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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Wenn Mose ein Ägypter war... (1167 Aufrufe)
John schrieb am 11.12.2009 um 14:26 Uhr (Zitieren)
Über Wege und Umwege kam ich auf ein Buch von Sigmund Freud, das den Titel "Der Mann Moses und die monotheistische Religion" trägt.
Freud, der ja selbst Jude war, vertritt darin die These, Mose sei ein Ägypter gewesen, der dem - von Echnaton eingesetzten - monotheistischen Aton-Kult an hing. Als dieser sich nicht gegen die polytheistische Praxis unter Echnatons Nachfolgern durchsetzen konnte, habe Mose einige Menschen um sich geschart und sei mit ihnen durch die Wüste nach Kanaan gezogen, um die dortigen Völker zu bekämpfen und so schließlich Platz für ein neues Volk zu schaffen.
Diesen Gedanken aufnehmend, könnte man die folgenden - und vielleicht noch mehr - Thesen anführen, die dafür sprechen:
1. Die Etymologie. Der Name Mose stammt nicht von der Wurzel mšh (hebr. "ziehen"), sondern von mśj (ägypt. gebären), was selbst für einen in Ägypten geborenen Juden absolut untypisch wäre.
2.1 Der Monotheismus. Die Juden waren anfangs selbst Polytheisten. Dafür spricht z.B. die anfängliche Verehrung der Aschera - der Gemahlin JHWHs.
2.2 Das Verhalten der Israeliten. Immer wieder verstoßen sie gegen das geforderte monotheistische Weltbild und beten Götzen an, was als Rückfall in den Vielgötterglauben verstanden werden könnte.
3. Der Todfeind Ägypten. Es wird immer wieder davor gewarnt, nach Mizrajim zurückzukehren, so bspw. im "Königsgesetz" (Dtn 17). Das spräche für die Identitätsfindung oder - böse gesagt - Geschichtsumschreibung es Volkes Israel, das seine eigentliche Herkunft verschleiern möchte.

Ich denke, man kann zu jedem Punkt Gegenargumente finden, aber interessant ist doch, dass sich sowohl durch die biblische Darstellung, als auch durch die Freud'sche jeweils ein geschlossenes System ergibt.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Γραικίσκος schrieb am 11.12.2009 um 14:34 Uhr (Zitieren)
Eine modernere Darstellung des Themas:
Jan Assmann: Moses der Ägypter. München/Wien 1998

Auffallend: Moses ist in keiner ägyptischen Quelle bezeugt, ebensowenig wie die Anwesenheit des jüdischen Volkes daselbst.
Echnatons Monotheismus zeigt zudem deutlich andere Züge als die jüdische Religion, und zwar sowohl in ihrer polytheistischen, als auch ihrer monolatristischen oder späteren monotheistischen Version.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Ὑληβάτης schrieb am 11.12.2009 um 14:40 Uhr (Zitieren)
Sicher lassen sich einige Gegenargumente finden.
Kannst Du vorher aber noch etwas erläutern?
1. Muss Mose von mśj abgeleitet sein, oder ist das nur eine These?
2.1 Taucht Aschera irgendwo auf?
4. Was meinst Du mit der "biblischen Darstellung"? Das Gegenkonzept zu Freud, dass nämlich die Israeliten tatsächlich Israeliten waren und aus der Fremde nach Hause gegangen sind?
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Γραικίσκος schrieb am 11.12.2009 um 14:43 Uhr (Zitieren)
Man nimmt an, daß der Psalm 104 auf Echnatons "Aton-Hymnus" zurückgehen könnte. Allerdings ist auch dort der letzte Vers völlig 'unechnatonisch'.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Ὑληβάτης schrieb am 11.12.2009 um 14:54 Uhr (Zitieren)
Ein Freund von mir hat mal zu diesem Thema eine Menge Theorien gesammelt. Ich habe noch ein Heftchen, das er gemacht hat, hier rumliegen.
Die Theorie verstehe ich - aber ist das auch wetterfest? Dabei meine ich Johns Ausführung, nicht das echnatonische.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
John schrieb am 11.12.2009 um 15:03 Uhr (Zitieren)
Bei Etymologien ist das ja immer so 'ne Sache...;)
1. Dass Mose von der ägypt. Wurzel abgeleitet werden kann, ist eine Vermutung, genau wie, dass es die hebr. sein muss.
2.1 Aschera muss auf in die elohistischen Tradition (El[ohim]) zurückgehen. Das Deuteronomium, dem ja Geschichtsumschreibung unterstellt wird, beinhaltet die Stelle:
Du sollst dir keinen Holzpfahl als Ascherabild errichten bei dem Altar des HERRN, deines Gottes, den du dir machst.

