Latein Wörterbuch - Forum
Interpretation Seneca epistulae morales Brief 62 — 2246 Aufrufe
Dave am 19.3.12 um 22:00 Uhr (
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IKann mir jemand folgende Zeilen mal interpretieren ? Ich versteh den Sinn noch nicht ganz.
Ich habe Demetrius, den besten der Männer, mit mir, und wenn wir die Purpurträger verlassen haben, rede ich mit ihm, wenn er halb nackt ist, bewundere ich ihn. Warum ich ihn bewundere. ich habe gesehen, dass ihm nichts fehlt. Jemand kann alles geringschätzen, alles haben kann niemand. Der kürzeste Weg zu Schätzen ist der durch die Verachtung aller Reichtümer. Unser Demetrius aber lebt so, nicht als würde er alles verachten, sondern als liesse er zu, dass die anderen alles haben sollen. Leb wohl.
Re: Interpretation Seneca epistulae morales Brief 62
Dave am 19.3.12 um 22:01 Uhr (
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IIim 3. Satz kommt anstatt des Punktes hinter „bewundere“ ein Fragezeichen.
Re: Interpretation Seneca epistulae morales Brief 62
Elisabeth am 20.3.12 um 6:18 Uhr (
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IDemetrius wirkt auch ohne Kleider, nur als Mensch. Seneca findet es gut, einen Menschen eben nicht nach seinen Äußerlichkeiten (wie z.B. Kleidern) zu beurteilen. Daher lobt er es, wenn jemand den Besitz geringschätzt.
(Ich finde übrigens auch, dass das Beispiel - v.a. in Verbindung mit der ersten Hälfte des Briefes - nicht ganz glücklich gewählt ist.)
Re: Interpretation Seneca epistulae morales Brief 62
Der zweite Teil ist eine Psychologie der Entsagung: Demetrius bindet sich nicht in der Verachtung negativ an das Verachtete, er, und das ist nicht ohne Ironie in meinen Augen: „... sic vivit, non tamquam contempserit omnia, sed tamquam aliis habenda permiserit“ „lebt jedoch nicht so, als ob er alles verachtete, vielmehr so, als würde er es den anderen als Besitz anvertrauen.“ In der Geste des „permittere“ steckt also zweierlei: dass er dem Rest der Welt Reichtum überhaupt gestattet (i.e. nicht universalen Verzicht verlangt, predigt und an dem zu erwarteten Widerstand der Welt sich aufreibt), und, dass er, zynische Analyse des Kynikers, darin sich noch wie ein virtueller Gönner fühlt: denn eigentlich gehört alles ihm, er hat es nur großzügig den „aliis“ überlassen, einstweilen anvertraut. Eins noch: „relictis conchyliatis cum illo seminudo loquor“ ist kein Striptease, es heißt etwa „die Purpurträger lass ich links liegen, mit dem Halbnackten da aber rede ich...“