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Privatbibliotheken in Ugarit (338 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 22.08.2023 um 00:25 Uhr (
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Die Existenz der Handelsstadt Ugarit in der Levante ist belegt für die Zeit von 2400 bis 1180
v.u.Z. Die Angaben über die Privatbibliotheken beziehen sich auf die Spätzeit.
Ab 1953 hatte Claude Schaeffer auch mit der Erforschung des im Osten des Palastes gelegenen Stadtviertels der Oberschicht von Ugarit begonnen. Ihre monumentalen, gut ausgestatteten Häuser mit den zahlreichen Räumen, unterirdischen Familiengrüften und Obergeschossen waren dem Palast bautechnisch beinahe ebenbürtig. [...]
Das [sc. an das Haus eines Bronzehändlers] angrenzende Haus, dessen Inhaber als der „Gelehrte“ in die archäologischen Publikationen eingegangen ist, da sein Namen unbekannt blieb, barg die Bibliothek eines Hochgebildeten, der vor allem altmesopotamische Literatur studierte. Man entdeckte mehrsprachige Wörterbücher, lexikalische Werke und zweisprachige Texte auf akkadisch und sumerisch. Darunter gibt es auch eine Abhandlung über die „Kunst des Schreibens“ und Tontafeln mit magischen Formeln und Rezepten zur Bestreitung von Unglück und Krankheiten. Ein akkadischer Text beschreibt ein Ritual zur Erleichterung der Wehen einer gebärenden Frau.
Das nächste Gebäude gehörte einer Persönlichkeit namens Rašapabu, die eine wichtige Rolle im Wirtschaftsleben des Stadtstaates spielte. Wie die meisten Mitglieder der Oberschicht von Ugarit konnte er lesen und schreiben und besaß ein Archiv, in dem hauptsächlich ökonomische und juristische Dokumente aufbewahrt wurden. Es fanden sich darin Berichte über geschäftliche Transaktionen, Warenlieferungen, Listen von Schuldnern, die nicht in Ugarit wohnten. Juristische Texte in akkadischer Sprache handeln von einer Erbschaft seiner Gattin Piddaya und ihren Bedingungen. Die Freilassung eines Sklaven wird vor Zeugen bestätigt mit einer merkwürdigen Formulierung. Sein Herr erklärt ihn für „pur wie die Sonne“. Pur war offenbar das Synonym für frei. [...]
Die Herbstkampagne des Jahres 1956 begann mit einer der wichtigsten Entdeckungen in der langen Ausgrabungsgeschichte von Ugarit: der Freilegung des größten und am besten gebauten Hauses im Nobelviertel von Ugarit. Seine 34 Räume, zu denen auch ein Badezimmer und Innenhöfe gehörten, erstreckten sich über 800 Quadratmeter. Verschiedene Treppen führten in den einstigen Oberstock. Der Besitzer dieses imposanten Gebäudes, zweifellos eine Persönlichkeit von hohem Rang, die unmittelbar an den Staatsgeschäften beteiligt war, nannte sich Ra‘ panu. Er hinterließ ein Archiv und eine Bibliothek mit über 200 Tafeln mit Texten in akkadischer Sprache. Diese Dokumente aus den rund 50 letzten Jahren von Ugarit trugen wesentlich zur Kenntnis der innen- wie außenpolitischen Verhältnisse jener Periode, der Beziehungen des Königshauses, des hohen Bildungsstandes und auch des Weltbildes der städtischen Oberschicht bei.
Neben 81 Briefen kamen juristische, ökonomische, religiöse und literarische Texte zutage. Zu den enzyklopädischen Werken gehört ein viersprachiges Wörterbuch mit sumerischen, akkadisch, hurritischen und ugaritischen Vokabeln. Ein solches Nachschlagewerk würde man in einer modernen Bibliothek vergeblich suchen! Zur Zeit von Ugarit gab es vermutlich auch nicht viele Metropolen, deren Schreiber fünf verschiedene Schriften beherrschten: die hieroglyphisch-hethitische, die babylonische Keilschrift, die ägyptischen Hieroglyphen, die zyprominoische Linearschrift und das einheimische Alphabet! Die größte Tafel aus dem Archiv des Ra‘ panu mit 500 Zeilen in acht Spalten erwies sich als Teil eines Lexikons mit Namen von Vögeln, Pflanzen, Fischen, Metallen, Stoffen, Kleidern usw. [...]
Im vorderen Teil der Cella [sc. des Südbaus, des Sitzes eines Priester-Magiers] stießen die Ausgräber auf eine der wertvollsten Bibliotheken aus Ugarit, die wesentlich zur Kenntnis der religiösen Literatur und der Glaubensvorstellungen der Ugariter beitrug. Die meisten der mythologischen, kultischen und liturgischen Texte waren in ugaritischer, nur zwei in akkadischer und einige in hurritischer Sprache abgefaßt. Auf einer Tafel wurden 50 bis 60 Namen von Gottheiten aufgezählt. 30 waren noch lesbar, viele davon zuvor unbekannt, darunter auch hurritische. Von besonderem Interesse ist eine zweispaltige Königsliste. Auf der unbeschädigten rechten Seite stehen die Namen der vergöttlichten königlichen Ahnen. Ein Großteil der linken Spalte fehlt, auf der die Herrscher des 14. und 13. Jahrhunderts eingetragen waren. Nur die aus anderen Dokumenten bekannten Namen Ammischtamru und Niqmepa sind noch vorhanden. Zwei Täfelchen mit dem Alphabet weisen auf Schüler des Priesters.
Der Ostflügel des Südbaus erwies sich als fast völlig zerstört. Im besser erhaltenen Westflügel aber kam eine zweite Bibliothek zutage. Die hauptsächlich akkadischen Texte reichten von literarischen über magisch-medizinische bis zu astrologischen. Außerdem gab es eine Götterliste, Akten und Briefe.
(Sibylle von Reden: Ugarit und seine Welt. Die Entdeckung einer der ältesten Handelsmetropolen am Mittelmeer. Bergisch Gladbach 1992, S. 246-248, 253 f.)