Γραικύλος schrieb am 26.09.2020 um 15:21 Uhr (Zitieren)
(Palladas; Anthologia Graeca X 45)
Re: Die Herkunft des Menschen
Mitleser schrieb am 26.09.2020 um 19:43 Uhr (Zitieren)
Sehr drastisch, aber rein faktisch/biologisch stimmt das.
Er hat nur noch nicht gewusst, wie gering die
Wahrscheinlichkeit im Saft ist, dass ein bestimmtes
Spermium zum Erfolg gelangt.
99,99% ist für den Müll.
Die Natur liebt's verschwenderisch.
Das scheint ein Evolutionsprinzip zu sein.
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 26.09.2020 um 20:59 Uhr (Zitieren)
Seltsame Mischung - die Beschränkung der Herkunft des Menschen auf die biologischen Fakten, also eine eher materialistische Anschauung, und gleichzeitig deren Abwertung unter moralischen Gesichtspunkten (geiles Gelüst, schmutziger Saft), die doch nicht sehr weit von der christlichen Leibfeindlichkeit zu sein scheint.
Re: Die Herkunft des Menschen
Γραικύλος schrieb am 27.09.2020 um 16:16 Uhr (Zitieren)
Manche Stoiker begegnen vor allem der Sexualität mit einer solchen Einstellung.
"Soviel Aufregung um ein bißchen Schleim!" hat Marc Aurel an einer Stelle (die ich jetzt nicht finde) geschrieben.
Re: Die Herkunft des Menschen
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 27.09.2020 um 16:32 Uhr (Zitieren)
Ja, aber da spricht der gelassene Beobachter vom Rand der Szene - er spricht dem "bißchen [nicht: schmutzigem!] Schleim" die Bedeutung ab, die ihm landläufig beigemessen wird - und pars pro toto, bei Palladas spüre ich Entrüstung (über einen Gedanken, der wie bei Platon über das rein Materielle hinausgeht) und sehe förmlich den erhobenen Zeigefinger.
Re: Die Herkunft des Menschen
Γραικύλος schrieb am 27.09.2020 um 16:59 Uhr (Zitieren)
Ich werde einmal nachschauen, ob Deine Vermutung der Leibfeindlichkeit sich in anderen Gedichten des Palladas bestätigt.
Re: Die Herkunft des Menschen
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 27.09.2020 um 17:08 Uhr (Zitieren)
Ja, das wäre interessant. Ich kann mangels Quellenkenntnissen ja nur zu dem etwas sagen, was Du unermüdlicher "Schaufler" ans Tageslicht förderst.
Außerdem würde ich gerne Ver- durch An-[mutung] ersetzen. (Immer schön vorsichtig! :-) )
Re: Die Herkunft des Menschen
Γραικύλος schrieb am 28.09.2020 um 14:28 Uhr (Zitieren)
Ich mach's, aber es dauert noch ein bißchen.
Re: Die Herkunft des Menschen
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 28.09.2020 um 18:42 Uhr (Zitieren)
Festina lente ;-)
(ob es das auch auf Griechisch gibt und wie es dann heißt, ist mir nicht mehr geläufig)
Re: Die Herkunft des Menschen
Γραικύλος schrieb am 28.09.2020 um 18:49 Uhr (Zitieren)
σπεῦδε βραδέως.
Nach Polyainos (Strategika VIII 24) soll Augustus dies seinen Feldherrn beharrlich eingeimpft haben.
Re: Die Herkunft des Menschen
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 28.09.2020 um 19:39 Uhr (Zitieren)
Danke vielmals!
(Ich hatte vergeblich auf σπουδάζω herumgedacht ...)
Re: Die Herkunft des Menschen
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 28.09.2020 um 20:06 Uhr (Zitieren)
Dazu und zu σπουδάζω paßt das etwas hinterhältige Diktum Heines: "Das Gegenteil von Kunst? Sich Mühe geben." ;-)
Re: Die Herkunft des Menschen
Γραικύλος schrieb am 29.09.2020 um 00:52 Uhr (Zitieren)
Ah, daher hat Gottfried Benn sein "Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern gut gemeint" her.
Re: Die Herkunft des Menschen
Γραικύλος schrieb am 30.09.2020 um 16:26 Uhr (Zitieren)
Ist dies leibfeindlich?
(Palladas; Anthologia Graeca X 57)
Re: Die Herkunft des Menschen
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 30.09.2020 um 16:47 Uhr (Zitieren)
In dieser Zusammenstellung ("Bauch" und mangelnde Keuschheit) schimmert - in meinen Augen wenigstens - schon einiges an asketischem Gedankengut hervor, das ich nicht in erster Linie auf ursprünglich griechisches zurückführen würde.
"Denen der Bauch ihr Gott ist" wettert schon Paulus (Phil. 3, 19), und Keuschheit ist, soweit meine bescheidenen Kenntnisse reichen, nicht eine generell erhobene, sondern doch hauptsächlich die gesellschaftlich approbierte Forderung an die Ehefrauen gewesen.
Wie ernst man das Distichon als Beleg für Palladas' wirklichen Standpunkt nehmen darf, ist mir nicht klar, er könnte es ja auch in denunziatorischer Absicht verfaßt haben ("seht her, was diese Christen den lieben langen Tag für ungeheure Ansprüche stellen (scil. ohne sie doch selbst zu erfüllen)"). Aber deutlich wird, daß der Ton ein völlig anderer geworden ist.