zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer (938 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 13.05.2010 um 19:40 Uhr (Zitieren)
Ein Bericht über die Zerstörung Karthagos durch Scipio Aemilianus:
[Quelle: Appian, Römische Geschichte VIII, 130; 132; 135; zitiert nach: Hartmut von Hentig (Hrsg.), Weltmacht Rom. Glanz und Niedergang des großen Imperiums. München o.J., S. 54 f.]
Man sieht hier, wie inmitten dieser höchst dramatischen Situation Scipio Homer-Verse einfallen und welche Bedeutung sie für ihn haben.
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
ανδρέας schrieb am 13.05.2010 um 20:22 Uhr (Zitieren)
"Dem Polybios , der ihn als einstiger Lehrer freimütig fragte, was er mit diesen Worten sagen wolle, soll er geantwortet haben: mein eigenes Vaterland."
Scipio ist sich bewußt, dass kein Reich ewig blüht - auch das eigene nicht.
Immerhin zollt er den Karthagern Respekt. Vielleicht auch deshalb, weil der eigene Sieg umso größer ist, desto ruhmreicher der besiegte Feind ist.
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
Ὑληβάτης schrieb am 17.05.2010 um 17:01 Uhr (Zitieren)
Ei, sieh mal da:
Das Homerwort ist tatsächlich beachtlich: Auf dem Höhepunkt des Sieges 1. hat er Mitleid mit dem Feind wegen seiner (d.h. des Feindes) Größe, 2. sieht die menschliche Tragik des notwendigen Falls. 3. Zieht er auch eine Verbindungslinie zwischen Troja und Rom.
Eine tolle Stelle!
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
Γραικίσκος schrieb am 17.05.2010 um 18:11 Uhr (Zitieren)
Mir erscheint diese Stelle geradezu als ein Inbegriff der antiken Ethik: Mitgefühl auch mit dem Feind und Einsicht in die eigene Vergänglichkeit, die uns alle, alle Sterblichen, miteinander verbindet.
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
Ὑληβάτης schrieb am 17.05.2010 um 18:25 Uhr (Zitieren)
Ist das Mitgefühl durch die Einsicht bedingt oder stehen die nur nebeneinander?
Mir fällt gerade ein, dass die Konstellation doch im Gesrpäch zwischen Priamos und Achill ähnlich ist, oder?
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
Γραικίσκος schrieb am 17.05.2010 um 18:28 Uhr (Zitieren)
Ja, diese Konstellation taucht häufiger in der antiken Literatur auf, vielleicht am eindrucksvollsten im "Aias" des Sophokles, Verse 118-134 (im Gespräch zwischen Athene und Odysseus).
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
ανδρέας schrieb am 17.05.2010 um 19:31 Uhr (Zitieren)
Ich habe nach längerer Suche keine positive menschlich Beschreibung des Hannibal Barkas finden können - kein Wunder, die Geschichtsschreiber waren alle auf Seiten der Römer (sogar bei Macchiavelli werden nur die gewalttätigen, hinterlistigen und grausamen Seiten hervorgehoben, er war ja auch Italiener).
Gibt es keine solchen Stellen? Das würde mich mal interessieren.
Das Zitat Scipios könnte auch hervorheben wollen, dass sich die siegreichen Römer auch moralisch-ethisch überlegen fühlten. Scipio der Sieger, militärisch und menschlich. Hannibal, der Verlierer ohne moralische Integrität.
Man sollte die damalige Geschichtsschreibung (und nicht nur die) auch als interpretierte, nicht nur auf Fakten beruhende Darstellung sehen, denke ich.
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
Ὑληβάτης schrieb am 17.05.2010 um 21:34 Uhr (Zitieren)
Ich habe erst spät im Studium entdeckt, dass die antike Geschichtsschreibung eben häufig Geschichtsphilosophie ist - das macht sie in meinen Augen erst interessant. Aber wo siehst Du eine moralisch-ethische Überlegenheit? Im Vergleich Troja-Rom, also: mythische Macht gegenüber dem profanen Karthago?
