das Latinum, und Griechischunterricht existiert lediglich in exotischen Residuen. Zu welcher Lektüre von Originalschriften kommen die da überhaupt noch?

Ich weiß es nicht.
Aber phantasieren darf man ja. Ich werde überlegen.

Erste Frage, schon vorab: Sowohl die lateinische als auch die griechische Philologie haben ja einen rigiden Begriff von klassischer Literatur entwickelt. Latein - das ist Cicero und, mit leichten Abstrichen, Caesar. Wenn nun der Anfang mit Texten in der klassischen[/i ] Form der betreffenden Sprache gemacht werden soll (= 1. Kriterium), dann schränkt das die Auswahl enorm ein. Das 2. Kriterium hingegen (die relativ einfache Sprache) eröffnet hingegen ein weites Feld.
Also: [i]muß
es zu Anfang das klassische Griechisch, das klassische Latein sein?

Als Schüler hat mich dieses 1. Kriterium gar nicht berührt - interessant sollte der Text sein.
Dieses Kriterium wird von Philologen gesetzt, die im Bereich der Universitäten angesiedelt sind und kaum einen Gedanken auf die Vermittelbarkeit in der Schule verwenden.
Re: Xenophon - der Caesar des Griechischunterrichts
Γραικίσκος schrieb am 20.10.2019 um 15:15 Uhr (Zitieren)
Korrektur:
... Wenn nun der Anfang mit Texten in der klassischen Form der betreffenden Sprache gemacht werden soll (= 1. Kriterium), dann schränkt das die Auswahl enorm ein. Das 2. Kriterium hingegen (die relativ einfache Sprache) eröffnet hingegen ein weites Feld.
Also: muß es zu Anfang das klassische Griechisch, das klassische Latein sein? ...
Re: Xenophon - der Caesar des Griechischunterrichts
Γραικίσκος schrieb am 20.10.2019 um 16:52 Uhr (Zitieren)
Erste Vorschläge:

- Wenn schon Xenophon (klassisches Griechisch), dann nähme ich das Symposion, weil es da um Liebe geht und ich meine, daß das für Heranwachsende das ansprechendere Thema ist.

- Unterhaltsam und witzig: der Lukian (nicht klassisch, also falls wir uns von diesem Kriterium lösen)

- Die Sieben Weisen (mit interessanten Themen über die Lebensgestaltung)

- Plutarch, sowohl aus den Moralia als auch Auszüge aus den Vitae

Wohlgemerkt: als erste, als Einstiegslektüre anstelle der Anabasis.
Re: Xenophon - der Caesar des Griechischunterrichts
Platon schrieb am 20.10.2019 um 17:38 Uhr (Zitieren)
Unterhaltsam und witzig: der Lukian

Viel zu schwer m.E. als Anfangslektüre.
Zudem zuviele unbekannte Vokabeln, die alle
angegeben werden müssten.
Re: Xenophon - der Caesar des Griechischunterrichts
Γραικίσκος schrieb am 20.10.2019 um 17:50 Uhr (Zitieren)
Es mag sein, daß ich den Schwierigkeitsgrad, verglichen mit Xenophon, falsch einschätze.

Ob die Vokabeln unbekannt sind, hängt natürlich von dem vorher eingeübten Vokabular ab. Das müßte natürlich zueinander passend gemacht werden.
Sollte der Wortgebrauch des Lukian zu speziell sein, d.h. viele Vokabeln enthalten, die nur bei ihm vorkommen, dann wäre das unterrichtstaktisch ungünstig, denn man könnte mit dem mühsam gelernten Vokabular ansonsten, außerhalb von Lukian, wenig anfangen.

Ich schlage eine beliebige Seite der Göttergespräche auf und finde:
- Hirtenflöte
- Hörner
- Sklavenhändler
- Hagelwetter
- Schafbock
Da kann ich mir vorstellen, daß man das zu lernende Vokabular von Anfang an stärker an Alltagsbegriffen orientiert statt an der Sprache des Demosthenes.
Re: Xenophon - der Caesar des Griechischunterrichts
Γραικίσκος schrieb am 20.10.2019 um 17:51 Uhr (Zitieren)
Besondere grammatische/syntaktische Schwierigkeiten kann ich auf Anhieb nicht finden.
 
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