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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Gottlob Frege und Platon (15177 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 30.11.2009 um 19:19 Uhr (Zitieren)
Gottlob Frege, der Begründer der modernen Logik, gilt als Platoniker. Er hat eine sehr originelle (und logische, wie man es bei einem Logiker erwarten darf) Argumentation für die Existenz überzeitlicher 'Gedanken' entwickelt, welche in etwa Platons Ideen entsprechen.
Will sagen: Er behauptet nicht bloß, daß es dergleichen gibt, sondern er begründet es - wie ja auch Platon Argumente für die Existenz solcher Ideen geliefert hat.
Freges Überlegungen haben wohl dazu geführt, daß es heute noch Mathematiker gibt, welche sich als Platoniker verstehen - obwohl das nicht mehr die Mehrheit tut.
Bei Interesse kann ich Freges Überlegungen mal zusammenfassen - sonst erspare ich mir die Arbeit.
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 30.11.2009 um 19:43 Uhr (Zitieren)
Ich habe mich schon beim Lesen gefragt, wo die Argumentation bleibt. Die Zeilen unter dem Lesehorizont werden ja immer weniger und wenn man darauf wartet, dass noch was kommt, wächst das Entsetzen mit jedem Wort, das sich dem Ende nähert. (Selbstbetrachtungen beim Lesen)
Also: Freges Überlegungen interessieren mich. Bitte mehr!:)
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 30.11.2009 um 20:03 Uhr (Zitieren)
Gut. Hier mal ein Versuch:

Die Sätze
"Waltraud sitzt am Fenster."
"Waltraud saß am Fenster."
"Waltraud wird am Fenster sitzen."
"Sitzt Waltraud am Fenster?"
"Waltraud, setz' dich ans Fenster!"

haben etwas gemeinsam: den Gedanken des Sitzens von Waltraud am Fenster. (Heute wird dafür statt 'Gedanke' meist das Wort 'Proposition' benutzt. Ich bleibe mal bei 'Gedanke'.
Da dieser Gedanke - wie man am vorliegenden Beispiel sieht - zeitinvariant und sogar neutral gegenüber der tatsächlichen Existenz in der sinnlich wahrnehmbaren Welt ist, haben wir: die Existenz eines 1. zeitlich invarianten ('überzeitlichen') und 2. gegenüber der physisch-sinnlichen Welt neutralen, von ihr unabhängigen Gedankens nachgewiesen.
So auch der Gedanke (die Proposition) 'Dinosaurier' z.B., dessen geistige Existenz unabhängig davon ist, daß Sätze über physisch reale Dinosaurier in aller Regel in der Vergangenheitsform gebraucht werden. Michael Crichton ("Jurassic Park") setzt sie aber auch anders ein. Wie auch immer: Es handelt sich stets um ein und denselben Gedanken 'Dinosaurier', welcher von der Zeit nicht - wie die physischen Dinosaurier - tangiert wird.
Dieser Gedanke bliebe nun auch derselbe, wenn es keine Menschen gäbe, die ihn denken. Gedanken existieren also nicht bloß subjektiv (im menschlichen Bewußtsein), sondern objektiv.
Es gibt also neben der vergänglichen, sinnlichen eine zeitlose, objektive Realität.
Dies entspricht Platons Ideen.

Popper hat das später zu einer Drei-Welten-Lehre ausgeweitet, derzufolge es gibt:
1. die objektiv-physikalische Welt,
2. die subjektiv-psychische Welt (Empfindungen, Stimmungen, Gefühle),
3. die objektiv-geistige Welt (der Gedanken, Ideen - am deutlichsten realisiert in den Objekten der Mathematik).
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 30.11.2009 um 20:21 Uhr (Zitieren)
Das verstehe ich soweit - auch Platons Ideen- bzw. Gedankenlehre ist mir ein Begriff. Ich habe das nicht an Waltraud, sondern an weißen Pferden gelernt.
Der Gedankengang ist also klar und ich kann mir - wenn auch abstrakt - etwas darunter vorstellen. Der Beweisgang ist allerdings dann keine gültige Schlussfolgerung, wenn er sich nicht subjektiv nachvollziehen lässt und klingt damit wie eine Art Gottesbeweis. Ohne den Überprüfenden ist also evtl. die Existenz des Gedankens möglich, in keinem Fall aber beweisbar oder in irgendeiner Form Objekt.
Am Bild der Dinosaurier: Wenn ich keine Knochen habe, kann es durchaus sein, dass es die Dinos gab - genauso wie Präaustronauten. Mit den Gesetzen der Logik ist das aber entweder gar nicht oder unter Zugrundelegung "falscher" Prämissen möglich.
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 30.11.2009 um 20:32 Uhr (Zitieren)
Ich zähle aber auch noch unter die νέοι. Hab(t) also Nachsicht.:)
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 30.11.2009 um 20:35 Uhr (Zitieren)
Wie ich es verstehe, gibt es Dinos, unabhängig von den Knochen: als Gedanke. Ebenso gibt es Präastronauten. Das gilt unabhängig davon, ob es sie physisch gibt bzw. gab. Die physische Welt ist nicht zeitinvariant.
Der Beweis] dafür kann natürlich nur von einem denkenden Subjekt geführt werden, aber 1. ist Existenz nicht von ihrer Beweisbarkeit abhängig, 2. führt Frege den Beweis logisch, also - falls ihm kein Fehler unterlaufen ist - zwingend.
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 30.11.2009 um 20:40 Uhr (Zitieren)
Wenn ich das richtig verstehe: Sokrates sagt, dass

der Gedanke bereits da war, wird aber erst bewusst gemacht.

Sokrates hat ja wie eine Hebamme durch Fragen versucht, aus den Leuten die Gedanken hervorzukitzeln. Die Leute hatten den Gedanken schon in sich. Das Wissen war schon vorhanden, sei es in der vorgeburtlichen himmlischen Weisheit, sei es in früheren Leben (woher auch immer ...), so dass man dieses erworbene Wissen wie eine Erinnerung wieder hervorholen kann. Allgemeingültige Sätze wie die der Mathematik sind als Bewusstseinsstrukturen im Menschen bereits angelegt.

Die subjektiv-psychische Welt: Meinen, Meinung
Die objektiv-physikalische Welt: Wahrnehmumg
Die Objektiv-geistige Welt: Wissen

Wer also nix weiß, hat sich nicht ausreichend bemüht ...
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 30.11.2009 um 20:41 Uhr (Zitieren)
Ok, aber Frege ist doch selbst denkendes Subjekt. Man muss also - auch außerhalb der Grenzen der Logik, denen er sich ja als Subjekt unterwirft und von denen er nicht sagen kann, sie seien ohne ihn - auch mit ihrer Nicht-Existenz rechnen.
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 30.11.2009 um 20:44 Uhr (Zitieren)
- falls ihm kein Fehler unterlaufen ist - zwingend.
Logisch ist ihm vermutlich kein Fehler unterlaufen, aber ich bezweifle eben die Gültigkeit der Logik. - Der Satz läuft unter den Paradoxien, oder?
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 30.11.2009 um 20:46 Uhr (Zitieren)
Doch, die Regeln der Logik sind ebenfalls Gedanken, d.h. sie existieren ohne ein Subjekt, welches sie denkt.
So beträgt auch die Winkelsumme im (flächigen) Dreieck 1800, d.h. der Sazu "Die Winkelsumme im Dreieck beträgt 1800" wahr unabhängig davon, ob jemand diese Wahrheit erkennt oder leugnet. (Andernfalls könnte die Mathematik einpacken.) Wir haben es hier mit einer objektiven geistigen Wahrheit (Realität) zu tun. Das ist ja das Platonische an Freges Theorie.
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 30.11.2009 um 20:49 Uhr (Zitieren)
Die Gültigkeit der Logik zu bezweifeln, ist nur möglich, indem man die Gültigkeit der Logik voraussetzt, z.B. den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch. Denn der Zweifel oder die Bestreitung unterscheidet ja zwei mögliche Fälle: wahr und unwahr, ganz brav & treu gegenüber dem logischen Axiom "wahr ungleich unwahr".
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 30.11.2009 um 20:51 Uhr (Zitieren)

Ein Gedanke (zeitlos und unabhängig vom Menschen) könnte aber wahr oder falsch sein!

Dann könnte man auch falsche Gedanken haben - ohne es zu wissen.

Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 30.11.2009 um 20:54 Uhr (Zitieren)
Hmm, da denke ich mal wieder an Leibniz, der ähnliche Gedanken äußert und sagt, selbst Gott könne sich ihnen nicht entziehen bzw. ohne sie arbeiten.
Es ist schwer, solche "Wahrheiten" zu widerlegen, aber Du musst doch eins zugeben und meine Aussage von vorhin überdenken:
Wenn wir Subjekte sind, die außerhalb von sich selbst sprechen und damit von Ontologien ausgehen, von denen wir - nicht indirekt, sondern aufgrund unseres Subjektseins, nicht in der Lage sind zu denken - nichts sagen können; dass wir dann auch die Gesetze der Mathematik, insofern wir sie als nicht zugängliche Wahrheiten interpretieren, bestreiten müssen.
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 30.11.2009 um 20:55 Uhr (Zitieren)
Skeptizismus in Reinkultur, sozusagen.
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 30.11.2009 um 21:02 Uhr (Zitieren)
Ein Gedanke (zeitlos und unabhängig vom Menschen) könnte aber wahr oder falsch sein!

Gedanken (= der propositionale Gehalt von Sätzen) können nicht wahr oder falsch sein - das können nur Aussagesätze.
"Waltraud, setz' dich ans Fenster!" oder "Sitzt Waltraud am Fenster?" (Befehlssatz, Fragesatz) können nicht wahr oder falsch sein.
Das ist Aristoteles' Einsicht!
Der Gedanke ... ist; Sätze über Gedanken können wahr oder falsch sein, sofern es Aussagesätze sind.
Auch (Platons) Ideen können nicht wahr oder falsch sein, so wenig wie ein Stuhl das kann - nur bestimmte Sätze über Stühle.
D.h. Gedanken (Ideen) können nicht nicht existieren - denn sonst wären es keine Gedanken.
[Das ist ein wenig ähnlich dem ontologischen Gottesbeweis.]

Freunde, für heute muß ich mich dienstlichen Aufgaben widmen; der Unterricht morgen will gehalten werden.
Vielleicht morgen eine Fortsetzung?
Gute Nacht.
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 30.11.2009 um 21:08 Uhr (Zitieren)
Dann wäre der Satz "Waltraud, setz' dich ans Fenster!" demnach eine Prämisse - ich verstehe endlich.
Gut, dann wünsche ich, Dir und ανδρέας, ebenfalls eine gute Nacht und bin gespannt, wie es weitergeht. Schließlich ist Γραικίσκος in der Apologetenrolle.:)
Re: Gottlob Frege und Platon
Ὑληβάτης schrieb am 30.11.2009 um 22:16 Uhr (Zitieren)
Existenz [ist] nicht von ihrer Beweisbarkeit abhängig


Das habe ich oben gelesen und gedacht: "Na hupps!" D.h. wenn ich grüne Pferde denke, wenn ich an grüne Pferde denke, also natürlich grüne Pferde, keine angemalten, dann ... gibt es sie?
Oder gibt es nur den Gedanken? Außerhalb von mir?
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 30.11.2009 um 22:23 Uhr (Zitieren)
Also dies erinnert mich an den Spruch "Denke nie gedacht zu haben, denn das denken der Gedanken ist gedankenloses Denken".

Ein Gedanke ist das Ergebnis einer Überlegung (die üblicherweise ein Mensch macht).
Wie kann ein Gedanke sein, ohne ein (Lebe)-wesen, das ihn denkt ?
Was ist die Definition von Gedanke? Jede wahre Erkenntnis/Wissen unabhängig davon, ob sie ein Mensch verstanden hat? Reine Mathematik?

"Ich behaupte aber, dass in jeder besonderen Naturlehre nur so viel eigentliche Wissenschaft angetroffen werden könne, als darin Mathematik anzutreffen ist."“
Immanuel Kant: Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, A VIII

Die Außenwelt könnte ein bloßer Traum sein (Descartes) und alles was nur meine eigenen Gedanken sein (Solipsismus). Dann denke ich mir meine Gedanken nur und alles, was ich wahrnehme. Der Gedanke stimmt (vielleicht) nicht, aber er ist da! Oder er stimmt. In beiden Fällen ist er existent, obwohl sich das widerspricht. Ist eine bewusstseinsunabhängige Außenwelt nicht prinzipiell unerkennbar?

Ich weiß nicht mehr, was ich denke ... und wenn ich weiterdenke, weiß ich nichts mehr.

Besser ich gehe zu Bett.

Gute Nacht!
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 30.11.2009 um 22:31 Uhr (Zitieren)
D.h. wenn ich grüne Pferde denke, wenn ich an grüne Pferde denke, also natürlich grüne Pferde, keine angemalten, dann ... gibt es sie?

Nach der reinen Logik gäbe es sie, denn die Existenz eines grünen Pferdes hängt in keiner Weise davon ab, ob Du oder sonst wer je daran gedacht hat.
Ein Gedanke ist nach Frege oder Platon nichts, was gedacht werden muss, wie es der Name "Gedanke" nahe legt.
Ich bezweifle jedoch, dass ein Mensch - als Subjekt - denken kann, was außerhalb seiner ist.
Re: Gottlob Frege und Platon
Ὑληβάτης schrieb am 30.11.2009 um 22:38 Uhr (Zitieren)
Wenn ich nicht denken kann, was außerhalb meiner ist, gibt es dann eine Welt da draußen?
Ich weiß: Alles ist eine Information meiner Sinne, und zwar nur so, wie meine Sinne wahrnehmen und vermitteln können - aber würden Platon und Frege das sagen?
Wenn es aber da draußen eine Welt gibt und der Gedanke an grüne Pferde ... aber nein, das war noch nicht geklärt.

Gute Nacht.
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 01.12.2009 um 10:46 Uhr (Zitieren)
Zu John:
Der Befehlssatz ist keine Prämisse - er ist einfach eine spezielle Satzform, und zwar eine, die nicht wahr oder falsch ist. Mir kommt es darauf an, daß der Befehlssatz einen Gedanken (ein Proposition, eine Idee) verwendet, welche in allen Satzformen invariant bleibt, auch in Fragesätzen und Aussagesätzen, welche - laut Aristoteles - diejenigen sind, die wahr oder falsch sein können. Der Gedanke - die Idee bleibt dabei immer dieselbe.

An Ὑληβάτης:
Mit dem grünen Pferd machst Du auf ein Problem dieses Konzepts aufmerksam. Es zwingt uns offenbar dazu, alles als (geistig, nicht physisch!) existent anzusehen, wenn es nur ein Gedanke ist.
Dies ist eine sehr extreme Ontologie, über die Willard Van Orman Quine sich in seinem lesenwerten Aufsatz "Was es gibt" geradezu lustig gemacht hat, indem er den Gedanken einer quadratischen runden Kuppel eines bestimmten Gebäudes (an seiner Uni) aufgebracht hat. Das kommt Deinen grünen Pferden sehr nahe.
Quine zufolge zwingt uns die Denkbarkeit von etwas nicht zu ontologischen Annahmen.
Leider setzt er sich, soweit ich mich erinnere, nicht mit den Überlegungen von Frege, wie ich sie oben zusammengefaßt habe, auseinander, insbesondere nicht mit der eigentümlichen Eigenschaft von Propositionen, unverändert in den verschiedensten Satzarten aufzutreten: das Sitzen von Waltraud am Fenster.

Mir schwebt jetzt ein Fehler vor, den Platon bei seiner Einführung der Ideen gemacht hat, also bei seinem entscheidenden Argument, warum es Ideen geben müsse.
Seine Argumentation läuft ja anders als die von Frege.
Darüber jedoch ein andermal.
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 01.12.2009 um 19:40 Uhr (Zitieren)

Wenn Frege Gedanken als unabhängig von denkenden Subjekten existierend und immateriell
ansieht (was ich bezweifle !), dann verwechsele ich meine Gedanken mit "Vorstellungen". Nach dem Prinzip vom unzureichenden Grund kann ich keinen Gedanken ablehnen, der nicht eindeutig falsch ist, da er unabhängig ist. Der Gedanke ist da, wird nur durch einen Satz zum Ausdruck gebracht (wenn man sprachlich dazu in der Lage ist), also erfasst. Der Satz des Pythagoras wäre dann ein Gedanke, der GEfunden, aber nicht ERfunden ist.
Man hat ihn erfasst. Dieser Gedanke ist unabhängig von etwas anderem (oder der Vorstellung des Sprechers) wahr.

