Latein Wörterbuch - Forum
Catull 64 — 4791 Aufrufe
Sappho am 26.4.12 um 7:01 Uhr (Zitieren) II
Ist irgendwem mal eine deutsche online-Uebersetzung von Catulls 64. Gedicht untergekommen? Hab grad die ganze Nacht fuer diesen Griechischtest gelernt, da mag ich kein Englisch mehr : P
Re: Catull 64
Lateinhelfer am 26.4.12 um 8:27 Uhr (Zitieren) II
Ich habe die Tusculumausgabe zweisprachig, Sappho.
Aber du kannst doch Englisch:
http://rudy.negenborn.net/catullus/text2/l64.htm

;-)
Re: Catull 64
Kuli am 26.4.12 um 10:40 Uhr (Zitieren) II
64. Die Hochzeit des Peleus und der Thetis

(Peliaco quondam prognatae vertice pinus)

Einstmals zog nach der Alten Bericht ein Schiff durch die Wogen,
Und aus Fichten vom Gipfel des Pelion war es gezimmert.
Hin zum Phasis, ins Reich des Aeetes eilte das Fahrzeug,
Und erlesene Männer, der Stolz der Argivischen Jugend,
Voller Verlangen, aus Kolchis das goldene Vlies zu entführen,
Wagten auf eilendem Kiel sich hinaus in die salzigen Fluten,
Teilend die blau erschimmernde See mit fichtenen Rudern.
Aber die Göttliche selber, die Schirmerin ragender Burgen,
Fest den empor sich wendenden Kiel mit den Planken verbindend,
Hatte das Schiff gebaut, das dem leisesten Hauche gehorchte,
Und das nun als das erste ins Reich Amphitrites hinauszog.
Kaum nur hatte die wogende Flut sein Schnabel durchschnitten,
Und kaum blinkte der Schaum auf der Fläche vom Schlage der Ruder,
Als aus gähnenden Tiefen des Meeres die Häupter erhoben
Nereus Töchter, die staunend das Wundergebilde gewahrten.
Sterbliche konnten im blühenden Licht mit Augen nun sehen,
Wie, aus schaurigen Schlünden enttauchend, Leiber der Nymphen
Unverhüllt, bis zum Busen hinan aus dem Wasser sich hoben.
Damals war’s, wie es heißt, daß für Thetis Peleus erglühte,
Wo sich Thetis nicht scheute den sterblichen Mann zu beglücken,
Jupiter selber dann beide zu dauerndem Bunde vereinte.
O, ihr Söhne, glückseligen früheren Zeiten entsprossen,
Ihr von Göttern Gezeugte, ihr Trefflichen, Freude der Mütter,
Gruß euch, edle Heroen, und Heil euch immer aufs neue!
Oftmals will ich im rühmenden Sang euch preisen, vor allen
Peleus dich, der erlesen, die herrlichste Ehe zu schließen,
Stolz Thessaliens du, dem der Vater der Himmelsbewohner
Jene zum Weibe vergönnte, die teuer ihm selber gewesen!
Drückte ans Herz dich nicht Thetis, des Nereus reizendste Tochter?
Gaben die eigene Enkelin nicht zur Gattin dir Tethys
Und, der flutend die Erde umkreist, Oceanus selber?
Als nun endlich die freudig erwarteten Tage gekommen,
Strömten Thessaliens Bewohner dem Hause zu, alle mitsammen,
Und im Königspalaste die fröhlichen Scharen sich drängten,
Alle mit Gaben in Händen, und Freude-erhellt die Gesichter.
Leer wird Cieros Stätte, verödet ist Tempe und Crannon;
Und von Menschen verlassen das Wall-umzogne Larissa:
Alles enteilt nach Pharsalus, dorthin nur streben sie alle.
Keiner sein Feld mehr bebaut, und den Rindern die Nacken erschlaffen,
Nicht mehr säubert die Hacke die niedrig wachsenden Reben,
Nicht verschneidet das Laub auf den Bäumen der sichelnde Gärtner,
Nicht durchackert den Boden der Stier mit der wühlenden Pflugschar,
Häßlicher Rost sich legt auf die müßig liegenden Pflüge.
Aber bis tief ins Innre des prächtigen Königspalastes
Funkelt es rings von glänzendem Gold und Silber, es schimmert
Elfenbein an den Sesseln, auf Tischen blinken Pokale:
So prangt herrlich der ganze Palast mit fürstlichen Schätzen.
Doch inmitten erhebt sich das bräutliche Lager der Göttin,
Schimmernd von Elfenbein, in Indiens Ländern gewonnen,
Und darüber sich breitet ein purpurfarbener Teppich.
Mannigfache Gestalten der Vorzeit, Taten von Helden
Zeigte in vielerlei Bildern der kunstvollendete Teppich:
Sorgsam späht Ariadne von Naxos' flutenumrauschtem
Strande hinaus in die See nach Theseus' fliehenden Schiffen,
Und unendlicher Kummer ihr Innres aufs tiefste erschüttert.
Was ihr Auge gesehn, sich selber mag sie’s nicht glauben,
Denn, vom täuschenden Schlummer soeben erwacht, sieht die Arme
Einsam sich und verlassen am trostlos öden Gestade.
War doch, ihrer vergessend, im Schiff entwichen der Jüngling,
Gebend den Winden des Himmels zum Spiel sein einst’ges Versprechen!
Sie jedoch, tränenden Auges, vom Strande späht in die Weite,
Anzusehn wie im steinernen Bilde erstarrt die Bacchantin,
Und in wogenden Wellen das Herz ihr Sorgen durchstürmen.
Nicht umspannt ist ihr goldiges Haar von zierlichem Netzwerk,
Nicht ihr Busen verdeckt vom hüllenden, leichten Gewande,
Nicht mehr bändigt die schneeige Brust ihr die haltende Binde:
Alles vom Körper hernieder zu Boden einzeln ihr gleitet,
Liegt zerstreut ihr zu Füßen, und Wellen ihr Spiel damit treiben.
Aber sie achtet der Binde, des losen Gewandes gar wenig,
Alles bist du ihr, sie hängt nur an dir mit der Seele, o Theseus,
All ihr Denken und Fühlen, auf dich nur ist es gerichtet!
Ach, du Arme, wie hat dich so schwer mit Kummer und Sorgen
Erycina verfolgt, wie rastlos ließ sie dich leiden,
Seit, vertrauend der eigenen Kraft und mutigen Herzens,
Theseus her vom Piräus geschifft und nach Gortys gekommen,
Dorthin wo die Behausung des Rechte-verletzenden Königs.
Denn einst wurde die Cekropsstadt verwüstet von Seuchen,
Weil vor Zeiten ermordet Androgeos dort, und zur Strafe
Mußte sie Knaben von edler Geburt und die Blüte der Jungfraun
Dorthin immer zum Mahl für den Minotaurus entsenden.
Als nun solche Bedrängnis der Stadt zur Plage geworden,
Da war Theseus, von Liebe erfüllt für die Stadt der Athener,
Eher sein Leben zu wagen bereit, als daß man lebendig
Jene nach Creta verschickte, die dort dem Tode verfallen.
So, vertrauend dem eilenden Schiff und günstigen Winden,
Kam er zur ragenden Feste des machtvoll herrschenden Minos.
Dort nun hatte nur eben erblickt ihn die Tochter des Königs,
Sie, die zärtlich gepflegt und von Mutterarmen umfangen,
Hold in Gemächern erblüht, die liebliche Düfte erfüllten,
Wie sie Myrtengebüschen am Strom Eurotas entschweben,
Oder den prangenden Blumen, die Frühlingswinde erwecken,
Als sie feurig verlangend nicht eher den Blick von ihm wandte,
Als bis heißes Begehren das Herz hochauf ihr erregte,
Und bis tief in das innerste Mark ihr die Flamme gedrungen.
O, allmächtiger Knabe, wie schrecklich marterst du Herzen,
Du, der Leid mit den Freuden vermischt, die du Sterblichen spendest,
Und o Golgi’s Beherrscherin du und der Wälder Jdaliums,
Wieviel ließest du leiden das liebende Mädchen, das oftmals,
Tief aufseufzend den Fremden im goldnen Gelock nun herbeisehnt!
Wieviel Sorgen um ihn ließ bang sie immer erzittern,
Und wie schwand ihr die Farbe so oft, wie fahl ward ihr Antlitz,
Als zum Kampf mit dem Drachen nun Theseus zog, mit dem Wunsche,
Sei’s, sein Leben zu lassen, sei’s, strahlenden Ruhm zu erwerben!
Aber ihr frommes Gebet blieb nicht unerhört, und die Götter
Nahmen ihr stilles Gelübde mit Wohlgefallen entgegen.
Denn wie brausender Sturm auf des Taurus Höhen die Eiche,
Oder die dicht mit Zapfen behangene harzige Fichte,
Machtvoll blasend, erschüttert, zu Boden streckt und entwurzelt,
Tief aus der Erde sie reißt, vornüber beugt, bis sie alles,
Was im Fall ihr begegnet, weithin mit sich selber herabreißt:
So in den Staub streckt Theseus das grause bezwungene Scheusal,
Das ohnmächtig ins Leere die Stöße der Hörner nun richtet.
Unversehrt dann kehrt er zurück, der rühmlich gestritten,
Leitend die suchenden Schritte am fein-gesponnenen Faden,
Der die verschlungenen Gänge des Baus ihm zeigte und sicher
Wieder hinaus ins Freie, damit er nicht irre, ihn führte.
Aber wohin verliert sich mein Sang? soll ich alles berichten,
Was dann weiter geschehn? wie die Tochter den Vater verlassen,
Wie sie die Schwester umfangen, die Mutter zuletzt, die unendlich
Sich der Unsel’gen gefreut, und diese, glühend für Theseus,
