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Vergil Aeneis 1, 266 — 6215 Aufrufe
JWR am 13.5.15 um 13:35 Uhr (Zitieren)
dum „ternaque transierint Rutulis hiberna subactis“ =
bis drei Winter vorübergegangen sind ...

Wieso „terna hiberna“ gleich „3 Winter“ und nicht „trina“?

Denn laut RH§67 steht bei Pluralia tantum mit Singularbedeutung „trini“ für 3 und „terni“ für „je 3“:
„trinae litterae“ = „3 Briefe“; „ternae litterae“ = „je 3 Briefe“.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
filix am 13.5.15 um 13:54 Uhr (Zitieren)
Als Plural von Insbes. subst., A) hībernum, ī, n., a) die Winterzeit (Georges) ist „hiberna“ auch kein Plurale tantum.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
JWR am 13.5.15 um 18:05 Uhr (Zitieren)
Aber dann müsste es doch tres sein für 3 und terna immer noch je 3, oder nicht?
Re: Vergil Aeneis 1, 266
indicans am 13.5.15 um 18:19 Uhr (Zitieren)
Aber dann müsste es doch tres


tria ?
Re: Vergil Aeneis 1, 266
JWR am 13.5.15 um 18:23 Uhr (Zitieren)
Zitat von indicans am 13.5.15, 18:19Aber dann müsste es doch tres

tria ?


Ja natürlich tschuldigung. Aber tria ist immer noch nicht terna. Problem bleibt.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
filix am 13.5.15 um 18:30 Uhr (Zitieren)
Dichter gebrauchen „terni“ offensichtlich auch für drei im Sinne einer Gesamtheit von drei Dingen, einer Dreizahl - cf. Georges: „ternī, ae, a (ter) [...] II) drei zusammen, -auf einmal, saecula, Tibull.: terni vagantur ductores, Verg.:“

Die sehr ähnliche Stelle aus Tibull:

"vixerit ille senex quamvis, dum terna per orbem
saecula fertilibus Titan decurreret horis"

Re: Vergil Aeneis 1, 266
JWR am 13.5.15 um 20:14 Uhr (Zitieren)
Ich bin nicht überzeugt, dass „terna hiberna“ „drei Winter zusammen/ auf einmal“, v.a. beim Verb „transire“ sein kann, da mehrere Winter nicht zusammen/ auf einmal vorübergehen, sondern einzeln und nicht direkt hintereinander, dazwischen kommen ja noch andere Jahreszeiten.
Bei „saeculum“ können mehrere auf einmal vergehen, weil auf das eine das andere folgt.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
filix am 13.5.15 um 20:33 Uhr, überarbeitet am 14.5.15 um 19:40 Uhr (Zitieren)
M.E. reicht, um sie in eine Dreiheit zu fassen, die zyklische Aufeinanderfolge. Man sagt ja im Dt. auch „drei ganze Winter (lang)“, „drei Winter in Folge“ & c., ohne dass eine kleine Eiszeit ausgebrochen sein muss.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
JWR am 14.5.15 um 9:16 Uhr (Zitieren)
Diese deutschen Formulierungen würde ich allerdings so beurteilen, dass sie dann gehen, wenn
a) die anderen Jahreszeiten logisch unbeachtet bleiben: „Bei uns hat es drei Winter am Stück nicht mehr geschneit.“ Es hat wohl auch in den anderen Jahreszeiten nicht geschneit, aber die Frage stellt sich ja gar nicht.
b) was im Winter zutrifft, in den anderen nicht zutrifft: „Ich bin jetzt drei Winter am Stück in den Ferien in den Urlaub geflogen.“ In den anderen gibt es auch Ferien, wo man hätte fliegen können, aber er ist dann wohl nicht geflogen, sodass er die Aussage nur über Winter macht.


Bei „3 Winter gingen vorüber“ ist mE beides nicht überzeugend.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
Klaus am 14.5.15 um 9:50 Uhr (Zitieren)
http://www.navigium.de/schoeningh-latein-woerterbuch.php?form=terna

