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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Die Philosophie der Kniescheibe (457 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 26.02.2020 um 14:31 Uhr (Zitieren)
Gefragt war: „Wie sähen Stühle aus, wenn wir die Kniescheiben hinten hätten?“

Da uns nun mein alter Philosophieprofessor den Grundsatz eingeschärft hat: „Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckung!“, mache ich mich zunächst auf die Suche bei meinen heißgeliebten Klassikern.

Da finde ich zunächst bei HERAKLIT (Fragment 49b): „Auf die selben Stühle setzen wir uns und setzen wir uns nicht; wir haben die Kniescheiben vorn und wir haben die Kniescheiben nicht vorn.“
Das verstehst Du nicht? Nun, niemand versteht Heraklit. Deshalb hieß er ja schon in der Antike „der Dunkle“. Auf diese Weise hält er Generationen von Interpreten in Arbeit und Brot. Aber es klingt immerhin tiefsinnig! Leider haben wir nicht das Gefühl, eine Antwort auf unsere Frage erhalten zu haben.

Suchen wir also weiter, z.B. beim göttlichen PLATON. Im Buch X seiner Politeia heißt es: „Drei Arten der Herstellung müssen wir also beachten: die des Malers des Stuhles oder auch der Kniescheibe, die des Tischlers oder des Orthopädietechnikers [erstaunlich, daß Platon davon bereits wußte!], welche den Stuhl zum Sitzen und die Kniescheibe zum Knien herstellen, sodann aber die göttliche Herstellungsweise der Idee des Stuhles wie auch der Idee der Kniescheibe. Unvergänglich und an sich seiend sind aber nur die letzteren, an welche der vom wahren philosophischen Eros Beseelte sich hält. Denn niedrig ist das Sitzen und Kniebeugen, eines Sklaven würdig, im Bereich der sinnlich wahrnehmbaren Dinge. Wahrhaft seiend sind allein die Ideen. Und so scheinen wir denn zu sitzen und zu knien, in Wahrheit aber ...“
Ich fürchte, das bringt uns auch nicht recht weiter. Ob die Kniescheiben vorn oder hinten angebracht sind, das erscheint ihm wohl unwesentlich im Vergleich zur Idee der Kniescheibe selbst, wie sie an und für sich, eingestaltig und ewig seiend ist.

Wir müssen weiter suchen. Und warum nicht auch bei den Römern? Gibt es doch bei SENECA die berühmte Abhandlung „De patella“. Schon deren Anfang ist beeindruckend: „Scribere de patella, Nero Caesar, institui ...“ Das ist gut! Gerade den höchsten Herrschern muß man immer wieder vor Augen führen, daß auch sie aus Fleisch und Blut sind und nur sterbliche Kniescheiben haben. Aber äußert sich SENECA auch über die uns bewegende Frage? „Nicht vor Menschen zu knien ist eines Weisen würdig, sondern der Vernunft zu dienen, und einen Stuhl zum Sitzen sollst du auch deinem geringsten Sklaven gönnen.“ Wie wahr! Aber wenn doch nun die Kniescheiben hinten sind ... Es hilft nichts, die Antike will uns unsere Frage nicht beantworten.

Ob uns der Hl. THOMAS weiterhilft? In seiner „Summa theologiae“ äußert er sich doch beinahe über alles. Und, wahrhaftig!, er befaßt sich auch mit der Kniescheibe! 684. Untersuchung, 1. Artikel: „Hat Gott eine vollkommene Kniescheibe geschaffen?“ Dort heißt es: „Scheinbar kommt es der Kniescheibe nicht zu, vollendet zu sein, da Gott nicht am Niedrigsten seine Vollkommenheit erweist, nicht am Staub, nicht am Kot und auch nicht an der Kniescheibe. Im Höchsten allein, also beim Geist, schafft der Vollkommene das Vollkommene. – Ich antworte: Wie der Philosoph 28. Metaphys. schreibt, gehört es zur Vollkommenheit, das Ganze des Seienden und nicht nur seine einzelnen Teile vollkommen zu machen. Vollkommen muß also auch die Kniescheibe sein und vollkommen der Staub. Nichts ist kniescheibiger, nichts staubiger als die von Gott geschaffene Kniescheibe, der von Gott geschaffene Staub.“
Jetzt wissen wir immerhin, warum wir unsere Kniescheiben vorne haben statt hinten. Aber darauf zielte ja unsere Frage nicht. Denn mag auch eine fiktive Welt, in welcher wir die Kniescheiben hinten haben, an Vollkommenheit geringer sein als die unsere, so müßten wir uns dann ja doch überlegen, wie wir unter solchen Umständen unsere Stühle gestalten sollten.