Alle die andern verschmäht, nur ihn von Herzen ersehnend?
Oder wie hin ans Gestade von Naxos das Schiff sie getragen,
Wo ihr Gatte, nicht ihrer gedenk, sie schnöde verlassen,
Während erquickender Schlummer die Augen ihr leise geschlossen?
Oftmals stieß sie, wie’s heißt, zum Rasen gebracht vor Erregung,
Weithin gellende Töne hervor aus der Tiefe des Herzens,
Stieg zu Zeiten auch traurigen Muts auf die Gipfel der Berge,
Weithinaus auf die wogende See mit den Blicken zu dringen;
Wieder dann lief sie hinunter, hinein in die schäumende Brandung,
Streifte die leichten Gewänder empor bis hinauf zu den Knieen,
Dann, von Tränen betaut das Gesicht, mit bebenden Lippen,
Klagte sie also in äußerster Not und Trauer im Herzen:
»So nun, Theseus, du Falscher, nachdem du dem Hause, der Heimat
Mich entrissen, verläßt du mich hier am verödeten Strande?
So entziehst du dich mir, mißachtend die himmlischen Götter,
Ach, und eilst in dein väterlich Land trotz heiliger Schwüre?
Konnte denn nichts dich bewegen, dem harten Entschluß zu entsagen,
Stieg denn nimmer im Busen dir auf eine freundliche Regung,
Dir mit tiefem Erbarmen das trotzige Herz zu erweichen?
Vorher hattest du schmeichlerisch mir ganz andres versprochen,
Und dein Wort ließ Unselige mich nicht Solches erwarten,
Freuden der Ehe vielmehr und Jubelgesänge zur Hochzeit;
Aber die Winde des Himmels in nichts das alles verwehten!
Schwüren der Männer mag fürder kein Weib mehr glauben, noch hoffen,
Redlich gemeint sei das, was sie vorher alles verheißen:
Hegt solch einer ein heiß ihn verzehrendes großes Verlangen,
Weder vor Schwüren dann schreckt er zurück, noch spart er Versprechen;
Aber sobald sein begehrlicher Sinn das Ersehnte genossen,
Dann gilt alles Gesagte ihm nichts, noch kümmern ihn Eide!
Ich jedoch brachte dir Hilfe, als Tod schon nahe dir drohte,
Und war eher den Bruder zu opfern erbötig, als Hilfe
Dir, der Treue nicht kannte, in Lebensgefahr zu versagen!
Nun zum Lohn werd ich wildem Getier und Vögeln zur Beute,
Keiner wird auch die Gebeine mir einst mit Erde bedecken!
Brachte denn dich in entlegnem Geklüft zur Welt eine Löwin?
Wo ist das Meer, das im Schoße dich barg und hinaus dich geschleudert?
War es die Räuberin Scylla, die Syrte, die grause Charybdis,
Daß du jener so dankst, die dich vom Tode errettet?
Wenn’s dein Wille nicht war, daß der Ehe Band uns vereine,
Weil dir solches mit Strenge dein greiser Erzeuger verboten,
O, so konntest du dennoch mich hin in dein Land mit dir nehmen,
Und dort hätt' ich mit Freuden als Magd dir Dienste geleistet,
Hätte die Füße dir willig mit rieselndem Wasser begossen,
Oder mit purpurnen Decken die Lagerstatt dir bereitet.
Doch was klag' ich, von Leiden erschöpft, mein Weh nun vergeblich
Fühllos bleibenden Winden, die weder zum Hören geschaffen,
Noch mit Stimme begabt, das gesprochene Wort zu erwidern?
Ferne bereits auf wogendem Meer entschwand er den Blicken,
Und kein sterbliches Wesen sich zeigt am öden Gestade,
Fühllos blickt auf all meine Not hernieder das Schicksal,
Und unwillig verschließt es sein Ohr meinem Jammern und Klagen!
Jupiter, Weltenbeherrscher, o wären am Strande von Gnossus
Damals Schiffe aus Cekrops' Stadt doch nimmer gelandet!
Hätte der schändliche Schiffer auch nie vor Creta geankert,
Dort dem gewaltigen Stiere sein gräßliches Opfer zu bringen!
Hätten auch ihn, der gefällig und schön von außen, doch schändlich
Innerlich war, doch nimmer die Unsrigen gastlich empfangen!
Denn wohin nun mich wenden, wo Hilfe, ich Arme, erwarten?
Soll zum Idagebirge der Weg mich führen? Ach, trennend
Breitet davor sich das grausige Meer mit gähnenden Schlünden!
Kann ich mir Hilfe erhoffen vom Vater, von dem ich geschieden,
Weil ich jenem gefolgt, der den Bruder mir tödlich getroffen?
Oder soll Trost mir die Liebe und Treue des Gatten gewähren,
Der, entfliehend vor mir, sein Schiff in die Weite nun steuert?
Nacktes Gestade, kein Haus, ringsher nur Wasser sich breitet,
Und kein Weg aus des Meeres umflutenden Wogen sich öffnet;
Weder Gedanke an Flucht, noch Hoffnung: stumm ist hier alles,
Alles verlassen und öde, an Tod nur alles gemahnend!
Aber es sollen nicht eher die Augen im Tode mir brechen,
Nicht den ermatteten Leib soll Besinnung verlassen, als dann erst,
Wenn ich Verratne die Götter um volle Bestrafung gebeten,
Und von ihnen mein Recht erst erfleht in der Stunde des Todes!
Drum, die ihr rächend den Frevler mit Strafen verfolgt, Eumeniden,
Ihr, mit Haaren durchflochten von Natterngezücht an den Stirnen,
Und die zeigen, wie grimmig der Zorn im Busen euch lodert:
Hierher, hierher, kommet herzu und vernehmet die Klagen,
Die ich Arme in äußerster Not aus den Tiefen der Seele,
Hilflos, glühend und meiner vor Wut nicht mächtig, entsende!
Und da Grund mir gegeben, aus innerstem Herzen zu klagen,
O, so lasset mein Jammern zum Spiel der Winde nicht werden,
Sondern wie ich so freventlich hier von Theseus verlassen,
So auch stürz' er sich selber dereinst und die Seinen ins Unglück!«
Als in Worten nun also ihr trauerndes Herz sich ergossen,
Und sie volle Bestrafung geheischt für schwere Vergehen,
Sieh, da neigte gewährend sein Haupt der Beherrscher des Weltalls,
Machte die Erde erbeben, die hochaufrauschenden Meere,
Und erschütterte mächtig des Alls hell schimmernde Sterne.
Theseus aber, wie geistesverwirrt, was fest sein Gedächtnis
All die Zeit ihm bewahrt, vergessen hatte er alles,
Was geboten ihm war und im Herzen bisher ihm gehaftet:
Zeichen der Freude nicht zog er empor für den bangenden Vater,
Als er gerettet den Hafen der Heimat vor sich gesehen.
Denn man sagt, daß zur Zeit, als die Schiffe zur Fahrt schon gerüstet,
Und mit günstigen Winden Athen zu verlassen gedachten,
Aegeus, eng umfangend den Sohn, ihm solches geboten:
»Sohn, mein einziger Sohn, du, mehr als das eigene Leben
Wert mir, den ich in solche Gefahr zu entsenden genötigt,
Du, mir eben erst wiedergeschenkt, da ich nahe dem Ende:
Will’s das Geschick denn so, und reißt, trotz meiner Betrübnis,
Dich dein Feuer von mir, noch ehe die sinkenden Augen
Vollauf schon sich geweidet an deiner so holden Erscheinung,
O, so kann ich doch freudig gestimmt nicht ziehen dich lassen,
Noch auch sehn, daß du Zeichen, Gelingen verkündend, entfaltest;
Erst vielmehr will ich all meine Not in Klagen ergießen
Und mit Erde und Staub mir bestreuen den schneeigen Scheitel.
Schwarz dann sollen die Segel am schwankenden Maste sich zeigen,
Denn wie Trauer mich selber erfüllt und den Geist mir verdüstert,
So muß dunkel gefärbt auch am Schiffe das Segel erscheinen.
Aber beschützt dich Itonus' Bewohnerin, sie, die so huldvoll
Unser Geschlecht und die Stadt des Erechtheus' immer beschirmte,
So daß rot dir die Rechte sich färbt vom Blute des Stieres,
O, dann präge dir tief ins Gemüt und immer lebendig
Halte vor Augen dir dieses Gebot, daß es nimmer erlösche:
Gleich, sobald nur den Blicken die heimischen Berge sich zeigen,
Laß von den Rahen die Trauer verkündenden Segel hernieder,
Und statt ihrer zieh weise sodann an den Tau’n in die Höhe,
Daß ich so rasch ich’s vermag dich erspähe und freudig begrüße,
Wenn zur glücklichen Stunde dein Weg dich wieder zurückführt!«
Dieses Gebot nun bewahrte zuerst im treuen Gedächtnis
Theseus, dann jedoch schwand es dahin, wie Wolken, vom Atem
Stürmischer Winde gejagt, von den Gipfeln der Berge entschwinden.
Aber der Vater, vergehend vor Schmerz und in Tränen zerfließend,
Spähte nur stets von der Höhe der Burg in die Tiefe, und plötzlich,
Sehend, daß schwarz von Farbe die Segel des nahenden Schiffes,
Stürzte sich jäh von der Höhe des Felsens hinab in die Tiefe,
Meinend, genommen nun sei ihm der Sohn vom feindlichen Schicksal.
So nun fand beim Betreten des Vaterhauses als Leiche
Theseus ihn, und das Leid, das er Minos' Tochter bereitet,
