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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Polyxena - Ein Essay (310 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 12.04.2021 um 14:42 Uhr (Zitieren)
Zu den heute noch bekannten großen mythischen Gestalten der Antike gehört Polyxena [gr. Πολυξένη] gewiß nicht. Sie war die Tochter des Königs von Troja, Priamos, und seiner Gattin Hekabe. Nur für eine kurze Szene im Trojanischen Krieg betritt sie die Bühne: Troja ist erobert, die Männer und Knaben sind getötet, die Frauen und Mädchen versklavt und wie die übrige Beute durch Losentscheid auf die Helden der siegreichen Griechen verteilt. Diese bereiten sich nunmehr auf die Heimreise zu Schiff vor.

Ein aufkommender Sturm stellt sich dieser Absicht in den Weg. Da meldet sich der tote Achilles aus dem Hades und fordert seinen Anteil an der Beute; andernfalls werde das Unwetter dauerhaft die Rückkehr der Griechen verhindern. Was er fordert, ist ein Menschenopfer zu seinen Ehren, und dieses Opfer müsse Polyxena sein, eine kaum ‚mannbare‘ Jungfrau.

Warum gerade Polyxena? In welcher Beziehung stand er zu ihr? In einer antiken Quelle wird berichtet, er habe sich zu seinen Lebzeiten in Polyxena verliebt – der Griechenheld in eine feindliche Trojanerin! – und sei auf dem Wege zu einem Rendezvous mit ihr von ihren Brüdern Paris Alexander und Deiphobos getötet worden. Wenn wir dieser Version folgen, dann greift hier der Liebhaber aus dem Grabe nach dem Leben der Geliebten.

Polyxena, ein Mädchen, das zu Beginn des Krieges noch ein Kleinkind war, ist weder am Ausbruch des Krieges noch an seinem für die Trojaner unglücklichen Ausgang schuld, und es wird auch nicht behauptet, daß sie den Achill bei ihren Brüdern verraten habe. Aber sie soll mit ihrem Leben bezahlen – zur Verzweiflung ihrer ohnehin vom Schicksal hart getroffenen Mutter Hekabe, die bereits Heimat, Freiheit, Mann und Söhne verloren hat.

Die Griechen beraten über das Verlangen Achills und stimmen – nicht ganz ohne Skrupel wegen der Unschuld Polyxenas und gerührt auch durch ihre Schönheit – dem Menschenopfer zu.
Dieses wird dann durch Neoptolemos, den Sohn Achills, vollzogen. Der Sturm legt sich, die Griechen können die Heimfahrt antreten.

Die Motive und Empfindungen der beteiligten Personen, auch die Dramatik der Opferungsszene haben in der Antike großen Widerhall gefunden; oft taucht die Szene auf Vasenbildern auf, und etliche der größten Autoren der Antike haben sich des Stoffes angenommen.

Zurück geht er auf den Troischen Epenkreis, eine Sammlung von Epen um den Trojanischen Krieg, zu der auch Homers „Ilias“ und „Odyssee“ gehören. Aber nicht bei Homer, sondern in zwei anderen, in nur geringen Bruchstücken erhaltenen Epen muß die Szene vorgekommen sein: den „Kyprien“ und der „Iliupersis“. Was dort berichtet wurde, gibt am besten der spätantike Autor Quintus Smyrnaeus wieder, nämlich in seinem Epos über die Eroberungen Trojas, die sog. „Posthomerica“.

Sophokles hat ein Drama „Polyxena“ geschrieben, das verloren ist. Euripides widmet einen großen Teil seines Dramas „Hekabe“ ihrem vergeblichen Kampf um das Leben der Tochter. Bei ihm finden wir eine Szene, in der Polyxena ihre Bereitschaft zu sterben erklärt, aber ihre vorherige Freilassung erbittet: nicht als Sklavin, sondern als Königstochter wolle sie die Unterwelt betreten. Eine junge Dame mit feiner Distinktion.

Vergil erwähnt die Geschichte in seiner „Aeneis“, Ovid ausführlich in seinen „Metamorphosen“. Der jüngere Seneca, der außer erbaulichen Moralschriften auch eine Reihe von Dramen verfaßt hat, stellt uns in „Die Trojanerinnen“ ein spezielle Version vor, derzufolge Helena, die nach dem Kriegsausgang zwischen den Stühlen bzw. ihren zwei Männern steht, Polyxena gefügig macht durch die Vorspiegelung, es handele sich nicht um ein Opfer, sondern um eine ehrenvolle Ehe mit Neoptolemos. Philostratos schließlich deutet das Ereignis als einen freiwilligen Opfertod (Suizid) zu Ehren ihres toten Geliebten um.

Was an dieser Randepisode in der Antike so viel Aufmerksamkeit gefunden hat, hat auch in der späteren Literatur- und sogar Musikgeschichte viele Künstler inspiriert: Hans Sachs („Die Zerstörung der Stadt Troja durch die Griechen“), P. C. Hoofts („Achilles en Polyxena“), Corneille („La mort d‘ Achille“), Goethe (in seiner Fragment gebliebenen „Achilleis“ sollte Achills Liebe zu Polyxene im Mittelpunkt stehen), weiterhin bei vielen anderen Autoren bis etwa um 1900 - zuletzt bei W. Fischer („Königin Hekabe“). Sie alle deuten und gestalten das Beziehungsgeflecht zwischen Hekabe, Paris Alexander, Achill, Polyxene und Neoptolemos, und jeder etwas anders. Mehrfach war im 17. und 18. Jahrhundert dies auch der Stoff, aus dem man Opern machte: mit Titeln wie „Achille et Polixène“.

Und heute? Ist das tragische Ende dieses schönen mythischen Mädchens vergessen? Oder hat unser für Frauenschicksale aufgeschlossenes Zeitalter es nur noch nicht entdeckt?

Bei der Wiederentdeckung kann ein Tier helfen. Einen außerordentlich schönen, farbenprächtigen, in Süd- und Südosteuropa beheimateten Schmetterling hat man nach ihr benannt: Zerynthia Polixena, auch Osterluzeifalter genannt.

Stellen wir uns also vor, wie eine schriftstellerisch begabte Frau der Gegenwart an einem Ort Griechenlands in einem Park sitzt und ein faszinierend bunter Schmetterling an ihr vorbeifliegt. Oh, denkt sie, wie heißt denn der?
So könnte es anfangen.

(Wolfgang Weimer, 2021)
Re: Polyxena - Ein Essay
Γραικύλος schrieb am 12.04.2021 um 22:54 Uhr (Zitieren)
Es gab natürlich auch bei Quintus Smyrnaeus nicht mehrere Eroberungen Trojas --> Eroberung.
 
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