ternī ae a
je drei
terna hiberna - drei Winter



Re: Vergil Aeneis 1, 266
Kuli am 14.5.15 um 10:06 Uhr (Zitieren)
Hiberna steht ja hier wohl für hiberna castra, insofern kann man schon von einem Plurale tantum sprechen. Die Verwendung von terna statt trina kann man vielleicht damit begründen, dass auf beiden Seiten, auf der der Rutuler wie auf der der Äneaden, drei Mal Winterquartier bezogen werden musste.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
filix am 14.5.15 um 19:37 Uhr, überarbeitet am 14.5.15 um 19:49 Uhr (Zitieren)
Dass (zwei mal je) drei Winterlager ver-/vorbei-/vorübergehen/, zumal bei Vergil mit „aestas“ (nicht „aestiva“) eine personifizierte Jahreszeit das Gegenstück im Vers davor bildet, finde ich jetzt nicht wirklich eleganter - die meisten Übersetzer lassen denn auch einfach „drei Winter“ ins Land ziehen oder umgehen dieses Oxymoron durch erhebliche Abweichungen vom Text - z.B. „Dreimal ins Wintergezelt die gebändigten Rutuler zogen“ (Hertzberg/Gottwein).

In der Literatur machen Sommer und Winter mitunter ein ganzes Jahr, auch wenn Pedanterie in der Aufzählung „Frühling“ und „Herbst“ vermisst: „Das bin ich nicht gesonnen“, so sprach das Mägdelein, Ich schlafe wohl drei Sommer und Winter noch allein ! Darauf im vierten Jahre fragt einmal wieder nach, ob einen Mann ich brauche." (Simrock)

Es genügt bisweilen eine Jahreszeit alleine - in einem zeitgenössischen Roman Zeruya Shalevs heißt es etwa „... denn die vulkanischen Wolken bedeckten das Auge der Sonne ein Jahr nachdem anderen, sieben ganze Winter lang.“ Das sind offensichtlich sieben Winter = Jahre in Folge und nicht in Summe 1,75 Jahre.

M.E. ist der bei Vergil vorliegende Inklusionstyp von dieser Art: „bis der dritte Sommer“ („tertia dum aestas“) + „ und drei ganze Winter <in Folge> (ternaque hiberna) = drei Jahre. Hier bleiben weder die anderen Jahreszeiten “logisch unbeachtet", sie sind einfach eingeschlossen, noch sind die Aussagen auf die explizit genannte Jahreszeit beschränkt.

Re: Vergil Aeneis 1, 266
Kuli am 14.5.15 um 21:23 Uhr (Zitieren)
Zitat von filix am 14.5.15, 19:37Dass (zwei mal je) drei Winterlager ver-/vorbei-/vorübergehen ...

Ich hatte durch die Angabe „Winterquartier“ versucht kenntlich zu machen, dass hiberna, trotz seiner eigentlichen Bedeutung nicht bloß als Ort verstanden werden muss. Vgl. Caes. BG 3, 2, 1: Cum dies hibernorum complures transissent ...

Zugunsten einer eleganten Übersetzung mag man es vernachlässigen, zum Verständnis des Textes ist es aber nicht unerheblich, dass Vergil hier den militärischen Terminus verwendet. Der Krieg gegen die Rutuler wird zwar als zäh gekennzeichnet, aber verläuft doch ganz konventionell im Wechsel von sommerlicher Kampagne und kampfloser Winterzeit. Es wird nicht durchgekämpft.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
JWR am 15.5.15 um 13:25 Uhr (Zitieren)
Der Satz in der Prophetie geht ja so, dass Aeneas Krieg führen wird, dann Völker niederschlagen, dann ihnen Mauern und Sitten geben, dann bis zum dritten Sommer regieren, währenddessen drei Winter vergehen. Zum Zeitpunkt der drei Winter ist der Krieg schon getan, die Rutuler unterworfen, die Stadt gegründet. Demnach werden zu dem Zeitpunkt auch nicht mehr jeweils Quartiere während der kampflosen Winter im Krieg bezogen.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
Kuli am 16.5.15 um 0:38 Uhr, überarbeitet am 16.5.15 um 0:41 Uhr (Zitieren)
Die Gründung Laviniums und die auf sie folgenden Ereignisse liegen jenseits des erzählerischen Rahmens der Aeneis. Welchen Fortgang der Sage Vergil ansetzte, können wir der Erzählung nicht entnehmen.

Gemäß der Überlieferung bei anderen Autoren sind die Rutuler mit dem Tod des Turnus jedenfalls noch keineswegs unterworfen. Kaum vereinbar mit Vergils Konzeption der Sage sind die Überlieferung bei Cato (im Kampf Turnus/Äneas überlebt keiner von beiden) und Livius (Turnus tötet Äneas). Einige Ähnlichkeit hat aber der Ereignisverlauf bei Dionysios von Halikarnassos. Richard Heinze (Virgils epische Technik, Lpz. ²1908, S. 170) fasst ihn so zusammen:

1. Aeneas setzt sich ohne Erlaubnis des Latinus an der Stelle des späteren Lavinium fest, vereinigt sich aber gütlich mit ihm, heiratet seine Tochter und besiegt mit ihm und seinen Aboriginern gemeinsam die Rutuler; Lavinium wird vollendet.

