ich komme bei den folgenden Sätzen nicht mehr weiter:
1.Nec nunc segmenta requiro nec,quae de Tyrio murice,lana,rubes.
Nun suche ich weder Purpurbesatz noch Wolle,....? Warum steht rubes in der 2.Person Singular?
2.Quis furor est census corpore ferre suos?
Wer ist der Wahnsinn ?Ich dachte immer,dass in Sätzen mit esse-Formen keine Akkusative vorkommen,weil da meistens Prädikatsnomen oder PPP-Formen stehen.
3.Quot nova terra parit flores,cum vere tepenti vitis agit gemmas pigraque fugit hiems,lana tot aut plures sucos bibit.
Wie viele Blumen die neue Erde hervorbringt,der Weinstock- ?hier komme ich nicht weiter,ich weiß nicht,wie ich tepenti übersetzt wird ?-das dunkle Gewitter entflieht,oder soviel Wolle trinkt viele Farben.
„requiro“ hat hier nicht die Bedeutung „ich suche“, sondern „ich verlange von dir“, „ich ersuche dich, daß du weder durch.. noch durch.... rötlich glänzst“
2. Quis furor est census corpore ferre suos?
->
„Wer hat/besitzt so einen Wahnsinn, daß er sein Census (also das offensichtliche Vermögen) am Leibe trägt?“
das „est“ ist in diesem Falle ein Vollverb im Sinne von „haben“, „besitzen“
1. „lana“ ist Vokativ „...nec (te), quae de Tyrio murice rubes, lana“ „...noch dich, die du von der tyrischen Purpurschnecke rot bist, (oh) Wolle“
2.„quis furor est“ ist ein Phrase „Was ist das für ein Irrsinn“ ergänzt um einen Infinitiv
3.„tepenti vere“ „im milden Frühling“
Ich ersuche dich,dass du weder durch Purpurabsatz noch durch Wolle ,welche mit der Purpurschnecke aus Tyrus hergestellt wurde,rötlich glänzt.
segmenta steht aber nicht im Ablativ,oder?Warum darf ich das trotzdem mit dem Ablativ übersetzen?Und was passiert mit nunc?
1. „Nun (nunc) verlange ich (requiro) weder (nec) Gold/Purpurbesätze (segementa (Akk. Pl.)) noch (nec), (dich)(te: ergänzt), die (quae) du rot bist (rubes) von der tyrischen Purpurschnecke (de Tyrio murice), (oh) Wolle (lana)“
zu 3:
So viele Blumen die neue Erde hervorbringt, wenn (cum) der Weinstock (vitis) im „lau seienden“ (tepenti) Frühling (vere) Knospen (gemmas) treibt (agit) und der träge Winter flieht (pigraque fugit hiems), soviele oder noch mehr (tot aut plures) Säfte/Farben (sucos) trinkt (bibit) die Wolle (lana).
zu 2 (hier schließe ich mich filix an):
- Suos census ist Objekt bei ferre.
- Quis ist KNG-kongruent mit furor.
- Quis wird hier adjektivisch verwendet: welcher Wahnsinn.
- Als Prädikatsnomen steht das substantivierte Verb (mit seinem Objekt und seinem Adverbial) ferre suos census corpore.
- Wörtl.: „Welcher Wahnsinn ist das Sein-Vermögen-am-Körper-Tragen?“
Mir geht gerade erst der Sinn von Bibulus' Nachricht (20:40) auf: quis furor est - hier steht wohl quīs = quibus? Dann ist ferre etc. als Apposition bei furor anzusehen?
„furor“ (Wahn, Wahnsinn) ist personifiziert!
So wie „fortuna“ auch als Person gedacht wird von den Lateinern:
Wörtlich also: „Wer ist der Wahnsinn, der sein Vermögen auf dem Leibe trägt?“
Wir müssen das im Deutschen aber anders formulieren:
„Wer besitzt den Wahn, sein Vermögen auf dem Leibe zu tragen?“
(sich also mit teurer Kleidung und Schmuck zu behängen)
Nein - „quis“ kann auch in der direkten Frage (obwohl das ja hier eher ein Ausruf ist) durchaus adjektivisch gebraucht werden und fragt nach der Art, Qualität: „was für ein/-e“, cf. Georges „quis....B) adi. 2) [...]“ - analog funktioniert im Deutschen z.B. „Was für ein Wahnsinn, zigtausend Nationalgardisten einfach zu entlassen, nicht mehr zu bezahlen! “ (Tankred Dorst) oder „Welch ein Irrsinn, Spazierengehen zu müssen, um sich zu erholen, nicht gehen, weil man gehen muß wegen irgend eines Geschäftes“ (aus den Tagebüchern Hans Erich Nossacks). Dazu bedarf es keiner ohnedies zweifelhaften Dativkonstruktionen und auch keiner Personifikationen.
oha!
