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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer (938 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 13.05.2010 um 19:40 Uhr (Zitieren)
Ein Bericht über die Zerstörung Karthagos durch Scipio Aemilianus:
[...] Unter diesen Kämpfen vergingen sechs Tage und Nächte. In der Zeit wurden zwar die Soldaten abgelöst, damit sie nicht aus Mangel an Schlaf und aus Überanstrengung – überwältigt durch das eigene Morden und den schaurigen Anblick ihres Werkes – nachließen. Aber Scipio blieb ohne Rat und ohne Schlaf ständig im Einsatz [...], bis er sich schließlich erschöpft auf einer Anhöhe niedersetzen mußte. Von hier aus konnte er alles, was vor sich ging, übersehen. Endlich, am siebten Tage, während die Zerstörungen immer noch weitergingen und das Ende des Unglücks noch lange nicht abzusehen war, flohen einige mit Kränzen des Asklepios zu ihm aus dem Tempel und baten, er möge ihnen und allen, die unter dieser Bedingung die Burg verlassen wollten, wenigstens das nackte leben verbürgen. Scipio gewährte es ihnen – mit Ausnahme der Überläufer. Darauf gingen 50000 Männer und Frauen durch eine Lücke, die man für sie in die Mauer gerissen hatte, in Gefangenschaft.
Als nun Scipio diese Stadt in völliger Vernichtung enden sah, eine Stadt, die seit ihrer Gründung siebenhundert Jahre lang geblüht und über ein so großes Gebiet auf dem Festland, über so viele Inseln und über das Meer geherrscht hatte, die im Besitz an Waffen, Schiffen, Elefanten und Geld es mit den größten Reichen aufgenommen, an Unternehmungsgeist und Mut sie sogar übertroffen hatte, ja die noch nach dem Verlust ihrer Schiffe und Waffen drei Jahre lang einen so harten Krieg und eine so schwere Hungersnot ausgehalten hatte – da soll er in Tränen ausgebrochen sein und unverhohlen das Schicksal der Feinde beweint haben. Er fiel in tiefes Nachdenken, und es wollte ihm scheinen, daß das Geschick der Städte, der Völker und Reiche einem ebenso unerbittlichen Wechsel unterworfen sei wie das der Menschen: Das war doch das Los von Ilion gewesen, einer sonst so glücklichen Stadt, das Los des assyrischen, des medischen und des nach ihnen zu gewaltiger Größe angewachsenen persischen Reiches, das Los schließlich der eben erst gefallenen glänzenden Herrschaft der Makedonen. Da sprach er – es war undeutlich mit welcher Absicht – die Worte des Dichters :

Einst wird kommen der Tag, da die heilige Ilios hinsinkt
Priamos selbst und das Volk des lanzenkundigen Königs.
[Ilias VI 448 f.]


Dem Polybios , der ihn als einstiger Lehrer freimütig fragte, was er mit diesen Worten sagen wolle, soll er geantwortet haben: mein eigenes Vaterland.
Nach der Zerstörung Karthagos erlaubte Scipio seinem Heer, eine bestimmte Anzahl von Tagen hindurch alles außer Gold, Silber und die Weihgeschenke der Tempel zu plündern. [...] Zugleich ließ er den sizilianischen Städten ansagen, sie sollten kommen und alle Weihgeschenke, die ihnen die Karthager im Kriege abgenommen hatten, wieder holen.
[...] Der Senat schickte sofort aus seiner Mitte zehn besonders angesehene Senatoren ab, die gemeinsam mit Scipio die Angelegenheiten in Afrika ordnen sollten – so wie es für Rom am vorteilhaftesten sei. Diese beschlossen, Scipio solle, was von Karthago noch übrig sei, vollends dem Erdboden gleichmachen. Niemandem solle in Zukunft gestattet sein, an diesem Ort zu wohnen, und ein Fluch werde auf die Burg gelegt und auf den, der sie wieder aufbauen würde. Den Schauplatz zu besuchen war dagegen erlaubt. Alle Städte, die zu Karthago gehalten hatten, sollten ebenfalls zerstört werden.