Da er ihrer vergaß, an sich selber nun mußt' er’s erfahren!
Diese nun sah voll Trauer das Schiff in die Ferne enteilen,
Und unsäglicher Kummer das blutende Herz ihr beschwerte.
Doch schon zieht ihr im Fluge der blühende Bacchus entgegen,
Satyrnschwärme, Silene aus Nysas Aun ihn begleiten:
Dich, Ariadne, ersehnt er, für dich erglüht er in Liebe!
Weiber von rasendem Taumel erfaßt, ihn stürmisch umdrängen,
Schreiend »Euhö, Euhö,« nach dem Rücken hin werfend die Köpfe.
Thyrsusstäbe, umwunden mit Blättern, die Einen hier schwingen,
Andre zerfleischen ein Rind und streun auf den Boden die Teile;
Manche umgürten die Leiber mit wild sich windenden Nattern,
Andre, mit Kästchen in Händen, verrichten der festlichen Orgien
Heimlichen Dienst, der streng sich verschließt unheiligen Augen,
Diese hier heben die Arme hochauf zum Schlage auf Pauken,
Oder entlocken dem klingenden Erz scharftönende Laute;
Andre noch stoßen in dröhnend verhallende Hörner, und kreischend
Schallen die gellenden Töne barbarischer Flöten dazwischen.
Solche Gebilde nun schmückten in prangender Fülle den Teppich,
Der ringsher sich verbreitend das bräutliche Lager umhüllte.
Als nun, freudig erregt, die Thessalier dran satt sich gesehen,
Zogen sie fort und räumten den Himmelsbewohnern die Stätte.
Gleichwie wallend das Meer in der Frühe sich kräuselt, vom Zephir
Flüsternd bewegt, wenn Aurora der Sonne Erscheinen verkündet,
Dann allmählich zu schwellen beginnt, und die flutenden Wellen,
Die vorher beim säuselnden Wehn nur leise geatmet,
Höher und höher sich heben, von klingendem Plätschern begleitet,
Und von Winden getrieben sich immer gewaltiger türmen,
Dann in purpurnen Schimmer getaucht hinrollend erglänzen:
Also ergoß aus dem Königspalast sich flutend die Menge,
Und weithin sich zerstreuend, zog jeder für sich seine Straße.
Bald nachdem sie gegangen, erschien von des Pelion Höhen
Chiron zuerst und bot zum Geschenk, was der Boden hervorbringt:
Blumen, soviele Thessaliens Aun und Gebirge nur schmücken,
Und soviele, genährt von Zephirus' laulichem Atem,
Irgend den Ufergeländen der Ströme entsprießen: sie alle
Brachte er, wie sie sich boten, ganz schlicht zu Kränzen gewunden,
Und gar lieblicher Blumengeruch durchwogte die Räume.
Drauf kam eilends Peneios herbei, für Reigen und Tänze
Schweifenden Scharen von Nymphen sein Tal von Tempo verstattend,
Tempe, im prangenden Grün, von ragenden Bergen umschlossen.
Er auch nahte mit Spenden: entwurzelte mächtige Buchen,
Schlank aufstrebenden Lorbeer, auch allzeit rege Platanen,
Steile Zypressen und leise sich wiegende Pappeln, Geschwister
Phaëthons, den flammender Blitz herniedergeschmettert.
Diese nun pflanzt' er in Reihn um die Stätte, erquickenden Schatten
Sollte ihr laubiges Dach ringsher um die Halle verbreiten.
Dann herzu kaum geschritten der vielerfahrne Prometheus,
Tragend am Körper die Male, veraltet jetzt, von der Strafe,
Die er voreinst, von Ketten umschnürt, und hoch vom Gebirge
Hangend herab in die Tiefe, an Scythiens Küste erlitten.
Endlich der ewige Vater erschien mit der hehren Gemahlin,
Und mit ihren Erzeugten. Zurück im Himmel verblieben
Phöbus, nur und Diana, der teuer die Höhen des Idrus:
Grollten die Zwillingsgeschwister doch immer noch heftig mit Peleus,
Deshalb blieben sie ferne dem Fest von Thetis' Vermählung.
Als nun alle sich niedergesetzt auf schimmernde Sessel,
Füllten die Tafeln sich reichlich mit auserlesenen Speisen.
Aber die Parzen dann, wiegend die Körper bewegend, begannen
Ihren Gesang, der künft’ges Geschehn untrüglich verkündet.
Weiße Gewänder umhüllten weithin die gebrechlichen Glieder.
Und nur unten am Rande ein Purpurstreifen sich zeigte;
Binden, wie Schnee erschimmernd, die Häupter der Alten umwanden,
Und nie rastend vollführten die Hände die ewige Arbeit.
Während den Rocken, umkleidet mit schmeidiger Wolle, die Linke
Fest hielt, führte die Rechte mit spielendem Finger den Faden
Sacht nach unten, es drehte, vom Daumen erfaßt, sich die Spindel
Wirbelnd umher, und geglättet der schwebende Faden sich zeigte.
Zerrend befreiten die Zähne sodann das Gespinst von den Fasern,
Und vom wolligen Flaum nur verblieb an den trockenen Lippen,
Was am glänzenden Faden zuvor noch Rauhes gehangen.
Ihnen zu Füßen befanden sich Weiden-geflochtene Körbchen,
Bergend die duftigen Flocken der milchweiß schimmernden Wolle.
Während des Spinnens nun sangen sie hell mit tönender Stimme,
Göttlich begeistert, den hehren Gesang, der Kommendes kündet,
Und der nimmer als Trug sich erweist bei den spätesten Enkeln:
»Herrlicher du, den Taten voll Kraft aufs würdigste zieren,
Hort Emathias du, der umstrahlt vom Ruhme des Sohnes,
O, vernimm, was am festlichen Tag, wahr redend, die Schwestern
Dir verkünden: doch ihr, die ihr künft’ge Geschicke bereitet,
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Bald wird Hesperus nahn und bringen, was Männer ersehnen,
Glück verheißend geschieht’s: die Gemahlin wird er dir bringen!
Sinnverwirrender Liebe Gewalt ihr entströmt, wenn sie schmachtend
Unter den mächtigen Nacken die schimmernden Arme dir breitet,
Und vereinigt in süßer Ermattung der Schlummer euch findet.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Nimmer zuvor gab’s ein Haus, das soviel Liebe umhegte,
Niemals schlossen sich Liebende so zur Ehe zusammen,
Wie einträchtigen Herzens hier Thetis und Peleus sich fanden.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Euch erblühn wird ein Sohn, der Gefahren verachtet, Achilleus,
Nimmer den Rücken, die mutige Brust wird er Feinden nur bieten,
Alle besiegend im Lauf, gleichwie er flüchtige Hirsche
Stürmisch verfolgt und ereilt, wird er oft den Sieg sich erringen.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Keiner, der Tapferste nicht, wird mit ihm im Kampf sich vergleichen:
Wenn sich Phrygiens Boden einst färbt mit dem Blute der Teukrer,
Dann wird er, der ein Enkel des eidvergessenen Pelops,
Trojas Feste, so lange umstürmt, vom Boden vertilgen.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Seiner untadligen Sitten und seiner gewaltigen Taten
Werden gar oft noch die Mütter gefallener Söhne gedenken,
Werden mit Asche bestreun sich die grauen, wild-flatternden Haare,
Und mit zitternden Händen die welkenden Brüste sich schlagen.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Zeugen von seiner gewaltigen Kraft wird die Flut des Skamander,
Der, sich teilend, hinabfließt zum reißenden Hellespontus:
Weithin werden die Leiber Erschlagner im Laufe ihn hemmen,
Dampfend von Strömen vergossenen Bluts wird die Welle enteilen.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Zeugen für ihn wird zuletzt die erbeutete Jungfrau, dem Toten
Dargebracht, wenn dereinst der Getöteten schneeige Glieder
Decken wird der aus Erde hochaufgeschüttete Hügel.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Denn sobald den erschöpften Achivern verstattet vom Schicksal,
Niederzuwerfen die Dardanerstadt, die Neptunus gegründet,
Wird am ragenden Hügel Polyxenas Blut sich ergießen,
Und vom Beile gefällt, mit wankenden Knien, als Opfer
Sinkt sie dahin, und den Boden bedeckt ihr verstümmelter Leichnam.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Auf nun, eilt den ersehnten Genüssen der Liebe entgegen,
Schließe zu glücklicher Stunde der Gatte den Bund mit der Göttin,
Und sei nun der verlangende Mann mit der Gattin vereinigt!
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Kommt in der Frühe die Pflegerin dann zum Besuch ihr entgegen,
Kann sie wie gestern den Hals ihr nicht mehr mit dem Bändchen umfangen;
Sorge die Mutter auch nimmer, die Tochter, entzweit mit dem Gatten,
Könne vereiteln ihr Hoffen auf Liebe verdienende Enkel!
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!«