@filix,
ich will dir keineswegs widersprechen,
ich bin nur Amateur-Lateiner.
Mir geht es darum:
1. Den Sinn und Inhalt eines Satzes zu erfassen.
2. Korrekte Übersetzung (wenn es geht, möglichst „wörtlich“)
3. Umsetzung in die heutige Sprache
(nicht die Übertragung in „klassisches Deutsch“ eines Goethes oder Schillers,
das kein Mensch außer den „Fachleuten“ eh mehr versteht)
;-)
(Wohlgemerkt: Ich meine mit „heutige Sprache“ natürlich nicht Rap oder Hip-Hop...)
:-p
Nun haben wir also drei Deutungen für dieses Verslein, deren Unterschied aus der Auslegung des Fragepronomens herrührt:
A) Quĭs furor als Subjekt, quis also adjektivisch aufgefasst. Der Infinitiv etc. ist Prädikatsnomen.
Übers.: Welch ein Wahnsinn ist es, das eigene Vermögen am Körper zu tragen?
B) Quīs (Dat. Plur. zu qui, substantivisch aufgefasst: welche? welche Leute?) als Dat. possessivus. Furor ist Subjekt, der Infinitiv ist Apposition zu furor. Est ist Vollverb.
Übers.: Welche Art von Leuten hat (denn) die Verrücktheit, das eigene Vermögen am Körper zu tragen?
C) Quĭs (substantivisch: wer?) ist Subjekt, furor Prädikatsnomen. Hier wird es schwierig, den Infinitiv unterzubringen, allerdings schreibt Menge § 418: Dichter setzen den Inf. ... bei Adjektiven und Substantiven statt des Genitiv Gerundiums.
Übers.: Was ist (das nun wieder für ein) Wahn, das eigene Vermögen am Körper zu tragen?
Gibt es grundsätzliche Einwände, gegen einzelne Interpretationen oder darf man hier eine Mehrdeutigkeit des Textes annehmen?
Das Problem liegt am grammatikalischen Geschlecht
„furor“ -> weiblich
Ich hatte mal eine französische Freundin....
Mein rudimentäres Französisch reizte sie,
so, wie ihre Versuche, Deutsch zu sprechen,
mich (und wie jeden Germanen) auf höchste entzückte.
(Es gibt nichts erotischeres in sprachlicher Hinsicht,
als wenn kleine Französinnen
aber auch Skandinavieren,
Deutsch palieren...)
Der Georges ist nicht meine Bibel und arbiters Auffassung zur
Überzeugungskraft der Beispiele ebendort teile ich. Dennoch:
B) fällt m.E. schon wegen „alicui furor est“ aus.
Die substantivische Deutung des „quis“ in C) kann ich nur in Analogie zu „quis est rex praesens Germaniae?“ „Wer ist der gegenwärtige König von Deutschland?“ verstehen. Aber schon in der angebotenen Übertragung „Was ist (das nun wieder für ein) Wahn,“ zeigt sich tendenziell adjektivisches Verständnis. Die korrekte Übertragung dieser Deutung lautete m.E. „Welcher ist der Wahnsinn...“? oder „Wer ist der “furor„?“ Da denke ich irgendwie an Personifikationen aus dem Jesuitentheater, wo gerade bei der Probe Providentia, Pietas, Furor, Ambitio, Impietas oder so unkostümiert herumtollen und der Regisseur, der den Faden verloren hat, nachfragt.
Von der angesprochenen Problematik der Infinitivkonstruktion zu schweigen, wobei ich hier ja eher einen Relativsatz erwarten würde „quis est rex rex praesens Germaniae, qui ...“.
