Im Jahre 31 u.Z. hat der auf Capri residierende Kaiser Tiberius seinen Praefectus praetorio Seian gestürzt. Juvenal ist das einen längeren Abschnitt in seinen Satiren wert:

[...]
Manchen stürzet die Macht, die gierigem Neid unterworfen,
reißt in den Abgrund die lange und glänzende Tafel der Ehren.
Standbilder steigen herab, sie folgen dem zerrenden Seile,
selbst des Zwiegespanns Räder zertrümmert schmetternder Axthieb,
und den Kleppern, die nichts verschuldet, zerbricht man die Schenkel.
Sprühend lodert das Feuer schon auf, von Blasbalg und Esse
glüht in den Flammen das Haupt, zu dem man gebetet, und krachend
stürzt der gewaltige Sejan. Sein Gesicht, das zweite im Weltall,
[... Seianus,
deinde ex facie toto orbe secunda]
liefert jetzt Schüssel und Krug, wird zum Tiegel, wohl gar zum Nachttopf.
Schmücke mit Lorbeer dein Haus, und den Großstier, mit Kreide bestrichen,
führe auf Juppiters Berg : man schleift Sejanus am Haken,
allen zur Schau, und ein jeder sich freut: „Sieh nur mal die Lippen,
sieh das Gesicht von dem Kerl! Niemals – du magst es mir glauben –
hab ich den Menschen gemocht. Doch was war die Schuld, die ihn stürzte,
wer ist der Kläger? Woher nimmt er stützende Zeichen und Zeugen?“
[... numquam, si quid mihi credis, amavi
hunc hominem. sed quo cecidit sub crimine? quisnam
delator quibus indicibus, quo teste probavit?]
„Nicht so, es kam nur ein Brief her von Capri , lang und gewichtig.“
Gut, ich frage nicht weiter. Doch was tut der Haufen des Remus?
Der folgt wie immer dem Glück und haßt die Opfer des Urteils;
[sequitur fortunam ut semper et odit damnatos]
Wenn aber Nortia günstig dem Tuskischen Manne gewesen,
und wenn der fürstliche Greis dem Anschlag sorglos erlegen ,
glaub mir: das gleiche Volk würd‘ in selbiger Stunde Sejanus
als Augustus begrüßen. Denn längst schon, seit wir die Stimmen
keinem mehr bieten zum Kauf, warf die Sorgen es von sich, das vordem
Herrschaft und Heere verliehn und die Fasces, jegliche Würden;
Heute bescheidet sich’s still, zwei Dinge nur wünscht es sich ängstlich:
Brot und Spiele [panem et circenses]. „Es kostet noch vielen den Kopf, wie ich höre.“
„Sicher, das kleine Öfchen ist groß [magna est fornacula].“ „Etwas bleichen Gesichtes
ist mein Bruttidius mir an des Mars Altare begegnet.
Laut wird Ajas, das fürcht ich, nach Rache schrein, der Besiegte ,
weil man so schlecht ihn geschützt. Drum schnell, laß uns eilen, mit Füßen
treten des Kaisers Feind, solang er noch daliegt am Ufer.
Doch daß die Sklaven es sehn; sonst bestreitet man’s gar, vor den Richter
zerrt man den zitternden Herrn mit der Schling um den Nacken.“ So sprach man
damals über Sejan, so flüsterte heimlich die Menge.
Möchtest du wie Sejanus des Morgens die Huldigung hören,
reich sein wie er, dem einen curulische Ehren verleihen,
jenem den Heeresbefehl, als Beschützer des Fürsten wohl gelten,
der auf Capris erhabenen Felsen Wohnung genommen
mit der chaldäischen Schar ? Willst sicher doch Speere, Cohorten,
[... tutor haberi
principis angusta Caprearum in rupe sedentis
cum grege Chaldaeo? ...]
glänzende Garde zu Pferd, das Lager der Hausmacht ; warum auch
solltest du das nicht begehrn? Auch wer keines andern Tod will,
können möchte man’s wohl. Doch was ist so schön, so beglückend,
daß dem frohen Genuß das Maß nicht hielten die Übel?
[... et qui nolunt occidere quemquam,
posse volunt. sed quae praeclara et prospera tanti,
ut rebus laetis par sit mensura malorum?]
[...]

(X 56-98)

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- Die etruskische Schicksalsgöttin Nortia wurde besonders in Volsinii, dem Geburtsort Seians, verehrt.
- Bruttidius: der Rhetor Bruttedius Niger
- Der getäuschte Tiberius wird mit dem rasenden Ajax nach seiner Niederlage gegen Odysseus im Streit um die Waffen Achills verglichen.
- Chaldäer: Astrologen, mit denen Tiberius sich umgab