2. Nach zwei Jahren erheben sich die Rutuler von neuem unter Führung des latinischen Edlen Turnus: sie werden geschlagen, aber, wie Turnus, fällt auch Latinus im Kampf, so daß Aeneas nun allein über Troer und Aboriginer herrscht.

3. Nach weiteren drei Jahren neuer Krieg mit den Rutulern, die diesmal von den Etruskern unter Mezentius unterstützt werden: Aeneas fällt, Ascanius folgt ihm in der Regierung.

[...]


Zwar stirbt Turnus bei Vergil bereits vor der Gründung Laviniums (und Mezzentius vor Turnus), aber Äneas stirbt der dionysischen Überlieferung zufolge drei Jahre nach Turnus (fünf Jahre freilich nach Gründung Laviniums).

Die Verse Aen. 1, 265/66 werden gemeinhin so verstanden, dass Äneas drei Jahre nach der Gründung Laviniums stirbt. Uneinigkeit herrscht darüber, ob Rutulis ... subactis als abl. abs. oder als Dativ aufzufassen ist (woran sich die Frage knüpft, ob hiberna für h. tempora oder für h. castra steht). Ich denke, gegen die Interpretation als abl. abs. spricht, dass damit kein wesentlicher Informationsgewinn erlangt würde, sofern wir voraussetzen, dass sein Inhalt in der Mitteilung populosque feroces contundet enthalten wäre, zumal ein solcher Rückgriff der Ankündigung des Jupiter, streng chronologisch verfahren zu wollen (volvens fatorum arcana movebo) widerspräche.

Wahrscheinlicher erscheint mir, dass der Leser mit Rutulis ... subactis über die Todesumstände des Äneas unterrichtet werden soll, die in etwa der Überlieferung des Dionysios entsprechen: Der Kampf gegen die Rutuler dauert an und endet erst mit dem Tod des Äneas.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
JWR am 16.5.15 um 10:28 Uhr (Zitieren)
Vielen Dank, Kuli, das ist wirklich sehr informativ und scheint eine überzeugende Lösung.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
filix am 16.5.15 um 11:52 Uhr, überarbeitet am 16.5.15 um 12:02 Uhr (Zitieren)
Ich denke, gegen die Interpretation als abl. abs. spricht, dass damit kein wesentlicher Informationsgewinn erlangt würde, sofern wir voraussetzen, dass sein Inhalt in der Mitteilung populosque feroces contundet enthalten wäre, zumal ein solcher Rückgriff der Ankündigung des Jupiter, streng chronologisch verfahren zu wollen (volvens fatorum arcana movebo) widerspräche.


Nun, da davor in der Weissagung nur unbestimmt von „wilden Völkern“ im Plural die Rede ist, bringt die Nennung des Namens in Verbindung mit der Zeitangabe doch neue Information. Fasst man „Rutulis subactis“ als Abl. abs. auf, sind die Rutuler die letzten in der Reihe der Unterworfenen, es heißt ja auch „tertia dum Latio regnantem viderit aestas“ - er herrscht also schon, ganz wie in den auf den diskutierten folgenden Versen sein Sohn Ascanius „triginta magnos volvendis mensibus oris/ imperio explebit“, ohne dass noch irgendwelche Auseinandersetzungen um die Herrschaft erwähnt werden.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
Kuli am 16.5.15 um 21:27 Uhr (Zitieren)
Zitat von filix am 16.5.15, 11:52Nun, da davor in der Weissagung nur unbestimmt von „wilden Völkern“ im Plural die Rede ist, bringt die Nennung des Namens in Verbindung mit der Zeitangabe doch neue Information.

Für moderne Leser mag das zutreffen. Dem römischen lector doctus, an den sich das Epos zunächst gewandt haben dürfte, werden bereits mit dem summarischen Ausdruck populosque feroces contundet alle kriegerischen Auseinandersetzungen, die im Vorfeld der Stadtgründung liegen, ins Bewusstsein gerufen. Aus einer nachgeschobenen Erläuterung entstünde dem Zielpublikum nicht nur kein Zuwachs an Wissen, es geriete auch der Film der fata ins Stocken, den Jupiters Prophezeiung in zunehmend beschleunigtem Zeitraffer vor dessen geistigem Auge abspult.