(Dtn 16,21)

3. Die biblische Darstellung unterscheidet sich insofern von Freud, als sie die Israeliten als solche behandelt. Dreh- und Angelpunkt ist die Geschichte / Novelle von Josef, der von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft wird. Israel, d.h. die Nachkommen der Erzeltern, hat also schon vorher in Kanaan gelebt! Nach Freud wäre der Exodus dagegen die erste Bewegung dieses Volkes nach Kanaan.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
John schrieb am 11.12.2009 um 15:05 Uhr (Zitieren)
Aschera muss auf in die elohistische Tradition (El[ohim]) zurückgehen...
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Ὑληβάτης schrieb am 11.12.2009 um 15:23 Uhr (Zitieren)
Ach so. Danke.

Gibt es eigentlich eine Verbindung vom Judentum zur persischen Religion? Ich bin nur mal drauf gestoßen, dass es im Zoroastrismus diesen starken Dualismus gibt, in den der Mensch hineingerät. Und ich bin drüber gestolpert, dass Kyros nicht nur sehr positiv in der Bibel erwähnt wird, sondern auch noch die Rückkehr der Israeliten und den Aufbau des Tempels angewiesen hat. Ein Goi!
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
John schrieb am 11.12.2009 um 17:03 Uhr (Zitieren)
Meinst Du Verbindungen, was die Anfänge der Religionen betrifft? Das ist schwer zu sagen, denke ich. Jerusalem geht wahrscheinlich auf eine alte kanaanäische Stadtgottheit zurück, JHWH könnte die hebr. Wurzel für "Wehen" sein und damit auf eine bestimmte - ich hoffe, ich erzähle jetzt keinen Unsinn - Religion auf der Sinai-Halbinsel zurückgehen... Alles sehr verworren, oder?
Und zu Kyros: Die Juden haben in ihrer Geschichte der Fremdbestimmung immer wieder fremde Herrscher gelobt. Es gibt auch Buhmänner wie Antiochus Epiphanes (morgen ist Chanukka!) oder Hadrian, der die Frechheit besaß, die römische Provinz "Palästina" nach den garstigen Philstern zu benennen.;)
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Ὑληβάτης schrieb am 13.12.2009 um 11:32 Uhr (Zitieren)
Oder die Anfänge der Religion. Der jüdischen.
Es ist doch interessant, dass in zwei Exilen Religionen auftauchen / sind, die gar nicht so anders sind als die jüdische, während in der restlichen Welt der krasse Polytheismus fröhlich weiterfeiert.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Γραικίσκος schrieb am 13.12.2009 um 13:55 Uhr (Zitieren)
Welche andere meinst Du außer dem Islam?
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Ὑληβάτης schrieb am 13.12.2009 um 16:49 Uhr (Zitieren)
Tschuldigung, vergessen.
Der Zoroastrismus/Parsismus hat einen starken Dualismus zwischen dem Guten (Ahura Mazda) und dem Bösen (Ahriman). Der Mensch muss sich auf einer moralischen Ebene zwischen den beiden entscheiden. Da Ahura Mazda quasi der Chef der guten Seite ist und es Propheten gibt (z.B. Zoroaster), meine ich von Parallelen zum Judentum gelesen zu haben. Wenn in der Darstellung ein Fehler ist, ist es meiner und bereitet mir große Schuldgefühle.
Das sind die zwei Exile: Ägypten und Babylon.
Die zwei Religionen sind: Echnaton und Zoroastrismus.
Allerdings habe ich nie richtig nachgeforscht, ab wann es den Zoroastrismus gibt, ob Kyros ihm angehörte und ob es wirklich Parallelen gibt. Ich bin bisher nur davon ausgegangen.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
ανδρέας schrieb am 13.12.2009 um 17:04 Uhr (Zitieren)

