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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
ἀνδράποδον (707 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 30.07.2020 um 14:03 Uhr (Zitieren)
Während meines Studiums sagte ein Professor einmal, Aristoteles habe den Sklaven als "vierfüßiges Haustier" definiert.
Eine derartige Stelle habe ich nie finden können. Jetzt aber habe ich immerhin erfahren, daß es neben δοῦλος noch ein weiteres Wort für Sklave gab: ἀνδράποδον (mit weiteren Abwandlungen wie ἀνδραποδίζω usw.).

Der Menschenfüßler? Das Lexikon vermutet eine Herkunft von der Sitte, daß der Sieger dem Bezwungenen den Fuß auf den Nacken setzte.
Re: ἀνδράποδον
Marcella schrieb am 30.07.2020 um 15:02 Uhr (Zitieren)
Aristoteles: zoon dipoun.

Die Optimierung dieser Definition durch die Platoniker ("ohne Federn") brachte Diogenes ad absurdum,indem er ein gerupftes Huhn präsentierte (Diogenes Laertios V!,40). Daraufhin sollen die Platoniker die Definition weiter optimiert haben, indem sie "mit breiten Nägeln" ergänzt haben.

Re: ἀνδράποδον
Γραικύλος schrieb am 30.07.2020 um 15:09 Uhr (Zitieren)
Danke! Ich meinte natürlich "zweifüßiges Haustier".
Wo steht das bei Aristoteles?
Re: ἀνδράποδον
Marcella schrieb am 01.08.2020 um 09:57 Uhr (Zitieren)
Ich finde nur Zitate von ζῷον δίπουν ἄπτερον ohne Herkunftsangabe. Vielleicht handelt es sich um wandernde Anekdoten. So ercheint es hier in der griechischen Zitatenliste:

ζῷον δίπουν ἄπτερον
zōon dipoun apteron
„federloser Zweibeiner“
Lateinisch „Animal bipes implume“

Platon hatte den Menschen als ein „zweibeiniges Lebewesen ohne Federn“ definiert, denn er gehöre zum Tierreich, gehe auf zwei Beinen, besitze aber weder Fell noch Federn. Als er damit die Zustimmung seiner Schüler gefunden hatte, fühlte sich der Kyniker Diogenes zu einem Scherz provoziert. Er rupfte ein Huhn und stellte es Platons Schülern mit folgenden Worten als Mensch vor:

„Οὗτός ἐστιν ὁ Πλάτωνος ἄνθρωπος.“[9]
Houtos estin ho Platōnos anthrōpos.
„Das ist der Mensch Platons!“

Daraufhin erweiterte Platon die Definition um „breite Krallen“ (Klauen, Nägel), weil die Vögel nichts Derartiges haben. Es handelt sich dabei um ein Wortspiel, da πλατυώνυχον platyōnychon („mit breiten Nägeln“) im Griechischen ähnlich klingt wie πλατωνικόν platōnikon („platonisch“).
Re: ἀνδράποδον
Γραικύλος schrieb am 01.08.2020 um 13:52 Uhr (Zitieren)
Im Sinne der Platon-Diogenes-Kontroverse um die Definition des Menschen ist mir das klar, das steht bei Diogenes Laertios (und war hier im Forum meines Erinnerns auch schonmal Thema); doch das ist ja keine spezielle Aussage über Sklaven und hat auch nichts mit Aristoteles zu tun.

Weiß der Himmel, wie der Professor damals darauf gekommen ist.
Ich hab's ebensowenig gefunden wie Du.
Re: ἀνδράποδον
filix schrieb am 02.08.2020 um 12:18 Uhr (Zitieren)
Deine erste Assoziation liegt richtiger als der Lexikoneintrag, die Nähe des Menschenfüßigen (ein Neutrum) zum Vierfüßigen ist offensichtlich. Nach Kelly L. Wrenhaven Reconstructing the Slave: The Image of the Slave in Ancient Greece taucht der Begriff besonders oft in militärischem Kontext auf, wo u.a. Sklaven und Tiere zur lebenden Beute zählen und in Schilderungen oft zusammen erwähnt werden:

In his Anabasis Xenophon frequently mentions andrapoda in conjunction with baggage animals. For instance, he relates that at one point 'many of the baggage animals (hupozugia) and andrapoda perished' (4.5.4). He later describes how the Greeks set off with 'their baggage animals (hupozugia) and andrapoda' (6.6.1) and also how Greek soldiers had secured 'many andrapoda and sheep' (6.6.38)