Soll heißen: ein Informationsgewinn entsteht für den Leser nicht, wenn er mit Details aus einer ihm bekannten Geschichte gefüttert wird, sondern wenn eine Wirkung im Sinne der narrativen Perfomance erzeugt wird.

Zudem stellt sich ja die Frage, wodurch ein abl. abs. Rutulis ... subactis an dieser Position im Text motiviert wäre und weshalb er nicht der Aussage, die logisch aus ihm folgte, nämlich „moresque viris et moenia ponet“, angegliedert wäre.

Zitat von filix am 16.5.15, 11:52... es heißt ja auch „tertia dum Latio regnantem viderit aestas“ - er herrscht also schon, ganz wie in den auf den diskutierten folgenden Versen sein Sohn Ascanius „triginta magnos volvendis mensibus oris/ imperio explebit“, ohne dass noch irgendwelche Auseinandersetzungen um die Herrschaft erwähnt werden.

Inwiefern entstände hieraus ein inhaltlicher Konflikt mit der Aussage, dass er während seiner Regentschaft die Rutuler unterwarf?
Re: Vergil Aeneis 1, 266
filix am 17.5.15 um 0:07 Uhr, überarbeitet am 17.5.15 um 0:18 Uhr (Zitieren)
Den Abl. abs. (in meinem Verständnis) als den Fluss der Weissagung hemmendes Detail zu bezeichnen, kann ich nicht nachvollziehen. Allein die poetisch weitschweifige Umschreibung für die drei Jahre macht den diskutierten Abschnitt in meinen Augen alles andere als zügig, ein Abl. abs. ist da in seiner kompakten Struktur eher ein „Tempomacher“ - aber dies nur nebenbei.

In deiner Lesart (Dat. respectus und die (zweimal je) drei Winterlager) bekämpft, wenn ich dich recht verstehe, der Protagonist zunächst (summarisch aufgeführte) „populosque feroces“, begründet Gebräuche und Mauern, bis er dann endlich drei Jahre schon herrschend sich noch mit der Unterwerfung der Rutuler herumschlägt. Ende. Auftritt Ascanius.

Da sehe ich vielmehr eine aus dem Takt bringende Informationslücke, die das Schicksal des Gründers unklarer lässt, als es bei der drei Jahre währenden Herrschaft nach der Unterwerfung der Fall ist. Die entscheidende Information über den Gegner packte der Dichter dabei ausgerechnet in den Winterabschnitt, wo ja in der Antike eher selten gekämpft wird, während zunächst das Auge des personifizierten Sommers auf der Herrscherfigur ruht.

Man beachte auch die Steigerungsreihe, die Vergil über die Dreizahl aufbaut: drei Jahre regiert Äneas, dreißig sein Sohn und dessen Nachfolger dreihundert Jahre. Das ist m.E. über Zahlensymbolik vermittelte Befestigung der Herrschaft, die sich nicht mit der entscheidenden Auseinandersetzung, die diese erst so recht begründet, verträgt.
So macht der Kasus denn auch für manche in dieser Hinsicht keinen nennenswerten Unterschied - in der 2013 erschienen Ausgabe von Aeneid 1–6 (The Focus Vergil Aeneid Commentaries) steht zu lesen:

„Rutulis ... subactis: probably ablative absolute, but it could also be dative of reference. In these lines we learn that Aeneas will die the third year after the defeat of Turnus (i.e. the end of the Aeneid), and then become a god.“

(Es ist wohl auch das PPP, das die Abgeschlossenheit des Vorgangs klar ausdrückt, nicht der Kasus das grammat. Element, das mit einem Andauern im Rahmen des Temporalsatzes sich schwer in Übereinstimmung bringen lässt).






Re: Vergil Aeneis 1, 266
Kuli am 17.5.15 um 11:59 Uhr (Zitieren)
Zitat von filix am 17.5.15, 0:07Den Abl. abs. (in meinem Verständnis) als den Fluss der Weissagung hemmendes Detail zu bezeichnen, kann ich nicht nachvollziehen.

Ein abl. abs wirkte hier nicht bloß hemmend, sondern erzeugte geradezu eine eingeschaltete Umkehr der Fließrichtung.


Zitat von filix am 17.5.15, 0:07... ein Abl. abs. ist da in seiner kompakten Struktur eher ein „Tempomacher“ - aber dies nur nebenbei

Das p. c. steht dem abl. abs. an Kompaktheit wohl in nichts nach.


