Der folgende Gliedatz enthält eine doppelte Verneinung:
„..., quia non soleas ne ipse quidem id facere.“
Als Übersetzung wird dazu geliefert:
„..., weil du das nicht einmal selbst zu tun pflegst.“
Nun habe ich aber gelernt, dass eine doppelte Verneinung im Lateinischen ganz logisch eine Bejahung bedeutet. Müsste demnach aber die Übersetzung nicht so lauten: „..., weil du das nicht einmal selbst nicht zu tun pflegst.“? Ergo: „Du selbst pflegst das zu tun.“ bzw. „Du selbst tust das für gewöhnlich.“ Schlussfolgere ich falsch? Übersehe ich etwas? Bitte um guten Rat!
Nein, will ich nicht. Ich hatte nur den Eindruck, du bist total übermüdet! Mir sagte man mal: Auch wenn’s noch so schön ist, einmal muss Schluss sein! Also: Marsch ins Bett!!
Man findet beides - also Sätze, in denen die Verbindung „ne ... quidem“ allein steht und mit „nicht einmal“ zu übersetzen ist, aber den ganzen Satz verneint: „...cum mendaci homini ne verum quidem dicenti credere soleamus...“ - „...da wir einem verlogenen Menschen nicht einmal dann, wenn er die Wahrheit sagt, zu glauben pflegen ...“ (Cicero: De divinatione 2,146) und solche, bei denen zusätzlich ein „non“ (oder nec) hinzutritt, ohne dass dadurch der negative Sinn von „ne ... quidem“ aufgehoben wird: „non fugio ne hos quidem mores...“ "Ich verabscheue diese Sitten nicht einmal ...(Cicero: In Verrem 2,3)
Desgleichen bei der Seneca-Stelle. Konstruktionen, bei denen „nicht einmal“ sich mit einem weiteren negativen Sinn verbindet, empfinden wir im Dt. als ungewöhnlich, obwohl sie sich konstruieren lassen: „Nicht einmal jene Kollegen, die sonst stets leugneten, von derartigen Vorgängen auch nur die geringste Kenntnis zu haben, wollten in diesem Fall nicht eingeweiht gewesen sein.“ Eine interessante Frage, ob es solches, i.e. Sätze in denen „ne ... quidem“ mit einer weiter Negation auftritt, die nicht bloß verstärkend wirkt und die zu übersetzen ist, im Lat. gibt.
Man muss offenbar damit leben, dass es doppelte Verneinungen gibt, die nicht zu einer Bejahung führen. Mir gefällt aber der Erklärungsversuch, dass Seneca hier zusätzlich betont („du pflegst es nicht zu tun, nicht einmal du“), obgleich die auf den Text angewandte deutsche Kommaregelung dem nicht entspricht.
Nun ja, die Betonung liegt eher auf dem „ipse“ - „du pflegst es ja nicht einmal selbst zu tun.“
Das „ne ...quidem“ bezieht sich unmittelbar auf das PC: „...weil (cum) wir nicht (ne) einmal (quidem) dem die Wahrheit (verum) sagenden (dicenti) verlogenen (mendaci) Menschen (homini) zu glauben (credere) pflegen (soleamus)...“
Ich weiß, dass nach metuere, timere usw. „ne“ folgt und nicht „ut“.
Interessant wäre nun, was man nimmt, wenn man ausdrücken möchte: Ich fürchte, dass du nicht kommst! ??
Ich meine, dass man dann „ne non“ nehmen müsse.
Also: „Vereor, ne non venias.“
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Übrigens zeigt doch das Beispiel der Verben des Fürchtens, dass die Verwendung von Negation im Lateinischen nicht immer logisch sein muss. Natürlich lernen wir das „ne“ in diesem Fall positiv mit „dass“ zu übersetzen, aber es ist ja doch ein ne und somit wörtlich gesehen ein „(dass) nicht“.