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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Schopenhauer über den Stil des NT (908 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 15.09.2009 um 21:14 Uhr (Zitieren)
Nietzsches böses Wort über Gott als Schriftsteller hat, wie ich jetzt gelesen habe, einen Vorläufer bei seinem Lehrer Schopenhauer:
Bei den insprirten Schriftstellern des Neuen Testaments müssen wir bedauern, daß die Inspiration sich nicht auch auf Sprache und Stil erstreckt hat.

Er merkt selber am Rande an: "ist Spott!"
(Senilia 11)

Da es sich um ein zu Schopenhauers Lebzeiten nicht, sondern erst um 1900 veröffentlichtes Manuskriptbuch handelt, dürfte Nietzsche diesen Ausspruch nicht gekannt haben.
Zwei große Stilisten - eine Meinung!
Re: Schopenhauer über den Stil des NT
John schrieb am 16.09.2009 um 11:45 Uhr (Zitieren)
Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass - wenn man diese Kritik ernst nimmt - die Mehrzahl der neutestamentlichen Schriftsteller aramäische Muttersprachler waren.
Re: Schopenhauer über den Stil des NT
John schrieb am 16.09.2009 um 11:56 Uhr (Zitieren)
Schopenhauer hat sich übrigens auch über Latein und Griechisch geäußert:
Ich glaube, daß das Erlernen der lateinischen und griechischen Grammatik vom sechsten bis zum zwölften Jahre den Grund legt zur nachherigen Stumpfheit der meisten Gelehrten

(in: Die Kunst zu beleidigen, hg. v. Franco Volpi, München: Beck 2002, S. 57)
Wie Γραικίσκος bereits bemerkt hat, ist Schopenhauer sich durchaus darüber bewusst, dass es "Spott" ist, was er sozusagen als letztes Mittel des Rechtbehaltens benutzt. Darüber hinaus ist es evtl. auch interessant, dass der gebürtige Danziger solche Spottverse in den seltensten Fällen veröffentlicht hat. Viel befand sich im Nachlass.
Re: Schopenhauer über den Stil des NT
Γραικίσκος schrieb am 16.09.2009 um 19:49 Uhr (Zitieren)
Das
Ich glaube, daß das Erlernen der lateinischen und griechischen Grammatik vom sechsten bis zum zwölften Jahre den Grund legt zur nachherigen Stumpfheit der meisten Gelehrten.

hat er auch geschrieben, ja!
Du wirst vielleicht überrascht sein, aber wenn ich an meinen Latein- und Griechischunterricht denke, möchte ich ihm da zustimmen - obwohl ich ihn vielleicht unterschätzt habe.