Der Zoroastrismus ist ca. 1800 -600 vor Christus entstanden und hat wohl auch das Judentum beeinflusst. Die Idee des Monotheismus ist also schon recht alt. Himmel und Hölle, Engel und der Teufel stammen aus dieser Denkrichtung. Sie war im Judentum vorher nicht bekannt.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Ὑληβάτης schrieb am 13.12.2009 um 17:15 Uhr (Zitieren)
Aber woher haben wir unser Wissen - oder unsere Vermutungen?
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
ανδρέας schrieb am 13.12.2009 um 17:38 Uhr (Zitieren)

z.B.

http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Zoroastrismus.html

"Zarathustras Lehren sind über das Judentum (babylonische Gefangenschaft) auch in das Christentum eingeflossen und sind von ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen."
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Ὑληβάτης schrieb am 13.12.2009 um 17:44 Uhr (Zitieren)
oder Wikipedia, s.v. Zoroastrimus: "Zarathustras Lehren sind über das Judentum (s. Babylonisches Exil) auch in das Christentum eingeflossen und in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen."
Hups! Fällt Dir was auf?
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
ανδρέας schrieb am 13.12.2009 um 17:49 Uhr (Zitieren)

Da wird sich der Wikiautor wohl bedient haben ...

Wir werden der Uni-Quelle sicher glauben können.
Es ist jedenfalls logisch, dass ein gefangenes Volk nur durch Besinnung auf eine starke abgrenzende Religion (Monotheismus) seine Kultur bewahren kann, sonst wäre die Assimilation unausweichlich gewesen. Die Priester hielten das Volk mit der Religion zusammen.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Ὑληβάτης schrieb am 13.12.2009 um 18:09 Uhr (Zitieren)
Interessant ist auch der Wikipedia-Artikel zum babylonischen Exil, Stichworte: Gefangenschaft, Darstellung in der Bibel.
598 - 539 war das Exil

Im Uni-Protokolle Lexikon steht"Dieser Artikel von Wikipedia unterliegt der GNU FDL." - Die Formatierung des Artikels sieht auch stark nach Wikipedia aus!
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
ανδρέας schrieb am 13.12.2009 um 18:40 Uhr (Zitieren)

In finde die Stelle mit den 10 bibl. Plagen (Flucht aus Ägypten) sehr aufschlussreich: Moses gegen den Pharao (vtl. Ramses II). der hebräische Gott erweist sich als der stärkere - der Überlebensmytos schlechthin, es ist aber auch erstaunlich, dass nach all diesen Schicksalen bis in die Neuzeit das jüdische Volk überleben konnte. Da brauchte man ein starkes Band, um den Zusammenhalt zu sichern. Wenn nicht religiös dann jedenfalls historisch quasi ein - erfreuliches - Wunder.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Ὑληβάτης schrieb am 13.12.2009 um 21:51 Uhr (Zitieren)
Zur "starken abgrenzenden Religion" habe ich mal gelesen, dass viele der Reinheits- und Speisegebote u.a. den Zweck gehabt haben könnten, dass man sich abgrenzt.
Du hast Recht; das ist ein starkes Band (geblieben).
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
ανδρέας schrieb am 14.12.2009 um 19:21 Uhr (Zitieren)

