= (vermutlich) paraveris : ...und womit du ... es (dir) verschaffen könntest (Potentialis)
pararis ist üblicherweise 2.Per. Sing. Ind. Präs. Passiv, was aber hier keinen Sinn macht.
Aus einer englischen Übersetzung:
Whenever you would attempt anything, first form an estimate both of your own powers, of the extent of the matter which you are undertaking, and of the means by which you are to accomplish it
In der zitierten Übersetzung scheint pararis als Futur II aufgefasst worden zu sein. Dagegen und für einen Ind. Präs. Pass. spricht, dass 1. ein Tempus- (oder Modus-)wechsel zwischen beiden Relativsätzen keinen erkennbaren Grund hätte, 2. dem zweiten Relativsatz das Objekt fehlte, wäre dieser aktivisch, 3. das ipse einen Gegensatz zum ersten Relativsatz aufbaut, nämlich in der Richtung der Verbalhandlung.
Übersetzung: Sooft du etwas in Angriff nimmst (quotiens aliquid conaberis), schätze (metire) sowohl dich (te simul) ein als auch das (et ea), was du bedingst (quae paras) und wodurch du selbst bedingt wirst (quibusque pararis ipse).
Kuli am 23.9.14 um 16:06 Uhr, überarbeitet am 24.9.14 um 8:44 Uhr (Zitieren)
„wodurch du selbst bedingt wirst“ scil. „in deiner Gemütsverfassung“
Unter Aufgabe der Wortfigur kann man auch schreiben: „was du bewirkst und woraus Wirkungen auf dich selbst entstehen“. Seneca erläutert den Gedanken durch das nachfolgende Beispiel: faciet enim te asperum paenitentia operis infecti. Das opus infectum gehört hier also unter ea, quae paras quibusque pararis, in diesem Fall asper.
Wie hier ist z. B. Caes. B. G. 5, 42, 5 (reliquis diebus turres ad altitudinem valli, falces testudinesque ... parare ac facere coeperunt.) parare fast gleichbedeutend mit facere.
Wir müssen davon ausgehen. Der nachfolgende Satz ist durch das enim explikativ angeschlossen. Es muss also ein Bezug zwischen beiden Sätzen hergestellt werden. Wenn du auf Georges-Deutsch bestehst, übersetze meinetwegen: „was du bereitest und wodurch du selbst bereitet wirst“. Wie schon einmal gesagt: ein Wörterbuch unterbreitet Übersetzungsvorschläge, es ist kein Gesetzbuch.
Enim kann sich auch auf den Gesamttenor des Satzes beziehen, muss sich also nicht unbedingt auf jeden Satzbestandteil beziehen.
PS:
Das Ganze hängt auch davon ab, ob PARARIS überhaupt
die Kurzform von PARAVERIS sein kann. Da bin ich mir nicht ganz sicher und habe nichts dazu im Netz gefunden.
Ich verstehe immer noch nicht, was Seneca in diesem Kontext mit PARARIS IPSE ausdrücken will. Es geht doch nur darum, ob jemand für ein bestimmtes Vorhaben und dessen Dimension von seiner Person und seinen Mitteln her qualifiziert ist.
Hm. Deutet man das Passiv im weitesten Sinne medial, so könnte man es ungefähr mit „und die Dinge (ea), die du vorhast (quae paras) und zu denen du dich selbst <letztlich> bereit findest (quibusque pararis)“ übersetzen. Seneca beschreibt im Satz davor den Fall von Selbstüberschätzung, auf den diese Maxime folgt: „Ita fit, ut frequenter irrita sit eius voluntas, qui non quae facilia sunt adgreditur, sed vult facilia esse quae adgressus est. Quotiens ... “ - „So kommt es, dass häufig das Bestreben dessen erfolglos bleibt, der sich nicht an einfache Aufgaben macht, sondern will, dass, was er in Angriff nimmt, einfach (auszuführen) ist.“
Die verkürzte Form pararis für paraveris findet sich z. B. bei Terenz: nemo accusat, Syre, te: nec tu aram tibi | nec precatorem pararis. („Niemand klagt dich an, Syrus: Du brauchst dir keinen Altar und keinen Prekator [Beistand] suchen.“ Heaut. 975 f.)
