Der Begriff "Hetäre" in seinem spezifischen Sinn zwischen Nebenfrau (παλλακή), Dirne (πόρνη) und Ehefrau (γυνή) taucht zum erstenmal bei Herodot auf, und zwar in einem Abschnitt über die berühmte Rhodopis (II 134 f.):
134. [...] Einige Griechen meinen, diese Pyramide [sc. des Mykerinos] gehöre der Hetäre Rhodopis [Ῥοδῶπις]; das stimmt aber nicht. Sie wissen offenbar bei ihrer Behauptung nicht, wer Rhodopis war; sonst würden sie ihr den Bau einer solchen Pyramide nicht zuschreiben, die doch ungezählte Tausende Talente gekostet hat. Außerdem lebte Rhodopis zur Zeit des Königs Amasis, aber nicht zur Zeit des Mykerinos, demnach viele Generationen später als die Erbauer dieser Pyramiden. Rhodopis stammte aus Thrakien und war Sklavin des Iadmon von Samos, eines Sohnes des Hephaistopolis. Sie war eine Mitsklavin [σύνδουλος] des Fabeldichters Aisopos. Auch er gehörte dem Iadmon, wie man am deutlichsten daraus ersieht: Als man in Delphi auf göttlichen Befehl wiederholt ausrufen ließ, wer die Genugtuung [ποινή] in Empfang nehmen wolle für das Leben des Aisopos, da erschien nur ein Enkel des Iadmon, ein zweiter Iadmon, der die Buße annahm. Also gehörte auch Aisopos dem Iadmon.
135. Rhodopis war nach Ägypten gekommen, weil Xanthos aus Samos sie mitgebracht hatte. Als sie dort als Dirne Geld verdiente, wurde sie von Charaxos aus Mytilene, dem Sohn des Skamandronymos, dem Bruder der Dichterin Sappho, um einen hohen Preis losgekauft. So wurde den Rhodopis frei; sie blieb in Ägypten. Weil sie sehr anziehend war, erwarb sie sich ein Vermögen, das für ihren Beruf recht groß war, aber wieder nicht soviel, um eine solche Pyramide zu bauen. Den Zehnten ihres Besitzes kann ein jeder, der will, noch heute sehen; man darf ihr kein großes Vermögen zuschreiben. Rhodopis wollte nämlich in Griechenland ein Denkmal von sich selbst hinterlassen, ein Werk, worauf noch niemand verfallen war und das noch in keinem Tempel stand. Das wollte sie zu ihrem Gedenken in Delphi weihen. Also ließ sie von dem Zehnten ihres Vermögens eine Menge eiserner Bratspieße herstellen, so daß man einen Ochsen daran rösten konnte, so viele sich eben von dem Zehnten ihres Vermögens anfertigen ließen. Diese schickte sie nach Delphi. Sie liegen auch jetzt noch aufgehäuft hinter dem Altar, den die Chier gestiftet haben, dem Tempel gerade gegenüber.
Die Hetären in Naukratis sind meist sehr anziehend. Die Frau, von der die obige Erzählung berichtet, ist schließlich so berühmt geworden, daß auch alle Griechen den Namen Rhodopis kennen. Nach ihr wurde eine andere namens Archidike in ganz Griechenland in Liedern besungen; doch sprach man weniger von ihr als von ihrer Vorgängerin.
Als jener Charaxos nach dem Freikauf der Rhodopis nach Mytilene heimkehrte, hat ihm Sappho in einem Liede bissig den Kopf zurechtgesetzt. Damit genug von Rhodopis!
(Herodot: Historien. 2 Bde. Herausgegeben von Josef Feix. München 2. Aufl. 1977; Bd. 1, S. 316-319)
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Pharao Amasis: 570 – 526
v.u.Z. (26. Dynastie); Mykerinos: 2490 – 2472
v.u.Z. (4. Dynastie)
Naukratis: von Griechen besiedelte Stadt in Ägypten