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Konjunktiv im quin-Satz — 2011 Aufrufe
Natalie am 31.1.14 um 11:59 Uhr (Zitieren)
Ich habe ein Problem mit dem Konjuntiv in Cic. In Verrem, 5,121: Ecquis fuit quin lacrimaret... Fuhrmanns Übersetzung lautet: Wer war damals, der nicht geweint hätte. Frage: Muss ich das im Deutschen mit dem Konj. übersetzen oder reicht es, wenn ich sage: wen gab es damals, der nicht geweint hat/weinte?
Re: Konjunktiv im quin-Satz
ONDIT am 31.1.14 um 12:42 Uhr (Zitieren)
Beispielsatz aus R&H

Nulla fuit civitas, quin (=quae non) Caesari pareret.
Es gab keine Gemeinde, die Cäsar nicht gehorchte.

In Sicilia nullum vas fuit, quin (=quod non) Verres abstulerit.
In S. gab es kein Gefäß , dass V. nicht gestohlen hätte
Re: Konjunktiv im quin-Satz
Klaus am 31.1.14 um 12:49 Uhr (Zitieren)
@ONDIT: Ist dann die von Natalie zitierte Übersetzung von Fuhrmann unkorrekt?
Re: Konjunktiv im quin-Satz
Ahsoka am 31.1.14 um 12:55 Uhr (Zitieren)
Es geht doch beides: Wer war = wen gab es für „fuit, quin“ ?

Bei Fuhrmann (gest. ??) klingt’s halt für meine Ohren „alt“.
Re: Konjunktiv im quin-Satz
Natalie am 31.1.14 um 20:22 Uhr (Zitieren)
Ja, den in den Rubi habe ich auch reingeschaut. Ich bin halt immer verwirrt, wenn in der Grammatik steht, dass man den Konj. im NS mit dem Indikativ übersetzen darf aber 90% der Beispielsätze werden dann mit dem Konj. wiedergegeben. Aber danke!
Re: Konjunktiv im quin-Satz
Natalie am 31.1.14 um 20:38 Uhr (Zitieren)
Dann noch eine letzte Frage zu diesem verschachtelten Satz: Scipio dixisse dicitur, aequum esse illos cogitare utrum esset Agrigentinis utilius, suisne servire anne populo Romano obtemperare.
Welche Übersetzung stimmt nun und warum? esse und esset sind doch gleichzeitig zu dixisse? Scipio soll gesagt haben, es sei/ist recht und billig, dass sie darüber nachdächten/nachdenken, was vorteilhafter für sie sei/ist/wäre, den Ihren zu dienen oder dem röm. Volk zu gehorchen?
Re: Konjunktiv im quin-Satz
filix am 31.1.14 um 20:43 Uhr (Zitieren)
Nach den Regeln für die indirekte Rede im Dt. ist hier der Konjunktiv I (bzw. bei Formidentität desselben mit dem Indikativ der Konjunktiv II) zu setzen. Deine erste Frage ist im Übrigen keineswegs beantwortet worden.
Re: Konjunktiv im quin-Satz
Natalie am 31.1.14 um 20:51 Uhr (Zitieren)
Ich gehe einfach fest davon aus, dass man quin mit dem Indikativ übersetzen darf, auch wenn der Konj. vllcht schöner ist.
Und bei der ind. Rede soll ich mich einfach an die deutschen Regeln halten? Auch wenn esset gleichzeitig zu dixisse ist und ich das irgendwie deswegen in Vergangenheit (wäre) wiedergeben will? Ist die Zeitenfolge beim Übersetzen dann vollkommen egal?
Re: Konjunktiv im quin-Satz
filix am 31.1.14 um 21:59 Uhr (Zitieren) II
Im Dt. beeinflusst bei der indirekten Rede das Tempus des Matrixsatzes weder die Wahl des Modus noch des Tempus der wiedergegebenen Rede - da Dt. die Zielsprache ist, gelten desselben Regeln.