Habe ich das ungefähr richtig verstanden oder nicht?
Re: Gottlob Frege und Platon
Ὑληβάτης schrieb am 01.12.2009 um 19:52 Uhr (Zitieren)
Du hast mich da an etwas erinnert, Γραικίσκος. In dem Handy, das seit mehr als einem Jahr in meiner Schublade liegt, ist eine SMS, die ich ca. drei Jahre vorher einem Freund geschickt habe. Der Text der SMS stammt aus einem Buch, das ich in der Unibibliothek zufällig aus dem Regal gezogen haben, dessen Sätze mich aber so begeistert hatten, dass ich es ausleihen musste. Bisher hatte ich vergessen, wie das Buch hieß, weil ich die SMS seit dieser Zeit nicht mehr gelesen habe (historischer Moment voller Emotionen!). Jetzt hab ich's! Auch den Titel des Buches.
Stars fade like memory the instant before dawn. Low in the east, the sun appears golden as an opening eye. That which can be named must exist. That which is named can be written. That which is written shall be remembered. That which is remembered lives. In the land of Egypt, Osiris breathes. The sun rises and mists disperse. As I am, I was, and I shall be a thing of matter and heaven.
Man beachte den Teil: That which can be named must exist.
Das Buch ist: Ellis, Normandi, trans. Awakening Osiris: The Egyptian Book of the Dead.
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 01.12.2009 um 20:29 Uhr (Zitieren)
An Andreas:
Ja, Gedanken werden gefunden (entdeckt), nicht erfunden. So faßt man das wohl auch in der Mathematik auf.

An Ὑληβάτης:
Danke für den Hinweis. That which can be named must exist. (Nicht so denkt es Quine!)
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 01.12.2009 um 20:45 Uhr (Zitieren)

>>> That which can be named must exist. <<<

"Phantasien" existiert! (M.Ende).Aber hier geht es nur um bloße Vorstellungen, denke ich. Auch Menschen mit Wahnvorstellungen (man beachte das Wort) können etwas benennen. Trotzdem ist es nicht existent.

Jetzt müsste man nur die Methode kennen, Gedanken zu finden.
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 01.12.2009 um 20:59 Uhr (Zitieren)
Selbstverständlich existieren Pegasus und Sphinx!
Und Wahnvorstellungen auch.
Als Gedanken ...
(Aber wie gesagt, Quine hält das für Quatsch.)

Eine Methode, Gedanken zu finden, gibt es schon. Man läßt eine Horde Schimpansen ohne Ende auf die Tastatur einer Schreibmaschine hämmern.
Das Problem besteht lediglich im Filtern der Resultate.
:-)
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 01.12.2009 um 21:09 Uhr (Zitieren)
>>> Man läßt eine Horde Schimpansen ohne Ende ...

Das passiert in jeder Sekunde : Viren u.a. überschwemmen weltweit Computer, kombinieren sich wahllos, und wenn alle keine Firewall einbauen, kommt irgendwann bei irgendwem etwas Sinnvolles dabei heraus - bei den anderen ist die Festplatte kaputt.
Re: Gottlob Frege und Platon
Λυκόμαχος schrieb am 01.12.2009 um 21:50 Uhr (Zitieren)
Existiert das Higgs-Boson?
Morgen wissen wir das vielleicht, wenn das LHC (oder wie das Ding heißt) genügend Schmackes draufhat....
Re: Gottlob Frege und Platon
Λυκόμαχος schrieb am 01.12.2009 um 21:56 Uhr (Zitieren)
das "Labyrinth" von Borges, in dem eine Bibliothek vorkommt, die alle möglichen (Buchstabenkombinationen =) Bücher enthält, unter denen dann auch notwendig irgendwann Kants Kritik der reinen Vernunft sein muß.
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 01.12.2009 um 21:58 Uhr (Zitieren)

Hoffentlich ist es kein Spam-Higgs-Bosom ...
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 01.12.2009 um 23:22 Uhr (Zitieren)
Nochmal zurück zur eigentlichen Aussage:
Alles existiert, d.h. alle möglichen Kombinationen aus vorhandener Materie in jeder Form, Ausdehnung, Dimension und anderen Kategorien, die wir zu denken noch nicht in der Lage sind.
Nur das Nichts existiert nicht. Vielleicht können wir uns darüber verständigen, was nicht ist, um zu erklären, was ist und damit immer existiert.

Per definitionem gibt es nicht Nichts, weil Alles existiert. Es existiert nichts, was nicht ist. Wenn ich Alles ontologisch negiere, ist es dann aber nicht sein Gegenteil (Waltraud sitzt nicht am Fenster), sondern ich leugne seine Existenz ( ).
Wenn ich bspw. sage: "Dieses Forum ist nichts für dich.", meine ich zwar das Gegenteil, grammatikalisch hieße das aber: "Dieses Forum ist für dich."
Wenn wir uns weiter darüber verständigt haben, dass es gar nicht darauf ankommt, ob derjenige, dem gesagt wird, das Forum sei für ihn, sich einen Begriff davon machen kann, was bedeutet, müssen wir dann nicht letztlich davon ausgehen, dass uns weder "nichts" noch zugänglich sind und wir deswegen auch in unserem Subjektsein gefangen sind? Das wiederum hieße, dass Aussagen wie "Waltraud sitzt am Fenster." in jedweder Variante zwar (auch hinter der Metaphysik) denkbar, aber noch lange nicht gültig, d.h. existent sein können - eben aufgrund unseres eigenen Subjektseins, das nur unabhängig von Metaphysik funktioniert?
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 01.12.2009 um 23:24 Uhr (Zitieren)
Ich sehe gerade, dass die Leerzeichen, die ich gesetzt habe, nicht sichtbar sind und setze sie in Klammern.
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 01.12.2009 um 23:25 Uhr (Zitieren)
Nochmal zurück zur eigentlichen Aussage:
Alles existiert, d.h. alle möglichen Kombinationen aus vorhandener Materie in jeder Form, Ausdehnung, Dimension und anderen Kategorien, die wir zu denken noch nicht in der Lage sind.
Nur das Nichts existiert nicht. Vielleicht können wir uns darüber verständigen, was nicht ist, um zu erklären, was ist und damit immer existiert.

Per definitionem gibt es nicht Nichts, weil Alles existiert. Es existiert nichts, was nicht ist. Wenn ich Alles ontologisch negiere, ist es dann aber nicht sein Gegenteil (Waltraud sitzt nicht am Fenster), sondern ich leugne seine Existenz ( ).
Wenn ich bspw. sage: "Dieses Forum ist nichts für dich.", meine ich zwar das Gegenteil, grammatikalisch hieße das aber: "Dieses Forum ist für dich."
Wenn wir uns weiter darüber verständigt haben, dass es gar nicht darauf ankommt, ob derjenige, dem gesagt wird, das Forum sei ( ) für ihn, sich einen Begriff davon machen kann, was ( ) bedeutet, müssen wir dann nicht letztlich davon ausgehen, dass uns weder "nichts" noch ( ) zugänglich sind und wir deswegen auch in unserem Subjektsein gefangen sind? Das wiederum hieße, dass Aussagen wie "Waltraud sitzt am Fenster." in jedweder Variante zwar (auch hinter der Metaphysik) denkbar, aber noch lange nicht gültig, d.h. existent sein können - eben aufgrund unseres eigenen Subjektseins, das nur unabhängig von Metaphysik funktioniert?
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 01.12.2009 um 23:29 Uhr (Zitieren)
Einen Fehler gibt es immer noch:
"Dieses Forum ist ( ) für dich."
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 02.12.2009 um 18:20 Uhr (Zitieren)
Meine "Ideen" scheinen nicht zu überzeugen, aber vielleicht interessiert euch der Aufsatz "Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?" von Thomas Nagel. Eine Vorschau hier:
http://books.google.de/books?id=-jgGrtrUD6gC&pg=PA261&dq=wie+ist+es+eine+fledermaus+zu+sein#v=onepage&q=wie%20ist%20es%20eine%20fledermaus%20zu%20sein&f=false
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 02.12.2009 um 19:06 Uhr (Zitieren)
Du scheinst mir das Subjektsein für ein Gefängnis zu halten, dem man nicht entkommen kann. Aber Ist nicht 'Subjekt' ein Relationsbegriff und nur sinnvoll in Beziehung auf ein Objekt? D.h. ist nicht ein Subjekt unausweichlich bezogen auf Objekte? Kann es ein Subjekt ohne Objekte geben?
Letztlich können wir dieser Relation nicht entkommen: wir als Subjekte dem Bezogensein auf andere und anderes.
Aber welche Arten von Objekten müssen wir nun als existent annehmen? Physikalische Objekte, ja. Auch Gedanken (= geistige Objekte)? Das Nichts oder das ( ) ... nicht. (Kant unterscheidet übrigens vier Arten davon - ziemlich viel Nichts, oder? Wenn wir den Anfang von Hegels "Wissenschaft der Logik" nehmen, wird's noch komplizierter: Dann sind Sein und Nichts identisch und nicht-identisch.)