Der Spott Schopenhauers, der mich wegen meiner eigenen Vergangenheit tief berührende Spott, gilt aber nicht - ebensowenig bei Nietzsche - den aramäischen Muttersprachlern (was eine durch und durch prosaische Erklärung ist), sondern der traditionellen Lehre der Kirchen, das NT sei unter göttlicher Inspiration geschrieben: "das Wort Gottes".
Und da muß man sich nun entscheiden: Ist das NT das Wort Gottes --> Warum hat Gott nicht besser Griechisch gelernt?, oder ist es das Wort aramäischer Muttersprachler, also menschliches Wort?
Im Grunde, ohne Spott, ist Schopenhauer natürlich der letztgenannten Ansicht. Ich auch.
Re: Schopenhauer über den Stil des NT
Γραικίσκος schrieb am 16.09.2009 um 20:23 Uhr (Zitieren)
Anzunehmen, daß Schopenhauer dergleichen nicht veröffentlicht habe, ist ein ernster Irrtum:
Die ephemeren Geschlechter der Menschen entstehn und vergehn in rascher Succession, während die Individuen unter Angst, Noth und Schmerz dem Tode in die Arme tanzen. Dabei fragen sie unermüdlich, was es mit ihnen sei, und was die ganze tragikomische Posse zu bedeuten habe, und rufen den Himmel an, um Antwort. Aber der Himmel bleibt stumm. Hingegen kommen Pfaffen mit Offenbarungen.
Unter dem vielen Harten und Beklagenswerthen des Menschenlooses ist keines der geringsten dieses, daß wir dasind, ohne zu wissen, woher, wohin und wozu: wer eben vom Gefühl dieses Uebels ergriffen und durchdrungen ist, wird kaum umhinkönnen, einige Erbitterung zu verspüren gegen Diejenigen, welche vorgeben, Specialnachrichten darüber zu haben, die sie unter dem Namen von Offenbarungen uns mittheilen wollen. - Den Herren von der Offenbarung möchte ich rathen, heut zu Tage nicht so viel von der Offenbarung zu reden; sonst ihnen leicht ein Mal offenbart werden könnte, was eigentlich die Offenbarung ist. -
Der aber ist nur noch ein großes Kind, welcher im Ernst denken kann, daß jemals Wesen, die keine Menschen waren, unserm Geschlecht Aufschlüsse über sein und der Welt Daseyn und Zweck gegeben hätten. Es giebt keine andere Offenbarung, als die Gedanken der Weisen; wenn auch diese, dem Loose alles Menschlichen gemäß, dem Irrthum unterworfen, auch oft in wunderliche Allegorien und Mythen eingekleidet sind, wo sie dann Religionen heißen. Insofern ist es also einerlei, ob Einer im Verlaß auf eigene, oder auf fremde Gedanken, lebt und stirbt: denn immer sind es nur menschliche Gedanken, denen er vertraut, und menschliches Bedünken. Jedoch haben die Menschen, in der Regel, die Schwäche, lieber Andern, welche übernatürliche Quellen vorgeben, als ihrem eigenen Kopfe zu trauen. Fassen wir nun aber die so überaus große intellektuelle Ungleichheit zwischen Mensch und Mensch ins Auge; so könnten allenfalls wohl die Gedanken des Einen dem Andern gewissermaaßen als Offenbarungen gelten. -
Hingegen das Grundgeheimnis und die Urlist aller Pfaffen, auf der ganzen Erde und zu allen Zeiten, mögen sie brahmanische oder mohammedanische, buddhaistische, oder christliche seyn, ist Folgendes. Sie haben die große Stärke und Unvertilgbarkeit des metaphysischen Bedürfnisses des Menschen richtig erkannt und wohl gefaßt: nun geben sie vor, die Befriedigung desselben zu besitzen, indem das Wort des großen Räthsels ihnen, auf außerordentlichem Wege, direkt zugekommen wäre. Dies nun den Menschen Ein Mal eingeredet, können sie solche leiten und beherrschen, nach Herzenslust. Von den Regenten gehn daher die klügeren eine Allianz mit ihnen ein: die andern werden selbst von ihnen beherrscht. Kommt aber ein Mal, als die seltenste aller Ausnahmen, ein Philosoph auf den Thron, so entsteht die ungelegenste Störung der ganzen Komödie.

[Parerga und Paralipomena § 176: Offenbarung]
Re: Schopenhauer über den Stil des NT
John schrieb am 17.09.2009 um 12:02 Uhr (Zitieren)
Es geht Dir also gar nicht so sehr um den Stil des NT oder was Schopenhauer dazu sagt. Es geht darum, eine bestimmte Auffassung vom "Wort Gottes" darzustellen, nämlich der Verbalinspiration, d.h. der Annahme (in den meisten Fällen aber feste Überzeugung), die Schriftsteller des NT hätten quasi nur schriftlich dokumentiert, was Gott ihnen wiederum diktiert habe.
Wir könnten jetzt wirklich theoretisch diskutieren und Philosophen und Theologen zitieren, aber diese Lehre scheitert doch allein schon an Widersprüchen in der Schrift selbst! Ich glaube, ich hatte bereits einmal die Doppelüberlieferung erwähnt, wo im 1 Samuelbuch David den Goliath erschlägt, im 2 Samuelbuch aber plötzlich Elhanan aus Bethlehem. Ich könnte noch viele weitere Beispiele (nicht nur zu Einzelpassagen, sondern zu ganzen sich unterscheidenden Theologien) nennen.
Wer also behauptet, in der Lage dazu zu sein, die Bibel 1. wörtlich und 2. wörtlich als Wort Gottes aufzufassen, wird mit der dafür aufzubringenden Gedankenleistung entweder in der Einseitigkeit oder in der Schizophrenie enden, da er immer nur eine von zwei oder mehreren sich widersprechenden Überlieferungen für wahr halten kann.
Ich denke, ich muss hier nicht erklären, was es mit dem Wort πιστεύω auf sich hat, aber ich bitte sehr darum, evangelikale Ansichten nicht zum Maßstab seiner eigenen Urteile zu machen! Ich gebe zu: Es ist schwer zu verstehen, dass eine Schrift, die von einem transzendenten Wesen berichtet, nicht eo ipso transzendent und unfehlbar ist. Es geht aber eben gerade nicht darum, einen Text anzubeten - und darin sind sich letztlich auch die meisten Konfessionen einig -, sondern deren Inhalt Gott.
Insofern hat Schopenhauer Recht, wenn er von menschlichen Gedanken spricht. Menschlichen Gedanken aber ernsthaft vertrauen zu wollen, ist unmöglich. Sie sind in erster Linie zu reflektierende Aussagen über Gott, die ständig auf ihre Gültigkeit hin geprüft werden müssen - auch im Gespräch mit Philosophen, wie das letzte Philosophische Quartett (in Anwesenheit eines Jesuitenpaters) beweist. Dass wir, lieber Γραικίσκος, Aussagen über Moral und Ethik treffen können, liegt doch nicht daran, Platon oder Paulus gelesen zu haben! Die besten Bücher (so sagt Winston, der Protagonist aus George Orwells 1984 einmal) sind die, die dir sagen, was du schon weißt.
Re: Schopenhauer über den Stil des NT
Γραικίσκος schrieb am 17.09.2009 um 17:20 Uhr (Zitieren)
Es geht Dir also gar nicht so sehr um den Stil des NT oder was Schopenhauer dazu sagt. Es geht darum, eine bestimmte Auffassung vom "Wort Gottes" darzustellen, nämlich der Verbalinspiration, d.h. der Annahme (in den meisten Fällen aber feste Überzeugung), die Schriftsteller des NT hätten quasi nur schriftlich dokumentiert, was Gott ihnen wiederum diktiert habe.