[...] While the term surely originated in the military context, where war-captives were herded away along with the farm animals, in time andrapodon came to be used as a general word for 'slave'. Regardless of how a person might have fallen victim to slavery, the word was appropriate for all slaves as it expressed the ideological connection that Greeks made between slaves and animals. [...] Xenophon's Ischomachos provides an example of this when he suggests that wild animals and slaves benefit by the same type of training, as both can be taught obedience by feeding them the food they like as a reward for good behaviour (Xen. Oec. 13.9).

This connection is also found several times in the works of Plato. In his Statesman, slaves are classified with 'tame animals' (289c), in the Laws the Athenian claims that some men believe that their slaves have the same natureas wild animals (777a), and in the Republic Glaucon explicitly compares andrapodôda to wild beasts (430b) ... (S.13f.)


Auch im römischen Sachenrecht gehören Sklaven und (Nutz)tiere zusammen.
Re: ἀνδράποδον
Γραικύλος schrieb am 02.08.2020 um 15:00 Uhr (Zitieren)
Das gibt eine gute Übersicht. Danke. Xenophon und Platon. Kein Aristoteles, keine zweifüßigen Haustiere. Ob sich - horribile dictu - der Professor geirrt hat?
Re: ἀνδράποδον
filix schrieb am 02.08.2020 um 18:34 Uhr (Zitieren)
Der Gedanke des Professors liegt bei mancher Formulierung des Aristoteles in der berüchtigten Rechtfertigung der Sklaverei aus natürlichen Gründen etwa (Pol. 1254b) so ferne nicht (auch wenn dort für Sklave ein anderer Begriff gewählt wird).

Ganz ebenso muss es nun mit dem gegenseitigen Verhältnis der Menschen überhaupt bestellt sein. Die so weit voneinander abstehen, wie die Seele vom Leib und der Mensch vom Tier – und das ist bei all denen der Fall, deren Aufgabe im Gebrauch ihrer Leibeskräfte besteht und bei denen das die höchste Leistung ist –, die also sind Sklaven von Natur, und es ist ihnen besser, sich in dieser Art von Dienstbarkeit zu befinden, ganz wie bei den eben erwähnten Dingen.

Denn der ist von Natur ein Sklave, der einem anderen gehören kann – weshalb er auch einem anderen gehört – und der an der Vernunft nur insoweit teilhat, dass er sie in anderen vernimmt, sie aber nicht selbst hat.

Die anderen Sinnenwesen vernehmen nämlich ihre Stimme nicht, sondern lassen sich ausschließlich durch Gefühlseindrücke und sinnliche Empfindungen regieren und leiten. Aber auch die Dienste, die man von beiden erfährt, sind nur wenig verschieden: beide, Sklaven und Haustiere, verhelfen uns zur Befriedigung unserer leiblichen Bedürfnisse.
Re: ἀνδράποδον
Marcella schrieb am 02.08.2020 um 21:56 Uhr (Zitieren)
Immerhin nennt Aristoteles kein ethnisches oder Hautfarbe-Kriterium.
Aber wie soll man dann bei der Sklavennahme vorgehen? Soll jeder, der auf den Sklavenmarkt geführt wird, vorher einen Test ablegen, ob er Vernunft hat? Damit ausgestattet, müsste er unverkäuflich sein. Sein Sklavendasein wäre ja gegen die Natur. Und mit der Natur (Physis)will Aristoteles ja wohl die Sklaverei als solche begründen.

Kant sieht dies einfacher:„Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Rasse der Weißen. Die Gelben haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer. Und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften.“ Aus dieser Beschaffenheit ergibt sich nun für Kant die Notwendigkeit der "Unterjochung".
Re: ἀνδράποδον
Γραικύλος schrieb am 03.08.2020 um 15:12 Uhr (Zitieren)
An filix:

Die Stelle aus der "Politik" des Aristoteles ist klassisch zum Thema, die kenne ich.
Es ist klar, daß antike Autoren Sklaven in die Nähe der Haustiere rücken.
Doch es scheint die pointierte Formulierung "Der Sklave ist ein zweifüßiges Haustier" nicht zu geben, mit der uns der Professor (übrigens im Juni 2019 gestorben - fragen kann ich ihn nicht mehr) seinerzeit die formelhafte Struktur der aristotelischen Definition verdeutlicht hat: genus proximum (Haustier), differentia specifica (Zweifüßigkeit).
Deswegen bin ich mir meiner Erinnerung auch ziemlich sicher, daß es sich um Aristoteles handelte und nicht um die bei Diogenes Laertios überlieferte Platon-Anekdote (die sich zudem nicht auf Sklaven bezieht).