[Quelle: Appian, Römische Geschichte VIII, 130; 132; 135; zitiert nach: Hartmut von Hentig (Hrsg.), Weltmacht Rom. Glanz und Niedergang des großen Imperiums. München o.J., S. 54 f.]

Man sieht hier, wie inmitten dieser höchst dramatischen Situation Scipio Homer-Verse einfallen und welche Bedeutung sie für ihn haben.
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
ανδρέας schrieb am 13.05.2010 um 20:22 Uhr (Zitieren)
"Dem Polybios , der ihn als einstiger Lehrer freimütig fragte, was er mit diesen Worten sagen wolle, soll er geantwortet haben: mein eigenes Vaterland."

Scipio ist sich bewußt, dass kein Reich ewig blüht - auch das eigene nicht.
Immerhin zollt er den Karthagern Respekt. Vielleicht auch deshalb, weil der eigene Sieg umso größer ist, desto ruhmreicher der besiegte Feind ist.
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
Ὑληβάτης schrieb am 17.05.2010 um 17:01 Uhr (Zitieren)
Ei, sieh mal da:
Unter diesen Kämpfen vergingen sechs Tage und Nächte. [...], bis er sich schließlich erschöpft auf einer Anhöhe niedersetzen mußte. Von hier aus konnte er alles, was vor sich ging, übersehen. Endlich, am siebten Tage, während die Zerstörungen immer noch weitergingen und das Ende des Unglücks noch lange nicht abzusehen war, [...]


Das Homerwort ist tatsächlich beachtlich: Auf dem Höhepunkt des Sieges 1. hat er Mitleid mit dem Feind wegen seiner (d.h. des Feindes) Größe, 2. sieht die menschliche Tragik des notwendigen Falls. 3. Zieht er auch eine Verbindungslinie zwischen Troja und Rom.

Eine tolle Stelle!
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
Γραικίσκος schrieb am 17.05.2010 um 18:11 Uhr (Zitieren)
Mir erscheint diese Stelle geradezu als ein Inbegriff der antiken Ethik: Mitgefühl auch mit dem Feind und Einsicht in die eigene Vergänglichkeit, die uns alle, alle Sterblichen, miteinander verbindet.
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
Ὑληβάτης schrieb am 17.05.2010 um 18:25 Uhr (Zitieren)
Ist das Mitgefühl durch die Einsicht bedingt oder stehen die nur nebeneinander?
Mir fällt gerade ein, dass die Konstellation doch im Gesrpäch zwischen Priamos und Achill ähnlich ist, oder?
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
Γραικίσκος schrieb am 17.05.2010 um 18:28 Uhr (Zitieren)
Ja, diese Konstellation taucht häufiger in der antiken Literatur auf, vielleicht am eindrucksvollsten im "Aias" des Sophokles, Verse 118-134 (im Gespräch zwischen Athene und Odysseus).
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
ανδρέας schrieb am 17.05.2010 um 19:31 Uhr (Zitieren)

Ich habe nach längerer Suche keine positive menschlich Beschreibung des Hannibal Barkas finden können - kein Wunder, die Geschichtsschreiber waren alle auf Seiten der Römer (sogar bei Macchiavelli werden nur die gewalttätigen, hinterlistigen und grausamen Seiten hervorgehoben, er war ja auch Italiener).
Gibt es keine solchen Stellen? Das würde mich mal interessieren.
Das Zitat Scipios könnte auch hervorheben wollen, dass sich die siegreichen Römer auch moralisch-ethisch überlegen fühlten. Scipio der Sieger, militärisch und menschlich. Hannibal, der Verlierer ohne moralische Integrität.
Man sollte die damalige Geschichtsschreibung (und nicht nur die) auch als interpretierte, nicht nur auf Fakten beruhende Darstellung sehen, denke ich.
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
Ὑληβάτης schrieb am 17.05.2010 um 21:34 Uhr (Zitieren)
Ich habe erst spät im Studium entdeckt, dass die antike Geschichtsschreibung eben häufig Geschichtsphilosophie ist - das macht sie in meinen Augen erst interessant. Aber wo siehst Du eine moralisch-ethische Überlegenheit? Im Vergleich Troja-Rom, also: mythische Macht gegenüber dem profanen Karthago?
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
ανδρέας schrieb am 18.05.2010 um 18:10 Uhr (Zitieren)

