Latein Wörterbuch - Forum
Negation + oportet — 2874 Aufrufe
Jonathan am 16.4.15 um 8:44 Uhr (Zitieren)
Hey ho Profis,

DEBERE heißt „müssen“ und das negierte NON DEBERE „nicht dürfen“.

Gilt dasselbe für NUSQUAM OPORTET = „niemals dürfen“?

Danke.
Re: Negation + oportet
Klaus am 16.4.15 um 9:42 Uhr (Zitieren)
nusquam oportet= es ist nirgends nötig
Re: Negation + oportet
Jonathan am 16.4.15 um 20:20 Uhr (Zitieren)
„nicht nötig sein“ und „nicht dürfen“ ist ein gewaltiger Unterschied. Diesen gibt es eben zwischen „debere“ und „non debere“.
vgl. auch im Engl. „must“ und „must not“

Die Frage ist, ob es bei oportere ebenso ist.
Re: Negation + oportet
arbiter am 16.4.15 um 21:43 Uhr (Zitieren)
nachdem unser Profi Klaus eine etwas kryptische Antwort gegeben hat, nur soviel:
- das verneinte debere heißt keineswegs immer und automatisch „nicht dürfen“.
- „Dürfen“ hat im Dt. mehr als eine präzise Bedeutung.
- non oportet kann gelegentlich mit „darf nicht“ übersetzt werden
Re: Negation + oportet
Kuli am 17.4.15 um 12:29 Uhr (Zitieren)
Die Erscheinung, dass ein Ausdruck des Gebietens in der Negation, und zwar unabhängig von der Position der Negation, in einen Ausdruck des Gestattens übergeht, ist im Deutschen, soweit ich sehe, auf „müssen“ + Infinitiv beschränkt. Das mit dem gestattenden „Nicht müssen“ weitgehend synonyme „Nicht brauchen“ besitzt keine positive Entsprechung.

Die analoge Erscheinung, dass ein Ausdruck des Gestattens in der Negation zu einem Ausdruck des Verbietens wird, besteht bei den Modalverben „dürfen“ und „können“.

In allen diesen Fällen wird die Negation als logischer Funktor dem Modalverb zugeordnet, selbst wenn sie in syntaktischer Abhängigkeit vom Infinitiv steht: „Die Katze darf keine Schokolade fressen.“ = „(Die Katze darf nicht) Schokolade fressen.“

Anders verhält es sich bei „sollen“ + Infinitiv (die Negation wird wie bei engl. must dem Infinitiv zugeordnet) und anders bei unpersönlichen Ausdrücken mit Infinitivgruppe, wo die Position der Negation bedeutungsrelevant werden kann: „Heute abend ist es nicht verboten, sich zu amüsieren.“ (gestattend) ≠ „Heute abend ist es verboten, sich nicht zu amüsieren.“ (verbietend).

Bei lat. debere + Infinitiv wird die Negation unabhängig von der Position dem Infinitiv zugeordnet. Ich denke, das gilt auch für die im Georges angeführte Stelle aus Ciceros Briefen (Ea tibi ego non debeo commendare, sed commendo tamen. [fam. 12, 23]), was ich mit „Es verbietet sich zwar, dass ich Dir gegenüber diese Empfehlung ausspreche, ich tue es aber dennoch.“ übersetzen würde.

Sonst sollte gelten, dass im Lateinischen die Position der Negation bedeutungsunterscheidend ist (vgl. Burkard/Schauer [„Neuer Menge“] § 149, 4 c). Bei oportet allerdings reicht das Bedeutungsspektrum von einem gebietenden „man muss“ bis zu einem gestattenden „man darf“, so dass man für das negative non oportet sowohl die verbietende als auch die gestattende Sinnrichtung findet.
Re: Negation + oportet
filix am 17.4.15 um 13:09 Uhr, überarbeitet am 17.4.15 um 13:16 Uhr (Zitieren) I
(Ea tibi ego non debeo commendare, sed commendo tamen. [fam. 12, 23]), was ich mit „Es verbietet sich zwar, dass ich Dir gegenüber diese Empfehlung ausspreche, ich tue es aber dennoch.“ übersetzen würde.


