Γραικύλος schrieb am 08.12.2023 um 16:04 Uhr (Zitieren)
Es wird viel gelogen. Dennoch ist die Lüge unanständig und unehrenhaft, es sei denn, sie wird zum Schutz des Belogenen (der Arzt, der eine schlimme Diagnose verharmlost) oder zum Schutz eines Unschuldigen (vor einem Verfolger) eingesetzt. Allenfalls dann ist sie moralisch vertretbar – und Kant akzeptiert sie selbst dann nicht („Über ein vermeintliches Recht, aus Menschenliebe zu lügen“).
Die antiken Götter jedoch lügen. Mir fallen nicht sehr viele Fälle ein, doch für Hermes, den Gott der Diebe, gehört der Betrug sozusagen zum Beruf. Der beunruhigendste Fall aber steht im XII. Gesang der Ilias: Achill und Hektor geraten in ihren finalen Zweikampf. Hektor ist, wie ich meine, eine unterschätzte Figur in der Ilias. Er ist nicht so spektakulär, nicht so vielschichtig als Charakter, wie es Achill, Odysseus oder der Telamonide Aias sind; vielmehr ist er geradlinig, zuverlässig, aufrichtig, pflichtbewußt, sozusagen der Kantianer unter den Helden des Trojanischen Krieges. Daß er mit seinem Anliegen dennoch scheitert, macht seine Tragik aus.
Auf den Zweikampf mit Achill, dessen Überlegenheit er kennt, läßt er sich deshalb ein, weil vermeintlich sein Freund Deïphobos ihm verheißt: Wirf du nur deinen Speer. Falls du verfehlst, halte ich weitere für dich bereit.
Und als nun Hektors erster Speer an Achills Schild abgeprallt ist, da ruft er den Deïphobos um Nachschub. Doch da ist kein Deïphobos – Athene hatte dessen Gestalt angenommen und den Hektor mit Lug und Trug in die Falle gelockt. Hektor ist verloren.
Und diesen Betrug hat Athene begangen, die Göttin der Weisheit! Es ist empörend. Diese Welt ist keine moralische, und ihre Götter sind dementsprechend.
(Wolfgang Weimer)
Re: Gott lügt
Andreas schrieb am 08.12.2023 um 18:03 Uhr (Zitieren)
Was kann man von anthropomorphen Göttern schon Besseres erwarten
als von den sie erfunden habenden Menschen?
Diese Projektionen können nicht besser sein als die,
die sie hervorgebracht haben und von Interessen u.a.
(Angst, Erziehungmittel, Entertainment etc.) geleitet waren.
Diese Weltbild ist längst überwunden und ein Untersuchungsgegenstand
für Religionspsychologie und -soziologie.
Die modernen Götter haben andere Namen:
Macht, Erfolg, Reichtum, Schönheit, Bestleistung,Sex, Profitmaximierung, Publicity,
...
Ernst Topitsch hat sich dazu ausführlich geäußert in "Erkenntnis und Illusion", 1988
Sein Todestag hat sich in Januar zum 20. Mal gejährt.
Man kann ihn als einen weiteren der großen Zertrümmerer
und Entmythologiserer der antiken Götterwelt betrachten.
Re: Gott lügt
Γραικύλος schrieb am 08.12.2023 um 18:48 Uhr (Zitieren)
Wenn man Mythen als Beschreibung von Realität versteht, dann liegt man natürlich falsch; aber Mythen sind Bilder zur Deutung dieser Realität. Und da erscheinen mir diese Götter passender als der Mythos eines guten Gottes, der diese Welt geschaffen hat.
Was Du als moderne Götter bezeichnest: Personifiziere es, und Du hast wieder etwas Ähnliches wie die griechische Götterwelt. Wobei die Personifizierung nichts weiter ist als eine Veranschaulichung.
Re: Gott lügt
Γραικύλος schrieb am 09.12.2023 um 00:18 Uhr (Zitieren)
Es handelt sich natürlich - oje! - um den XXII. Gesang der Ilias.
Es ergeben sich sehr viele Probleme, wenn man Gott in der Einzahl (Monotheismus) denkt. Wer strikt monotheistisch denkt, muss beispielsweise einsehen, dass Gott und Satan identisch sind.