Im Grunde geht es mir um beides, wobei die Idee der Verbalinspiration heute natürlich, wie Du schon deutlich machst, eine tote Leiche ist.

Aber wenn das NT in einem sehr schlichten Griechisch geschrieben ist, dann eignet es sich vielleicht auch hier für Übungstexte.
Schopenhauer und Nietzsche, die haben vermutlich Homer gelesen wie ich die Zeitung. Aber soweit sind wir ja noch nicht, daß wir über das Griechisch des NT die Nase rümpfen dürften.
Re: Schopenhauer über den Stil des NT
ανδρέας schrieb am 17.09.2009 um 20:39 Uhr (Zitieren)

Adressat der griechischen Übersetzung der Bibel waren ja einfache Leute. Man kann kaum annehmen, dass es zur Popularität beigeträgen hätte, wenn man die Menschen durch eine komplizierte Sprache abgeschreckt hätte. Dem Ur-Christentum kann man kaum nachsagen, dass es elitär gewesen wäre. Schlichte Aussagen kommen besser an. Das hat Schopenhauer wohl nicht so erkannt. Der Glaube sollte ja erst mal weitergegeben werden. Die eigentlichen Autoren - unabhängig von ihrer Inspiration - waren ja nunmal Menschen.
Re: Schopenhauer über den Stil des NT
Γραικίσκος schrieb am 18.09.2009 um 08:55 Uhr (Zitieren)
Ganz klar, daß Schopenhauer & Nietzsche von einem literarisch elitären Standpunkt aus sprechen, wenn sie (ironisch) sagen, daß 'Gott als Schriftsteller' doch nicht unter dem Niveau von, sagen wir, Homer schreiben könne.

Das NT hingegen ist, wie ich es verstehe, nicht nur ein Buch für eifnache Leute, sondern auch [/i] von einfachen Leuten. Da ist in der Tat ein anderer Stil zu erwarten.

Auf Anhieb empfinde ich Lukas am anspruchsvollsten. Der war Arzt, nicht wahr? Ja, ja [Βοηθός, jetzt mal wegschauen!], manche Ärzte sind sprachlich wirklich beeindruckend gut.
Re: Schopenhauer über den Stil des NT
Γραικίσκος schrieb am 18.09.2009 um 08:56 Uhr (Zitieren)
Ganz klar, daß Schopenhauer & Nietzsche von einem literarisch elitären Standpunkt aus sprechen, wenn sie (ironisch) sagen, daß 'Gott als Schriftsteller' doch nicht unter dem Niveau von, sagen wir, Homer schreiben könne.

Das NT hingegen ist, wie ich es verstehe, nicht nur ein Buch für einfache Leute, sondern auch von einfachen Leuten. Da ist in der Tat ein anderer Stil zu erwarten.

Auf Anhieb empfinde ich Lukas am anspruchsvollsten. Der war Arzt, nicht wahr? Ja, ja [Βοηθός, jetzt mal wegschauen!], manche Ärzte sind sprachlich wirklich beeindruckend gut.
 
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