Der Aufsatz von Thomas Nagel ist berühmt. Von einer objektlosen Subjektivität schreibt er freilich nichts, sondern nur davon, daß es Subjektivität gibt - was ich nicht in Zweifel ziehen möchte, manche Autoren jedoch tun: Gilbert Ryle, "Der Begriff des Geistes".
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 02.12.2009 um 19:08 Uhr (Zitieren)

Zu John:

Ein Buddhist würde ablehnen, dass es kein Nichts geben soll. Er strebt es ja an! - das Nirwana.

Nach deiner Auffassung müsste es eine unsterbliche Seele geben.

In gewisser Hinsicht könnte man sich einen Menschen auch als Gedanken denken. Ein verstorbener Schauspieler, den wir noch auf Zelluloid betrachten können, wäre als Idee noch da, wir könnten sein Konzept, seine bildliche Erscheinung sogar noch betrachten (oder Leute in Dokumentarfilmen).
In gewisser Hinsicht wäre sein "Schatten" als Filmfigur, die teilweise Abbildung dieser Idee.

Wie würde Sokrates heute wohl auf Filmvorführungen reagieren?

Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 02.12.2009 um 19:14 Uhr (Zitieren)
Ein verstorbener Schauspieler, den wir noch auf Zelluloid betrachten können, wäre als Idee noch da, wir könnten sein Konzept, seine bildliche Erscheinung sogar noch betrachten.

In meinem Lieblingsfilm gibt es folgende Szene:
Sie: "I love Marilyn Monroe - she's immortal!"
Er: "She's dead."
Sie, sich zu ihm beugend und flüsternd: "But here we are talking about her."
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 02.12.2009 um 19:39 Uhr (Zitieren)

Ja, aus Männersicht könnt man M.M. als gefundenen Gedanken ansehen ... ein Konzept, das sicher schon Adam vorschwebte. Von IHR hätte er sich nicht nur einen schnöden Apfel reichen lassen.
Re: Gottlob Frege und Platon
Λυκόμαχος schrieb am 02.12.2009 um 19:42 Uhr (Zitieren)
Stat rosa pristina nomine - nomina nuda tenemus. (Eco)
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 02.12.2009 um 19:49 Uhr (Zitieren)
Ja, nackte Namen.

Nach deiner Auffassung müsste es eine unsterbliche Seele geben.

Die gibt es noch, in dem Fall aber nur, weil sie einmal nicht war.
Ich sehe es immer noch nicht ein, weil der Satz: "Gedanken existieren außerhalb unseres Subjektseins." nur innerhalb eines Subjektes gedacht werden können. Wir meinen, uns "da draußen" zu bewegen, wenn wir solche Sätze sagen, bemerken aber nicht, dass wir mehr in uns sind, als uns bewusst ist. σῶμα σῆμα, eben...
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 02.12.2009 um 19:58 Uhr (Zitieren)
Ihr steht im Universalienstreit auf der Seite der Nominalisten? Offensichtlich.
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 02.12.2009 um 20:14 Uhr (Zitieren)

Für die Cern-Forscher gibt es Dinge, die da sein müssten (Higgsteilchen), aber noch von keinem gefunden wurden. Sie wurden nur gedacht, weil sie in der Theorie da sein sollten. Man kann sie benennen. Man kann sie ungefähr beschreiben. Man denkt zu wissen wie sie sind. Aber sie wollen sich einfach nicht zeigen. Das liegt an der Messmethode, aber man versucht sie, der Realität hinzuzufügen. Man will Wissen, nicht glauben. Das ist Realitätssuche.
Anderes ist Spekulation.
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 02.12.2009 um 21:27 Uhr (Zitieren)
Die Higgsteilchen haben mit dieser Diskussion aber nichts zu tun, denn es geht nicht um Menge, Masse etc., sondern um den Gedanken "Higgsteilchen" - nach Γραικίσκος "geistige Objekte".
Natürlich existiert Materie unabhängig davon, ob wir von ihr wissen. Und natürlich muss der Blick ins Unbekannte - vorerst nur in der Theorie vorgestellte - gehen.
Ich verstehe allerdings nicht, woran ihr Freges und Platons Aussagen festmachen wollt. An logischen Sätzen? Das ist Spekulation. Was ist mit dem Wort "Subjekt"? Das kann man doch auch nicht unendlich erhöhen.
Aber lasst uns gesittet über die Universalien streiten.:)
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 02.12.2009 um 22:16 Uhr (Zitieren)

Gibt es überhaupt Universalien, die mehr sind als ein Sprachproblem? Oder ist dies nicht wirklich nur eine Art des Formulierung, das Allgemeine in dem Besonderen zu sehen: Individuum (Horst Müller)-Gattung -Art-Lebewesen - Seiendes ...

Kann man für undenkbare Dinge Begriffe finden, die etwas aussagen? Man denkt in Sprache. Sie erweitert sich um den Betrag des neuen Wissens, nachdem man neue Erfahrungen gemacht hat.
Ohne Zuordnung ist ein neuer Begriff leer. Das universale Prinzip muss immer wieder sichtbar sein, um allgemein gültig sein. Man kann sich vorstellen, was bei Vergrößerung des Bildausschnitts sichtbar werden könnte. Aber nur die Tatsachen bestätigen oder widerlegen die Erwartung.
Also ist alles nur Beschreibung.
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 02.12.2009 um 22:20 Uhr (Zitieren)
Ein ähnlicher Gedanken kam mir auch:
Ist es nicht letztlich die Notwendigkeit der Benennung? Was sind sinnvolle Bilder?
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 02.12.2009 um 22:34 Uhr (Zitieren)

Es ist wie der verzweifelte Versuch, die Perspektive zu verändern: sich aus der Froschperspektive in die Vogelperspektive hineindenken zu wollen ohne zu wissen, ob man nur der Storch ist, der den Frosch sieht. Woher wissen wir, dass wo wir stehen (oder fliegen, falls wir die Aussicht des Vogels erreicht haben)? Und auch der Vogel würde nicht wissen, dass über ihm ein Satellit kreist. Tja, wir wissen nicht mal, wie klein wir sind und wollen auf das Ganze schließen?
Kann die Amöbe auf die Erde schließen?
Kurz: wir kennen nicht mal den Maßstab unseres Horizonts.
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 02.12.2009 um 22:39 Uhr (Zitieren)
So schön und bildreich hätte ich es nicht sagen können, aber meine Gedanken gehen in deine Richtung, ανδρέας. Das schließt die Suche nach den Dingen natürlich nicht aus.
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 02.12.2009 um 22:51 Uhr (Zitieren)

Selbstverständlich schließt das die Suche nicht aus !!!
Ich sage nur: Mensch, sei nicht arrogant. Das schütz vor absoluten Wahrheiten. Aber neugierig darf man sein. Man müsste das Wissen der Menschen in 300 Jahren haben und würde sich erstaunt über die eigene Ahnungslosigkeit kaputtlachen. Aber nicht negativ gemeint.
Der Drang zu denken und zu forschen darf nicht erlahmen - das macht den Menschen m.E. aus.

Aber dafür muss man ausgeschlafen sein.

Also: gute Nacht

(es ist mal wieder spannend mit dir und den übrigen Denkern, aber ich muss ja auch noch arbeiten, nunja)
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 02.12.2009 um 22:57 Uhr (Zitieren)
Ja, um 9 ruft der Buchladen auch wieder nach mir.

Gute Nacht!
Re: Gottlob Frege und Platon
Ὑληβάτης schrieb am 02.12.2009 um 23:13 Uhr (Zitieren)
[nicht themenrelevant]
Ein verstorbener Schauspieler, den wir noch auf Zelluloid betrachten können, wäre als Idee noch da, wir könnten sein Konzept, seine bildliche Erscheinung sogar noch betrachten
Neulich haben meine Frau und ich "Australia", den Kinofilm, gesehen, der offensichtlich in Australien spielt (mit Nicole Kidman). Bevor der Film anfing, kam eine Warnung für Aborigines, dass im Film Leute zu sehen seien, die evtl. schon tot sind. Im Film wird thematisiert, dass der Name von verstorbenen nicht mehr genannt werden darf. - [/nicht themenrelevant]Ist das vielleicht die ... animistische Sicht auf das Problem, ob Gedanke und Existenz immer übereinstimmen?
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 03.12.2009 um 10:45 Uhr (Zitieren)
Gibt es überhaupt Universalien, die mehr sind als ein Sprachproblem? Oder ist dies nicht wirklich nur eine Art des Formulierung, das Allgemeine in dem Besonderen zu sehen: Individuum (Horst Müller)-Gattung -Art-Lebewesen - Seiendes ...

