Ich hoffe, dass diese Frage keine zu schwere Kost für die Forummitgleider ist. Habe gerade den Beitrag zu Διψαλέος gelesen; und auch ich war gestern unterwegs, um ein Familienmitglied auf Erden zu verabschieden und habe mir da so meine Gedanken gemacht. Zudem ist der Herbst die Jahreszeit des Vergehens und des Abschieds...
Nun, ich kenne die griechische Mythologie ganz gut. Aber glaubten die Leute damals ernsthaft daran, in die Unterwelt zu kommen und dort als Schatten weiterzuexistieren? Vielleicht weiß ja einer von Euch, was die Philosophen dazu geschieben haben?
Re: Wie standen die alten Griechen zum Thema Tod?
Γραικίσκος schrieb am 04.11.2009 um 09:30 Uhr (Zitieren)
Indem ich zunächst einmal die Philosophen Philosophen sein lasse, befasse ich mich mit der Frage:
Meine historisch schwer, aber nicht unmöglich zu belegende Annahme ist die, 1. daß uns in Träumen verstorbene Menschen erscheinen und mit uns interagieren, 2. daß es für Menschen ohne moderne Theorien über die Entstehung von Träumen eine sehr naheliegende Ansicht sein muß, in solchen Traumbegegnungen dokumentiere sich eine andauernde Existenz geisthafter Wesen, nachdem sie physisch gestorben sind.
Von daher halte ich es für ganz natürlich, daß Menschen in der Antike geglaubt haben, die Toten existierten in einer diffusen (Schatten-)Form an irgendeiner nicht gut einsehbaren Stelle (Unterwelt) weiter. Und sie kommunizieren mit uns in Traumerscheinungen.
Träume sind - prima facie - ein gutes Argument für den Glauben an ein Leben nach dem Tod.
Diese Überzeugung ist ja auch vor wenigen Jahrzehnten nochmal schwer in Mode gekommen, als man die Phantasien durch Sauerstoffmangel vergifteter Gehirne (Nahtoderlebnisse) als Argumente für ein Leben nach dem Tod angesehen hat.
Re: Wie standen die alten Griechen zum Thema Tod?
Γραικίσκος schrieb am 04.11.2009 um 09:36 Uhr (Zitieren)
Und wenn dieser Glaube einmal bei Homer steht (in der Odyssee), dann wird das für viele Menschen damals ebensoviel bedeutet haben wie für Spätere, wenn etwas in der Bibel steht.
Re: Wie standen die alten Griechen zum Thema Tod?
ανδρέας schrieb am 04.11.2009 um 20:18 Uhr (Zitieren)
Ἐπίκουρος sagt dazu, dass der Tod (Ende der Empfindungen) keine Furcht auslösen kann, denn der Tod, habe keine Bedeutung für uns. Solange man da sei, sei der Tod nicht da, wenn aber der Tod da , sei man ja nicht mehr. (Das Originalzitat habe ich leider nicht)
Logisch, … aber nicht wirklich tröstlich.
Re: Wie standen die alten Griechen zum Thema Tod?
Γραικίσκος schrieb am 04.11.2009 um 20:28 Uhr (Zitieren)
Doch, Epikur kann tröstlich sein. Ich bezeuge es. Zumal er in seinem "Brief an Menoikeus", wo der Gedanke überliefert ist, auch einen naheliegenden Einwand gegen diesen Gedanken widerlegt.
Ob die Vernunft (d.i. eine vernünftige Überlegung) imstande ist, die sozusagen animalische Angst vor dem Tod zu überwinden, hängt sicher vom Individuum ab.
Hier der Text:
Re: Wie standen die alten Griechen zum Thema Tod?
ανδρέας schrieb am 04.11.2009 um 21:08 Uhr (Zitieren)
Ja, Tod , wo ist dein Stachel?
Vielleicht ist dieser Gedanke auch der Grund für die Ablehnung im Christentum: kein Himmel, aber auch keine Hölle mit der man die Lebenden bedrohen kann, wenn sie nicht willig sind, dem "richtigen" Weg zu folgen.
War Epikur der Meinung, das anschließend nichts mehr kommt? Egal was? Dann wäre sein Gedanke zwingend. Andernfalls nicht.
Aber darüber gibt es ja nun mal keine gesicherten Hinweise. Allenfalls "Träume" oder Annahmen, Spekulationen.
Re: Wie standen die alten Griechen zum Thema Tod?
ανδρέας schrieb am 04.11.2009 um 21:08 Uhr (Zitieren)
ups,
..., daSS anschließend nichts mehr kommt ...
Re: Wie standen die alten Griechen zum Thema Tod?
Γραικίσκος schrieb am 04.11.2009 um 21:12 Uhr (Zitieren)
Das
setzt Epikur in der Tat voraus, d.h. er begründet dies nicht.