Ich übersetzte diesen Satz mit „Dir muss <ausgerechnet> ich das zwar nicht empfehlen, tue es aber dennoch“ - bei „es verbietet sich“ geht erstens das betonte „ich“ unter, zweitens verschiebt sich der Sinn von einer (behaupteten) überflüssigen Handlung, also von mangelnder Notwendigkeit zu einem Verstoß gegen ein Unterlassungsgebot.



Re: Negation + oportet
Kuli am 17.4.15 um 13:40 Uhr, überarbeitet am 17.4.15 um 14:36 Uhr (Zitieren)
Die Betonung des Pronomens hatte ich (nicht gut erkennbar) durch Kursivsatz kenntlich zu machen versucht. Bezüglich der Sprechabsicht überlege ich, ob hier nicht tatsächlich ein verletztes Unterlassungsgebot ausgedrückt werden sollte, indem nämlich Cicero mit seiner vorangehenden Mitteilung der geschäftlichen Verbindungen des Pinarius zu Dionysius Interna verraten hat, deren Kundmachung vor Cornificius dem Dionysius selbst oblegen hätte. Gerade das nachgesetzte „sed commendo tamen“ erscheint mir bei der von dir vorgeschlagenen Bedeutung redundant, so aber als Ausdruck konspirativen Einvernehmens (i. S. v. „dir kann ich das ja sagen“).
Re: Negation + oportet
filix am 17.4.15 um 14:37 Uhr, überarbeitet am 17.4.15 um 14:38 Uhr (Zitieren)
Ich kann eigentlich keine großen Geschäftsgeheimnisse erkennen - zu Beginn der Passage gibt Cicero hinsichtlich der Empfehlung die Devise „ut maiore non possim“ aus, woraufhin er ordentlich aufträgt: P. sei ein vorzüglicher Charakter, der sich durch geteilte Interessen besonderer Zuneigung erfreue, er vertrete überdies den gemeinsamen Freund D., den beide schätzten, Cicero noch mehr (et ego quam plurimum) als der Adressat. Letzteres, das unserem Satz unmittelbar vorausgeht, dürfte ja, wenn es denn stimmt, keinem der Beteiligten ein (großes) Geheimnis sein. Der im von mir vorgeschlagenen Sinn verstandene Satz erheischte dafür Zustimmung auf eine Weise, die dieses ziemlich aufdringliche Werben zurücknimmt, indem es die Mittel für überflüssig erklärt, die Botschaft aber natürlich keineswegs abschwächt. Die Redundanz stört mich da weniger.
Re: Negation + oportet
Kuli am 17.4.15 um 21:28 Uhr, überarbeitet am 17.4.15 um 21:29 Uhr (Zitieren)
Gut, wir wissen nichts über T. Pinarius und so gut wie nichts über Attius Dionysius, und so bleibt meine Vermutung, jene rationes negotiaque seien Angelegenheiten, über die man besser nicht spricht, natürlich bloße Spekulation.

Fraglich ist aber ebenso, in welchem Maße die Worte amare und amicissimus hier Ausdruck persönlicher Freundschaft und Wertschätzung sind oder auf die unter dem Begriff der amicitia firmierende, sehr spezielle Form der Netzwerkbildung in der römischen Politik verweisen.

Im tanto ... studio, ut maiore non possim sehe ich zwar einen Ausdruck des besonderen Nachdrucks, mit dem Cicero seine Empfehlung ausspricht, nicht aber die Ankündigung eines übermäßigen Aufwands an Werbemaßnahmen. Jedenfalls erklimmt mit den folgenden drei Sätzen die ciceronianische Eloquenz schwerlich ihr Maximum und bleibt ganz im üblichen Rahmen von Empfehlungsschreiben.

„Aufdringliches Werben“ hat der Konsular gegenüber dem gesellschaftlich niedriger Stehenden wohl nicht nötig. Man schaue auf den Anfang des Briefes: die Abhängigkeit des Q. Cornificius von Cicero ist gewiss nicht geringer als die in Gegenrichtung bestehende.

Wenn ich dich nicht missverstehe, soll sich das ea auf das davor stehende quem et tu multum amas et ego omnium plurimum beziehen. Das erscheint mir kaum vereinbar mit der üblichen Bedeutung von commendare. Ich denke, hier tritt stattdessen ein, was bei Burkard/Schauer (§ 75, 2b) als „präparativ-kataphorische“ Verwendung des Demonstrativpronomens bezeichnet wird (mit Bezug auf den gleichermaßen von facies abhängigen Konsekutivsatz).