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
ανδρέας schrieb am 18.05.2010 um 18:10 Uhr (Zitieren)
Der Quellenhinweis auf Appian
"...da soll er in Tränen ausgebrochen sein und unverhohlen das Schicksal der Feinde beweint haben. ..." scheint mit darauf hinzuweisen, dass Scipio laut historisch (interpretierender) Darstellung eben nicht nur nüchtern und kalt gesiegt hat. Das gibt dem Sieg in Verbindung mit dem Troia-Bezug eine Weihe. Historisch großartig, ethisch überlegen und militärisch bedeutsam. Caesar hat sein "clementia" ja auch häufig hervorgehoben. Wenn man ein großes Vorbild aufbauen will, muss man auch den passenden Rahmen schaffen. Die Aussage "Hannibal besiegt, Stadt geschliffen, beutereich geplündert, Sache erledigt, Scipio ging nach Hause" hat sicher schon die Menschen der damaligen Zeit ebenso wenig mitgerissen und begeistert, wie unsere Zeitgenossen . Den Feind zu besiegen reicht ja nicht. Man muss sich auch gut dabei fühlen. Und die (wahre) Geschichte hat schließlich immer der Sieger geschrieben.
Aber das ist natürlich aus dieser Quelle allein nicht ausreichend zu belegen.
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
Γραικίσκος schrieb am 18.05.2010 um 18:30 Uhr (Zitieren)
1. Hannibal lebte zur Zeit der Zerstörung Karthagos nicht mehr und wurde dabei also auch nicht besiegt.
2. Selbst wenn der Text eine Ideologie enthält (was sicher zutrifft) - welch eine Ideologie ist das? Hitler hätte seinen Sieg anders gefeiert und auch anders dargestellt, oder?
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
ανδρέας schrieb am 18.05.2010 um 18:52 Uhr (Zitieren)
Ja, Aemilianus hat in 3. Krieg gegen Karthago gekämpft (nicht im 2.). Aber das meinte ich nicht.
Mir ging es darum, dass man ihn als Vorbild darstellen will (vgl. auch Cicero de re publica, Scipios Traum, sc. maior sagt dem minor die ewige Seligkeit für verdiente Staatsmänner voraus). Aemilianus stellte die Belange des Staates über die eigenen und war sehr gebildet und kultiviert. Ein Staatsmann als Vorbild.
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
Γραικίσκος schrieb am 18.05.2010 um 19:47 Uhr (Zitieren)
Ja, das ist sicher die Intention. Aber dies als vorbildlich darzustellen (und nicht eine andere Verhaltensweise), ist doch gut, oder?
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
ανδρέας schrieb am 18.05.2010 um 20:57 Uhr (Zitieren)
Ja, selbstverständlich ist das gut. Von Scipio Aemilianus wird auch berichtet, er habe seine Ämter nicht zur persönlichen Bereicherung missbraucht. Das war eher ungewöhnlich. Ein Idealist, würde man heute sagen. Auch ein Militär, der einen Befehl ausführt (die Zerstörung Karthagos gegen seinen Willen), bewertet das, was er tun muss. Ihm war sicher klar, dass Destruktion weniger wert ist als Konstruktion. Und Troia war das Vorbild aller Römer (Aeneas usw.)- größer konnte der Vergleich der Tragödie gar nicht sein.
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
Γραικίσκος schrieb am 19.05.2010 um 11:53 Uhr (Zitieren)
Was man bei Homer auch lernen kann und worauf sich Scipio hier ersichtlich ebenfalls bezieht, ist die Einsicht in den Zyklus des menschlichen Lebens und menschlicher Kulturen:
"Wie die Blätter des Waldes, so sind die Generationen der Menschen,
dies wächst und jenes verschwindet ..."