Da liegt der Hase im Pfeffer! Wenn man sagt, nur physikalische Objekte seien real, dann gibt es nur Individuen: Andreas, Arborius, John, Graeculus usw.
Können wir denn aber darauf verzichten zu sagen, daß es Menschen gibt? Immerhin ist "Mensch" kein Individuum, sondern eine Klasse - ein abstrakter Gegenstand also. Es gäbe dann natürlich auch keine Hunde, keine Schimpansen, keine Felsen, keine Liebe, keine Schule ... ... ... ...
Es gäbe nur Individuen.
Das wäre ziemlich weit weg von unserem Alltag, in dem wir ja sehr wohl sagen (und sagen müssen?), daß es Klassen von Gegenständen gibt.

Notausgang: "Es gibt bestimmte Individuen, welche wir in unserer Sprache als 'Menschen' bezeichnen/zusammenfassen."
Damit hat man das ganz ontologische Problem allerdings nur verschoben: auf das "bestimmte". Welche Art von Indidivuen?
Kein toller Notausgang!
Re: Gottlob Frege und Platon
Λυκόμαχος schrieb am 03.12.2009 um 16:04 Uhr (Zitieren)
und da springt auch schon der nächste Hase in den Pfeffer: Die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer Klasse ist kein logisches Problem, sondern ein.... Wonach bilden wir unsere Klassen(Universalien)? Nach Alltagswahrnehmungen? (Der Walfisch schwimmt doch im Meer..) nach Nützlichkeit? Und welche Rolle spielt es, daß der Apfelbaum eigentlich eine Art von Rosen ist?
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 03.12.2009 um 16:29 Uhr (Zitieren)
Wonach bilden wir unsere Klassen (Universalien)?

Und genau da geht der Platon den Bach runter! Er beantwortet, z.B. im Hippias maior, diese Frage ganz naiv: "Wenn wir verschiedenen Gegenständen dasselbe Prädikat zusprechen, dann müssen alle diese Gegenstände etwas gemeinsam haben. Und genau dies ist die Idee (resp. Klasse)." [kein wörtliches Zitat!]
Wenn wir also - so die Beispiele im Hippias maior - ein Mädchen, ein Pferd und eine Vase [interessante Zusammenstellung!] 'schön' nennen, dann müssen sie durch eine bestimmte Eigenschaft verbunden sein: die Teilhabe an der Idee des Schönen.
(Worum es sich dabei handelt, beantwortet er im Hippias maior nicht, aber später im Philebos: das rechte Maß.)
Ein schwerer Denkfehler, auf dem die abendländische Metaphysik da ruht!

Irgendwann in nächster Zeit möchte ich mal einen Beitrag über diesen Denkfehler eröffnen.
Jetzt aber nicht.
"I ain't got time to think about it
I've got so much to get done."
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 03.12.2009 um 17:17 Uhr (Zitieren)
Ihr mögt schonmal überlegen: Was eigentlich ist es, das alle Menschen (und nur sie!) gemeinsam haben, so daß sie dadurch an der spezifischen Idee des Menschen teilhaben?
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 03.12.2009 um 18:28 Uhr (Zitieren)

Der Mensch kann sich als Individuum verändern (berühmtes Bsp. ist natürlich Paulus >>> Damaskuserlebnis). Und zwar aus sich selbst heraus, aus freiem Willen.
Das kann kein Hund, keine Katze, keine Blume, kein Pilz, kein Bakterium. Und wohl auch kein Bonoboschimpanse.
Der Mensch kann dies tun (wenn er will) - andere Lebensformen nicht.
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 03.12.2009 um 18:34 Uhr (Zitieren)
Nicht der Mensch - manche Menschen können das. Ein Anzephaler z.B. nicht. Dennoch ist er ein Mensch. Aufgrund welcher Eigenschaft?
(Alle Versuche, hier klassische Definitionen einzuführen, werden an dieser Stelle scheitern, weil es Ausnahmen dafür gibt, welche dennoch Menschen sind.)
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 03.12.2009 um 18:37 Uhr (Zitieren)
Anzephalie ist natürlich eine sehr seltene Krankheit. Aber wie steht es mit einem Zwangsneurotiker oder einem Psychotiker?
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 03.12.2009 um 18:37 Uhr (Zitieren)
Übrigens ist es schnurz, wie selten die Krankheit ist, wenn wir über alle Menschen reden.
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 03.12.2009 um 18:50 Uhr (Zitieren)

Mit Mirandola muss ich widersprechen: die Würde des Menschen ändert sich nicht mit seinem physischen Gebrechen. Er hat prinzipiell die Freiheit der eigenen Lebensgestaltung.
Eine Fähigkeit kann wegfallen (durch Krankheit, Unfall, Geburt), seine Würde bleibt unangetastet - wenn seine Umgebung dies anerkennt. Der Anzephale ist Spiegelbild der ihn umgebenden Menschen auf sich selbst, da sie wissen, dass dieser die Ureigenschaft des Menschen nicht verlieren darf. Sonst sind die anderen nicht mehr Mensch.
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 03.12.2009 um 18:59 Uhr (Zitieren)
Er hat prinzipiell die Freiheit der eigenen Lebensgestaltung.

Was genau heißt das bei einem Anzephalen?
Wohl gemerkt, ich bestreite keinem Menschen sein Menschsein, ich bestreite nur, daß dies darin besteht, daß wir alle eine spezifische Eigenschaft teilen.
Da es ja nicht nur um die Idee des Menschen gehen soll (ich hatte das nur als ein Beispiel eingeführt), können wir auch gerne zu der Frage wechseln, was irgendwelche anderen Teilhaber einer Idee spezifisch gemeinsam haben: Tische, Tiger oder - um Wittgensteins berühmtes Beispiel zu nehmen, mit dem er die platonische Metaphysik ad absurdum geführt hat - Spiele. Was also haben alle Spiele gemeinsam?
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 03.12.2009 um 19:02 Uhr (Zitieren)
Es geht immer noch um Platons entscheidendes Argument: Wenn wir verschiedene Dinge mit ein und demselben Prädikat belegen, dann tun wir dies deshalb, weil alle diese Dinge durch (mindestens) ein gemeinsames Merkmal verbunden sind: ihre Idee.
Was also haben alle Spiele gemeinsam? Was ist die Idee des Spiels?
Re: Gottlob Frege und Platon
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 03.12.2009 um 19:05 Uhr (Zitieren)
Anenzephalie ...daran möchte ich jetzt nicht denken ....die meisten Säuglinge sterben...
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 03.12.2009 um 19:13 Uhr (Zitieren)
Es ist wohl wirklich besser, wenn wir zu Spielen als Beispiel wechseln. Auch hier scheitert jede Idee an Ausnahmen.
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 03.12.2009 um 19:45 Uhr (Zitieren)

Wenn die Ausnahme in einem Defekt angelegt ist, kann man die grundlegende Anlage eines normalen, gesunden Menschen doch nicht bezweifeln. Auch Demenzkranke sind ja weiter Menschen.
Eine Gemeinsamkeit, mit der sich der Mensch als Lebewesen von anderen Lebewesen unterscheidet (Alleinstellungsmerkmal), kann m.E. nicht an dieser Ausnahme scheitern.
Ein ungenau gezeichnetes Dreieck ist eben kein Dreieck mehr, weil es nun ggf. ein Vieleck geworden ist (mathematisch).
Die Frage war doch, was den Menschen grundsätzlich alle Menschen (ich fasse das als prinzipielle Beschreibung auf) gemeinsam haben.
Meine Antwort war: vielleicht der freie Wille zur Veränderung. Vielleicht ist es auch der Humor - welches Tier kann lachen? Und wenn ja, (der Affe?) auch über sich selbst. Das wäre zumindest eine hübsche Annahme.
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 03.12.2009 um 21:35 Uhr (Zitieren)
Andreas, ich verstehe dich nicht.
Wenn die Ausnahme in einem Defekt angelegt ist, kann man die grundlegende Anlage eines normalen, gesunden Menschen doch nicht bezweifeln.

Die Frage war doch, was [den Menschen] grundsätzlich alle Menschen (ich fasse das als prinzipielle Beschreibung auf) gemeinsam haben.

Artikuliere ich mein Problem so unklar?
Woran erkennt man, daß 'die Ausnahmen' Menschen sind (was ich keineswegs bestreite)? Mithilfe welcher Idee von Mensch identifizieren wir sie als Menschen? Das kann doch logischerweise nicht die Idee des 'normalen Menschen' sein - was immer das sein mag.