Der Quellenhinweis auf Appian

"...da soll er in Tränen ausgebrochen sein und unverhohlen das Schicksal der Feinde beweint haben. ..." scheint mit darauf hinzuweisen, dass Scipio laut historisch (interpretierender) Darstellung eben nicht nur nüchtern und kalt gesiegt hat. Das gibt dem Sieg in Verbindung mit dem Troia-Bezug eine Weihe. Historisch großartig, ethisch überlegen und militärisch bedeutsam. Caesar hat sein "clementia" ja auch häufig hervorgehoben. Wenn man ein großes Vorbild aufbauen will, muss man auch den passenden Rahmen schaffen. Die Aussage "Hannibal besiegt, Stadt geschliffen, beutereich geplündert, Sache erledigt, Scipio ging nach Hause" hat sicher schon die Menschen der damaligen Zeit ebenso wenig mitgerissen und begeistert, wie unsere Zeitgenossen . Den Feind zu besiegen reicht ja nicht. Man muss sich auch gut dabei fühlen. Und die (wahre) Geschichte hat schließlich immer der Sieger geschrieben.

Aber das ist natürlich aus dieser Quelle allein nicht ausreichend zu belegen.
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
Γραικίσκος schrieb am 18.05.2010 um 18:30 Uhr (Zitieren)
1. Hannibal lebte zur Zeit der Zerstörung Karthagos nicht mehr und wurde dabei also auch nicht besiegt.
2. Selbst wenn der Text eine Ideologie enthält (was sicher zutrifft) - welch eine Ideologie ist das? Hitler hätte seinen Sieg anders gefeiert und auch anders dargestellt, oder?
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
ανδρέας schrieb am 18.05.2010 um 18:52 Uhr (Zitieren)

Ja, Aemilianus hat in 3. Krieg gegen Karthago gekämpft (nicht im 2.). Aber das meinte ich nicht.
Mir ging es darum, dass man ihn als Vorbild darstellen will (vgl. auch Cicero de re publica, Scipios Traum, sc. maior sagt dem minor die ewige Seligkeit für verdiente Staatsmänner voraus). Aemilianus stellte die Belange des Staates über die eigenen und war sehr gebildet und kultiviert. Ein Staatsmann als Vorbild.
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
Γραικίσκος schrieb am 18.05.2010 um 19:47 Uhr (Zitieren)
Ja, das ist sicher die Intention. Aber dies als vorbildlich darzustellen (und nicht eine andere Verhaltensweise), ist doch gut, oder?
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
ανδρέας schrieb am 18.05.2010 um 20:57 Uhr (Zitieren)

Ja, selbstverständlich ist das gut. Von Scipio Aemilianus wird auch berichtet, er habe seine Ämter nicht zur persönlichen Bereicherung missbraucht. Das war eher ungewöhnlich. Ein Idealist, würde man heute sagen. Auch ein Militär, der einen Befehl ausführt (die Zerstörung Karthagos gegen seinen Willen), bewertet das, was er tun muss. Ihm war sicher klar, dass Destruktion weniger wert ist als Konstruktion. Und Troia war das Vorbild aller Römer (Aeneas usw.)- größer konnte der Vergleich der Tragödie gar nicht sein.
Re: zum Einfluß der Gedanken Homers auf Römer
Γραικίσκος schrieb am 19.05.2010 um 11:53 Uhr (Zitieren)
Was man bei Homer auch lernen kann und worauf sich Scipio hier ersichtlich ebenfalls bezieht, ist die Einsicht in den Zyklus des menschlichen Lebens und menschlicher Kulturen:
"Wie die Blätter des Waldes, so sind die Generationen der Menschen,
dies wächst und jenes verschwindet ..."
 
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