Dass du dazu neigst, ein „wäre“ zu setzen, hat mit der c.t. im Lat. nichts zu tun, vielmehr versuchst du intuitiv an den dt. Sprachgebrauch anzuknüpfen und vermutest schon einen Konj. II zwischen Irrealität und Eventualität in der direkten Rede (im Dt.) - dieser geht im Dt. allerdings unverändert in die indirekte Rede ein. Du nimmst also an, dass Scipio in der direkten Rede (im Dt.) etwas gesagt hätte wie: „Es ist nur recht und billig, wenn ihr darüber nachdenkt, was für euch vorteilhafter wäre: ...“ statt „... vorteilhafter ist: ...“ Das Lat. gibt dir hier jedoch keinerlei grammatische Anhaltspunkte, dies entscheiden zu können.

Was die erste Frage angeht, dreht sie sich weniger um „Schönheit“, mehr darum, ob im Dt. Indikativ und Konjunktiv II in derartigen Nebensätzen unter allen Umständen austauschbar sind, oder ob (in gewissen Fällen) durch die jeweilige Wahl vermittelte Bedeutungsdifferenzen erzeugt werden können.


Re: Konjunktiv im quin-Satz
corr am 31.1.14 um 23:37 Uhr (Zitieren)
Ecquis fuit - der nicht geweint hätte?
Als ob sie, wenn sie an der Stelle derjenigen gewesen wären, die geweint haben sollen, wohl auch sich der Tränen nicht hätten enthalten können. Mehr moralische Ansprache und Verdeutlichung der Schwere des Ereignisses.

Ecquis fuit - der nicht geweint hat?
Als seien die Angesprochenen Zeugen des Vorfalles gewesen und könnten für sich bestimmen, ob es so war, als hätten sie selbst die Weinenden gesehen, womöglich auch selbst Teil dessen gewesen.

Sagt mein Sprachgefühl, aber wie ist es darüber hinaus wirklich zu erklären, filix?
Re: Konjunktiv im quin-Satz
arbiter am 1.2.14 um 2:53 Uhr (Zitieren)
zur ersten Frage:
Es gibt einen Unterschied. Die dt. Variante mit Konj. II ist klar als rhetorische Frage zu verstehen (was sie in diesem Kontext ja auch ist); die indikativische Frage wäre dann eine „echte“ Frage mit der Alternativ-Antwort ja/nein - wenigstens hier unpassend.
Zu klären wäre, ob der gegebene Satz in anderem Kontext so aufgefasst werden könnte.
Re: Konjunktiv im quin-Satz
Natalie am 1.2.14 um 10:36 Uhr (Zitieren)
Nach Wahrig, Fehlerfreies und gutes Deutsch: Konsekutivsatz, Seite 557:
„Das Verb des Nebensatzes kann im Indikativ oder im Konjunktiv stehen“. Also grammatikalisch geht beides, intentioniert ist es hier wahrscheinlich wirklich eine rhet. Frage.
Und wegen der zweiten Frage: Ich habe mich gestern noch mit der indir. Rede im Deutschen beschäftigt und weiß nun auch, dass ein „wäre“ da nichts zu suchen hat. Danke euch!
Re: Konjunktiv im quin-Satz
filix am 1.2.14 um 14:36 Uhr (Zitieren)
Hm ... „macht“ der Konjunktiv II wirklich zwingend die rhetorische Frage? - „Wen gab es denn schon damals in unserer Stadt, der nicht geblendet war von all den Versprechungen? Ja, da schweigt ihr.“ Austauschbarkeit ist jedenfalls nicht möglich, wenn der Nebensatz Teil eines Konditionalgefüges ist: „Gab es einen unter euch, der nicht X gewählt hätte, wäre er noch einmal zur Wahl angetreten?“
Re: Konjunktiv im quin-Satz
Martinus Latinus am 18.10.23 um 11:56 Uhr (Zitieren)
Ich denke, die Diskussion geht am Thema vorbei.

1. Liegt keine indirekte Rede vor
2. steht der Konjunktiv im Relativsatz und nicht im Fragesatz -> ist die rhetorische Frage nicht ausschlaggebend

Vielmehr handelt es sich um einen Relativsatz mit konsekutiver Sinnrichtung:

Ecquis fuit, quin lacrimaret? = Wen gab es denn, [der nicht so beeindruckt war/gewesen wäre, dass er =] der nicht weinte/geweint hätte?
Nulla fuit civitas, quin Caesari pararet. = Es gab keine Stadt, [die nicht so von Cäsar eingeschüchtert war/gewesen wäre, dass sie=] die Cäsar nicht gehorchte/gehorcht hätte.
In Sicilia nullum vas fuit, quin Verres abstulerit. = Es gab in Sizilien kein Gefäß, [das nicht mindestens so kunstvoll gewesen wäre/war, dass er=] das Verres nicht stahl/gestohlen hätte.