Bis in die heutigen Tage wirkt sich die Abgrenzung auch sehr persönlich auf die Menschen in Israel aus: der Staat akzeptiert keine Ehen mit „Ungläubigen“. Daher heiraten die Betroffenen in Zypern. Im Ausland geschlossene gültige Ehen haben dann auch im Heimatland Gültigkeit:

http://www.sueddeutsche.de/leben/799/483247/text/

das ist heutzutage etwas befremdlich. Andererseits muss man sehen, dass der Staat unter starkem Druck steht und sich einen Konflikt mit orthodoxen Gruppen kaum wird leisten können, wenn er den Zusammenhalt nicht gefährden will. Man hat dort genug andere Probleme
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
John schrieb am 15.12.2009 um 00:36 Uhr (Zitieren)
Mal wieder Sloterdijk...
Es ist erstaunlich! Immer, wenn ich mir ein neues Buch von ihm kaufe, vergisst er nicht, ein biblisches Thema anzusprechen (daher die Umwege zu Freud); in diesem Fall zu Jacques Derrida, dem Dekonstruktivisten - ein Thema, das gut zur Fregediskussion passen würde. Dazu bräuchten wir allerdings die Stimme von Γραικίσκος .
Sl's neues Buch - endlich in meinem Besitz - beginnt mit dem Satz:
"Es geht ein Gespenst um in der westlichen Welt, das Gespenst der Religion."
Diese Anspielung auf Marx beinhaltet eine geradezu explosive Forderung, die auf den übenden Menschen zielt... Wie auch immer und gegen die Kontextuierung aus Karlsruhe: Der von Nietzsche in noch explosiverer Form postulierte Tod des Einen scheint seine geisteswissenschaftliche Auferstehung zu begehen - ob Mose nun Ägypter war oder nicht...;)
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Ὑληβάτης schrieb am 16.12.2009 um 11:49 Uhr (Zitieren)
Solche Dinge wie "die auf den übenden Menschen zielt" verstehe ich nicht. Da komme ich rein sprachlich nicht mit.
Was mich aber interessiert ist dieses: Die Überschrift hier lautet: "Wenn Mose ein Ägypter war ..." Drei Punkte sind immer ein Anreiz für Neugierde. Was ist denn dann?
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
John schrieb am 16.12.2009 um 14:37 Uhr (Zitieren)
Nochmal zur Quellenlage:
Es ist denkbar, dass die (vermutlichen) Vorfahren der Hebräer - die Apiru - in Ägypten Frondienste leisten mussten. Sie werden in zwei Briefen aus der Zeit Ramses II. erwähnt. Man geht davon aus, dass das von Trockenperioden geplagte Land Kanaan seine Bewohner - Nomaden - nicht immer mit genügend Nahrung versorgen konnte und diese deshalb immer wieder nach Süden geflohen sein müssen.

Und zur eigentlichen Frage:
Wenn Mose ein Ägypter war, dann wäre das aus rein historischer Sicht als Randnotiz ein ganz kleines bisschen interessant.
Aus jüdischer Perspektive wäre es ein Identitätsverlust ohnegleichen. Sie haben sich ja immer als Volk, nicht vordergründig als Religion, verstanden und brauchen daher geradezu die Gewissheit, eben nicht nur ein, sondern das auserwählte Volk zu sein!
Letztlich entscheidet sich also - theologisch vielleicht nicht zwingend - an der Herkunft des Mose, ob die Juden, die heute noch in seiner Sukzession stehen, wirklich auserwählt sind oder nicht, den Messias zu empfangen und in Israel zu leben. Als würdige Nachfolger und Bewahrer der Tradition.

Du siehst: Darin steckt viel Zündstoff.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
John schrieb am 16.12.2009 um 14:51 Uhr (Zitieren)
Beim "übenden Menschen" geht es, wie so oft in der Philosophie, darum, ein erklärendes System zu entwickeln, um das Phänomen "Mensch" ganz und möglichst in einem Wort zu erfassen...
Es gibt viele Vorschläge: Der homo oeconomicus, der homo faber, das vernunftbegabte Tier etc. - über verschiedene Anthropologien kann Γραικίσκος sicher mehr sagen.
Jedenfalls schlägt Sloterdijk vor, man könne den Menschen als Übenden ganz erfassen. Jeder erschafft sich selbst, indem er seiner Profession nachgeht. Der Maurer mauert, der Zimmermann zimmert, der Philosoph philosophiert - und zwar unter der Voraussetzung, morgen mindestens so gut wie heute, möglichst aber besser zu sein.
Ich halte von der Beobachtung an sich sehr viel, empfinde so ein - immer nur leistendes - Prinzip aber als sehr gefährlich.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
ανδρέας schrieb am 16.12.2009 um 18:03 Uhr (Zitieren)

