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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Welche Probleme löst der Polytheismus (889 Aufrufe)
Ὑληβάτης schrieb am 21.11.2009 um 10:23 Uhr (Zitieren)
Schon im Ansatz, glaube ich, ist die Frage falsch gestellt. Aber eine Stechmücke hat mich dazu gebracht, zu fragen.
Wenn die christliche Religion Probleme löst oder dazu da ist, Probleme zu lösen - warum nicht der antike Polytheismus?
Also habe ich gestern beim Schwimmen folgendes gedacht:

Mythen und Tragödien zeigen, wie der Mensch sich verhalten soll, bzw. was passiert, wenn er sich nicht richtig verhält. Polytheistisch ist das nicht, wenn nicht die Götter ins Spiel kommen.

Beispiel 1: Phaedra und Hippolytos
Hippolytos vernachlässigt Aphrodite zu Artemis' Gunsten, muss also sterben. Wer eine Göttin vernachlässigt oder geringschätzt, bringt ein Gleichgewicht durcheinander und wird unter den Trümmern des Zusammenbruchs begraben.

Beispiel 2: Ödipus (auf Kolonos)
Ödipus ist hier der Verstoßene, der keine Heimat finden kann. Er setzt sich bei Athen in einen Hain, der den Eumeniden heilig war - was ein Tabu ist, ihn aber unantastbar macht. Er wird als Schutzflehender anerkannt und letztendlich durch Theseus in die Gemeinschaft aufgenommen und als schützender Heros etabliert.
Außergewöhnliche Menschen oder Mächte müssen auf außergewöhnliche Art eingegliedert werden, damit sie nicht zerstörerisch, sondern schützend wirkend. (Das war ja bei den Eumeniden auch schon so!)

Ist diese Deutung zu psychologistisch und geht vollkommen am antiken Polytheismus vorbei?
Re: Welche Probleme löst der Polytheismus
Γραικίσκος schrieb am 21.11.2009 um 12:29 Uhr (Zitieren)
Du denkst beim Schwimmen nach? Ὑληβάτης, Du bist ein Philosoph, ob Du es weißt oder nicht.
Re: Welche Probleme löst der Polytheismus
Ὑληβάτης schrieb am 21.11.2009 um 13:10 Uhr (Zitieren)
Was soll ich sonst tun?
Das rhythmische Blubbern meines Atems, die gleichmäßigen Züge, das Ziehen in den Armen - all das hat etwas sehr Meditatives, und die eintönige Bewegung des Körpers schafft Raum im Geist, in den Gedanken eintreten können.
Früher habe ich die Bahnen türkisch gezählt, lateinisch und griechisch, habe dann aber immer vergessen, wo ich war.
Re: Welche Probleme löst der Polytheismus
Γραικίσκος schrieb am 21.11.2009 um 13:18 Uhr (Zitieren)
Auf das eigentliche Thema hier möchte ich auch noch gerne zu sprechen kommen; aber ich weiß nicht, ob ich heute die Zeit dazu finde.
Gibt es sowas wie eine Stenographie der Semantik, zum Zeitsparen?
Re: Welche Probleme löst der Polytheismus
Ὑληβάτης schrieb am 21.11.2009 um 13:20 Uhr (Zitieren)
Stichworte?
Re: Welche Probleme löst der Polytheismus
Γραικίσκος schrieb am 21.11.2009 um 13:31 Uhr (Zitieren)
Also dann:

Menschen - Probleme: Ängste, Einsamkeit/soziale Isolation/Diskriminierung, Liebe, Berufsrisiken, Krankheit, Alter, Tod

Religionen: Angebote für Problemlösungen

Unterschiede der Religionen: - unterschiedliche Lösungsstrategien, - unterschiedliche Gewichtung der Probleme

manche Religionen zusätzlich: Aufbau von Scheinproblemen (Christentum: Sünde)

Polytheismus: Diversifizierung der potentiellen Helfer (Hermes für Kaufleute und andere Diebe, Hera für Ehefrauen usw.)
Re: Welche Probleme löst der Polytheismus
Γραικίσκος schrieb am 21.11.2009 um 13:32 Uhr (Zitieren)
Ach so:
spezielle Kompetenzen in Problemlösungsstrategien --> Macht über Seelen (Priester)
Re: Welche Probleme löst der Polytheismus
Ὑληβάτης schrieb am 21.11.2009 um 13:39 Uhr (Zitieren)
Das klingt interessant.
Darauf warte ich wie ein Kind auf den Adventskalender.
Re: Welche Probleme löst der Polytheismus
Γραικίσκος schrieb am 22.11.2009 um 13:54 Uhr (Zitieren)
Falls meine Ansicht richtig sein sollte, müssen wir uns vor allem vor Priestern hüten - gleich, ob sie den einen oder einen speziellen Gott repräsentieren. Sie üben eine nur durch den Gott, also gar nicht kontrollierte Macht aus.
Re: Welche Probleme löst der Polytheismus
Ὑληβάτης schrieb am 22.11.2009 um 17:01 Uhr (Zitieren)
Darf ich Deine Gedankenstenographie so zusammenfassen:

Der Mensch musste im Laufe seiner Geschichte immer mit bestimmten Problemen und Ängsten kämpfen. Zu Anfang der Menschheitsgeschichte konnte er nicht anders, als einen Großteil der Ursachen / Auslöser dieser Probleme außerhalb seiner selbst und auch außerhalb seines Einflussbereichs zu sehen. Feinde, Naturereignisse, Zwietracht in der Gemeinschaft, Krankheit und Tod sind vom einzelnen Menschen nur schwer zu kontrollieren, Mechanismen von Ursachen und / oder Folgen sind nur schwer zu durchschauen.
Da der Mensch diese Dinge als Nicht-Ich wahrnimmt, kann die Lösung (nur) von außen kommen. Wenn für Krankheit, Tod und wilde Tiere in der Dunkelheit numinose Mächte verantwortlich sind, nicht der bloße Zufall, muss man die Lösung über diesen numinosen Mächte finden. Sei es, dass man zur Großen Mutter an den Meeresboden reist, um ihr die Haare zu kämmen, damit es wieder Seerobben gibt, sei es dass man ein Schaf opfert, damit es Regen für nächste Ernte gibt, sei es dass man einen Bereich abtrennt, damit die Götter wissen, wohin sie Vögel schicken sollen, damit ein Beobachter ihren Willen kennt.

Man kann annehmen, dass sich die ersten Probleme und Ängste in Zusammenhang mit dem Überleben (Nahrung durch Jagd, Ernte, Fortbestand durch Nachkommen) befasst haben - so auch die Religion und Rituale.
In späteren Gesellschaften waren die Regeln des Zusammenlebens ebenso wichtig wie der Handel, Wissenschaften, Handwerk etc.
Die Religionen bieten weiterhin Erklärungen für Probleme an ("Ein Gott zürnt dir." "Du hast Ares beleidigt.") als auch Lösungswege ("Opfere ein Schaf!") Geblieben ist auch die Sicht des Menschen, dass viele Probleme außerhalb seiner selbst ihre Ursache haben.

So unterschiedlich die Bedürfnisse der Individuen, Schichten, Bevölkerung- und Berufsgruppen und Völker zu jeder Zeit sind, so verschieden sind auch ihre Ängste / Probleme und also ... ihre Religionen.
So kann es sein, dass die eine Religion die Lösung eines Problems in den Mittelpunkt stellt, das ein bestimmtes Volk gar nicht hat. Das eine bestimmte Religion Antworten gibt, auf die eine Gesellschaft gar keine passenden Fragen hat.
Z.B. die Sünde: Römern und Griechen wahrscheinlich vollkommen unverständlich (-> Ödipus auf Kolonos), wahrscheinlich auch der heutigen Zeit, scheint den Juden und Christen der damaligen Zeit ein echtes Bedürfnis gewesen zu sein.

Ob die Bedürfnisse bleiben oder nicht, ist für die Entwicklung der Gesellschaft ab einem bestimmten Punkt nicht mehr wichtig, weil Traditionshüter / Priester ihre Autorität verselbständigen. Die Angst vor Missernten ist abgemildert, wenn man nicht gerade ein Landwirt ist, der nicht von der EU subventioniert wird, Götter / Rituale / Segen gegen Missernten werden nicht mehr benötigt / gewünscht.
Krankheiten sind nicht durch böse Dämonen verursacht / keine Strafe Gottes, die siebzehn Nothelfer sind also kaum noch bekannt - wer braucht Blasius, wenn er Halspastillen haben kann!
Und dennoch gibt es Probleme, die überdauern, eben weil sie von der Religion immer wieder aufgeworfen werden: Was sollte so schlimm an Völlerei sein? Was so schlimm an Geschlechtsverkehr vor der Ehe? Was so schlimm daran, mal über seinen Nachbarn zu fluchen, wenn er sich danebenbenimmt? Was ist so gut daran, all seinen Reichtum unter den Armen zu verteilen und im Büßergewand auf einem Berg zu wohnen? Im täglichen Gebet zu leben, statt Kinder aufzuziehen und Geld für das Bruttoinlandsprodukt zu verdienen oder die Erforschung von Krebsleiden voranzutreiben?
Im Religionsunterricht werden solche Dinge erklärt - aber dass die Frage gestellt wird, müsste ein Zeichen dafür sein, dass sich eine alte Religion überlebt hat - es sei denn, dass sie neue Fragen findet, auf die sie antworten kann. Der Exodus aus der Kirche ist wohl ein Symptom.

Und wo ist der Polytheismus stehengeblieben?
Diversifizierung der Helfer sagst Du. Der Probleme vielleicht auch. Personifikation des Numinosen.

Ich denke selber über meine Frage nach.
Was sagst Du bisher? D'accord?
Re: Welche Probleme löst der Polytheismus
Γραικίσκος schrieb am 22.11.2009 um 22:20 Uhr (Zitieren)
Soweit bin ich völlig einverstanden.
 
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