An Marcella:

Der Kant-Text, von dem Du sprichst, gehört nicht zu den von Kant veröffentlichten Schriften, sondern stammt aus seinem Manuskript "Physische Geographie", das ein gewisser Friedrich Theodor Rink 1801 ediert hat. Zu dieser Zeit war Kants Arteriosklerose? Alzheimer-Demenz? schon so weit fortgeschritten, daß man ihn geistig nicht mehr "für voll" nehmen konnte. In seinen selbst veröffentlichten Schriften, z.B. "Von den verschiedenen Rassen der Menschen" oder der "Anthropologie in pragmatischer Hinsicht", finden sich solche Abwertungen anderer Rassen nicht. Für mich ist nicht die Einteilung von Menschen in Rassen, sondern die Bewertung von Menschen aufgrund ihrer Rassenzugehörigkeit das Übel.
(Eine kleine Ehrenrettung Kants.)
Re: ἀνδράποδον
filix schrieb am 03.08.2020 um 23:23 Uhr (Zitieren)
Da in Beispielen bisweilen Bedeutungen stecken, die übersteigen, was sie unschuldig exemplifizieren sollen, und er die klassische Definitionsregel an Myriaden unverfänglichen Fällen hätte demonstrieren können, liest sich die Wahl der pointierten Formulierung durch den Professor weniger wie ein argloser Irrtum als das - horribilius dictu - kokette Spiel mit der wohl auch schon auch zu deiner Studienzeit provozierenden Verächtlichkeit in dieser Definition, in dem dem berühmten Name eine Rolle zwischen Be- und Entlastung zufällt.


Zur kleinen Ehrenrettung Kants:

Erstens fragt man sich, was das für ein geistiger Verfall sein soll, der solche in der Epoche keineswegs untypischen Überlegungen in durchaus verständlichen Sätzen gebiert, und ob er womöglich nicht nur den sehr alten Kernbestand an unerschütterlichen Überzeugungen ungeniert freilegt, statt in entschuldbarer Weise den Verwirrten in unbekanntes Gebiete zu lenken.

Zweitens, der wichtigere Punkt, ist es einfach nicht richtig, dass der, nun ja, vordemente Kant in seinen veröffentlichten Schriften keinerlei rassistische Abwertungen vornimmt.So z.B. In der im Jahre 1764 erschienenen Abhandlung Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, wo die "Negers in Afrika" zwar noch terminologisch Menschengeschlecht, nicht Rasse heißen, aber eindeutig über ihre Hautfarbe bestimmt werden, und abschätzige, in ihrer Natur begründete Charakterisierungensich erfahren, bis es endlich heißt, sie, die Schwarzen, seien sehr eitel, aber auf Negerart und so plauderhaft, daß sie mit Prügeln müssen aus einander gejagt werden.

https://korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/kant/aa02/253.html


Re: ἀνδράποδον
filix schrieb am 03.08.2020 um 23:27 Uhr (Zitieren)
Charakterisierungensich
Re: ἀνδράποδον
Γραικύλος schrieb am 03.08.2020 um 23:49 Uhr (Zitieren)
Die zeitgleich mit 1801 entstandenen Sätze in Kants "Opus postumum" sind durchaus nicht mehr immer verständlich. Daran wird der Herausgeber gefeilt haben. Oder - und das weiß ich schlicht nicht - die "Physische Geographie" war ein schon älterer Text Kants, ganz normal und sozusagen bei klarem Bewußtsein geschrieben.
Die "Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen" hatte ich nicht auf dem Schirm, das muß ich erst noch nachschauen. Was Du zitierst, klingt natürlich übel.
Mir war lediglich aufgefallen, daß in den von ihm veröffentlichen anthropologischen Schriften Kants eine eindeutige Abwertung bestimmter Rassen nicht vorkommt.

