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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Nietzsche über Griechen und Philologen (1082 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 25.10.2009 um 12:34 Uhr (Zitieren)
[...] Alle aber, bei den verschiedensten Tendenzen graben und wühlen in dem griechischen Boden mit einer Rastlosigkeit, einem täppischen Ungeschick, daß ein ernster Freund des Altertums geradezu ängstlich werden muß: und so möchte ich jeden begabten oder unbegabten Menschen, der eine gewisse berufsmäßige Neigung zu dem Altertume hin ahnen läßt, an die Hand nehmen und vor ihm die folgenden Worter perorieren: "Weißt du auch, was für Gefahren dir drohen, junger, mit einem mäßigen Schulwissen auf die Reise geschickter Mensch? Hast du gehört, daß es nach Aristoteles ein untragischer Tod ist, von einer Bildsäule erschlagen zu werden? Und gerade dieser Tod droht dir. Du wunderst dich? So wisse denn, daß die Philologen seit Jahrhunderten versuchen, die in die Erde versunkne umgfallne Statue des griechischen Altertums wieder aufzurichten, bis jetzt immer mit unzureichenden Kräften: denn das ist ein Koloß, auf dem die einzelnen wie Zwerge herumklettern. Ungeheure vereinte Mühe und alle Hebelkräfte moderner Kultur sind angewendet: immer wieder, kaum vom Boden gehoben, fällt sie zurück und zertrümmert im Fall die Menschen unter ihr. Das möchte noch angehn: denn jedes Wesen muß an etwas zugrunde gehn: wer aber steht dafür, daß bei diesen Versuchen die Statue selbst nicht Stücke bricht! Die Philologen gehen an den Griechen zugrunde - das wäre etwa zu verschmerzen - aber das Altertum zerbricht durch die Philologen selbst in Stücke. Dies überlege dir, junger leichtsinniger Mensch, gehe zurück, falls du kein Bilderstürmer bist!"

Friedrich Nietzsche [Prof. für Klassische Philologie]: Über die Zukunft unserer Bildunganstalten II, Dritter Vortrag)
Re: Nietzsche über Griechen und Philologen
John schrieb am 25.10.2009 um 14:35 Uhr (Zitieren)
Rüdriger Safranski hat vor kurzem in einem Interview mit Alexander Kluge - und das soll jetzt in keiner Weise polemisch klingen - gesagt, Nietzsche selbst sei "in seine eigenen Bilder gestürzt".
Man kennt ja das Bild des späten, geistig umnachteten Nietzsche. Für mich dabei interessant ist, dass er selbst so unterschiedlich und manchmal widersprüchlich gedacht hat, dass er wirklich das Denken an sich verkörperte. Deshalb sollten solche Äußerungen nicht allzu ernst genommen, im Gegenteil aber auch nicht zu leichtfertig bewertet werden. Die Gefahr liegt, seine Gedanken aufnehmend nur darin, sich mit Autoren und deren Werken zu identifizieren und dabei zu vergessen, dass man selbst ein "kletternder Zwerg" ist.
Re: Nietzsche über Griechen und Philologen
Γραικίσκος schrieb am 25.10.2009 um 14:46 Uhr (Zitieren)
Das mit den "kletternden Zwergen" ist schön, nicht?
Als Nietzsche diesen Text geschrieben hat, war er vom Wahnsinn (eine Spätfolge der progressiven Paralyse) noch weit entfernt. Aber in einem tieferen Sinne ist Nietzsche wohl wirklich "in seine eigenen Bilder" (vom Übermenschen) gestürzt.
Re: Nietzsche über Griechen und Philologen
Ὑληβάτης schrieb am 26.10.2009 um 13:38 Uhr (Zitieren)
Ein toller Text! Besonders gefällt mir dies:
Hast du gehört, daß es nach Aristoteles ein untragischer Tod ist, von einer Bildsäule erschlagen zu werden?