* * *

So, aufs tiefste erregt von dem Gotte, hatten für Peleus
Fülle des Glücks im Liede die Parzen damals geweissagt.
Denn einst pflegten die Götter in eigner Gestalt in die Häuser
Edler Heroen zu kommen, sich sterblichen Augen zu zeigen,
Damals, als von den Menschen noch göttliches Recht nicht mißachtet.
Oftmals kam in sein prangendes Haus der Unsterblichen Vater,
Wenn sein Fest in der heiligen Zeit alljährlich gefeiert,
Und zu Hunderten sah er dann Stiere den Boden bedecken.
Oft auch stieg vom Parnassus der schwärmende Bacchus hernieder,
Führend Thyiaden, die Haare gelöst, laut lärmend und jauchzend,
Während das Volk aus Delphi hinaus sich drängte, die Gottheit,
Freudig bewegt zu empfangen an dampfumwallten Altären.
So auch haben sich Mars und Athene und Nemesis oftmals
Mitten im todverbreitenden Streit und Schlachtengetümmel
Selber gestellt in der Kämpfenden Reihn und die Scharen befeuert.
Aber nachdem sich das Menschengeschlecht mit Lastern besudelt,
Und aus sündigem Herzen getilgt den Sinn für das Rechte,
Seit mit mordender Hand sich ein Bruder gestürzt auf den andern,
Und nicht Kinder mehr Trauer am Grabe der Eltern empfinden;
Seit als Toten der Vater den Sohn gern sähe, um sicher
Dessen Erwählte, noch nimmer berührt, für sich zu gewinnen,
Und seit liebebegierig die Mutter dem züchtigen Sohne
Nachstellt, schnöde verletzend der Ehe hochheilige Schützer:
Seitdem haben unendliche Schuld und schändliche Laster
Uns entfremdet die Götter, die immer das Recht nur beschützen:
Deshalb wollen sie ferner nicht mehr zu uns sich gesellen,
Und verschmähn es, sich Menschen im Lichte des Tages zu zeigen!

[Aus: Digitale Bibliothek Band 30. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 10813-10835. Nach: Catull. Gedichte. Deutsch von Paul Lewinsohn. Berlin, Pantheon-Verlag, (1922).]
 
