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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Athen in antiker Schilderung (255 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 20.06.2022 um 14:42 Uhr (Zitieren)
Herakleides Kretikos (3. Jhdt. v.u.Z.), Über die Städte in Griechenland:
Von dort gelangt man zur Stadt der Athener. Der Weg ist sanft, das Land ringsum bebaut, ein freundlicher Anblick. Die Stadt selbst ist durchaus trocken und besitzt keine gute Wasserleitung. Die Straßen sind winklig, da die Stadt ja so alt ist. Die Mehrzahl der Häuser ist ärmlich, nur wenige sind wohnlich. Auf den ersten Blick könnten Fremde bezweifeln, daß dies die gepriesene Stadt der Athener sei; bald aber werden sie es wohl glauben.

So ist dort das Schönste der Welt: Das Theater ist bedeutend, groß und schön. Der Tempel der Athene ist prachtvoll, der Welt entrückt und sehr sehenswert; er heißt Parthenon und liegt oberhalb des Theaters; großes Erstaunen löst sein Anblick aus. Das Olympion ist zwar nur halb fertig, doch macht der Plan des Gebäudes tiefen Eindruck; es wäre wohl der großartigste Bau, wenn man ihn vollendet hätte. Drei Gymnasien gibt es: die Akademie, das Lykeion und das Kynosarges, die alle mit Blumen und Rasenflächen geschmückt sind, allerlei Feste, ferner von den verschiedenen Philosophen viele Zerstreuungen und Erholungen der Seele, viel Zeitvertreib und ständig Theaterspiele.

Von den Einwohnern sind die einen Attiker, die anderen Athener. Die Attiker sind betriebsam, geschwätzig, heimtückisch, verleumderisch, Beobachter des Lebens der Fremden. Die Athener dagegen sind großmütig, einfach in den Sitten und wahrhaft treu in der Freundschaft. Es wimmelt aber auch in der Stadt von Winkeladvokaten, welche den vorübergehend dort weilenden reichen Fremden das Geld aus der Tasche ziehen. Wenn das Volk sie erwischt, ist die Bestrafung sehr streng. Die wahren Athener aber sind scharfsinnige Kunstrichter und unentwegte Zuschauer.

Kurz gesagt, Athen übertrifft auf dem Gebiete des Genusses und der Lebensgestaltung die übrigen Städte in demselben Maße, wie diese sich vom Dorfe unterscheiden. In acht nehmen muß man sich aber besonders von den Dirnen, um nicht unversehens in Lüsten zu versinken.

(Lust an der Geschichte: Leben im antiken Griechenland. Ein Lesebuch herausgegeben von Rolf Rilinger. München 1990, S. 26 f.)
Re: Athen in antiker Schilderung
Γραικύλος schrieb am 24.06.2022 um 18:15 Uhr (Zitieren)
Unter Verwendung einer anderen (besseren) Ausgabe stelle ich eine längere Version des Abschnitts vor:
Von dort gelangt man zur Stadt der Athener. Der Weg ist sanft, das Land ringsum bebaut, ein freundlicher Anblick. Die Stadt selbst ist durchaus trocken und besitzt keine gute Wasserleitung. Die Straßen sind winklig, da die Stadt ja so alt ist. Die Mehrzahl der Häuser ist ärmlich, nur wenige sind wohnlich. Auf den ersten Blick könnten Fremde bezweifeln, daß dies die gepriesene Stadt der Athener sei; bald aber werden sie es wohl glauben.

So ist dort das Schönste der Welt: Das Theater ist bedeutend, groß und schön. Der Tempel der Athene ist prachtvoll, der Welt entrückt und sehr sehenswert; er heißt Parthenon und liegt oberhalb des Theaters; großes Erstaunen löst sein Anblick aus. Das Olympion ist zwar nur halb fertig, doch macht der Plan des Gebäudes tiefen Eindruck; es wäre wohl der großartigste Bau, wenn man ihn vollendet hätte. Drei Gymnasien gibt es: die Akademie, das Lykeion und das Kynosarges, die alle mit Blumen und Rasenflächen geschmückt sind, allerlei Feste, ferner von den verschiedenen Philosophen viele Zerstreuungen und Erholungen der Seele, viel Zeitvertreib und ständig Theaterspiele.

Das, was auf dem Lande wächst, ist ganz unschätzbar und an Geschmack erstklassig, allerdings ein wenig zu knapp. Aber das Zusammenleben aller Athener mit den Fremdansässigen, das den Bedürfnissen entgegenkommt, macht die Knechtschaft vergessen, indem es die Gedanken auf das Angenehme lenkt. Denn durch Schauspiele und Vorlesungen ist die Stadt, was ihre breite Einwohnerschaft angeht, nicht gegen den Hunger empfindlich, da sie so die Nahrungsversorgung verdrängen läßt. Für Durchreisende aber mit Geld gibt es hinsichtlich des Vergnügens keine derartige Stadt. Auch sonst bietet sie noch viele Annehmlichkeiten, denn die Nachbargemeinden sind nur Vorstädte Athens.

Die Bewohner sind gut darin, allen Künstlern große Ehre zu erweisen. Jeden Besten überschütten sie mit ihrer Gunst. Eine bewundernswerte Lehre vom Menschen, als beleimbares Wesen [θαυμαστὸν πλινθίνων ζῴων ἀνθρώπων διδασκάλιον].

Von den Einwohnern sind die einen Attiker, die anderen Athener. Die Attiker sind betriebsam, geschwätzig, heimtückisch, verleumderisch, Beobachter des Lebens der Fremden. Die Athener dagegen sind großmütig, einfach in den Sitten und wahrhaft treu in der Freundschaft. Es wimmelt aber auch in der Stadt von Winkeladvokaten, welche den vorübergehend dort weilenden reichen Fremden das Geld aus der Tasche ziehen. Wenn das Volk sie erwischt, ist die Bestrafung sehr streng. Die wahren Athener aber sind scharfsinnige Kunst-richter und unentwegte Zuschauer [οἱ δὲ εἰλκρινεῖς Ἀθηναῖοι δριμεῖς τῶν τεχνῶν ἀκροαταὶ διὰ τὸ συνεχές].

Kurz gesagt, Athen übertrifft auf dem Gebiete des Genusses und der Lebensgestaltung die übrigen Städte in demselben Maße, wie diese sich vom Dorfe unterscheiden. In acht nehmen muß man sich aber besonders von den Dirnen, um nicht unversehens in Lüsten zu versinken [φυλακτέον δ‘ ὡς ἔνι μάλιστα τὰς ἑταίρας, μὴ λάθῃ τις ἡδέως ἀπολόμενος].
[...]

[i] (Lust an der Geschichte: Leben im antiken Griechenland. Ein Lesebuch herausgegeben von Rolf Rilinger. München 1990, S. 26 f.; Alexander Arenz, Herakleides Kritikos, Über die Städte in Hellas. Eine Periegese Griechenlands am Vorabend des Chremonideischen Krieges. München 2016, S. 103 f./119 f.]
 
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