Γραικύλος schrieb am 19.11.2022 um 13:44 Uhr (Zitieren)
Ammianus Marcellinus XXIX 1, 41; 2, 3 f.:
Die Ereignisse spielten sich im Jahre 370/1 u.Z. ab unter den Kaisern Valentinian I. und dessen Bruder Valens.
[...]
Deinde congesti innumeri codices et acerui uoluminum multi sub concpectu iudicum concremati sunt ex domibus eruti uariis ut illiciti ad leniendam caesorum inuidiam, cum essent plerique liberalium disciplinarum indices uariarum et iuris.
Darauf brachte man unzählige Bücher und ganze Haufen von Schriftrollen zusammen und verbrannte sie vor den Augen der Richter. Als ob es verbotene Schriften gewesen wären, hatte man sie aus verschiedenen Häusern hervorgeholt, und doch handelte es sich zum größten Teil um Abhandlungen der freien Wissenschaften und der Rechtskunde.
[...]
Darum wurden eilends Leute ausgesandt, die die Häuser versiegeln und bei der Durchsuchung des Hausrats des verurteilten Hausvaters Zaubersprüche alter Weiber und nichtige Liebesformeln einschmuggeln sollten [incanatmenta quaedam anilia uel ludibriosa subderent amatoria], die dazu hergerichtet waren, Unschuldige ins Verderben zu stürzen. Wenn diese dann vor Gericht vorgelesen wurden, wo kein Gesetz, keine Gewissenhaftigkeit, keine Billigkeit Wahrheit und Lüge unterschied, wurde jenen ohne jede Möglichkeit einer Verteidigung ihr Vermögen abgenommen. Sie selbst, die sich nichts hatten zuschulden kommen lassen, wurden ohne Rücksicht auf Jugend oder Alter, an allen Gliedern gelähmt, auf Tragsesseln zur Hinrichtung abgeführt.
So kam es in den östlichen Provinzen so weit, daß die Hausherren aus Furcht vor einem ähnlichen Schicksal ihre ganzen Büchersammlungen verbrannten [inde effectum est per orientales prouincias, ut a dominis metu similium exu-rerentur libraria omnia]. Ein solcher Schrecken hatte alle befallen. Denn, um mich kurz zu fassen, wir alle krochen in jener Zeit wie in kimmerischer Dunkelheit (1) einher und befürchteten Gleiches wie die Gäste des Tyrannen von Sizilien Dionysius; während sie sich bei einem Mahle, das betrüblicher war als Hunger, voll aßen, hingen von der Höhe der Decke in den Gemächern, in denen sie zu Tisch lagen, über ihrem Genick, an Pferdehaaren angebunden, Schwerter und hielten sie in ständiger Furcht.[/quote] (Ammianus Marcellinus: Römische Geschichte. Herausgegeben von Wolfgang Seyfarth. 4 Teile, Darmstadt 1970; Teil 4, S. 156 f.; 158-161)
(1) Kimmerier: ein mythisches Volk im äußersten Nordwesten, eingehüllt in Finsternis und Nebel
Man nimmt an, daß 90 % der antiken Textbestände derartigen "Säuberungen" zum Opfer gefallen sind.
Re: Bücherverbrennungen durch Christen
Γραικύλος schrieb am 19.11.2022 um 13:45 Uhr (Zitieren)
Re: Bücherverbrennungen durch Christen
Marcella schrieb am 20.11.2022 um 14:30 Uhr (Zitieren)
Dieser eines Preises für wert erachtete Artikel von Wikipedia hält ebenfalls die Christen für die Haupturheber - die üblichen Verdächtigen bei der Kulturvernichtung. Andere Christen haben sie über die dunklen Jahrhunderte gerettet, was möglich war. Die rabiate Bildungsfeiudlichkeit ist dem frühen Christentum immanent, man sehe u.a.den späten Augustinus.
Γραικύλος schrieb am 20.11.2022 um 22:37 Uhr (Zitieren)
Wenn die ganze Literatur von einem heidnischen Weltbild ausging, ist sie der Vernichtung würdig. Einzelne Christen haben das zum Glück anders gesehen.
Es gibt ja in der chinesischen Geschichte eine auffallende Parallele beim dem Kaiser Qin Shi Huang-di. Das hatte freilich, soweit ich weiß, kein religiöses Motiv.
Re: Bücherverbrennungen durch Christen
Aurora schrieb am 21.11.2022 um 06:51 Uhr (Zitieren)
Über andere Zerstörungen:
Catherine Nixey,
Heiliger Zorn: Wie die frühen Christen die Antike zerstörten, 2019, bei DVA
(Mit zahlreichen farbigen Abbildungen)
Re: Bücherverbrennungen durch Christen
Γραικύλος schrieb am 27.11.2022 um 17:40 Uhr (Zitieren)
Dieses Buch kann auch ich empfehlen. Übrigens war hier im August 2020 schon mehrfach die Rede davon.