Zunächst stellt sich die Frage, ob die Religionen Judentum, Christentum und Islam WIRKLICH monotheistische Religionen sind:
"....und die Elohim (Götter) sprachen, lasst UNS Menschen machen, ein Bild, dass UNS gleich sei...." -> da ist von Mehrzahl die Rede.
Gebot Nr. 1: "Du sollst keine anderen Götter haben neben mir" -> da steht, dass es viele Götter gibt.
Wer strikt monotheistisch denken will: Probleme
Wir befinden uns im Dualismus, sodass wir in den Kategorien Gut und Böse denken. Wer strikt monotheistisch denkt, muss auch einsehen, dass dann Gott und Satan zwingend identisch sind, siehe Altes Testament der Bibel:
2. Samuel 24,1-21
Wieder richtete sich der Zorn des HERRN gegen Israel. Er veranlasste David dazu, seinem Volk zu sagen: Geht und zählt Israel und Juda. Der König [=David] sprach zu seinem Heeresführer Joab: Reise durch die Stämme Israels von Dan bis Beerscheba und zählt das [kriegsfähige] Volk. Ich möchte wissen, wie viele es sind.
Chronik 21,1-2
Und Satan richtete sich gegen Israel und reizte David dazu, Israel zu zählen. Daraufhin sprach David zu Joab und zu den führenden des Volkes: Reist durch Israel von Beerscheba bis Dan und berichtet mir, wie viele es sind.
Es ergibt sich im Rahmen einer monotheistischen Denkweise stets die Falle, dass Gott gut und böse gleichzeitig ist.
Kann Jesus der Erlöser sein?
Jesus ist gemäß dem NT (Offenbarung 22,16) der Morgenstern. Allerdings sind auch die Gestalten Luzifer, Horus und Eosphoros / Phosphoros der Morgenstern (Abendstern).
Es ergeben sich unauflösbare Zwickmühlen und Jesus KANN definitiv KEIN Erlöser sein ->
Γραικύλος schrieb am 01.03.2024 um 18:31 Uhr (Zitieren)
Die jüdische Religion ist ja ursprünglich in der Tat nicht monotheistisch, sondern monolatristisch, d.h. mit dem Zugeständnis, daß es andere Götter gibt, verpflichten sich die Juden, nur einen einzigen zu verehren.
Aus heutiger Perspektive ist es deutlich, daß es den Juden nie gelungen ist, sich Gott als nur gut vorzustellen. Er ist der Herr, und so ist er eben.
Re: Gott lügt
Holger Fischer schrieb am 01.03.2024 um 21:19 Uhr (Zitieren)
Es KANN nicht um Monotheismus gehen (Judentum, Christentum und Islam). Ich schätze, wir Leute aus der breiten Masse sollen nur glauben, dass es um Monotheismus geht. Man muss sich aber nur den Petersplatz (Vatikan) einmal ansehen: Da werden viele Götter dargestellt, beispielsweise der Phallus des Osiris und die acht Zacken der babylonischen Ischta (Ischta ist weiblich ein achtzackiger Stern und männlich ein Löwe).
Ergänzung zur babylonischen Ischta / Ischtar, I-Star und mehr Schreibweisen:
"Warum werden Aphrodite und Ares in der griechischen Mythologie in einen Kontext gestellt? Erklärungsmodell:
Ištar (sumerisch Inanna) ist die babylonische Venus bzw. Aphrodite. Ištar (Ishtar) ist - wie Aphrodite - die Gottheit der sexuellen Begierde. Gleichzeitig ist Ištar - wie Ares - eine Kriegsgottheit. Ištar kann in weiblicher und männlicher Form erscheinen (das Geschlecht wechseln). In der weiblichen Darstellung ist Ištar ein Stern mit 8 Zacken und männlich wird diese Gottheit als Löwe dargestellt.
In der nordischen Mythologie personifiziert Freya (auch Freia oder Freyja -> "Herrin") sexuelle Begierde (weiblich) und gleichzeitig Aspekte vom Krieg (männlich). Freya ist somit ebenfalls eine Reinkarnation der Gottheit Ishtar (babylonisch) bzw. Inanna (sumerisch).
Den Gottheiten Ištar / Inanna / Venus / Aphrodite / Freya ist der Freitag gewidmet. Es gibt die Tradition, dass Freitags Fisch gegessen wird. Hatte ich bereits erwähnt, dass Aphrodite mit dem Sternzeichen Fische assoziiert wird?" ->