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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Ein fast vergessenes Drama (235 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 15.01.2023 um 00:09 Uhr (Zitieren)
Von dem antiken griechischen Dramatiker Sophokles (497/6 – 406 v.u.Z.) gehören noch einige Werke zum Programm heutiger Theater, vor allem wohl die „Antigone“ und der „König Ödipus“. Nicht hingegen der „Philoktet“. Nicht nur, daß dieser in der europäischen Geistesgeschichte keine vergleichbare Resonanz gefunden hat, er bietet auch keine einzige Frauenrolle – ein reines Männerdrama. Daran traut sich heute nicht leicht irgendein Intendant und schon gar keine Intendantin.

Dabei ist der Stoff alles andere als veraltet und führt uns hinein in einen Konflikt zwischen Rache und Versöhnung, Manipulation und Anstand, persönlichem Haß und Nutzen für die Gemeinschaft.

Es geht um folgendes: Die Griechen befinden sich auf ihrem Zug nach Troja, um die Schmach des Bruches von Gastfreundschaft und Ehe, die Menelaos durch den Trojaner Paris erlitten hat, zu rächen. Unter ihnen befindet sich Philoktet, berühmt als Bogenschütze und ausgezeichnet mit dem Bogen und den Pfeilen des legendären Herakles, die dieser ihm sterbend vermacht hat.

Unterwegs, bei einer Zwischenlandung auf einer Insel der Ägäis, wird Philoktet von einer Schlange gebissen, was ihm eine sehr stark schmerzende, schwärende und stinkende Wunde beschert. Die Griechen erleben dies als dermaßen ekelhaft und abstoßend, daß sie – auf Anraten des Odysseus – den Philoktet auf der Insel Lemnos aussetzen und ohne ihn weitersegeln. Philoktet ist ohne eigenes Verschulden buchstäblich zum Ausgestoßenen, zum Aussätzigen geworden.

Mit der Belagerung Trojas geht es dann allerdings nicht recht voran. Nach neun Jahren ist selbst Achilles, der größte aller Helden, gefallen und die Stadt immer noch nicht bezwungen. Sie befragen, wie damals üblich, ein Orakel und müssen erfahren, daß sie Troja nur mit dem Bogen des Herakles erobert werden könne. Mit dem Bogen also, der sich im Besitz des Philoktet befindet. Nun ist guter Rat teuer. Wie sollten sie den von ihnen so schimpflich behandelten Philok-tet dazu bewegen, jetzt doch noch nach Troja zu kommen und am Krieg teilzunehmen?

Sie treffen eine nachvollziehbare, aber sehr problematische Entscheidung: Ausgerechnet Odysseus, der raffinierteste von ihnen, soll zu Philoktet geschickt werden und ihn umstimmen. Odysseus, der doch vor allem für dessen Aussetzung verantwortlich war! Die Seite der Unschuld soll durch den noch jungen Sohn des Achilles, Neoptolemos, vertreten werden, der an der damaligen Entscheidung nicht beteiligt war.

Für die konkrete Umsetzung des Planes denkt Odysseus sich eine List aus: Er schickt, auf Lemnos angekommen, den Neoptolemos vor und läßt ihn die Lüge erzählen, er habe sich mit den Griechen überworfen, befinde sich auf der Heimfahrt und lade den Philoktet zur Mitfahrt ein. Befindet sich dieser einmal auf dem Schiff ... Ein perfider Plan, dem Neoptolemos, nun nicht mehr im Stande der Unschuld, zustimmt.
Doch das Elend des Philoktet, dem es nach neun Jahren nicht besser geht, weckt das Mitgefühl des Neoptolemos, sodaß er dem Leidenden gegenüber, der schon zum Mitkommen entschlossen ist und seiner Schwäche wegen bereits Bogen und Pfeile zur Aufbewahrung dem jungen Mann übergeben hat, den Plan aufdeckt.

Nun spitzt sich die Situation zu. In Philoktet lodert der Haß auf Odysseus stärker denn je. Dieser weist kühl darauf hin, daß sich das Wichtigste, der Bogen, ja bereits in ihrem Besitz befinde und er, Philoktet, ohne diesen auf der Insel verhungern müsse. Eine kalte Erpressung. Doch erneut spricht in Neoptolemos die Stimme des Gewissens: Er händigt Philoktet Bogen und Pfeile wieder aus. Die Bereitschaft des Philoktet, nun noch nach Troja zu kommen und so zum Siege der Griechen beizutragen, liegt bei null.
Dieser Dreier-Konflikt ist auf menschlicher Ebene unlösbar. Die anfangs erwähnten Motive sind ohne das Eingreifen einer höheren Macht nicht miteinander versöhnbar.

Der Glaube an die Möglichkeit eines solchen Eingreifens erscheint wohl den meisten von uns heute als nicht mehr nachvollziehbar. Gewiß, es wird in den Kirchen darum gebetet (mit, wie mir scheint, wenig Glauben, daß das auch funktioniert), von anderer Seite wird (mit mehr Glauben) die bevorstehende Apokalypse beschworen. Doch Versöhnung und ebenso die Wiederkunft des Messias lassen auf sich warten. So stehen wir dem Gegensatz von Haß, Rache, Mitgefühl, Unschuld und Schuld, Eigen- und Gemeinnutz hilflos gegenüber.

Für Sophokles war dies zwar keineswegs einfach, aber doch einfacher als für uns. Er läßt den vergöttlichten Herakles, den ursprünglichen Eigentümer des Bogens, auftreten und mit folgenden Worten den Philoktet umstimmen:
Zuerst gemahn ich dich an mein Geschick,
An meine Leiden, an die viele Müh,
Mit der ich diese Göttlichkeit errang!
Und wisse, daß du gleiches Los empfingst:
Auf deine Leiden folgt der Glanz des Ruhms.
So zieh mit diesem Mann vor Trojas Burg,
Laß von der bittren Krankheit dich befrein
Und feiern als den Ersten unsres Heers,
Dann sende Paris, der an allem schuld,
Mit meinen Pfeilen in die Unterwelt,
Zerstöre Troja, schaffe in dein Haus
Zum Vater Poias an des Öta Strand
Die besten Beutestücke eures Heers.
Und was du selbst empfängst, das trag hinauf
Zum Scheiterstoß, als meines Bogens Dank.
Auch dir, Achilleus‘ Sohn, ist dies gesagt.
Denn ohne ihn gewinnst du Troja nicht,
So wenig er es ohne dich vermag.
So schützt euch als ein treues Löwenpaar,
Er dich, du ihn. Ich sende zu dem Heer
Asklepios, der deine Wunde heilt.
Zum zweitenmal muß Troja untergehn
Durch meinen Bogen. Doch bewahrt, wenn ihr
Das Land zerstört, die Scheu vor Göttlichem!
Nichts andres achtet Zeus wie diese Scheu,
Die niemals mit den Menschen untergeht,
Im Leben und im Tode nicht entflieht.

(V. 1418-1444, in der Übersetzung von Wolfgang Schadewaldt)

Es ist wie so oft in der Begegnung mit der Antike: nicht daß wir ihre Konfliktlösungen uneingeschränkt für uns übernehmen könnten, aber ihre Möglichkeiten machen uns unsere Möglichkeiten, überhaupt unsere Eigentümlichkeiten und Grenzen, klarer bewußt.
Re: Ein fast vergessenes Drama
Γραικύλος schrieb am 15.01.2023 um 19:51 Uhr (Zitieren)
daß sie Troja nur mit dem Bogen des Herakles erobert werden könne --> daß Troja nur mit dem Bogen des Herakles erobert werden könne.
 
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