Aber erneut schlage ich vor, daß wir uns stattdessen mit Spielen befassen. Alle logischen Probleme, die ich im Sinn habe, treten dort ebenso auf - aber ohne die emotionalen Implikationen, die wir als Menschen mit dem Thema Mensch verbinden.
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 03.12.2009 um 22:05 Uhr (Zitieren)
Das ist die entscheidene Textpassage aus Wittgensteins "Philosophischen Untersuchungen":
Betrachte z.B. einmal die Vorgänge, die wir „Spiele“ nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiel, Kampfspiele, usw. Was ist allen diesen gemeinsam? – Sag nicht: „Es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht ‚Spiele‘“ – sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. – Denn wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe. Wie gesagt: denk nicht, sondern schau! – Schau z.B. die Brettspiele an, mit ihren mannigfachen Verwandtschaften. Nun geh zu den Kartenspielen über: hier findest du viele Entsprechungen mit jener ersten Klasse, aber viele gemeinsame Züge verschwinden, andere treten auf. Wenn wir nun zu den Ballspielen übergehen, so bleibt manches Gemeinsame erhalten, aber vieles geht verloren. – Sind sie alle ‚unterhaltend‘? Vergleiche Schach mit dem Mühlfahren. Oder gibt es überall ein Gewinnen und Verlieren, oder eine Konkurrenz der Spielenden? Denk an die Patiencen. In den Ballspielen gibt es Gewinnen und Verlieren; aber wenn ein Kind den Ball an die Wand wirft und wieder auffängt, so ist dieser Zug verschwunden. Schau, welche Rolle Geschick und Glück spielen. Und wie verschieden ist Geschick im Schachspiel und Geschick im Tennisspiel. Denk nun an die Reigenspiele: Hier ist das Element der Unterhaltung, aber wie viele der anderen Charakterzüge sind verschwunden! Und so können wir durch die vielen, vielen anderen Gruppen von Spielen gehen. Ähnlichkeiten auftauchen und verschwinden sehen.
Und das Ergebnis dieser Betrachtung lautet nun: Wir sehen ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten im Großen und Kleinen.

Die Stellen, an der er Platons Argumentation den tödlichen Stoß versetzt, habe ich fett hervorgehoben.
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 03.12.2009 um 22:21 Uhr (Zitieren)
Lieber Γραικίσκος,

dies ist der 420 Aufruf diese Themas. Und wie meist regst du mich an, Dinge zu hinter-denken, die mir vorher keinen Zweifel ließen. Nach der Gewißheit folgt dann Verwirrung, anschließend Verstörung, manchmal Verärgerung, aber immer ein neuer Anstoß.
Wittgenstein hat die Philosophie durchaus zurechtgestutz und auf den Boden zurückgeholt, indem er sie zur reinen Beschreibung erklärte.

Den Stein der Weisen hat noch keiner gefunden.
Was ist allen Menschen gemeinsam ? - vielleicht die Selbstüberschätzung.
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 03.12.2009 um 22:29 Uhr (Zitieren)
Das ist ein großer Satz, den sich viele Menschen - nicht nur Philosophen - ins Stammbuch schreiben könnten: "Denk nicht, sondern schau!"
Geh nicht mit Theorien, sondern mit aufmerksamer Beobachtung an die Dinge heran!

Es tut mir leid, wenn ich Menschen verstöre oder gar verärgere, aber ich kann nicht anders.
Re: Gottlob Frege und Platon
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 03.12.2009 um 22:33 Uhr (Zitieren)
Ich verstehe dich schon als Philosoph, aber denkst du manchmal auch an die Realität?
....In dem Sinne ...Gute Nacht!
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 03.12.2009 um 23:16 Uhr (Zitieren)
Βοηθός, so wenig kennst Du mich?
Ich bin fasziniert von der Realität ... von manchen Seiten jedenfalls. Und was ich oben von Wittgenstein zitiert habe, lautet doch: "Denk nicht, sondern schau!"
Gute Nacht,
Euer mißverstandener Γραικίσκος
Re: Gottlob Frege und Platon
Λυκόμαχος schrieb am 04.12.2009 um 02:56 Uhr (Zitieren)
Ihr seid jetzt alle im Bett, und da wage ich es, mich noch einmal zu melden, trotz Eures Widerwillens:
§ 1 BGB: Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt.
Und jetzt seid ihr Arzt auf der Entbindungsstation und habt gerade einem Anenkephalen zur Welt geholfen.
Manchmal sollte man froh sein, kein Arzt zu sein....
Dasselbe gilt am anderen Ende der Leiter....
Das sind Probleme und nicht das "schöne Leiden" der Philosophen.
... und haltet da die Juristen fern!!!
In diesem Sinne gute Nacht.
Re: Gottlob Frege und Platon
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 04.12.2009 um 08:09 Uhr (Zitieren)
Euer mißverstandener Γραικίσκος

Ich glaube, ich habe dich schon verstanden. Meine Realität um 22:33 war ins Bett zu gehen, um auch mein Gehirn/Gedanken zu regenerieren.
Nein, im Ernst:
Ich dachte an ein Gespräch mit einem ehemaligen Klassenkameraden, der Klassische Philologie und Philosophie studiert hat:
Ich fragte: "Du, was hast du eigentlich von der Philosophie gelernt?"
Er antwortete:" Ach, weißt du, Philosophie ist Luxus, Realität ist das Brot, das wir täglich essen müssen?"
Ich dachte kurz darüber nach und stellte dann fest, dass er den Nagel ziemlich auf den Kopf getroffen hatte....
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 04.12.2009 um 14:44 Uhr (Zitieren)
Ins Bett zu gehen, wenn man müde ist, ist immer gut. Und dann sollte man auch nicht mehr philosophieren.
Wenn Dein Freund, lieber Βοηθὸς, das so gesagt hat, Philosophie sei ein Luxus, dann wird das für ihn sicher auch stimmen. Aber es stimmt nicht für Sokrates, nicht für Giordano Bruno und auch nicht für Ludwig Wittgenstein (und manche andere, die ich hier nicht nenne). Philosophieren kann eine existentielle Wichtigkeit haben - wie übrigens auch das literarische Schreiben. Ein 'richtiger' Philosoph oder Schriftsteller betreibt keinen Luxus, sondern das Philosophieren bzw. Schreiben ist ihm ein Bedürfnis, so notwendig und selbstverständlich wie das Atmen. Es ist einfach eine bestimmte, freilich sehr spezielle Art zu leben.
Ich lese derzeit das voluminöse opus magnum von David Foster Wallace: "Infinite Jest" (Unendlicher Spaß), und man spürt auf jeder Seite, daß hier ein Mensch mit den Mitteln der Kunst, der Literatur um seine geistige Gesundheit kämpft. Wie wir wissen, hat er diesen Kampf verloren, aber er hätte nicht anders kämpfen können als durch Schreiben.
Genauso hätten Sokrates und Wittgenstein nicht anders leben können als philosophierend. Gerade bei Wittgenstein ist geradzu mit Händen zu greifen, wie er um eine Orientierung, um die Klärung von Verhältnissen kämpft, die ihn - laut seinem Tagebuch - dazu gebracht haben, über viele Jahre hinweg täglich an Suizid zu denken. In seinem Falle bestand das Problem erkennbar in der Angst, der Solipsismus könne recht haben - er, L.W., könne das einzige Wesen im ganzen Universum sein, zu dem er Zugang habe, eine vollständige Einsamkeit also. Wenn er nun versucht, die Falschheit des Solipsimus zu beweisen, dann geht es um sein Leben! Und leider muß man in diesem Falle sagen, daß diejenigen, die leichten Herzens sagen "ego solus ipse? - für mich kein Problem!" bestimmte Sachverhalte nicht verstanden und sich in ihrer eigenen Unwissenheit häuslich-komfortabel eingerichtet haben. Wäre der Solipsismus offenkundig falsch, wäre er ja kein Problem. Er ist aber vielmehr offenkundig wahr, wenn man Denken und Fühlen auf eine Weise deutet, wie es die ganze Tradition des neuzeitlichen Denkens getan hat ... und wie sie uns John hier immer wieder als seinen Standpunkt von der unumgänglichen und unentrinnbaren Subjektivität präsentiert.