-> Der Konjunktiv wird meines Erachtens im Deutschen gesetzt, um diese konsekutive Sinnrichtung auszudrücken, was ja im Lateinischen die Regel ist, aber im Deutschen auch unterbleiben kann. Eine Binnendifferenzierung zwischen den Sätzen gibt es nicht, sondern Setzen von Indikativ und Konjunktiv dann einfach Geschmackssache.
-> Eine andere Interpretation des deutschen Konjunktivs wäre: Da der Relativsatz verneint ist, drückt er eigentlich etwas aus, das nicht wahr ist. Diese Nicht-Wahrheit kann mithilfe des Konjunktivs deutlich gemacht werden - wie in: Fast wäre ich gestürzt.
Re: Konjunktiv im quin-Satz
Omega am 19.10.23 um 11:51 Uhr (Zitieren)
a) Niemand der Diskussionsteilnehmer oben hat behauptet, bei Ecquis fuit, quin lacrimaret? handle es sich um indirekte Rede (es wurde ja noch über einen anderen Satz diskutiert, der sehr wohl eine enthält: Scipio dixisse dicitur …).


b) Konsekutiven Sinn auszudrücken, ist keine semantische Leistung des deutschen Konjunktivs. Es wird auch auf sonst keine Weise ein solcher in der Übersetzung hergestellt, noch gibt es im Deutschen überhaupt so etwas wie konsekutive Relativsätze oder dergleichen.


c) Der Konjunktiv II im Relativsatz der nicht geweint hätte drückt typischerweise Irrealität/Kontrafaktizität aus, die hier negiert wird.

d) Wesentlich für rhetorische Fragen ist, dass sie wahrheitswertfähige Propositionen kommunizieren möchten, nicht auf Informationsgewinn aus sind:

Gab es etwa jemanden, der nicht geweint hätte? —> Es gab niemanden, der nicht geweint hätte.

Rhetorizität unbedingt garantierende Elemente sind selten auszumachen, sie verstärkende können aber überall im Fragesatzgefüge auftauchen. Es ist indes offensichtlich, dass das lateinische Interrogativpronomen ecquis = num quis ebenso wie die Modalpartikel etwa in der Übersetzung, welche die Erwartung einer negativen Antwort ausdrücken, ein erstes deutliches Signal senden, die Frage rhetorisch als negative Existenzaussage aufzufassen.

Damit fällt aber der Irrealis im deutschen Relativsatz semantisch unter die Negation dieses intendierten Matrixsatzes und funktioniert wie sonst der Konjunktiv II in solchen Nebensätzen auch: Es gab nie einen Maler Heidemann, dem Hitler Modell gesessen hätte. Es gab niemanden, der nicht geweint hätte.

Dies ist das vordergründige Motiv für die Wahl des Konjunktivs II in der deutschen Übertragung.

Ob hier allerdings diese Verwendung wirklich bedeutungsgleich ist mit dem entsprechenden Indikativsatz ist, wie Duden, dem das erste Beispiel entnommen ist, und andere Grammatiken vorsichtig für die meisten Fälle behaupten, oder nicht doch eine zusätzliche von der indikativischen Proposition (Es gab niemanden, der nicht geweint hat. Alle haben geweint. vs. Es gab niemanden, der nicht geweint hätte. Alle hätten geweint ) abweichende Bedeutung ins Spiel kommt, bedarf m.E. weiterer Überlegungen zur Funkion der Kontrafaktizität in solchen rhetorisch implizierten Existenzaussagen.
 
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Hm ... „macht“ der Konjunktiv II wirklich zwingend die rhetorische Frage? - „Wen gab es denn schon damals in unserer Stadt, der nicht geblendet war von all den Versprechungen? Ja, da schweigt ihr.“ Austauschbarkeit ist jedenfalls nicht möglich, wenn der Nebensatz Teil eines Konditionalgefüges ist: „Gab es einen unter euch, der nicht X gewählt hätte, wäre er noch einmal zur Wahl angetreten?“
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