Wenn man die modernen Erkenntnisse über die Abhängigkeit des Bewußtseins vom Gehirn und den Zerfall des Gehirns im Tod berücksichtigt, erscheint mir diese Voraussetzung - auch vom heutigen Standpunkt aus - nicht aus der Luft gegriffen.
D.h. es kommt natürlich 'etwas' nach dem Tod - aber das geht mich nichts mehr an.
Re: Wie standen die alten Griechen zum Thema Tod?
Stephaistos schrieb am 05.11.2009 um 00:14 Uhr (Zitieren)
Epikur begründete die Annahme der Empfindungslosigkeit nach dem Tod mit Demokrits und Leukipps Atomlehre:
Nach dem Tod zerfallen die Atome im menschlichen Körper wieder. Da die Seelenatome die leichtesten und empfindlichsten sind, fallen diese als erstes auseinander (deshalb kann man sie auch nicht finden, wenn man einen Toten aufschneidet) und damit verschwindet der Mensch. Dadurch muss man im Tod weder Angst vor Schmerzen, noch vor einer Bestrafung durch die Götter haben.
Re: Wie standen die alten Griechen zum Thema Tod?
Γραικίσκος schrieb am 05.11.2009 um 10:27 Uhr (Zitieren)
Ja, Epikur nimmt Demokrits und Leukipps Theorien für sich als Unterlage seiner eigenen Überlegungen.
Ich weiß nur nicht, ob man diese Theorien heute noch ernst nehmen soll. Seelenatome ...
Jedenfalls war ich bemüht, das modern auszudrücken. Das führt aber zum selben Ergebnis: Der Tod [im Unterschied zum Sterben!] geht uns nichts an.
Vielen Dank für die interessanten und anregenden Gedanken zu diesem Thema.
Das der Glaube, die Toten existierten im Schattenreich, durch Träume zustandegekommen sein mag, erscheint in den Ausführungen von Γραικίσκος sehr naheliegend; dennoch war mir dieser Gedanke neu. Das Schattenreich erscheint mir so in einem ganz neuen Licht.
Solange der Tod nicht da ist, fürchte ich ihn nicht; und wenn der da ist, geht er mich nichts mehr an (ich bin dann empfindungslos). Die Angst vor dem (eigenen) Tod wäre nach dieser Argumentation unbegründet.
Das Tod eines Menschen bringt somit "nur" den Angehörigen Schrecken, denn er ist für diese oft mit existentiellen Problemen verbunden:
1. Die Angst vor dem Tod eines Angehörigen sehr nachvollziehbar: Dies bringt (vor allem Kinder) in große Not. In früheren Zeiten mag das noch extremer gewesen sein.
2. Aber auch der Gedanke: Wenn ich sterbe, was wird dann aus meinen Kindern? ist mit Ängsten und Sorgen verbunden.
Schnell stellt sich dann die Sinnfrage nach Leben und Tod. - Aber das ist schon ein anderes Thema...
Zur Atomtheorie: Dazu hab ich ein Bild vor Augen, aber in einem anderen Sinne als bei Demokrit.
Ein vor längerer Zeit umgestürzter Baum, liegt am Ufer eines Baches. Moos bedeckt seine Rinde. Insekten und andere kleine Tiere leben von ihm. In morschen und ausgehöhlten Stellen hat sich wohl etwas Erde gesammelt. Und dort wächst ein junger Baum. - Alle "Bewohner" ernähren sich von dem Toten, nehmen seine Materie in sich auf und verteilen seine Atome somit wieder in den großen Kreislauf des Ganzen.
Mir hat dieses Bild sehr gefallen.
Re: Wie standen die alten Griechen zum Thema Tod?
Γραικίσκος schrieb am 07.11.2009 um 11:53 Uhr (Zitieren)
Das Schöne am Tod ist, daß er uns diese - und alle anderen - Ängste nimmt. Zwar nimmt er auch die Freuden - aber wenigstens vermißt man die dann nicht mehr.
Das ist wahr ... aber eigentlich ein Argument gegen die Feuerbestattung, oder? Im Grunde auch gegen den Sarg.
Re: Wie standen die alten Griechen zum Thema Tod?
kornelia schrieb am 07.11.2009 um 23:56 Uhr (Zitieren)
"Solange man da sei, sei der Tod nicht da, wenn aber der Tod da , sei man ja nicht mehr."
Nicht wirklich tröstlich - aber unbedingt humorvoll-komisch!
Re: Wie standen die alten Griechen zum Thema Tod?
kornelia schrieb am 08.11.2009 um 00:03 Uhr (Zitieren)
Ich korregiere:
Tröstlich!! - Und nebenbei auch "irgendwie" komisch!