Um einen Text zu verfassen, müssen Sie zunächst über eine Plattform der Wahl Ihre Identität mit einem Klick bestätigen. Leider wurde durch das erhöhte Aufkommen von anonymen Spam und Beleidigungen diese Zusatzfunktion notwendig. Auf der Seite werden keine Informationen der sozialen Netzwerke für andere sichtbar oder weitergegeben. Bestätigung über Google Bestätigung über Facebook Bestätigung über AmazonBei dem Verfahren wird lediglich sichergestellt, dass wir eine eindeutige nicht zuordnebare Identität erhalten, um Forenmissbrauch vorzubeugen zu können.
Bearbeiten
Zum Bearbeiten des Eintrags muss unterhalb der Nutzername wieder mit dem richtigem Kennwort versehen sein, als auch Betreff- und Nachrichtfeld ausgefüllt sein. Abbrechen

64. Die Hochzeit des Peleus und der Thetis

(Peliaco quondam prognatae vertice pinus)

Einstmals zog nach der Alten Bericht ein Schiff durch die Wogen,
Und aus Fichten vom Gipfel des Pelion war es gezimmert.
Hin zum Phasis, ins Reich des Aeetes eilte das Fahrzeug,
Und erlesene Männer, der Stolz der Argivischen Jugend,
Voller Verlangen, aus Kolchis das goldene Vlies zu entführen,
Wagten auf eilendem Kiel sich hinaus in die salzigen Fluten,
Teilend die blau erschimmernde See mit fichtenen Rudern.
Aber die Göttliche selber, die Schirmerin ragender Burgen,
Fest den empor sich wendenden Kiel mit den Planken verbindend,
Hatte das Schiff gebaut, das dem leisesten Hauche gehorchte,
Und das nun als das erste ins Reich Amphitrites hinauszog.
Kaum nur hatte die wogende Flut sein Schnabel durchschnitten,
Und kaum blinkte der Schaum auf der Fläche vom Schlage der Ruder,
Als aus gähnenden Tiefen des Meeres die Häupter erhoben
Nereus Töchter, die staunend das Wundergebilde gewahrten.
Sterbliche konnten im blühenden Licht mit Augen nun sehen,
Wie, aus schaurigen Schlünden enttauchend, Leiber der Nymphen
Unverhüllt, bis zum Busen hinan aus dem Wasser sich hoben.
Damals war’s, wie es heißt, daß für Thetis Peleus erglühte,
Wo sich Thetis nicht scheute den sterblichen Mann zu beglücken,
Jupiter selber dann beide zu dauerndem Bunde vereinte.
O, ihr Söhne, glückseligen früheren Zeiten entsprossen,
Ihr von Göttern Gezeugte, ihr Trefflichen, Freude der Mütter,
Gruß euch, edle Heroen, und Heil euch immer aufs neue!
Oftmals will ich im rühmenden Sang euch preisen, vor allen
Peleus dich, der erlesen, die herrlichste Ehe zu schließen,
Stolz Thessaliens du, dem der Vater der Himmelsbewohner
Jene zum Weibe vergönnte, die teuer ihm selber gewesen!
Drückte ans Herz dich nicht Thetis, des Nereus reizendste Tochter?
Gaben die eigene Enkelin nicht zur Gattin dir Tethys
Und, der flutend die Erde umkreist, Oceanus selber?
Als nun endlich die freudig erwarteten Tage gekommen,
Strömten Thessaliens Bewohner dem Hause zu, alle mitsammen,
Und im Königspalaste die fröhlichen Scharen sich drängten,
Alle mit Gaben in Händen, und Freude-erhellt die Gesichter.
Leer wird Cieros Stätte, verödet ist Tempe und Crannon;
Und von Menschen verlassen das Wall-umzogne Larissa:
Alles enteilt nach Pharsalus, dorthin nur streben sie alle.
Keiner sein Feld mehr bebaut, und den Rindern die Nacken erschlaffen,
Nicht mehr säubert die Hacke die niedrig wachsenden Reben,
Nicht verschneidet das Laub auf den Bäumen der sichelnde Gärtner,
Nicht durchackert den Boden der Stier mit der wühlenden Pflugschar,
Häßlicher Rost sich legt auf die müßig liegenden Pflüge.
Aber bis tief ins Innre des prächtigen Königspalastes
Funkelt es rings von glänzendem Gold und Silber, es schimmert
Elfenbein an den Sesseln, auf Tischen blinken Pokale:
So prangt herrlich der ganze Palast mit fürstlichen Schätzen.
Doch inmitten erhebt sich das bräutliche Lager der Göttin,
Schimmernd von Elfenbein, in Indiens Ländern gewonnen,
Und darüber sich breitet ein purpurfarbener Teppich.
Mannigfache Gestalten der Vorzeit, Taten von Helden
Zeigte in vielerlei Bildern der kunstvollendete Teppich:
Sorgsam späht Ariadne von Naxos' flutenumrauschtem
Strande hinaus in die See nach Theseus' fliehenden Schiffen,
Und unendlicher Kummer ihr Innres aufs tiefste erschüttert.
Was ihr Auge gesehn, sich selber mag sie’s nicht glauben,
Denn, vom täuschenden Schlummer soeben erwacht, sieht die Arme
Einsam sich und verlassen am trostlos öden Gestade.
War doch, ihrer vergessend, im Schiff entwichen der Jüngling,
Gebend den Winden des Himmels zum Spiel sein einst’ges Versprechen!
Sie jedoch, tränenden Auges, vom Strande späht in die Weite,
Anzusehn wie im steinernen Bilde erstarrt die Bacchantin,
Und in wogenden Wellen das Herz ihr Sorgen durchstürmen.
Nicht umspannt ist ihr goldiges Haar von zierlichem Netzwerk,
Nicht ihr Busen verdeckt vom hüllenden, leichten Gewande,
Nicht mehr bändigt die schneeige Brust ihr die haltende Binde:
Alles vom Körper hernieder zu Boden einzeln ihr gleitet,
Liegt zerstreut ihr zu Füßen, und Wellen ihr Spiel damit treiben.
Aber sie achtet der Binde, des losen Gewandes gar wenig,
Alles bist du ihr, sie hängt nur an dir mit der Seele, o Theseus,
All ihr Denken und Fühlen, auf dich nur ist es gerichtet!
Ach, du Arme, wie hat dich so schwer mit Kummer und Sorgen
Erycina verfolgt, wie rastlos ließ sie dich leiden,
Seit, vertrauend der eigenen Kraft und mutigen Herzens,
Theseus her vom Piräus geschifft und nach Gortys gekommen,
Dorthin wo die Behausung des Rechte-verletzenden Königs.
Denn einst wurde die Cekropsstadt verwüstet von Seuchen,
Weil vor Zeiten ermordet Androgeos dort, und zur Strafe
Mußte sie Knaben von edler Geburt und die Blüte der Jungfraun
Dorthin immer zum Mahl für den Minotaurus entsenden.
Als nun solche Bedrängnis der Stadt zur Plage geworden,
Da war Theseus, von Liebe erfüllt für die Stadt der Athener,
Eher sein Leben zu wagen bereit, als daß man lebendig
Jene nach Creta verschickte, die dort dem Tode verfallen.
So, vertrauend dem eilenden Schiff und günstigen Winden,
Kam er zur ragenden Feste des machtvoll herrschenden Minos.
Dort nun hatte nur eben erblickt ihn die Tochter des Königs,
Sie, die zärtlich gepflegt und von Mutterarmen umfangen,
Hold in Gemächern erblüht, die liebliche Düfte erfüllten,
Wie sie Myrtengebüschen am Strom Eurotas entschweben,
Oder den prangenden Blumen, die Frühlingswinde erwecken,
Als sie feurig verlangend nicht eher den Blick von ihm wandte,
Als bis heißes Begehren das Herz hochauf ihr erregte,
Und bis tief in das innerste Mark ihr die Flamme gedrungen.
O, allmächtiger Knabe, wie schrecklich marterst du Herzen,
Du, der Leid mit den Freuden vermischt, die du Sterblichen spendest,
Und o Golgi’s Beherrscherin du und der Wälder Jdaliums,
Wieviel ließest du leiden das liebende Mädchen, das oftmals,
Tief aufseufzend den Fremden im goldnen Gelock nun herbeisehnt!
Wieviel Sorgen um ihn ließ bang sie immer erzittern,
Und wie schwand ihr die Farbe so oft, wie fahl ward ihr Antlitz,
Als zum Kampf mit dem Drachen nun Theseus zog, mit dem Wunsche,
Sei’s, sein Leben zu lassen, sei’s, strahlenden Ruhm zu erwerben!
Aber ihr frommes Gebet blieb nicht unerhört, und die Götter
Nahmen ihr stilles Gelübde mit Wohlgefallen entgegen.
Denn wie brausender Sturm auf des Taurus Höhen die Eiche,
Oder die dicht mit Zapfen behangene harzige Fichte,
Machtvoll blasend, erschüttert, zu Boden streckt und entwurzelt,
Tief aus der Erde sie reißt, vornüber beugt, bis sie alles,
Was im Fall ihr begegnet, weithin mit sich selber herabreißt:
So in den Staub streckt Theseus das grause bezwungene Scheusal,
Das ohnmächtig ins Leere die Stöße der Hörner nun richtet.
Unversehrt dann kehrt er zurück, der rühmlich gestritten,
Leitend die suchenden Schritte am fein-gesponnenen Faden,
Der die verschlungenen Gänge des Baus ihm zeigte und sicher
Wieder hinaus ins Freie, damit er nicht irre, ihn führte.
Aber wohin verliert sich mein Sang? soll ich alles berichten,
Was dann weiter geschehn? wie die Tochter den Vater verlassen,