Was nun mich, meine Person und die Art meines Auftretens hier im Forum angeht - woher wollt Ihr wissen, was für mich Realität ist und was meine Probleme sind, die Ihr anscheinend als 'nur' theoretischer Natur, als existentiellen Luxus anseht? Meint Ihr, ich säße hier in (m)einem Elfenbeinturm und bekäme nichts vom Leben mit? Sähe und erlebte keine Krankheiten? Keine 'wirklichen' Probleme? Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich einen Menschen an Krebs sterben sehen, als Βοηθός noch nichtmal in die Schule gegangen ist. Schüler, für die ich (mit)verantwortlich bin, unternehmen Suizidversuche oder schneiden an sich herum, verweigern das Essen oder treten ihren am Boden liegenden Kameraden ins Gesicht.
Meint Ihr, mein Pessimismus habe keinen 'ernsten' Hintergrund?

Noch etwas zum philosophischen Ausgangsproblem: Wir alle gehen ständig mit Menschen (und anderen Wesen) um und können sie recht gut als Menschen (oder andere Wesen) identifizieren. Ein 'normaler' Mensch gibt sich damit ohne weiteres zufrieden; einem Philosophen aber stellt sich dabei - zunächst unwillkürlich, es ist sein spezieller Blick - eine Frage: Wie machen wir das eigentlich? Woran erkennen wir das eigentlich? Ganz gewiß nicht daran, daß wir an ihnen Würde beobachten, denn 'Würde' ist ja erkennbar ein normatives Prädikat, kein deskriptives, auf Beobachtung beruhendes. Platon hat auf diese Frage eine berühmte Antwort gegeben, welche zu einer metaphysischen Interpretation der Wirklichkeit geführt hat, nämlich zur Annahme nicht-physischer, geistiger Objekte: der Ideen. Diese Antwort ist unhaltbar, und Wittgenstein zeigt das an seinem Spiele-Beispiel sehr gut. Ich habe keinerlei Argument dagegen hier in der Diskussion feststellen können.
Zur Frage des Realitätsbezuges dieses Problems: Es macht schon einen Unterschied, ob wir Embryonen als Menschen ansehen wollen oder nicht. Ob wir sie abtreiben dürfen oder nicht. [Und den existentiellen Hintergrund zu dieser Frage für meine Person erspare ich Euch.]

Zur Klarstellung: Ich bin hier niemandem böse oder auch nur verletzt - soviel Selbstbewußtsein und innere Ruhe habe ich schon (dank der Philosophie). Aber vermutlich nervt es mich doch ein wenig, mit welcher - wie ich finde: oberflächlichen, laienhaften - Einstellung hier die Philosophie eingeschätzt wird.
No hard feelings!
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 04.12.2009 um 14:51 Uhr (Zitieren)
Nachtrag zum Thema Solipsismus: Der Auslöser, der Wittgenstein zum Philosophieren gebracht hat, war eine Äußerung Schopenhauers: "Solange jeder sein eigenes Herz und seine eigene Hirnschale hat, solange sind wir allein, und keiner kann dem anderen helfen." Das bezieht sich natürlich nicht auf den Arzt, der mir mein gebrochenes Bein schient oder meinen Diabetes therapiert. Das geht ... tiefer?
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 04.12.2009 um 17:41 Uhr (Zitieren)
Zur Klarstellung meiner obigen Formulierung:

>>> Nach der Gewißheit folgt dann Verwirrung, anschließend Verstörung, manchmal Verärgerung, aber immer ein neuer Anstoß. <<<

Dies war selbstironisch gemeint! Verärgert bin ich allenfalls über mich selbst - meine laienhafte Unkundigkeit, meine unrichtige Interpretation oder andere Gedankenknicke meinerseits- aber nicht über andere, die hier ihre Gedankern äußern.

Als doch eher konservativ eingestellter Mensch dürfte es ganz heilsam sein, die eigene Auffassung infrage zu stellen (meine anthropozentrische Sichtweise wird man mir allerdings kaum austreiben können).

Daher finde ich ραικίσκος Anstöße und Beiträge auch so gut. Im Übrigen wäre die Philosophie wohl im selben Augenblick gestorben, wenn sich alle einig wären.
Re: Gottlob Frege und Platon
Λυκόμαχος schrieb am 04.12.2009 um 18:52 Uhr (Zitieren)
Γραικίσκος, sorry, das sollte kein Angriff gegen die Philosophen sein. Verzeih, wenn ich Dir zu nahe getreten bin. Ich selbst bin Nutznießer von Wittgenstein und seinen Folgen.... seither lassen sich Fragen anders und kritischer stellen. Das ist schon ein ganz realer Gewinn durch die Philsophie.
Zum Solipsismus gibt es übrigens eine Kritik, die dann allerdings auch nicht tröstlicher ist: Das Auge des Solipsisten kann sich selbst nicht sehen.... der Solipsist schließt nur daraus, daß er wahrnimmt, darauf, daß er ist (und da wären wir wieder bei Descartes).
Ich muß mich jetzt auf den Weg machen, sonst wird es zu spät...
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 04.12.2009 um 19:47 Uhr (Zitieren)
Ich für meine Person möchte klarstellen, daß ich niemandem hier böse bin; aber die Philosophie werde ich mit Leidenschaft und vollem Ernst verteidigen.
Der Solipsismus (in seiner praktizierten Form: der Egoismus) ist wirklich eine Sackgasse - aber eine, in der viele Menschen zugrundegehen.
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 04.12.2009 um 22:01 Uhr (Zitieren)
Ich präsentiere hier nichts, sondern versuche, Argumente dafür oder dagegen zu bringen. Wenn Du die Frage stellst, was die Leute im Forum von den Thesen dieses oder jenes Philosophen halten, dann musst Du davon ausgehen, dass sie antworten.
Man kann die Stimmung hier sehr gut beobachten und merkt, wer wie argumentiert. Und genau wie Du, lieber Γραικίσκος, die Philosophie "vertrittst", werde ich theologische Aspekte ansprechen, die mich auf die Begrenztheit des Menschen bringen.
Was soll ich tun? Hier stehe ich und kann nicht anders...
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 04.12.2009 um 22:08 Uhr (Zitieren)
Das ist schon in Ordnung, John. Entschuldige das "präsentieren"; aber ich hatte den Eindruck, daß Dein Subjektivitätsstandpunkt, zu Ende gedacht, auf den Solipsismus hinausläuft.
Was mich genervt hat (sowas kommt mal vor), war etwas anderes und hatte gar nichts mit Dir zu tun, auch nicht mit der Theologie, der man genausowenig wie der Philosophie unterstellen kann, daß es ihr nicht um ernste, existentielle Probleme geht.
Re: Gottlob Frege und Platon
John schrieb am 04.12.2009 um 22:26 Uhr (Zitieren)
Never mind.:)
Ich meine das Subjektive auch nicht als allzu enge Grenze, als eine Art Kleinzüchtung, der man sich selbst so lange unterzieht, bis man meint, der Einzige zu sein, der existiert - meintest Du das so?
Jedenfalls muss ich an Walter B. Jehova denken und mich gleichzeitig für heute verabschieden.
Gute Nacht!
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 04.12.2009 um 22:27 Uhr (Zitieren)
Gute Nacht!
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 05.12.2009 um 14:30 Uhr (Zitieren)

Der Solipsismus hat mir keine Ruhe gelassen und der Mensch ist m.E. hinsichtlich seines grundsätzlichen Potentials zu beurteilen, nicht nur nach den Merkmalen zahlreicher Einzelindividuen (die von unterschiedlichen Einflüssen geprägt sind).

Ein Alleinstellungsmerkmal des Menschen, das ihn m.E. auch vom Menschenaffen unterscheidet:

„Ideale“ – die Vorstellung davon, wie die Welt sein könnte oder sollte.