Insgesamt hat das, was in der aktuellen Diskussion genannt wird, mein Kant-Bild schon erschüttert; da hätte ich dem großen Theoretiker der Menschenrechte manches nicht zugetraut.
Schon daß er, der ja aus Königsberg nie herausgekommen ist und dort schwerlich Schwarze kennengelernt haben dürfte, sich dermaßen blind auf klischeebehaftetes Hörensagen verlassen hat.
Re: ἀνδράποδον
Γραικύλος schrieb am 04.08.2020 um 00:14 Uhr (Zitieren)
An filix:

P.S.: Im Juni habe ich den Webmaster nochmals darum gebeten, hier eine Korrekturfunktion einzurichten; er hat nicht darauf geantwortet. Immer mehr kommt er mir wie das vor, was die Deisten sich unter Gott vorstellen: Er hat seine Welt geschaffen und kümmert sich jetzt nicht mehr darum.
Re: ἀνδράποδον
filix schrieb am 04.08.2020 um 12:28 Uhr (Zitieren)
Danke für die neuerliche Nachfrage bei unserem Uhrmacher, der laut Impressum mittlerweile in der Schweiz residiert. Wir sind anscheinend in dieser Frage unverbesserliche Theisten, die nicht davon abrücken wollen, dass Gebete etwas ausrichten.

***
Insgesamt hat das, was in der aktuellen Diskussion genannt wird, mein Kant-Bild schon erschüttert; da hätte ich dem großen Theoretiker der Menschenrechte manches nicht zugetraut.

Schon daß er, der ja aus Königsberg nie herausgekommen ist und dort schwerlich Schwarze kennengelernt haben dürfte, sich dermaßen blind auf klischeebehaftetes Hörensagen verlassen hat.


So ganz neu ist diese Kontroverse nicht, diese Texte werden mindestens seit den 90ern intensiv diskutiert.

Die Unzuverlässigkeit von Informationen aus und über die Ferne und ihre Bewohner, die er in Königsberg verarbeitet hat, war Kant gerade in dieser Frage vollauf bewusst.

In der Rezension von J.G.Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1785) wird die Entscheidung über den Rassismus letztlich zur philologisch-philosophischen Abwägungsarbeit der unermeßlichen Menge von oder Reiseerzählungen und allen ihren muthmaßlich zur menschlichen Natur gehörigen Nachrichten, die dem misslichen Umstand abhelfen soll, dass "man jetzt [...] aus einer Menge von Länderbeschreibungen, wenn man will, beweisen [kann], daß Amerikaner, Tibetaner und andere ächte mongolische Völker keinen Bart haben, aber auch, wem es besser gefällt, daß sie insgesammt von Natur bärtig sind und sich diesen nur ausrupfen; daß Amerikaner und Neger eine in Geistesanlagen unter die übrigen Glieder der Menschengattung gesunkene Race sind, andererseits aber nach eben so scheinbaren Nachrichten, daß sie hierin, was ihre Naturanlage betrifft, jedem andern Weltbewohner gleich zu schätzen sind, mithin dem Philosophen die Wahl bleibe, ob er Naturverschiedenheiten annehmen, oder alles nach dem Grundsatze tout comme chez nous beurtheilen will, dadurch denn alle seine über eine so wankende Grundlage errichtete Systeme den Anschein baufälliger Hypothesen bekommen müssen."

Herders grundsätzliche Ablehnung einer Einteilung der Menschen nach Rassen gründet für Kant überdies in dessen mangelnder Begriffsarbeit, die grundsätzliche Frage, welchen über die taxonomische Begehrlichkeit hinausgehenden Sinn eine solche Klassifikation nach (letztlich willkürlich) zusammengestellten Merkmalen des Erscheinungsbildes haben soll, selbst wenn sie sich aller Wertung glaubt enthalten zu können, stellt sich offenbar nicht.

Das Unternehmen einer physischen Geographie ist indes keine Altersgrille, Kant verfolgt es seit den 1750ern. Eine Rekonstruktion, womit man es bei dem kompilierten Alterswerk zu tun hat, bietet Werner Stark: https://archiv.ub.uni-marburg.de/es/2010/0006/ Daraus geht hervor, dass man sich von der Vorstellung, es biete einen verlässlichen Einblick in die Kantische Auffassung von ›Physischer Geographie‹ aus verschiedenen Gründen verabschieden sollte, wobei der Demenzverdacht jedoch keine Rolle spielt.



 
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