Wie sie die Schwester umfangen, die Mutter zuletzt, die unendlich
Sich der Unsel’gen gefreut, und diese, glühend für Theseus,
Alle die andern verschmäht, nur ihn von Herzen ersehnend?
Oder wie hin ans Gestade von Naxos das Schiff sie getragen,
Wo ihr Gatte, nicht ihrer gedenk, sie schnöde verlassen,
Während erquickender Schlummer die Augen ihr leise geschlossen?
Oftmals stieß sie, wie’s heißt, zum Rasen gebracht vor Erregung,
Weithin gellende Töne hervor aus der Tiefe des Herzens,
Stieg zu Zeiten auch traurigen Muts auf die Gipfel der Berge,
Weithinaus auf die wogende See mit den Blicken zu dringen;
Wieder dann lief sie hinunter, hinein in die schäumende Brandung,
Streifte die leichten Gewänder empor bis hinauf zu den Knieen,
Dann, von Tränen betaut das Gesicht, mit bebenden Lippen,
Klagte sie also in äußerster Not und Trauer im Herzen:
»So nun, Theseus, du Falscher, nachdem du dem Hause, der Heimat
Mich entrissen, verläßt du mich hier am verödeten Strande?
So entziehst du dich mir, mißachtend die himmlischen Götter,
Ach, und eilst in dein väterlich Land trotz heiliger Schwüre?
Konnte denn nichts dich bewegen, dem harten Entschluß zu entsagen,
Stieg denn nimmer im Busen dir auf eine freundliche Regung,
Dir mit tiefem Erbarmen das trotzige Herz zu erweichen?
Vorher hattest du schmeichlerisch mir ganz andres versprochen,
Und dein Wort ließ Unselige mich nicht Solches erwarten,
Freuden der Ehe vielmehr und Jubelgesänge zur Hochzeit;
Aber die Winde des Himmels in nichts das alles verwehten!
Schwüren der Männer mag fürder kein Weib mehr glauben, noch hoffen,
Redlich gemeint sei das, was sie vorher alles verheißen:
Hegt solch einer ein heiß ihn verzehrendes großes Verlangen,
Weder vor Schwüren dann schreckt er zurück, noch spart er Versprechen;
Aber sobald sein begehrlicher Sinn das Ersehnte genossen,
Dann gilt alles Gesagte ihm nichts, noch kümmern ihn Eide!
Ich jedoch brachte dir Hilfe, als Tod schon nahe dir drohte,
Und war eher den Bruder zu opfern erbötig, als Hilfe
Dir, der Treue nicht kannte, in Lebensgefahr zu versagen!
Nun zum Lohn werd ich wildem Getier und Vögeln zur Beute,
Keiner wird auch die Gebeine mir einst mit Erde bedecken!
Brachte denn dich in entlegnem Geklüft zur Welt eine Löwin?
Wo ist das Meer, das im Schoße dich barg und hinaus dich geschleudert?
War es die Räuberin Scylla, die Syrte, die grause Charybdis,
Daß du jener so dankst, die dich vom Tode errettet?
Wenn’s dein Wille nicht war, daß der Ehe Band uns vereine,
Weil dir solches mit Strenge dein greiser Erzeuger verboten,
O, so konntest du dennoch mich hin in dein Land mit dir nehmen,
Und dort hätt' ich mit Freuden als Magd dir Dienste geleistet,
Hätte die Füße dir willig mit rieselndem Wasser begossen,
Oder mit purpurnen Decken die Lagerstatt dir bereitet.
Doch was klag' ich, von Leiden erschöpft, mein Weh nun vergeblich
Fühllos bleibenden Winden, die weder zum Hören geschaffen,
Noch mit Stimme begabt, das gesprochene Wort zu erwidern?
Ferne bereits auf wogendem Meer entschwand er den Blicken,
Und kein sterbliches Wesen sich zeigt am öden Gestade,
Fühllos blickt auf all meine Not hernieder das Schicksal,
Und unwillig verschließt es sein Ohr meinem Jammern und Klagen!
Jupiter, Weltenbeherrscher, o wären am Strande von Gnossus
Damals Schiffe aus Cekrops' Stadt doch nimmer gelandet!
Hätte der schändliche Schiffer auch nie vor Creta geankert,
Dort dem gewaltigen Stiere sein gräßliches Opfer zu bringen!
Hätten auch ihn, der gefällig und schön von außen, doch schändlich
Innerlich war, doch nimmer die Unsrigen gastlich empfangen!
Denn wohin nun mich wenden, wo Hilfe, ich Arme, erwarten?
Soll zum Idagebirge der Weg mich führen? Ach, trennend
Breitet davor sich das grausige Meer mit gähnenden Schlünden!
Kann ich mir Hilfe erhoffen vom Vater, von dem ich geschieden,
Weil ich jenem gefolgt, der den Bruder mir tödlich getroffen?
Oder soll Trost mir die Liebe und Treue des Gatten gewähren,
Der, entfliehend vor mir, sein Schiff in die Weite nun steuert?
Nacktes Gestade, kein Haus, ringsher nur Wasser sich breitet,
Und kein Weg aus des Meeres umflutenden Wogen sich öffnet;
Weder Gedanke an Flucht, noch Hoffnung: stumm ist hier alles,
Alles verlassen und öde, an Tod nur alles gemahnend!
Aber es sollen nicht eher die Augen im Tode mir brechen,
Nicht den ermatteten Leib soll Besinnung verlassen, als dann erst,
Wenn ich Verratne die Götter um volle Bestrafung gebeten,
Und von ihnen mein Recht erst erfleht in der Stunde des Todes!
Drum, die ihr rächend den Frevler mit Strafen verfolgt, Eumeniden,
Ihr, mit Haaren durchflochten von Natterngezücht an den Stirnen,
Und die zeigen, wie grimmig der Zorn im Busen euch lodert:
Hierher, hierher, kommet herzu und vernehmet die Klagen,
Die ich Arme in äußerster Not aus den Tiefen der Seele,
Hilflos, glühend und meiner vor Wut nicht mächtig, entsende!
Und da Grund mir gegeben, aus innerstem Herzen zu klagen,
O, so lasset mein Jammern zum Spiel der Winde nicht werden,
Sondern wie ich so freventlich hier von Theseus verlassen,
So auch stürz' er sich selber dereinst und die Seinen ins Unglück!«
Als in Worten nun also ihr trauerndes Herz sich ergossen,
Und sie volle Bestrafung geheischt für schwere Vergehen,
Sieh, da neigte gewährend sein Haupt der Beherrscher des Weltalls,
Machte die Erde erbeben, die hochaufrauschenden Meere,
Und erschütterte mächtig des Alls hell schimmernde Sterne.
Theseus aber, wie geistesverwirrt, was fest sein Gedächtnis
All die Zeit ihm bewahrt, vergessen hatte er alles,
Was geboten ihm war und im Herzen bisher ihm gehaftet:
Zeichen der Freude nicht zog er empor für den bangenden Vater,
Als er gerettet den Hafen der Heimat vor sich gesehen.
Denn man sagt, daß zur Zeit, als die Schiffe zur Fahrt schon gerüstet,
Und mit günstigen Winden Athen zu verlassen gedachten,
Aegeus, eng umfangend den Sohn, ihm solches geboten:
»Sohn, mein einziger Sohn, du, mehr als das eigene Leben
Wert mir, den ich in solche Gefahr zu entsenden genötigt,
Du, mir eben erst wiedergeschenkt, da ich nahe dem Ende:
Will’s das Geschick denn so, und reißt, trotz meiner Betrübnis,
Dich dein Feuer von mir, noch ehe die sinkenden Augen
Vollauf schon sich geweidet an deiner so holden Erscheinung,
O, so kann ich doch freudig gestimmt nicht ziehen dich lassen,
Noch auch sehn, daß du Zeichen, Gelingen verkündend, entfaltest;
Erst vielmehr will ich all meine Not in Klagen ergießen
Und mit Erde und Staub mir bestreuen den schneeigen Scheitel.
Schwarz dann sollen die Segel am schwankenden Maste sich zeigen,
Denn wie Trauer mich selber erfüllt und den Geist mir verdüstert,
So muß dunkel gefärbt auch am Schiffe das Segel erscheinen.
Aber beschützt dich Itonus' Bewohnerin, sie, die so huldvoll
Unser Geschlecht und die Stadt des Erechtheus' immer beschirmte,
So daß rot dir die Rechte sich färbt vom Blute des Stieres,
O, dann präge dir tief ins Gemüt und immer lebendig
Halte vor Augen dir dieses Gebot, daß es nimmer erlösche:
Gleich, sobald nur den Blicken die heimischen Berge sich zeigen,
Laß von den Rahen die Trauer verkündenden Segel hernieder,
Und statt ihrer zieh weise sodann an den Tau’n in die Höhe,
Daß ich so rasch ich’s vermag dich erspähe und freudig begrüße,
Wenn zur glücklichen Stunde dein Weg dich wieder zurückführt!«
Dieses Gebot nun bewahrte zuerst im treuen Gedächtnis
Theseus, dann jedoch schwand es dahin, wie Wolken, vom Atem
Stürmischer Winde gejagt, von den Gipfeln der Berge entschwinden.
Aber der Vater, vergehend vor Schmerz und in Tränen zerfließend,
Spähte nur stets von der Höhe der Burg in die Tiefe, und plötzlich,
Sehend, daß schwarz von Farbe die Segel des nahenden Schiffes,
Stürzte sich jäh von der Höhe des Felsens hinab in die Tiefe,
Meinend, genommen nun sei ihm der Sohn vom feindlichen Schicksal.