Der Mensch reagiert nicht nur auf die Welt, er agiert, indem er sich denkt, wie sie sein könnte und (manchmal) danach handelt. Nur deshalb sieht er auch in einem Anenzephalen usw. einen Menschen, obwohl rein biologisch kein Nutzen darin zu sehen wäre. Dies geht über Empathie hinaus, die auch Menschenaffen wohl entwickelt haben:

http://www.sueddeutsche.de/wissen/793/326657/text/
"Diese Gefühlsübertragung ist die älteste und einfachste Form der Empathie. Sie hat sich aus der Brutpflege entwickelt", erklärt de Waal. Menschenaffen dagegen hätten auch die höchste Stufe der Empathie erklommen: "Sie können sich in andere hineinversetzen." … sogar artenübergreifend: …wie ein Bonobo einen leicht verletzten Star im Gehege fand. Der Affe hob den Vogel auf, trug ihn zu der höchsten Stelle im Gehege, breitete ihm die Flügel aus und schubste ihn hinunter. Der Vogel flog davon.“
Menschen handeln aus Prinzipien heraus, die für sie gelten, auch wenn es ihnen keinen Nutzen bringt. Damit meine ich allerdings das Potential, dies zu tun. In der Realität herrscht wohl meist der Opportunismus vor… Interessen. Anders wären Handlungen schwer erklärbar, die Menschen trotz größter Gefahren und Nachteile für sich selbst, vollbracht haben: Luther, Gandhi, Lech Walesa u.v.a. . Das „ich kann nicht anders“ drückt es in gewisser Weise aus.
Nach ihren Idealen handeln natürlich auch Menschen, die nicht berühmt geworden sind. Ich halte den Solipsismus –formal nicht beweisbar, nicht widerlegbar – schon allein deshalb für abwegig, weil sich ein Wesen, das rein egoistisch angelegt wäre, dieses Konzept gar nicht denken würde.
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 05.12.2009 um 16:04 Uhr (Zitieren)
Es gibt etliche Eigenschaften & Fähigkeiten, welche nur Menschen haben, keine Tiere - wohl aber möglicherweise Außerirdische: Religion, Sprache mit abstrakten Zeichen usw.). Aber über diese Eigenschaften verfügen nicht alle Menschen.
Andererseits gibt es Eigenschaften, welche alle Menschen verbinden (ein Herz zu haben, z.B.), aber die wiederum teilen wir dann mit nichtmenschlichen Lebewesen.
Darauf reagiert ja Wittgenstein mit seinem Modell der "Familienähnlichkeiten":
Nehmen wir die Eigenschaften
a
b
c
d
e
f

Und nehmen wir nun die Individuen:
1
2
3
4

Dann kann es sich so verhalten:
1 hat a, b, d, e
2 hat c, d, e ,f
3 hat a, b, e
4 hat c, e, f

Auf diese Weise sind dann die Elemente (Individuen) einer natürlichen Klasse (Mensch, Spiele) verbunden, ohne daß es eine Eigenschaft gibt, die sie alle haben.
Bei Famlien ist es so: 3 Mitglieder haben die Müller-Nase, 4 die Müller-Augen, 3 den Müller-Mund usw. So ist diese Familie verbunden, ohne daß es eine allen gemeinsame Eigenschaft gäbe.

Für mich klingt das einleuchtend. Leider ist es für die von Platon begründete Metaphysik tödlich; zumindest kompliziert sich der Begriff der "Idee" sehr stark.

Das Problem des Solipsismus ist ein sehr schwieriges; es ist gewiß nicht leicht zu lösen.
Dazu habe ich mal ein Seminar gehalten und dafür Material gesammelt. Wen es interessiert: Bitte Signal geben.
Wittgensteins Lösung empfinde ich auch hier als sehr anregend; sie führt allerdings dazu, daß wir allen Prädikaten, welche mentale, psychische Vorgänge bezeichnen, eine völlig andere Bedeutung geben müssen, als es die Tradition getan hat. Dafür bringt er aber auch - ganz abgesehen davon, daß sich dann das Solipsismus-Problem nicht mehr stellt - sehr gute Gründe bei. Beispiel "Haß": Die Bedeutung dieses Wortes besteht dann nicht mehr in der Bezeichnung bestimmter innerer (psychischer) Vorgänge, sondern in der Art seines Gebrauchs im "Sprachspiel" (Leben mit Sprache). "Ich hasse dich!" heißt dann: Ich bin bereit, das & das zu tun.
Hauptargument: Wir lernen die Bedeutung von Wörtern im Rahmen des Sprachspiels. Dieser Lernvorgang - etwa wie Eltern ihren Kindern das Sprechen beibringen - kann sich aber gar nicht auf unbebachtbare innere Vorgänge beziehen, sondern nur auf Verhalten. Wenn ein Kind sagt: "Ich hasse meinen Teddy!" und ihm dabei einen Kuß gibt, dann werden die Eltern seinen Sprachgebrauch korrigieren wegen dieser Handlung, nicht wegen 'falscher Empfindungen', die sie ja gar nicht oder doch nur aufgrund des Verhaltens kennen.
Wenn wir die Bedeutung von Wörtern nur innerhalb ihres Gebrauchs beim Handeln lernen, dann - so Wittgenstein - können Wörter auch nur diese Bedeutung haben.
Und da wir Wörtern nur gemeinsam benutzen, können wir nicht allein sein. Solipsismus, ade!

Puh, das war eine Kurzform.

Ansonsten muß ich etwas zu meiner persönlichen Situation sagen: Wegen einer grundsätzlichen Veränderung meiner Lebensumstände (räusper!) werde ich auf absehbare Zeit an diesem Forum weniger teilnehmen können als bisher. Für mich ist das nichts Unangenehmes, vielmehr das Gegenteil.
Jedenfalls kann ich deswegen auch meinem Wunsch nicht folgen, an dem Griechischkurs weiter teilzunehmen, was mir für Andreas sehr leid tut.
Ich werde nicht vollständig hier verschwinden, nur weniger da sein.
Es gibt aber etwas, das versteht Ihr, was noch wichtiger ist als dies hier. Und ich kann nicht das Alte im bisherigen Umfange beibehalten und das Neue beginnen.
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 05.12.2009 um 16:12 Uhr (Zitieren)

Tja, lieber Γραικίσκος,

dann wünsche ich dir schon mal alles Gute bei der grundsätzlichen Veränderung deiner Lebensumstände!

Ich hoffe, dass du wirklich noch Zeit finden wirst, dieses Forum zu bereichern.

Übrigens, was Wittgensteins Spiel betrifft: er hat damit quasi die Rasterfahndung vorweggenommen, denke ich. Wenngleich natürlich mit einer ganz anderen Zielsetzung.
Re: Gottlob Frege und Platon
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 05.12.2009 um 16:19 Uhr (Zitieren)
Ich wollte dir auch nicht zu nahetreten, Γραικίσκος, mit meinen Statement.....aber Philosophie ist nicht alles (war es auch nicht bei den Griechen), aber vielleicht verstehst du jetzt, was ich mit "Realität" meine:
Deine eigene Aussage:
Es gibt aber etwas, das versteht Ihr, was noch wichtiger ist als dies hier. Und ich kann nicht das Alte im bisherigen Umfange beibehalten und das Neue beginnen.....
Viel Glück dabei, wünscht dir insbesondere Βοηθός!
Re: Gottlob Frege und Platon
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 05.12.2009 um 16:21 Uhr (Zitieren)
...und an ανδρέας:
ich bleibe dabei, mach nur so weiter mit ΚΑΝΘΑΡΟΣ....ich werde weiterhin hier immer mal reinschauen...
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 05.12.2009 um 16:22 Uhr (Zitieren)
Mensch, Βοήθός, ich war tatsächlich drauf & dran, den Satz fortzusetzen mit "... sogar wichtiger als Philosophie"! Aber dann habe ich mir gedacht: Einen derart dicken Widerspruch zu dem, was Du noch gestern behauptet hast, kannst du dir nicht erlauben, ohne für alle Zeiten deine Glaubwürdigkeit einzubüßen. Und doch ...
Re: Gottlob Frege und Platon
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 05.12.2009 um 16:24 Uhr (Zitieren)
....viel Glück und bleib trotzdem gelegentlich dabei!
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 05.12.2009 um 16:33 Uhr (Zitieren)
Das werde ich tun.
Re: Gottlob Frege und Platon
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 05.12.2009 um 16:37 Uhr (Zitieren)
Schön!
Re: Gottlob Frege und Platon
ανδρέας schrieb am 05.12.2009 um 17:12 Uhr (Zitieren)

Wenn ich die bisherigen philosophischen Beiträge rekapituliere, dann fällt mir eine Sache auf: Γραικίσκος zwingt dazu, logisch zu argumentieren.
Manchmal fällt es vielleicht nicht auf, aber ich denke, er ist derjenige, dem es immer wieder auffällt, wenn jemand seine Argumente nur auf Meinen und Wünschen stützt.

Lieber Γραικίσκος: aus meiner Sicht sind diese "Ordnungsrufe " (im positiven Sinne) sehr hilfreich.
Schön, wenn es so bleibt.
Re: Gottlob Frege und Platon
Ὑληβάτης schrieb am 06.12.2009 um 11:21 Uhr (Zitieren)
Wir lesen uns ja bestimmt wieder. Alles Gute, alter Brummbär. ;-)
Re: Gottlob Frege und Platon
Γραικίσκος schrieb am 06.12.2009 um 13:16 Uhr (Zitieren)
[Freude] Danke, Ὑληβάτης! Das werden wir sicher. [/Freude]
;-)
 
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