Außerdem besitzt die Wendung eindeutig exklamatorischen Charakter, sodass von einer
Frage nur bedingt die Rede sein kann.
Die Auffassung A) wird zudem nicht nur von mir vertreten „Adjektivisches quis ist vor allem bei Ausrufen gebräuchlich, so bei Ovid: I 358. III 531 quis furor (Komm.). III 632. IV 142 quis te mihi Casus ademit? (Verg. Aen. I 459;.....“[F.Bömer: P. Ovidius Naso: Metamorphosen Kommentar)] oder „quis: Adjektivisches quis anstelle von qui begegnet vor allem in der hohen (epischen) Sprache. K.S. II 1, 655 Anm. 1. , Hofmann-Szantyr p.540q Ziffer a (mit Beispielen e.g. Vergil ecl. 10, 28 quis erit modus? Horaz, Sat, 2,8, 59 ....)[...]Lukan verwendet dieses quis an folgenden Stellen 1.8 (=Pharsalia) quis furor, o cives....“ [Claudia Wick: M. Annaeus Lucanus, Bellum civile, Liber IX Kommentar S.89)"
Zu guter Letzt: „quis furor est, quae mens, densos indagine colles claudentem teneras laedere velle manus?“ (Tibull IV, 3, 9) Würde man hier dem verstärkenden
„quae“ in „quae mens“ in Umkehrung der Verhältnisse sozusagen substantivische Funktion („quae (est) mens?“) zuschreiben? Wohl kaum.
überredet - obgleich es mir etwas übertrieben erscheint, diese Verwendung als „gebräuchlich“bzu qualifizieren, solange man die Stellen noch aufzählen kann; da so etwas aber anscheinend in Prosa/Umgangssprache nicht vorkommt, müsste man sich schon fragen, warum/mit welcher Absicht diese Formulierung jeweils gewählt wird - vielleicht auch glgtl. mit ironisch.persiflierendem Unterton?
apropos Umgangssprache:
wird vom Duden als „ugs.“ abqualifiziert, schade, an entsprechender Stelle liebe ich die Version „nichtsdestowenigertrotz“, während Duden nur nichtsdestoweniger zulässt...
Danke, filix, das war sehr aufschlussreich. Als „gebräuchlich“ kann die Wendung „quis furor“ vielleicht insofern bezeichnet werden, als ein vom deutschen Sprachgebrauch her zu erwartendes „qui furor“ so gut wie gar nicht vorkommt. Gerade bei dem angeführten (Ps.-)Tibull-Vers wären doch analoge Pronomina naheliegend. Offenbar widersprach es dem Begriff, den man sich vom „furor“ machte (als etwas Sinn-, Maß- und Gestaltlosem), nach seiner Qualität zu fragen (im Gegensatz zur „mens“).
Auch bei Prosaschriftstellern lassen sich übrigens Stellen finden: Quis ergo furor est certissimo excidere? (Sen. epist. 99, 5); quis iste furor est pro eo me numquam dolere desinere ... (Sen. Ad Polybium 9); O mentes amentes! quis est hic tantus non error, sed furor, ut ... (Aug. civ. 1, 33)
libenter feci - Noch eine Stelle mit einer Paarung wie im Tibull-Vers. In der zehnten Satire (V.66 f.) schreibt Juvenal über die Hinrichtung Sejans: "Seianus ducitur unco
spectandus, gaudent omnes. 'quae labra, quis illi vultus erat!„ “Am Haken wird der zur Schau gestellte Sejan vorgeführt, alle haben ihren Spaß: Wie verzog er den Mund, was für ein Gesicht machte er!„ (wörtl.: welche Lippen, welches Gesicht war jenem!) In der Prosa jedoch z.B. Cicero in einer exklamatorischen Passage in “Pro Milone", 61:
„recordamini, per deos immortalis, quae fuerit celeritas reditus eius, qui ingressus in forum ardente curia, quae magnitudo animi, qui vultus, quae oratio“
Bei diesen Versen (... Seianus ducitur unco | spectandus, gaudent omnes. quae labra, quis illi | vultus erat! ...) sollte jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass zu Juvenals Entscheidung für das „quis“ auch die metrische Unmöglichkeit eines „qui“ an dieser Stelle beigetragen haben mag.