Du äußerst, dass der fragliche Satz die Überflüssigkeit der Botschaft (des Empfehlungsschreibens) behaupte. Worin bestände aber ihre Überflüssigkeit? Doch wohl darin, dass der Empfänger ihren Inhalt bereits kennte bzw. der in ihr ausgesprochenen Aufforderung nicht bedürfte, da er von sich aus in ihrem Sinn handelte. Müsste dann aber nicht der Angesprochene statt des Sprechers eine Hervorhebung erfahren, es also „ea tibi ipsi non debeo commendare ...“ heißen?
Re: Negation + oportet
filix am 17.4.15 um 23:08 Uhr, überarbeitet am 18.4.15 um 11:06 Uhr (Zitieren)
Klarerweise ist das ein Fall von Networking. Dass für Cicero amicitia und utilitas einander nicht kategorisch ausschließen, letztere als Zweckbestimmung ersterer diese zwar zur falschen macht, aber am Ende - oh Wunder - aus echter, unbedingter Freundschaft als deren Folge sich der (beiderseitige) unbeabsichtigte Nutzen wieder ergibt, kann man ja z.B. im Epilog von Laelius de amicitia nachlesen.

Es ist m.E. nicht so, dass Formeln der Überzeugungsarbeit - und darauf, dass Cicero den P. dem Adressaten mit Nachdruck, selbst wenn dieser sich nicht im rhetorischen Feuerwerk seiner Reden entfaltet, empfehlen will, können wir uns wohl verständigen - notwendigerweise durch tatsächliche Kräfteverhältnisse vollends reguliert werden.

Cicero hat es vielleicht nicht nötig, macht aber dennoch für P. Werbung, an deren Ende er (das „ea“ wollte ich summarisch mit Bezug auf das Gesagte verstanden wissen) in meinen Augen zu diesem Trick greift, der die Überflüssigkeit des Gesagten behauptet, da das Gegenüber ja all dies ohnehin wüsste und folglich auch, wie es darüber zu denken und zu entscheiden habe. Was die Betonung angeht, gebe ich dir prinzipiell recht, aber leistet nicht das dem „ego“ noch vorangehende „tibi“ genau das - stünde es sonst nicht wenigstens dahinter? Cf. „quid tibi ego alia narrem? nosti enim reliquos ludos“ (Ad. fam. VII, 1) - „Was soll/könnte (ausgerechnet) ich (gerade) dir (der sich, wie im nächsten Satz zu lesen, ja bestens auskennt) sonst noch erzählen? ...“
Re: Negation + oportet
Kuli am 19.4.15 um 19:10 Uhr (Zitieren)
Das mag so sein. Genausogut finden wir aber bei Cicero Belege dafür, dass in einer Wortfolge tibi ego das tibi unbetont bleibt und die Antithese, der das betonte ego entgegengesetzt wird, im Satz davor steht ...
quem tu Corcyrae, ut mihi aliis litteris significas, strictim attigisti, post autem, ut arbitror, a Cossinio accepisti. quem tibi ego non essem ausus mittere nisi eum lente ac fastidiose probavissem. (Att. 2, 1, 1)
... oder unerwähnt bleibt („de reliquo quid tibi ego dicam? ardeo studio historiae ...“ [Att. 16, 13b, 2]), jedenfalls wohl nicht im tibi besteht.
Re: Negation + oportet
filix am 19.4.15 um 22:32 Uhr, überarbeitet am 19.4.15 um 22:35 Uhr (Zitieren)
Mir scheint in Att. 2, 1, 1 die Stellung zum Teil dem parallelen Aufbau geschuldet: „quem tu ...“ - „quem tibi ...“, zudem „tibi“ nicht gänzlich unbetont: ~ „Dir (der du nicht irgendwer bist, an dessen Urteil mir viel liegt) hätte ich (der Autor, im Unterschied zu C., der die Schrift unbeirrt weiterreicht) sie nicht zu schicken gewagt, ohne sie mit Bedacht einer strengen Prüfung zu unterziehen.“ Beim zweiten Beispiel verhält es sich mit der Betonung auf den ersten Blick in der Tat recht unbestimmt.
Man müsste die Sache wohl systematisch untersuchen, um zu sehen, wie diese Fokussteuerung mit Rücksicht auf Wortstellungsregeln, grammatische Ausschlussfaktoren & c. wirklich funktioniert.
 
