α β γ δ ε ζ η θ ι κ λ μ ν ξ ο π ρ ς σ τ υ φ χ ψ ω Α Β Γ Δ Ε Ζ Η Θ Ι Κ Λ Μ Ν Ξ Ο Π Ρ C Σ Τ Υ Φ Χ Ψ Ω Ἷ Schließen Bewegen ?
Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Wie ein Römer sein Alter gestaltete (297 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 08.07.2022 um 00:01 Uhr (Zitieren)
Plinius der Jüngere, Epistulae III 1:
C. PLINIVS CALVISIO SVO S.
C. Plinius grüßt seinen Calvisius

Ich weiß nicht, ob ich jemals eine angenehmere Zeit verlebt habe als die kürzlich bei Spurinna verbrachte, so angenehm, daß ich im Alter – wenn anders es mir vergönnt ist, alt zu werden – niemandem lieber nacheifern möchte; eine geordnetere Lebensweise läßt sich gar nicht denken [nihil est enim illo vitae genere distinctius].

Wie mich der unfehlbare Lauf der Gestirne fesselt, so auch ein wohlgeordnetes Menschenleben [vita hominum disposita], besonders bei alten Leuten. Der Jugend steht noch eine gewisse Unausgeglichenheit in Sturm und Drang nicht übel an, dem Alter ziemt alles, was Ruhe und Ordnung heißt [senibus placida omnia et ordinata conveniunt]; für Rastlosigkeit ist es zu spät, und Ehrgeiz wirkt abstoßend.

Diesen Grundsatz wahrt Spurinna mit eisernen Konsequenz; selbst bei den Nichtigkeiten des Alltags, Nichtigkeiten, wenn sie sich nicht eben täglich einstellten, hält er sich an eine bestimmte Reihenfolge, eine Art Kreislauf.
Frühmorgens hält ihn das Ruhebett fest, um die zweite Stunde ruft er nach seinen Schuhen, macht einen Spaziergang von drei Meilen und trainiert dabei seinen Geist nicht weniger als seinen Körper. Sind Freunde dabei, entspinnen sich anregende Gespräche, wenn nicht, läßt er sich etwas vorlesen, manchmal auch, wenn Freunde ihn begleiten, doch nur, wenn sie sich dadurch nicht gelangweilt fühlen.

Dann läßt er sich nieder; wieder Lektüre oder, als besserer Ersatz, ein Gespräch; hernach steigt er in seinen Wagen, nimmt seine Gattin, eine vorbildliche Frau, oder einen seiner Freunde mit, wie kürzlich mich. Welch schöne, liebreiche Vertraulichkeit! Man fühlt sich in die gute alte Zeit versetzt [quantum ibi antiquitatis]. Was für Heldentaten, was für Männer kannst Du da kennenlernen! Mit welchen Lehren wirst Du vertraut gemacht! Obwohl er es sich in seiner Bescheidenheit zur Regel gesetzt hat, nie den Moralprediger herauszukehren [ne praecipere videatur].

Nach sieben Meilen geht er wieder eine Meile zu Fuß, läßt sich wieder nieder oder kehrt in sein Zimmer zu seinem Griffel zurück. Er schreibt nämlich lyrische Gedichte, und zwar griechisch und lateinisch, durchaus kunstgerecht, eigenartig anziehend, lieblich und munter, und diese Reize erhöht noch die Ehrwürdigkeit des Verfassers.

Ist ihm die Stunde des Bades gemeldet, im Winter um die neunte, sommers um die achte Stunde, ergeht er sich, wenn es windstill ist, unbekleidet in der Sonne. Dann schafft er sich Bewegung beim Ballspiel, eifrig und lange, denn auch mit dieser Art Training bekämpft er das Alter. Nach dem Bade ruht er und wartet noch ein wenig mit dem Essen; derweilen läßt er sich etwas Leichteres, Eingängigeres vorlesen. Während dieser ganzen Zeit steht es seinen Freunden frei, dasselbe zu tun oder etwas andres, wenn sie das lieber wollen.

Dann wird das Essen aufgetragen, ebenso nett wie einfach, in reinem, altem Silber; auch korinthisches Geschirr kommt auf den Tisch, an dem er ohne besondere Vorliebe seine Freude hat. Häufig bringt ein Komöde Abwechslung in das Menu, um den Appetit auch durch geistige Genüsse anzuregen. Man bleibt bis in die Nacht hinein beisammen, auch im Sommer; niemandem wird die Zeit lang, in so angeregter Stimmung zieht sich das Mahl hin.

Daher denn auch im 78. Lebensjahre die ungeschwächte Schärfe seines Gehörs und Gesichts, daher seine körperliche Gewandtheit und Lebendigkeit, und als einzige Alterserscheinung seine Weisheit [solaque ex senectute prudentia].

Solch ein Leben wünsche ich mir schon jetzt in Gedanken und werde es begierig antreten, sobald mein Alter zum Rückzug zu blasen erlaubt.
[...]

Vale.

(Plinius der Jüngere: Briefe. Herausgegeben von Helmut Kasten. München 41979, S. 126-129)
Re: Wie ein Römer sein Alter gestaltete
Marcella schrieb am 08.07.2022 um 14:46 Uhr (Zitieren)
Ein schönes Genrebild.
Ein paar Sesterzen extra braucht es dazu freilich schon, nebst dem ausgeglichenen, reifen Charakter. Antikes Silber, ist da, auch das ein oder andere Korinthische Gefaß sowie Vorlesepersonal; und das Holz zum heißen Bad braucht Spurinna auch nicht selber zu spalten. Manche haben eben günstigere Rahmenbedingungen zur ars bene vivendi
Re: Wie ein Römer sein Alter gestaltete
Γραικύλος schrieb am 08.07.2022 um 17:48 Uhr (Zitieren)
Wolh wahr. Ähnliches habe auch ich mir gedacht.
Re: Wie ein Römer sein Alter gestaltete
Γραικύλος schrieb am 08.07.2022 um 17:48 Uhr (Zitieren)
Wolh --> Wohl
 
Antwort
Titel:
Name:
E-Mail:
Eintrag:
Spamschutz - klicken Sie auf folgendes Bild: Speerspitzen

Aktivieren Sie JavaScript, falls Sie kein Bild auswählen können.