(Weiter unten (1002) wird parare mit dopp. Akk. verwendet: eum mihi precatorem paro - „Ich mache ihn zu meinem Beistand.“ Auch diese Verwendungsweise wird im Georges nicht erwähnt.)
Aber, wie gesagt, das ipse erfüllt meiner Meinung nach die Funktion, einen Diathesenwechsel hervorzuheben. Darum meine ich, dass in dem Satz von den Wechselwirkungen zwischen (effiziertem) Objekt und Subjekt die Rede ist. Seneca hat im nachfolgenden Satz die umständliche Konstruktion faciet enim te asperum paenitentia operis infecti wohl nicht grundlos einem paenitebit enim te operis infecti vorgezogen.
Zum Erschließen der Bedeutung von parare kann man eine Stelle weiter oben hinzuziehen (de ira 3, 6, 3): Numquam tam feliciter in multa discurrenti negotia dies transit, ut non aut ex homine aut ex re offensa nascatur, quae animum in iras paret. „Niemals vergeht ein Tag einem in seinen zahlreichen Geschäften hin- und herlaufenden Mann so glücklich, dass nicht entweder durch einen Menschen oder durch einen widrigen Umstand das entstünde, was das Gemüt für den Zorn bereit macht.“ Parare ist hier also nicht positiv besetzt i. S. v. Vorkehrungen treffen oder vorbereiten, sondern heißt nur svw. empfänglich machen.
Herzlichen Dank für diese aufschlussreichen Gedanken.
Seneca ist eben nicht Cicero. Bei ihm muss man offenbar öfter (weit) über den üblichen grammatischen Tellerrand und die gewohnten Wortbedeutungen hinausdenken, um den Sinn zu erfassen. Nicht umso beißt man sich bei ihm leicht die Zähne aus.
Herzlichen Dank für diese aufschlussreichen Gedanken.
Seneca ist eben nicht Cicero. Bei ihm muss man offenbar öfter (weit) über den üblichen grammatischen Tellerrand und die gewohnten Wortbedeutungen hinausdenken, um den Sinn zu erfassen. Nicht umso beißt man sich bei ihm leicht die Zähne aus.
Re: Seneca, de ira
filix am 24.9.14 um 17:34 Uhr, überarbeitet am 24.9.14 um 17:35 Uhr (Zitieren)
Nun, der Zorn resultiert aber in besagtem Abschnitt doch daraus, dass die Dinge nicht so laufen wie geplant. Ich sehe folglich in der Formulierung diesen Unterschied zwischen Vorhaben und der eigenen Bereitschaft und Fähigkeit, mit möglichen Schwierigkeiten umzugehen, ausgedrückt, der antizipiert werden sollte, um im Fall des Falles nicht aus Frustration heraus in Rage zu geraten. Ein engl. Übersetzer schlägt „to be intended for“ vor - sinngemäß: Frag dich, ob deine Absichten zu dem passen, wofür du bestimmt bist.
Im Übrigen gibt es einige wenige Belege für „parari“ medial = „se parare“. „Man sagt zwar nur se armare und se instruere, aber häufig armatus, instructus; tegi, muniri, praemuniri; gewöhnlich heißt es se parare, selten parari wie Quint. 11, 3, 25 ediscere quam maxime varia (erit optimum), ut simul in omnia paremur; ...“ (H. Blase: Historische Grammatik der lateinischen Sprache Bd. 3, S. 300)
Guten Morgen miteinander!
Übersetze grad Seneca und habe hier still mitgelesen.
Ich verneige mich vor dem Wissen, das hier alle zusammen tragen.
Sit vis vobiscum!