Läuft die Idee vom "übenden Menschen" nicht einfach auf die calvinistische Arbeitsethik hinaus ? Leistungsprinzip und ständige Vervollkommnung ...

Vielleicht schlägt bei Sloterdijk einfach die niederländische (calvinistische) Prägung seines Vaters mehr durch, als man bei dessen kurzer Anwesenheit im Leben des Sohnes glauben möchte ...
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
John schrieb am 16.12.2009 um 21:59 Uhr (Zitieren)
Ich denke, dass sich Sloterdijk seiner Rolle auf der Weltbühne durchaus bewusst ist.
Natürlich kann man - danke für diesen Einschub - nie unabhängig der eigenen Herkunft philosophieren, auch nicht mit dem Hammer.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
ανδρέας schrieb am 17.12.2009 um 21:02 Uhr (Zitieren)

Wer auch nur einmal nach dem Hinweis, man möge sich doch anstrengen, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, in die verständnislosen Augen seines Gegenüber, dem aus seinem bis zu den hängenden Schultern reichenden Mund kein Laut entfahren mag, geblickt und dem überforderten, sich mühsam und gequält auf gebeugten Knien haltenden Spross einer überfütterten Gesellschaft mitzuteilen versucht hat, dass der Platz zwischen den Ohren durch Übung sinnvoll genutzt werden kann, mag ermessen, dass ein Leben nach dem Hirntod möglich ist.

Das Spektrum der menschlichen Antriebe ist sehr weit und der Wille zur Vervollkommnung stellt nur die eine Seite dar. Der „übende“ Mensch erklärt als Begriff DEN Menschen m.E. zu euphemistisch und lässt sich durch die dünne Firnis der Zivilisation blenden. Stößt man sie an, blättert sie bei vielen schnell ab.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
John schrieb am 17.12.2009 um 21:15 Uhr (Zitieren)
Gut gesprochen.
Im Hintergrund des Buches steht die berühmte Rede Sloterdijks auf Schloss Elmau "Regeln für den Menschenpark". Dort fordert er, wer auch immer solle einen "Kodex der Anthropotechniken" formulieren, um den gescheiterten Humanismus als Zucht- und Zähmungsinstanz zu ersetzen.
Wenn wir auf der einen Seite keinen einheitlichen Bücherkanon mehr haben, der die Menschen in ihrer Bestialität hemmt, wer oder was dann? Die Weisen sind tot, Gott ist tot. Nur noch ein paar Archivare steigen in ihre Katakomben hinab, um die klassische Lektüre zu studieren... So die Argumentation Sloterdijks.
Ich weiß nicht, ob das entweder ganz als Anthropologie oder ganz als Aufforderung zu verstehen ist. Oder doch ein Mittelweg?
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
ανδρέας schrieb am 17.12.2009 um 21:24 Uhr (Zitieren)

Ja, Sloterdijk sagt es gut: Archivare bewegen nichts mehr.