So nun fand beim Betreten des Vaterhauses als Leiche
Theseus ihn, und das Leid, das er Minos' Tochter bereitet,
Da er ihrer vergaß, an sich selber nun mußt' er’s erfahren!
Diese nun sah voll Trauer das Schiff in die Ferne enteilen,
Und unsäglicher Kummer das blutende Herz ihr beschwerte.
Doch schon zieht ihr im Fluge der blühende Bacchus entgegen,
Satyrnschwärme, Silene aus Nysas Aun ihn begleiten:
Dich, Ariadne, ersehnt er, für dich erglüht er in Liebe!
Weiber von rasendem Taumel erfaßt, ihn stürmisch umdrängen,
Schreiend »Euhö, Euhö,« nach dem Rücken hin werfend die Köpfe.
Thyrsusstäbe, umwunden mit Blättern, die Einen hier schwingen,
Andre zerfleischen ein Rind und streun auf den Boden die Teile;
Manche umgürten die Leiber mit wild sich windenden Nattern,
Andre, mit Kästchen in Händen, verrichten der festlichen Orgien
Heimlichen Dienst, der streng sich verschließt unheiligen Augen,
Diese hier heben die Arme hochauf zum Schlage auf Pauken,
Oder entlocken dem klingenden Erz scharftönende Laute;
Andre noch stoßen in dröhnend verhallende Hörner, und kreischend
Schallen die gellenden Töne barbarischer Flöten dazwischen.
Solche Gebilde nun schmückten in prangender Fülle den Teppich,
Der ringsher sich verbreitend das bräutliche Lager umhüllte.
Als nun, freudig erregt, die Thessalier dran satt sich gesehen,
Zogen sie fort und räumten den Himmelsbewohnern die Stätte.
Gleichwie wallend das Meer in der Frühe sich kräuselt, vom Zephir
Flüsternd bewegt, wenn Aurora der Sonne Erscheinen verkündet,
Dann allmählich zu schwellen beginnt, und die flutenden Wellen,
Die vorher beim säuselnden Wehn nur leise geatmet,
Höher und höher sich heben, von klingendem Plätschern begleitet,
Und von Winden getrieben sich immer gewaltiger türmen,
Dann in purpurnen Schimmer getaucht hinrollend erglänzen:
Also ergoß aus dem Königspalast sich flutend die Menge,
Und weithin sich zerstreuend, zog jeder für sich seine Straße.
Bald nachdem sie gegangen, erschien von des Pelion Höhen
Chiron zuerst und bot zum Geschenk, was der Boden hervorbringt:
Blumen, soviele Thessaliens Aun und Gebirge nur schmücken,
Und soviele, genährt von Zephirus' laulichem Atem,
Irgend den Ufergeländen der Ströme entsprießen: sie alle
Brachte er, wie sie sich boten, ganz schlicht zu Kränzen gewunden,
Und gar lieblicher Blumengeruch durchwogte die Räume.
Drauf kam eilends Peneios herbei, für Reigen und Tänze
Schweifenden Scharen von Nymphen sein Tal von Tempo verstattend,
Tempe, im prangenden Grün, von ragenden Bergen umschlossen.
Er auch nahte mit Spenden: entwurzelte mächtige Buchen,
Schlank aufstrebenden Lorbeer, auch allzeit rege Platanen,
Steile Zypressen und leise sich wiegende Pappeln, Geschwister
Phaëthons, den flammender Blitz herniedergeschmettert.
Diese nun pflanzt' er in Reihn um die Stätte, erquickenden Schatten
Sollte ihr laubiges Dach ringsher um die Halle verbreiten.
Dann herzu kaum geschritten der vielerfahrne Prometheus,
Tragend am Körper die Male, veraltet jetzt, von der Strafe,
Die er voreinst, von Ketten umschnürt, und hoch vom Gebirge
Hangend herab in die Tiefe, an Scythiens Küste erlitten.
Endlich der ewige Vater erschien mit der hehren Gemahlin,
Und mit ihren Erzeugten. Zurück im Himmel verblieben
Phöbus, nur und Diana, der teuer die Höhen des Idrus:
Grollten die Zwillingsgeschwister doch immer noch heftig mit Peleus,
Deshalb blieben sie ferne dem Fest von Thetis' Vermählung.
Als nun alle sich niedergesetzt auf schimmernde Sessel,
Füllten die Tafeln sich reichlich mit auserlesenen Speisen.
Aber die Parzen dann, wiegend die Körper bewegend, begannen
Ihren Gesang, der künft’ges Geschehn untrüglich verkündet.
Weiße Gewänder umhüllten weithin die gebrechlichen Glieder.
Und nur unten am Rande ein Purpurstreifen sich zeigte;
Binden, wie Schnee erschimmernd, die Häupter der Alten umwanden,
Und nie rastend vollführten die Hände die ewige Arbeit.
Während den Rocken, umkleidet mit schmeidiger Wolle, die Linke
Fest hielt, führte die Rechte mit spielendem Finger den Faden
Sacht nach unten, es drehte, vom Daumen erfaßt, sich die Spindel
Wirbelnd umher, und geglättet der schwebende Faden sich zeigte.
Zerrend befreiten die Zähne sodann das Gespinst von den Fasern,
Und vom wolligen Flaum nur verblieb an den trockenen Lippen,
Was am glänzenden Faden zuvor noch Rauhes gehangen.
Ihnen zu Füßen befanden sich Weiden-geflochtene Körbchen,
Bergend die duftigen Flocken der milchweiß schimmernden Wolle.
Während des Spinnens nun sangen sie hell mit tönender Stimme,
Göttlich begeistert, den hehren Gesang, der Kommendes kündet,
Und der nimmer als Trug sich erweist bei den spätesten Enkeln:
»Herrlicher du, den Taten voll Kraft aufs würdigste zieren,
Hort Emathias du, der umstrahlt vom Ruhme des Sohnes,
O, vernimm, was am festlichen Tag, wahr redend, die Schwestern
Dir verkünden: doch ihr, die ihr künft’ge Geschicke bereitet,
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Bald wird Hesperus nahn und bringen, was Männer ersehnen,
Glück verheißend geschieht’s: die Gemahlin wird er dir bringen!
Sinnverwirrender Liebe Gewalt ihr entströmt, wenn sie schmachtend
Unter den mächtigen Nacken die schimmernden Arme dir breitet,
Und vereinigt in süßer Ermattung der Schlummer euch findet.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Nimmer zuvor gab’s ein Haus, das soviel Liebe umhegte,
Niemals schlossen sich Liebende so zur Ehe zusammen,
Wie einträchtigen Herzens hier Thetis und Peleus sich fanden.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Euch erblühn wird ein Sohn, der Gefahren verachtet, Achilleus,
Nimmer den Rücken, die mutige Brust wird er Feinden nur bieten,
Alle besiegend im Lauf, gleichwie er flüchtige Hirsche
Stürmisch verfolgt und ereilt, wird er oft den Sieg sich erringen.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Keiner, der Tapferste nicht, wird mit ihm im Kampf sich vergleichen:
Wenn sich Phrygiens Boden einst färbt mit dem Blute der Teukrer,
Dann wird er, der ein Enkel des eidvergessenen Pelops,
Trojas Feste, so lange umstürmt, vom Boden vertilgen.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Seiner untadligen Sitten und seiner gewaltigen Taten
Werden gar oft noch die Mütter gefallener Söhne gedenken,
Werden mit Asche bestreun sich die grauen, wild-flatternden Haare,
Und mit zitternden Händen die welkenden Brüste sich schlagen.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Zeugen von seiner gewaltigen Kraft wird die Flut des Skamander,
Der, sich teilend, hinabfließt zum reißenden Hellespontus:
Weithin werden die Leiber Erschlagner im Laufe ihn hemmen,
Dampfend von Strömen vergossenen Bluts wird die Welle enteilen.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Zeugen für ihn wird zuletzt die erbeutete Jungfrau, dem Toten
Dargebracht, wenn dereinst der Getöteten schneeige Glieder
Decken wird der aus Erde hochaufgeschüttete Hügel.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Denn sobald den erschöpften Achivern verstattet vom Schicksal,
Niederzuwerfen die Dardanerstadt, die Neptunus gegründet,
Wird am ragenden Hügel Polyxenas Blut sich ergießen,
Und vom Beile gefällt, mit wankenden Knien, als Opfer
Sinkt sie dahin, und den Boden bedeckt ihr verstümmelter Leichnam.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Auf nun, eilt den ersehnten Genüssen der Liebe entgegen,
Schließe zu glücklicher Stunde der Gatte den Bund mit der Göttin,
Und sei nun der verlangende Mann mit der Gattin vereinigt!
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
Kommt in der Frühe die Pflegerin dann zum Besuch ihr entgegen,
Kann sie wie gestern den Hals ihr nicht mehr mit dem Bändchen umfangen;
Sorge die Mutter auch nimmer, die Tochter, entzweit mit dem Gatten,
Könne vereiteln ihr Hoffen auf Liebe verdienende Enkel!
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!«

