Γραικύλος schrieb am 18.02.2020 um 12:48 Uhr (Zitieren)
Der bekannte ukrainische Dichter und Prosaist Serhij Zhadan hat seinem Buch Mesopotamien (Berlin 2015: Suhrkamp), das von einer Landschaft zwischen zwei Flüssen in der Ukraine handelt, ein Motto vorangestellt:
Zhadan gibt als Quelle an eine "Wahre Geschichte der Sumerer, Band 1", die vermutlich seiner Phantasie entsprungen ist.
Aber das Zitat bzw. 'Zitat' gefällt mir.
Re: Die sumerischen Frauen
Marcella schrieb am 18.02.2020 um 17:28 Uhr (Zitieren)
Immer wieder interessant, diese "Tennisbälle", die täglich kommen. Ich antworte leider auch selten, genieße und studiere aber jeden einzelnen. Ob die sumerische Sprache sich für "Gesänge und Verwünschungen" besonders eignet, kann ich nach meiner dürftigen Kenntnis nicht bestätigen. Jedenfalls dichteten sie eifrig, diese Sumerer und Sumererinnen. Wenig bekannt ist, dass der früheste Autor, über den über den Namen hinaus biographische Umstände bekannt sind, die Priesterin von Ur, Encheduana, aus dem 23. Jahrhundert ist. Ihr Beschwörungsgesang "Nin-me-schar-ra" wurde über Jahrhunderte als Muster im "Tafelhaus", also in der Schule, gelehrt.
Welche Erfahrung Zhadan sonst mit Sumererinnen gemacht hat, wüsste ich gerne.
Re: Die sumerischen Frauen
Γραικύλος schrieb am 19.02.2020 um 09:49 Uhr (Zitieren)
Ich bin ja schon froh, wenn sich überhaupt mal jemand meldet.
Re: Die sumerischen Frauen
Γραικύλος schrieb am 19.02.2020 um 13:45 Uhr (Zitieren)
Ich stehe erst am Anfang der Lektüre. Sollte Zhadan nochmal auf die Sumerer(innen) zurückkommen, werde ich das vermelden.
Eigentlich aber spielt die Handlung, wie gesagt, in einer Landschaft zwischen zwei Flüssen in der Ukraine - ein anderes Mesopotamien, sozusagen.
Der Priesterin Encheduana werde ich einmal nachgehen.
Re: Die sumerischen Frauen
Marcella schrieb am 20.02.2020 um 19:57 Uhr (Zitieren)
Und wenn Sie der Hohepriesterin Encheduana, nachgehen, werden Sie finden, wie ich heute zu meinem Entsetzen feststellte, dass diese sicherlich sehr respektable Frau zum Mittelpunkt eines Neu-Däniken-Kultes gemacht wird. Ein Dr. Herman Burgard hat ihre Hymnen neu "übersetzt" und findet eine frühe Garantin für Götterastronauten. Diese befinden sich in einem "schwebenden Himmels-Gerät" - so übersetzt Burgard schlankerhand die sumerische Vokabel MUL (=Stern) und bewegen sich in einer Raumstation, im "Oben-Gerät" - so übersetzt er AN (=Himmel) . Die Vokabel DINGIR (=Gott) fasst Burgard frech als "Entscheider, die sich in Fluggeräten bewegen", und fertig ist die neue Welterklärung. Das willkürliche Machwerk scheint sich zu verkaufen. Womit man alles Geld machen kann!
Re: Die sumerischen Frauen
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 20.02.2020 um 20:59 Uhr (Zitieren)
mundus vult decipi - womit man allerdings auch nicht besonders tief schürft ;-)
Ob die Encheduana auch "zart und unbändig" gewesen ist, weiß ich nicht, wohl aber dürfte sie in ihrer Eigenschaft als Nadītum-Priesterin nicht für "kühne Kinder und ... ernste Probleme" verantwortlich gewesen sein. Wahrscheinlich ist diese Typisierung Eigentum des Herrn Zhadan.
Allerdings ist bemerkenswert, daß - soweit ich mich an lang zurückliegende Studien erinnere - in sumerischen Gebeten Verwünschungen anderer und Selbstverfluchungen (im Stile von: "x tue mir dies und jenes, wenn ich nicht...") nicht selten sind. Ob dies nun an der Sprache selbst, d. h. ihrer besonderen Eignung, liegt, oder ob man nicht (mindestens ebenso starke) sachliche Gründe (die u. a. im Umgang der Priester mit dem Gott zu suchen wären) anzusetzen hätte, vermag ich nicht zu beurteilen: ich bin kein Altorientalist.
Re: Die sumerischen Frauen
Γραικύλος schrieb am 21.02.2020 um 14:32 Uhr (Zitieren)
Ist der Text in TUAT veröffentlicht? Dort finde ich ihn nicht. Gefunden habe ich ihn in:
Konrad Volk (Hrsg.): Erzählungen aus dem Land Sumer. Wiesbaden 2015, S. 339 ff.
Re: Die sumerischen Frauen
Marcella schrieb am 21.02.2020 um 15:39 Uhr (Zitieren)
Das ist seriös. Annette Zgoll, die diesen Text in diesem Buch herausgab, hat den Lehrstuhl für Altorientalistik in Göttingen inne; sie hat über Encheduan(n)a ihre Dissertation verfasst: "Der Rechtsfall der En-hedu-ana..."
Den sumerischen Text fand ich irgendwo transskribiert im Internet. Mangels Kenntnis dieser agglutinierenden Sprache profitiere ich aber kaum davon. Inwiefern sich das Sumerische besonders für Beschwörungen eignen soll, weiß ich nicht. Die meisten Worte sind einsilbig, aus dem Vorhandensein von mehreren Schriftzeichen für denselben Laut (z.B. MI 1, MI 2, MI 3, MI 4) mit jeweils ideographisch unterschiedicher Bedeutung schließt man, dass es sich um eine Tonhöhensprache gehandelt haben dürfte.
Jedenfalls war der Bedarf an Beschwörungstexten im Alten Orient gewaltig. Sicher ist sicher!
Ein Bild der Enheduana biete die englische Wikipedia. Ist da ein Nasenbär im Stammbaum?
Re: Die sumerischen Frauen
Γραικύλος schrieb am 21.02.2020 um 17:34 Uhr (Zitieren)
Ich jedenfalls - Nasenbär oder nicht - danke Dir für den Hinweis auf diesen eindrucksvollen Text.