Es wird m.E. immer relativ wenige geben, die der Masse vernünftige Regeln und sinnvolles Wissen vermitteln und im weitesten Sinne leiten können. Demokratisch zwar, aber eben nicht gestützt auf das Meinen und Wollen der Masse, die sich ihre Bedürfnisse als Maßstab für ihr Handeln setzen. Wer dann nicht die Eier legende Wollmilchsau verspricht, wird abgelehnt. Nur der Mittelweg kann funktionieren. Die Aufklärung ist noch lange nicht abgeschlossen.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
John schrieb am 17.12.2009 um 21:32 Uhr (Zitieren)
Aber wer klärt wie auf? Ich meine, durch welches Medium kann das gelingen?
Internet und Fernsehen wären die heißesten Kandidaten, denn sie erreichen viele Menschen.
Aber abgesehen von einigen Milieusendern wie Phoenix oder das hier im Forum beliebte 3sat, die heute ja nun wirklich keinen mehr interessieren, ist da nicht viel los.
Deshalb der Vorschlag Sl.'s, der wenigstens den Pluralismus in den vielen und im einzelnen (!) Menschen wahrnimmt. Der Mensch erschafft sich selbst.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
ανδρέας schrieb am 17.12.2009 um 21:42 Uhr (Zitieren)

Der Mensch hat sich immer selbst erschaffen. Die Medien sind da und reagieren auf die Nachfrage der Konsumenten. Diese Medien sind nicht aufzuhalten - auf Dauer auch in China nicht. Fragt sich, ob die Leute sie auch sinnvoll nutzen. Nichts gegen Unterhaltung, aber die Frage nach Zensur steht ja im Raum. Wo sollte man kontrollieren und aufklärend wirken, wo übertreibt man die Bevormundung. Die Menschen sind vielgestaltig und ebenso ihre Bedürfnisse und der Umgang mit Wissen und Medien.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
John schrieb am 17.12.2009 um 21:53 Uhr (Zitieren)
Der Mensch hat sich immer selbst erschaffen.

Das wäre dann aber ein schon aufgeklärtes, aber nicht aufklärerisches Modell. Solche Imperative wie "Du mußt dein Leben ändern" spricht nur ein Weiser aus. Oder die Bibel: Ändert euer Leben! (Mt 3)
Warum diese Aufforderungen, wenn der Mensch als Massenbegriff sich schon immer selbst erschaffen hätte? Und vor allem: Wie heute?
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
ανδρέας schrieb am 17.12.2009 um 22:20 Uhr (Zitieren)

Ich meine damit, dass sich der Mensch aus seinem Zielsetzungen definiert - auch, wenn er keine hat. Wer kein Ziel hat, dem ist jeder Weg zu weit, er bleibt wo er ist. Wer sich Ziele setzt kann sich entwickeln. Manche brauchen Anstöße von außen: "Ändert euer Leben". Andere schaffen es von alleine. Auch heute.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Ὑληβάτης schrieb am 18.12.2009 um 10:39 Uhr (Zitieren)
Watzlawick würde wahrscheinlich sage, dass es niemanden ohne Zielsetzung gibt. So mancher Teenager hat wahrscheinlich einfach die Zielsetzung, sich so wenig wie möglich oberhalb seiner Handgelenke zu bewegen, schon gar nicht außerhalb seines ... Computers.
Danke, das war interessant, aber darf ich kurz auf das ursprüngliche Thema zurückkommen:
Es ist denkbar, dass die (vermutlichen) Vorfahren der Hebräer - die Apiru - in Ägypten Frondienste leisten mussten. Sie werden in zwei Briefen aus der Zeit Ramses II. erwähnt. Man geht davon aus, dass das von Trockenperioden geplagte Land Kanaan seine Bewohner - Nomaden - nicht immer mit genügend Nahrung versorgen konnte und diese deshalb immer wieder nach Süden geflohen sein müssen.
Auffallend: Moses ist in keiner ägyptischen Quelle bezeugt, ebensowenig wie die Anwesenheit des jüdischen Volkes daselbst.
Sind die erwähnten Apiru (ausländische) Nomaden in Ägypten?
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Γραικίσκος schrieb am 18.12.2009 um 12:53 Uhr (Zitieren)
Was meine Aussage angeht: So habe ich es bei Jan Assmann gelesen. Als Ägyptologe sollte er das wissen.
Daß Moses ein ägyptischer Name ist (wie in Thutmoses), setzt er voraus.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Ὑληβάτης schrieb am 18.12.2009 um 15:50 Uhr (Zitieren)
Natürlich hätte ich zuerst bei Wikipedia nachschauen müssen, s.v. "Apiru" / "Hebräer". Das macht die Sache aber nicht einfacher!
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
John schrieb am 18.12.2009 um 21:04 Uhr (Zitieren)
Das ganze Problem ist, wie immer in der Wissenschaft, dass wir nur mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten können. Dass Mose ein ägyptischer Name sein muss, ist Unsinn, da das Alte Testament die Etymologie in Ex 2,10 selbst vorgibt, die man nicht vernachlässigen darf.
Und was die Einwanderung nach Kanaan angeht, so gibt es mindestens 4 - ernsthaft diskutierte - konkurrierende Modelle.
Immerhin sprechen wir hier von einer Zeit vor 1600 Jahren!
Aus späterer Zeit haben wir dann die Merenptah-Stele (1208 v. Chr.), die von Israel als Land(-schaft) spricht:
"Israel ist vernichtet und hat kein Saatgut mehr."
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Ὑληβάτης schrieb am 18.12.2009 um 21:54 Uhr (Zitieren)
Dass Mose ein ägyptischer Name sein muss, ist Unsinn, dass er es sein kann nicht, oder?
Ich finde das Argument, dass er sich in die Reihe der ägyptischen Namen einfügt, gar nicht so schlecht. Die Etymologie kann auch eine Volksetymologie sein.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
John schrieb am 18.12.2009 um 22:02 Uhr (Zitieren)
Genau darauf wollte ich hinaus. Es muss nicht sein, ist aber durchaus denkbar und wird deshalb von vielen diskutiert - auch an theologischen Fakultäten.