Versuchen wir unser Glück bei KANT, und wo anders als in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ dürfen wir ein Höchstes an Einsicht über die Wirklichkeit in all ihren Aspekten erwarten? Das Kant-Register belehrt uns, daß der Begriff der Kniescheibe in B 348/A 291 auftaucht. Dort äußert sich, so bemerken wir, Kant über verschiedene Arten des Nichts, wobei er unterscheidet zwischen dem 1. leeren Begriff ohne Gegenstand (ens rationis), dem 2. leeren Gegenstand eines Begriffs (nihil privativum), der 3. leeren Anschauung ohne Gegenstand (ens imaginarium) und 4. dem leeren Gegenstand ohne Begriff (nihil negativum). In seinen Erläuterungen erwähnt Kant zu 3. ausdrücklich als Beispiel für den Fall einer leeren Anschauung ohne Gegenstand „die hinten statt vorne befindliche Kniescheibe“. Dies macht uns deutlich, daß Kniescheiben hinten jedenfalls im Bereich des mundus phaenomenon nicht vorkommen, mithin keine Gegenstände einer wirklichen, aber doch einer denkbaren Anschauung sind. Über die dazu passenden Stühle äußert Kant sich nicht – leider; das ist ihm wohl für sein Anliegen zu technisch gedacht und darüber hinaus auch kein Thema einer praktischen Vernunft.
Mehr habe ich dazu bei Kant nicht gefunden, auch wenn mir irgendwie in der Erinnerung eine entsprechende Formulierung des kategorischen Imperativs herumspukt: „Behandle deine Kniescheiben und die jedes anderen vernünftigen Wesens nur nach denjenigen Maximen, die du auch als allgemeines Kniescheiben-Gesetz wollen kannst!“

Puh! Nun wird es allmählich eng für die Philosophie der Kniescheibe. Dürfen wir hoffen, daß wenigstens Ludwig WITTGENSTEIN die Ehre unseres Rufs als Weiseste unter den Sterblichen rettet? Und wo anders könnten wir suchen als in seinen „Philosophischen Untersuchungen“? Wir werden fündig unter Zf. 903: „So möchte einer fragen, ob die Kniescheiben nicht auch hinten sein könnten, obwohl wir sie gewöhnlich vorne am Knie sehen. Ich möchte sagen: Zeichne dir ein Knie mit seiner Kniescheibe, drehe dann das Bild herum. Nun kannst du sagen: ‚Schau, jetzt ist die Kniescheibe hinten.’“
Aber Herr Wittgenstein! Das ist nun eines Philosophen wirklich unwürdig! Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen! Es scheint Ihnen am philosophischen Ernst zu mangeln.

Da steh’ ich nun, ich armer Tor
Und bin so klug als wie zuvor.

Zum meinem Glück habe ich noch, ganz in der Ecke eines Bücherregals, ein verstaubtes Büchlein gefunden, von dessen Existenz ich selber nichts mehr wußte: Gunther Stuhlknecht, Möbelbauen leichtgemacht. Sägen für Anfänger. Bad Sägeberg 1953. Daselbst gibt es auf S. 123 folgende Anmerkung: „Sollten in seltenen Fällen einem Unfall- oder Kriegsopfer bei der operativen Wiederherstellung in der Eile, durch unziemlichen Alkoholkonsum des Operateurs oder einfach aus Feindseligkeit die Kniescheiben hinten wiederangesetzt worden sein, so empfiehlt es sich, die Sitzfläche des Stuhls dergestalt zu verlängern, daß die Person mit den Oberschenkeln und dem ganzen übrigen Körper auf ihr zu liegen vermag. Beachten Sie dabei, daß der Kopf frei über den Rand hinausragen muß, und fertigen Sie den Tisch dazu extrem flach an. Wir empfehlen eine maximale Tischhöhe von 20 cm bei 60 cm Höhe für die Sitz- bzw. Liegefläche.“

Da sieht man mal wieder, wie der Praktiker dem Philosophen in allen entscheidenden Belangen überlegen ist!


(c) Wolfgang Weimer, 2009
 
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