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Dionysios stellt die etruskische Frage #1 (382 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 24.03.2022 um 13:20 Uhr (
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Die etruskische Frage ist die nach der Herkunft dieses bemerkenswerten Volkes.
Zum ersten Mal diskutiert und mit einem Ansatz zur Systematik behandelt hat sie Dionysios von Halikarnassos, Römische Frühgeschichte I 26, 2 – 30, 4:
26. [...] Die Tyrrhener aber erklären die einen zu Ureinwohnern Italiens, die anderen zu Einwanderern. Was nun ihren Namen betrifft, so behaupten die Autoren, die das Volk einheimisch sein lassen, er sei ihnen nach den befestigten Plätzen gegeben worden, die sie als Erste der dortigen Siedler errichtet hätten. Tyrseis [τύρσεις, Türme] würden nämlich auch bei den Tyrrhenern (1) genauso wie bei den Griechen die mit Mauern umgebenen, überdachten Gebäude genannt. Nach dieser Eigenheit haben sie ihrer Meinung zufolge ihren Namen bekommen [...].
27. Diejenigen Autoren aber, die in Form einer Sage erzählen, sie seien Einwanderer, lassen Tyrrhenos den Anführer ihres Siedlungsunternehmens sein; er habe dem Volk seinen Namen gegeben. Seiner Herkunft nach sei er ein Lyder aus der Gegend, die früher Mäonien hieß, und sei natürlich schon in alter Zeit eingewandert. Er sei der fünfte in einer Reihe von Zeusnachkommen. Sie behaupten dabei, Manes, ein Sohn des Zeus und der Ge [Γῆ], sei in diesem Land der erste König gewesen. Als sein und der Okeanostochter Kallirrhoe Sohn sei Kotys geboren worden. Kotys aber, der Halie, die Tochter des erdentsprossenen Tyllos, heiratete, habe zwei Söhne gehabt, Asies und Atys.
Von Atys und Kallithea, der Tochter des Choraios, stammten Lydos und Tyrrhenos ab. Lydos nun sei dort geblieben, habe von seinem Vater die Herrschaft übernommen, und nach ihm sei das Land Lydien genannt worden. Tyrrhenos habe das Siedlungsunternehmen angeführt, einen großen Teil Italiens erobert und den Teilnehmern an seinem Zug seinen Namen gegeben.
Von Herodot aber werden Tyrrhenos und sein Bruder Söhne des Manessohns Atys genannt, und er behauptet (2), die Auswanderung der Mäonier nach Italien sei nicht freiwillig erfolgt. Er erzählt nämlich, während der Herrschaft des Atys habe es im Land der Mäonier eine Missernte gegeben. Die Menschen aber hätten sich, bestimmt von der Liebe zu ihrem Land, eine Zeitlang viele Abwehrmaßnahmen gegen das Unglück ausgedacht und an einem Tag nur wenig zu sich genommen, am anderen ganz ohne Nahrung durchgehalten. Als aber das schreckliche Geschehen andauerte, hätten sie das ganze Volk in zwei Hälften geteilt und über die beiden Gruppen Lose geworfen, das eine zum Verlassen des Landes, das andere zum Bleiben, und von den Söhnen des Atys hätten sie den einen dieser, den anderen jener Gruppe zugewiesen. (3)
Als nun aber auf den Teil, zu dem Lydos gehörte, das Los zu bleiben fiel, habe die andere Gruppe von dem gesamten Besitz ihren Anteil erhalten und dann das Land verlassen. Sie sei im westlichen Italien gelandet, wo Umbrer siedelten, sei dort geblieben und habe Städte angelegt, die auch zu seiner (Herodots) Zeit noch standen.
(Dionysios von Halikarnassos: Römische Frühgeschichte. Hrsg. v. Alfons Städele. 4 Bde. Darmstadt 2020; Bd. 1, S. 42-49)
(1) Τυρρηνοί ist die attische Form für das in den meisten griechischen Dialekten übliche Τυρσηνοί.
(2) vgl. Herodot I 94
(3) Herodot berichtet nur von Atys und einem Sohn, nämlich Tyrsenos.