Sieht man sich einmal die engen Verbindungen, die Israel zu Ägypten hatte, an, und betrachtet dann Texte wie den Dekalog, in dem die Ägyptenfeindlichkeit gleich am Anfang steht, wird man ideologische Argumente finden, um Mose zu einem Ägypter zu machen.
Die grundsätzliche Frage ist, was das ändern würde! Wir Mitteleuropäer sind am weitesten davon entfernt, dieser Ägyptisierung eine Bedeutung beizumessen.
Für viele Söhne Israels kann es allerdings von enormer Wichtigkeit sein...
Wir brauchen starke Geschichte.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
Ὑληβάτης schrieb am 18.12.2009 um 22:08 Uhr (Zitieren)
Ideologische Argumente ... von israelfeindlicher Seite?

Soweit ich gelesen habe, spielt Ägypten bei den Freimaurern eine Rolle - zumindest bei den historischen, auch wenn ich die Namen vergessen habe. Die haben sich dann Gedanken um die Hieroglyphen gemacht. Dass Jesus in Ägypten war, wurde in Esoterikkreisen auch schon ausgeschlachtet. Dass unsere westliche Tradition durchaus ihre Wurzeln auch in Ägypten haben könnte, könnte man dadurch betonen - oder diesen Zusammenhang erst herstellen.
Herkunft adelt ja, besonders, wenn sie von einer Hochkultur stammt.
Re: Wenn Mose ein Ägypter war...
John schrieb am 18.12.2009 um 22:18 Uhr (Zitieren)
Ideologische Argumente von ägyptenfeindlicher Seite! Es wird sehr sehr oft im Alten Testament gewarnt, auch nur einen Fuß in dieses Land zu setzen. Ägypten bedeutet Knechtschaft und Unfreiheit - ein eigenes Land Selbstbestimmung und Freiheit.
"Nie wieder Fremdherrschaft!", so könnte ein Satz aus jüdischer Perspektive heißen, der heute nur deshalb aktueller ist, weil er auf die Stufe der Weltpolitik gehoben worden ist.
Aber Deine Kulturfrage finde ich sehr interessant. Woher stammt man? Mit wem identifiziert man sich?
Israel hat sich immer mit seiner Auserwähltheit identifiziert und die eigene Kultur und damit Identität mit der (ideologischen, d.h. passiven) Brechstange verteidigt.
Heute hat es Freunde, die die politische Brechstange schwingen...
 
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