Die Gefahr für den modernen Menschen ist die Aufrichtung - sofern er nicht auf der Statue rumklettert. Die Gefahr für die Antike ist die Zerbröselung.
Ist das eine Allegorie?
Re: Nietzsche über Griechen und Philologen
kornelia schrieb am 27.10.2009 um 19:57 Uhr (Zitieren)

"....immer wieder, kaum vom Boden gehoben, fällt sie zurück und zertrümmert im Fall die Menschen unter ihr. Das möchte noch angehn: denn jedes Wesen muß an etwas zugrunde gehn: wer aber steht dafür, daß bei diesen Versuchen die Statue selbst nicht Stücke bricht!"(?)

Dies scheint mir die wesentlichste Aussage in diesem Text-Auszug zu sein:
Um die Menschen, die das Altertum nicht erfassen können, vielleicht sogar daran zerbrechen!, um die ist es Nitsche nicht bange. Aber was ist mit denen, die (fälschlicher Weise) glauben, alles verstanden zu haben?
Könnten diese nicht VIELES, wenn nicht gar ALLES, zerbröckeln lassen?
Re: Nietzsche über Griechen und Philologen
Γραικίσκος schrieb am 27.10.2009 um 20:12 Uhr (Zitieren)
Um die Menschen, die das Altertum nicht erfassen können, vielleicht sogar daran zerbrechen!, um die ist es Nietzsche nicht bange.

Nein, in dieser Hinsicht ist er sehr arrogant ... oder elitär.
Daß Nietzsche vielleicht nicht Menschenleben, aber doch den christlichen Glauben hat zerbröckeln lassen, könnte man ihm vorhalten. Aber 1. gibt's den christlichen Glauben ja noch, und 2. hätte er wohl seine Freude daran gehabt, wenn es anders gekommen wäre.
Gewichtiger ist vermutlich die Äußerung von Moses Mendelssohn, der Immanuel Kant - bei allem Respekt und aller Freundschaft - den "Alleszermalmer" genannt hat. Und in gewisser Hinsicht hat er wohl tatsächlich etwas mit dem Suizid des Schriftstellers Heinrich von Kleist zu tun gehabt.
Ist das vielleicht eine Eigentümlichkeit von Philosophen, daß sie mit ihren Zweifeln Krisen in Menschen auslösen können?
Ist Philosophie deshalb schlecht? Oder müssen Menschen durch diese Krisen hindurch?

Ich weiß nicht, ob Thales Krisen ausgelöst hat, aber im Grunde ist er mit seinem "Alles ist (in Wahrheit) Wasser" der erste Philosoph - denn er sagt damit: "Alles ist anders, als es zu sein scheint."
Nun, das hören viele Menschen nicht gerne. Sie hätten es lieber, wenn alles so bliebe, wie es ist. Hat die Philosophie nicht dennoch einen Sinn, indem sie uns lehrt, eine andere Perspektive einzunehmen, wenigstens versuchsweise?
"Was uns nicht umbringt, macht uns stärker" ist ebenfalls eine Äußerung von Nietzsche, die wahrscheinlich nicht deshalb schon falsch ist, weil die SS sie später als Motto ge- bzw. mißbraucht hat.
Re: Nietzsche über Griechen und Philologen
ανδρέας schrieb am 27.10.2009 um 20:21 Uhr (Zitieren)

Von Ibsen stammt die Aussage (ich glaube in "Die Wildente") "Man nehme einem Menschen die Lebenslüge und im selben Augenblick nimmt man ihm sein Glück".
Philosophen nehmen mit ihren Fragen zumindest einigen die Illusion, dass sie wissen, worüber sie reden (Sokrates hat es das Leben gekostet).

