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Eine kritische Würdigung der Demokratie in Athen #1 (425 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 07.01.2022 um 15:51 Uhr (
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Pseudo-Xenophon, Die Verfassung der Athener I 1-9:
Was aber die Verfassung der Athener angeht, dass sie sich für diese Art der Verfassung entschieden haben, lobe ich nicht, deswegen, weil sie sich damit zugleich dafür entschieden haben, dass es den schlechten Leuten besser geht als den guten [ὅτι ταυθ‘ ἑλόμενοι εἵλοντο τοὺς πονηροὺς ἄμεινον πράττειν ἢ τοὺς χρηστούς]: Deswegen also lobe ich das nicht. Da sie dies aber nun einmal so beschlossen haben – dass es gut ist, wie sie ihre Verfassung bewahren und auch die anderen Dinge ausführen, die sie den anderen Griechen falsch zu machen scheinen, das will ich jetzt beweisen.
Zuerst also werde ich dies aussprechen, dass hier die Armen und das Volk mit Recht beanspruchen, mehr zu haben als die Vornehmen und Reichen, deswegen, weil das Volk es ist, das die Schiffe rudert (1) und dadurch der Stadt ihre Macht verschafft, und die Steuerleute, die Bootsleute, die Unterabteilungs-Kommandanten, die Vorderdeckwarte und die Schiffszimmermänner – diese sind es, die der Stadt ihre Macht verschaffen, weit mehr als die Hopliten, und die Vornehmen und die Guten. Da sich dies also so verhält, erscheint es nur gerecht [δίκαιος], dass alle an den Ämtern Anteil haben, sowohl bei der jetzt üblichen Losung als auch bei der Wahl (2), und dass es jedem Bürger, wer auch immer will, erlaubt ist, öffentlich zu reden [καὶ λέγειν ἐξεῖναι τῷ βουλομένῳ τῶν πολιτῶν].
Ferner diejenigen von den Ämtern, die Rettung bringen, wenn sie gut ausgeübt werden, und wenn nicht gut, Gefahr für das Volk insgesamt: An diesen Ämtern verlangt das Volk keine Teilhabe (weder an den Strategenstellen glauben sie durch das Los Anteil haben zu müssen noch an den Hipparchenstellen). Denn das Volk erkennt, dass es größeren Nutzen davon hat, diese Ämter nicht selbst innezuhaben, sondern es den Fähigsten zu überlassen sie auszuüben. Alle Ämter aber, die mit Diäten verbunden sind und Nutzen ins Haus bringen, diese sucht das Volk auszuüben.
Dann, worüber sich einige wundern: Dass sie in allen Bereichen den schlechten, armen und zum Volk gehörigen Leuten mehr zuteilen als den guten – genau darin bewahren sie, wie sich zeigen wird, die Demokratie. Die Armen nämlich und die aus dem Volk und die schlechteren Leute, wenn sie gut gestellt sind und solche Menschen groß an Zahl werden, werden die Demokratie wachsen lassen. Wenn aber die reichen und die guten Leute gut gestellt sind, machen die dem Volk zugehörigen Leute [δημοτικοί] das ihnen entgegengesetzte Element stark.
(Pseudo-Xenophon: Die Verfassung der Athener. Hrsg. v. Gregor Weber. Darmstadt 2010, S. 44-47)
(1) Athen war eine Seemacht, und die Schiffe wurden von der untersten Bevölkerungsklasse, den Theten, gerudert.
(2) Die meisten Ämter wurden ausgelost, einige wenige (vor allem das Amt der Strategen) durch Wahl vergeben.