Wie hat man auf Lateinisch Fremde angeredet, deren Namen und Rang man nicht wusste? Gab es ein Wort, das einem „Geehrter Herr“ oder dem englischen „Sir“ vergleichbar war? Wie hätte jemand aus niederem Stand einen anderen aus niederem Stand angesprochen?
Nein,
ähnlich wie im Englischen haben die Lateiner sich „geduzt“.
In der Antike (und bis in die Neuzeit) gab es strenge Kleidungsvorschriften:
An der Kleidung erkannte man den Stand.
Einen römischen Senator erkannte man auf den ersten Blick, ebenso einen „Eques“ (Ritter, der 2.Stand).
Der Rest war „pleps“.
Ergänzung:
Auch einen Consul erkannte man sofort:
Ihm schritten die „Lictoren“ voran
(ebenso bei den Vestalinnen und den übrigen Amtsträgern).
Es bestand also keine Gefahr, daß man im öffentlichen Raum einer höhergestellten Person ungebührlich gegenübertrat.
Wie Graeculus schon andeutet, verhält sich die Sache
weitaus komplizierter - In dem mit Martials Epigramm V.57 „Cum voco te dominum, noli tibi, Cinna, placere: saepe etiam servum sic resaluto tuum.“ („Wenn ich dich “dominus„ nenne, Cinna, bilde dir bloß nicht zu viel darauf ein: oft erwidere ich so den Gruß deines Sklaven“), das man noch als ironisches Spiel mit der Grußformel deuten kann, eröffneten Kapitel „Titles“ ihres Buches „Latin Forms of Address: From Plautus to Apuleius“ kommt die Autorin Eleanor Dickey nach Analyse von über 15000 in der Literatur überlieferten Anredesituationen z.B. in dieser Frage zu folgendem Schluss:
„One would thus expect the vocative domine to be used primarily by slaves to their masters, while domina should be used by slaves to their mistresses. There is, however, startlingly little evidence of such a usage. The masculine domine, as far as I can tell, never occurs in Latin literature as an address from a slave to his master, while domina, though it does occur, is very rare in this sense and comparatively late. Moreover, the only such examples of domina I have found (Petr. 105. 8, Apul. Met. 5. 2) are in texts where this address is used generally by people other than slaves, and these passages seem more likely to be examples of that general usage than sole proof of a specifically servile use. This omission is not due to a lack of addresses by slaves to their masters in Latin literature, for such do occur not infrequently, especially in comedy. Slaves in such situations are not obliged to use a title (cf. p. 234), but when a title is used, it is ere/a rather than domine/a.“
Der Situation „Addresses to Strangers and Nameless Characters“ ist im Übrigen ein eigenes Kapitel gewidmet.
Überhaupt scheint mir dieses statuarische Bild der Antike, das aus Bibulus' Postings durchschimmert, mehr der Filmindustrie des zwanzigsten Jahrhunderts geschuldet zu sein.
Beachtenswert ist auch, wie flexibel wir das im Deutschen handhaben. Man taxiert durch einen kurzen Blick sein Gegenüber ... und schon nennt eine Kassiererin im Supermarkt einen Sechzigjährigen „Junger Mann!“
Sehe ich nicht so streng, filix. Die Römer hatten da schon eine Kleiderordnung und eine Trennung. Extrem sieht man das auch in der Sitzplatzordnung des Colosseums. Ein Römer hat mit Sicherheit dies sofort erkannt und auch sein eigenes Auftreten und sein Benehmen danach gerichtet.
Schön und gut, Kleiderordnung und Anrede. Aber wie würde man Sätze wie: Ich wünsche Ihnen alles Gute, Genießen Sie die freien Tage etc. ins Lateinische übersetzen?
Einfach:
„Ich wünsche Dir alles Gute, genieße den Tag“
->
„cura, ut valeas, carpe diem“
(wörtlich: „Achte darauf, daß es dir gut ergeht, nutze den Tag.“