Daher kann ich der Aussage >>>Hat die Philosophie nicht dennoch einen Sinn, indem sie uns lehrt, eine andere Perspektive einzunehmen, wenigstens versuchsweise? >>> m.E. eine volle Berechtigung. Auch wenn Ibsen es sehr hart ausgedrückt hat (falls ich richtig zitiert habe).
Re: Nietzsche über Griechen und Philologen
Γραικίσκος schrieb am 27.10.2009 um 20:25 Uhr (Zitieren)
Das steht so in der "Wildente", ja.
Und daß Philosophie nicht unbedingt glücklicher macht (wohl aber aufgeklärter und wissender!) trifft ebenfalls zu.
Ist es die Bestimmung des Menschen, glücklich zu sein unabhängig von Wissen? "Dann wären Kühe glücklich, die auf der Weide Gras finden." (Wer hat das gesagt? War es nicht Heraklit?)
Re: Nietzsche über Griechen und Philologen
ανδρέας schrieb am 27.10.2009 um 20:47 Uhr (Zitieren)

Ich habe in meinem Leben einige kennengelernt, die recht glücklich schienen, obwohl ihnen ihr eigenes Unwissen sogar bewußt war. Da setzen doch manche andere Prioritäten. Wissen ist nicht alles. Erstaunlich viele kommen ganz gut damit zurecht. Oder flüchten in religöse Rituale - da kann man das Denken anderen überlassen (nur ein Beispiel, keineswegs allgemeingültig, aber offenbar eine recht wirksame Methode). Glück und Wissen bedingen einander meiner Erfahrung nach nicht.

Claudius`Abendlied (mal wieder): lass uns einfältig werden und vor dir hier auf Erden wie Kinder fromm und fröhlich sein.

Manchen reicht das wirklich!
Re: Nietzsche über Griechen und Philologen
Γραικίσκος schrieb am 27.10.2009 um 20:52 Uhr (Zitieren)
Das ist wahr.
Allerdings finde ich Matthias Claudius - den wir ja beide schätzen - gar nicht so einfältig. Vielleicht betet er gerade deswegen darum. Darin kann ich ihm allerdings nicht folgen.
Daß die Erbsünde mit dem (Essen des Apfels vom) Baum der Erkenntnis zu tun hat, hat sicherlich auch einen tieferen Sinn.
Da denke ich mir immer: "Das hättet ihr wohl gerne, daß wir einfältig seien wie die Schafe!"
(Das Schaf als christliche Metapher ...!)
Re: Nietzsche über Griechen und Philologen
ανδρέας schrieb am 27.10.2009 um 21:00 Uhr (Zitieren)

Ja, so sehe ich das auch. Die Genesis /Vertreibung aus dem Paradies ist meines Erachtens - nicht zu Unrecht - auch als Warnung zu verstehen. Denn Gott vertrieb sie nicht nur wegen des Ungehorsams, sich Erkenntnis zu verschaffen, sondern , damit sie nicht auch noch vom Baum des Lebens essen. Wenn mann die heutige Genforschung betrachtet, sollte man sich dieser Aussage erinnern. Die Frage ist, was man mit seinem Wissen tut, und das sollte sorgsam überlegt sein. Wissen kann missbraucht werden. Wer dies nicht erkennt ist meines Erachtens dumm und gefährlich. Man darf die philosophischen Fragen nach der Ethik nicht vernachlässigen. Damit meine ich allerdings nicht, dass die Forschung zensiert werden darf. Wir hatten ja neulich die Frage nach der Vernunft. Wo ist Gentechnik sinnvoll und was sollte man besser lassen? Diese Frage kann man nicht nur mit Wissen beantworten - eine klassische Frage der Philosophie.
Re: Nietzsche über Griechen und Philologen
Γραικίσκος schrieb am 27.10.2009 um 21:09 Uhr (Zitieren)
In der Wissenschaft alles, was möglich ist, auch zu machen, halte ich ebenfalls für sehr gefährlich.
Aber Philosophen sind zum Glück keine Techniker; sie begleiten 'nur' das Handeln mit Reflexion. Das kann zu Unglück führen - auch bei mir; aber das nehme ich in Kauf. Denn oft führt es zur ... Weisheit (altmodisches Wort).
Re: Nietzsche über Griechen und Philologen
ανδρέας schrieb am 27.10.2009 um 21:30 Uhr (Zitieren)

Wissen, das einmal in der Welt ist, kann man nicht mehr verschwinden lassen - nur in die richtigen Bahnen lenken. Mögen uns die Weisen leiten ...
 
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