* * *

So, aufs tiefste erregt von dem Gotte, hatten für Peleus
Fülle des Glücks im Liede die Parzen damals geweissagt.
Denn einst pflegten die Götter in eigner Gestalt in die Häuser
Edler Heroen zu kommen, sich sterblichen Augen zu zeigen,
Damals, als von den Menschen noch göttliches Recht nicht mißachtet.
Oftmals kam in sein prangendes Haus der Unsterblichen Vater,
Wenn sein Fest in der heiligen Zeit alljährlich gefeiert,
Und zu Hunderten sah er dann Stiere den Boden bedecken.
Oft auch stieg vom Parnassus der schwärmende Bacchus hernieder,
Führend Thyiaden, die Haare gelöst, laut lärmend und jauchzend,
Während das Volk aus Delphi hinaus sich drängte, die Gottheit,
Freudig bewegt zu empfangen an dampfumwallten Altären.
So auch haben sich Mars und Athene und Nemesis oftmals
Mitten im todverbreitenden Streit und Schlachtengetümmel
Selber gestellt in der Kämpfenden Reihn und die Scharen befeuert.
Aber nachdem sich das Menschengeschlecht mit Lastern besudelt,
Und aus sündigem Herzen getilgt den Sinn für das Rechte,
Seit mit mordender Hand sich ein Bruder gestürzt auf den andern,
Und nicht Kinder mehr Trauer am Grabe der Eltern empfinden;
Seit als Toten der Vater den Sohn gern sähe, um sicher
Dessen Erwählte, noch nimmer berührt, für sich zu gewinnen,
Und seit liebebegierig die Mutter dem züchtigen Sohne
Nachstellt, schnöde verletzend der Ehe hochheilige Schützer:
Seitdem haben unendliche Schuld und schändliche Laster
Uns entfremdet die Götter, die immer das Recht nur beschützen:
Deshalb wollen sie ferner nicht mehr zu uns sich gesellen,
Und verschmähn es, sich Menschen im Lichte des Tages zu zeigen!

[Aus: Digitale Bibliothek Band 30. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 10813-10835. Nach: Catull. Gedichte. Deutsch von Paul Lewinsohn. Berlin, Pantheon-Verlag, (1922).]
  • Titel:
  • Name:
  • E-Mail:
  • Bei freiwilliger Angabe der E-Mail-Adresse werden Sie über Antworten auf Ihren Beitrag informiert. Dies kann jederzeit beendet werden. Kontrollieren Sie ggf. den Spam-Ordner.
  • Eintrag:
  • Grundsätzliches: Wir sind ein freies Forum, d.h. jeder Beteiligte arbeitet hier unentgeltlich. Uns eint das Interesse an der Antike und der lateinischen Sprache. Wir gehen freundlich und höflich miteinander um.

    Hinweise an die Fragesteller:

    1. Bitte für jedes Anliegen einen neuen Beitrag erstellen!
    2. Bei Latein-Deutsch-Übersetzungen einen eigenen Übersetzungsversuch mit angeben. Das gilt vor allem dann, wenn es sich um Hausaufgaben oder Vergleichbares handelt.
      Eine übersichtliche Gliederung erleichtert den Helfern die Arbeit.
      Je kürzer die Anfrage ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass schnell geantwortet wird.
    3. Bei Deutsch-Latein-Übersetzungen bitte kurz fassen. Für die Übersetzung eines Sinnspruchs wird sich immer ein Helfer finden.