das Problem ist nicht das scheinen, sondern die Frage, ob avarus Adverb sein kann;
Valerius in provincia administranda nimis avarus (oder bloß: avarior) fuisse videtur
Videtur Valerius provinciam avarius administravisse.
Ich verstehe nicht, warum „gierig“ hier etwas anderes sein soll als ein Adverb. Es bezieht sich eindeutig auf ein ganz normales Verb und ist kein Prädikatsadjektiv, was du daraus gemacht hast.
Ich weiß nicht, ob ich richtig verstehe, aber es ist vielleicht so gemeint, daß Valerius nicht nur beim Verwalten habgierig war, sondern als Mensch an sich, d. h., er hat die Provinzen als Habgieriger verwaltet.
Habgier ist eine menschliche Eigenschaft, die sich natürlich in seinen Handlungen zeigt, aber ob diese dann habgierig sind oder doch der handelnde Mensch, ist die Frage;
das Adverb wird bei Georges gar nicht erwähnt, kommt insgesamt selten vor, bei Cicero nur einmal, avarius gar nicht (nur einmal bei den clerici)
Das wäre dann ein Prädikatsadjektiv, was aber nicht von der dt. Übersetzung gefordert war.
@arbiter: Dann solltest du wieder die deutsche Vorgabe anzweifeln.
„avare“ - bei Cicero kommt es drei Mal vor, zudem lehrt Menge novus §283,3: „Nie prädikativ verwendet werden die Adjektive cupidus, avidus, studiosus und avarus; statt dessen steht immer das Adverb.“ cf. auch „Damnatus isdem consulibus Vipsanius Laenas ob Sardiniam provinciam avare habitam“ (Tacitus: Annales XIII, 30)
mitnichten;
- eine prädikative Version wurde bislang nicht gepostet.
- das (seltene) Auftreten des Adverbs erfolgt im Zusammenhang mit noch weniger Verben - ich bin gespannt, ob filix tatsächlich avare administrare vorschlagen wird (die - bekannte - Tacitusstelle wird er nicht im Ernst als Muster empfehlen wollen)
eine Frage der Nomenklatur;
in filixens Zitat ist gemeint die Verwendung als Prädikativum (das wäre in diesem Fall: V. provinciam avarus administravit)
Meine letztes Posting bezog sich ausschließlich auf die Frage, ob „avarus administravisse“ eine reguläre Option darstellt. Wenn man zu „avare“ greift, dann eventuell „... nimis avare provinciae praefuisse videtur“ - nach Cicero De re pub. II, 63 „... omni imperio et acerbe et avare populo praefuerunt“. Im Lat. ist offensichtlich der Gebrauch des Adverbs in solchen Zusammenhängen nicht ganz so irritierend wie im Dt.: wer sagt schon „habgierig verwalten“? Dem trägt arbiters Version „... scheint bei der Verwaltung der Provinz allzu habgierig gewesen zu sein“ ja auch Rechnung.
Lulus Übersetzung ist m.E. wenigstens so korrekt wie die dt. Vorlage. Man fragt sich allerdings nach dem Sinn einer Übung, die zunächst die sprachliche Verbesserung der deutschen Vorgabe nahelegt. Das war wohl kaum die Intention des Erstellers derselben.
In meinen Augen ist es nicht so einfach zu entscheiden, ob im Lat. der Gebrauch des Adverbs „avare“ mit „administrare“ tatsächlich so sperrig ist, wie er auf Anhieb wirkt - oder ob sich hier das Ungewohnte des dt. „habgierig verwalten“ in die Bewertung einschleicht. Ist es guter Stil, wenn Cicero den Ausdruck „populo avare praeesse“ wählt? Wirkt bei Tacitus das „avare“ per se anstößig oder ist es die von der Präposition abhängige Partizipialkonstruktion, die an schlechten Nominalstil erinnert? Gewiss ist nur, dass für die prädikative Verwendung im Sinne von "avarus
administrare" keine Belege existieren und sie daher als reguläre Option ausfällt.
Die Beweisführung verstehen ich nicht.
Nur weil einen Satz niemand je aufgeschrieben hat, und das auch noch 2000 Jahre überlebt hat, soll es automatisch nicht richtig gewesen sein?
ja, aber wenn es die Grammatik in einer solchen Weise zulässt, dass immerhin ein anderer, der Latein verstseht, wenn er auch nicht Muttersprachler sein kann, den Satzinhalt versteht, könnte man dann nicht sagen: Erlaubt! ?
Es geht natürlich nicht darum, dass der Satz oder die diskutierte Kombination als solche überliefert worden sein muss. Die Regel wird wohl aus dem Fehlen prädikativer Verwendung (im genannten Sinn) der aufgeführten Adjektive bei gleichzeitig vorhandenen Belegen für den Gebrauch des entsprechenden Adverbs in Zusammenhängen, die für eine solche prädikative Verwendung Kandidaten sind, abgeleitet. Dagegen einzuwenden, dass man hier bloß einem Mangel in der Überlieferung aufsitze, ist möglich, der Einwand muss aber doch noch andere Gründe aufführen, die es plausibel erscheinen lassen, dass die prädikative Verwendung i.g.S. regulär gewesen sein muss. Welche wären das? Dass es einen seelischen oder geistigen Zustand ausdrückt? Das genügt nicht, denn die Liste der Adjektive, die solches bezeichnen, ist definitiv umfangreicher als die jener, für die sich tatsächlich der prädikative Gebrauch i.g.S. nachweisen lässt.
Verständlichkeit (die und deren Bedingungen nicht so leicht zu definieren sind) ist ein Minimalkriterium, das kaum geeignet ist, ein Maß für das vorliegende Problem abzugeben. Die von Bibulus im Westerwelle-Zitat aufgespürte Doppeldeutigkeit liegt auf einer anderen Ebene, sie entsteht innerhalb der Einhaltung sämtlicher konventioneller Regeln.