Um einen Text zu verfassen, müssen Sie zunächst über eine Plattform der Wahl Ihre Identität mit einem Klick bestätigen. Leider wurde durch das erhöhte Aufkommen von anonymen Spam und Beleidigungen diese Zusatzfunktion notwendig. Auf der Seite werden keine Informationen der sozialen Netzwerke für andere sichtbar oder weitergegeben. Bestätigung über Google Bestätigung über Facebook Bestätigung über AmazonBei dem Verfahren wird lediglich sichergestellt, dass wir eine eindeutige nicht zuordnebare Identität erhalten, um Forenmissbrauch vorzubeugen zu können.
Bearbeiten
Zum Bearbeiten des Eintrags muss unterhalb der Nutzername wieder mit dem richtigem Kennwort versehen sein, als auch Betreff- und Nachrichtfeld ausgefüllt sein. Abbrechen

Klarerweise ist das ein Fall von Networking. Dass für Cicero amicitia und utilitas einander nicht kategorisch ausschließen, letztere als Zweckbestimmung ersterer diese zwar zur falschen macht, aber am Ende - oh Wunder - aus echter, unbedingter Freundschaft als deren Folge sich der (beiderseitige) unbeabsichtigte Nutzen wieder ergibt, kann man ja z.B. im Epilog von Laelius de amicitia nachlesen.

Es ist m.E. nicht so, dass Formeln der Überzeugungsarbeit - und darauf, dass Cicero den P. dem Adressaten mit Nachdruck, selbst wenn dieser sich nicht im rhetorischen Feuerwerk seiner Reden entfaltet, empfehlen will, können wir uns wohl verständigen - notwendigerweise durch tatsächliche Kräfteverhältnisse vollends reguliert werden.

Cicero hat es vielleicht nicht nötig, macht aber dennoch für P. Werbung, an deren Ende er (das „ea“ wollte ich summarisch mit Bezug auf das Gesagte verstanden wissen) in meinen Augen zu diesem Trick greift, der die Überflüssigkeit des Gesagten behauptet, da das Gegenüber ja all dies ohnehin wüsste und folglich auch, wie es darüber zu denken und zu entscheiden habe. Was die Betonung angeht, gebe ich dir prinzipiell recht, aber leistet nicht das dem „ego“ noch vorangehende „tibi“ genau das - stünde es sonst nicht wenigstens dahinter? Cf. „quid tibi ego alia narrem? nosti enim reliquos ludos“ (Ad. fam. VII, 1) - „Was soll/könnte (ausgerechnet) ich (gerade) dir (der sich, wie im nächsten Satz zu lesen, ja bestens auskennt) sonst noch erzählen? ...“
  • Titel:
  • Name:
  • E-Mail:
  • Bei freiwilliger Angabe der E-Mail-Adresse werden Sie über Antworten auf Ihren Beitrag informiert. Dies kann jederzeit beendet werden. Kontrollieren Sie ggf. den Spam-Ordner.
  • Eintrag:
  • Grundsätzliches: Wir sind ein freies Forum, d.h. jeder Beteiligte arbeitet hier unentgeltlich. Uns eint das Interesse an der Antike und der lateinischen Sprache. Wir gehen freundlich und höflich miteinander um.

    Hinweise an die Fragesteller:

    1. Bitte für jedes Anliegen einen neuen Beitrag erstellen!
    2. Bei Latein-Deutsch-Übersetzungen einen eigenen Übersetzungsversuch mit angeben. Das gilt vor allem dann, wenn es sich um Hausaufgaben oder Vergleichbares handelt.
      Eine übersichtliche Gliederung erleichtert den Helfern die Arbeit.
      Je kürzer die Anfrage ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass schnell geantwortet wird.
    3. Bei Deutsch-Latein-Übersetzungen bitte kurz fassen. Für die Übersetzung eines Sinnspruchs wird sich immer ein Helfer finden.