Zitat von filix am 17.5.15, 0:07In deiner Lesart (Dat. respectus und die (zweimal je) drei Winterlager) bekämpft, wenn ich dich recht verstehe, der Protagonist zunächst (summarisch aufgeführte) „populosque feroces“, begründet Gebräuche und Mauern, bis er dann endlich drei Jahre schon herrschend sich noch mit der Unterwerfung der Rutuler herumschlägt. Ende. Auftritt Ascanius.

Da missverstehst du mich. Ich habe geschrieben: „Der Kampf gegen die Rutuler dauert an und endet erst mit dem Tod des Äneas“, nicht hingegen, dass es ein Nacheinander von dreijähriger Herrschaft des Äneas und anschließender Unterwerfung der Rutuler gäbe.

Die mit der Unterwerfung äußerer Feinde verbundene Erweiterung des eigenen Machtbereichs bildet ja geradezu die Grundkonstante römischer Herrschaftsausübung, selbst und gerade während der Pax Augusta (von der ja nur in Hinsicht auf die innerrömischen Konflikte gesprochen wird).


Zitat von filix am 17.5.15, 0:07Man beachte auch die Steigerungsreihe, die Vergil über die Dreizahl aufbaut: drei Jahre regiert Äneas, dreißig sein Sohn und dessen Nachfolger dreihundert Jahre. Das ist m.E. über Zahlensymbolik vermittelte Befestigung der Herrschaft, die sich nicht mit der entscheidenden Auseinandersetzung, die diese erst so recht begründet, verträgt.

G. und E. Binder sehen (in ihren Anmerkungen zur Reclamausgabe der Aeneis) die Bedeutung des „Spiels mit der magischen Dreizahl“ ähnlich, indem hieraus die Vorherbestimmtheit der römischen Geschichte ablesbar werden soll.

Eben in der Fokussierung auf die Dreizahl wird aber auch die zunehmende Raffung in der Darstellung der Ereignisse anschaulich. Das die größte Teilnahme der Mutter erregende Schicksal des Sohnes wird der Venus noch in einiger Ausgedehntheit geschildert, die dreißig Regierungsjahre des Enkels werden in fünf Verse und die folgenden 300 Jahre bis zur Zeugung von Romulus und Remus in anderthalb Verse gefasst, worauf schließlich das imperium sine fine folgt.

Die endgültige Unterwerfung der Rutuler bildet aber (in der Auslegung, die ich der Passage unterstelle) nicht die „entscheidende Auseinandersetzung“ für das römische Schicksal. Diese liegt schon im der Stadtgründung vorausgehenden Kampf gegen Turnus (in dem, wie oben mit Bezug auf die nichtvergilische Tradition der Sage dargelegt, die Rutuler aber noch nicht unterworfen werden).


Zitat von filix am 17.5.15, 0:07Da sehe ich vielmehr eine aus dem Takt bringende Informationslücke, die das Schicksal des Gründers unklarer lässt, als es bei der drei Jahre währenden Herrschaft nach der Unterwerfung der Fall ist.

Im Unklaren bleiben wir über das Schicksal von Vergils Äneas in der Tat. Nur verträgt sich eben die Annahme, Jupiter deute hier einen gewaltsamen Tod im Kampf gegen die Rutuler an, eher mit der anderen Stelle des Epos, die auf das Ableben des Helden verweist - nämlich die Verfluchung des Äneas durch Dido: cadat ante diem mediaque inhumatus harena (4, 620) -, als die von dir vertretene Auffassung. Die Informationslücke wäre hier (bei einer unvermittelten Übernahme der Macht durch Ascanius nach drei Regierungsjahren des Äneas) auch ungleich größer.


Zitat von filix am 17.5.15, 0:07Die entscheidende Information über den Gegner packte der Dichter dabei ausgerechnet in den Winterabschnitt, wo ja in der Antike eher selten gekämpft wird, während zunächst das Auge des personifizierten Sommers auf der Herrscherfigur ruht.

Nach meinem Empfinden zeigt sich in diesem Punkt geradezu musterhaft die Fähigkeit Vergils, mit einem Minimum an Worten größtmögliche atmosphärische Wirkung zu evozieren: Der letztlich siegreiche Regent wird von sommerlichem Licht illuminiert, die schließlich unterworfenen Rutuler werden in der deprimierenden Passivität des Winterlagers dem geistigen Auge des Lesers vorgeführt.


Zitat von filix am 17.5.15, 0:07(Es ist wohl auch das PPP, das die Abgeschlossenheit des Vorgangs klar ausdrückt, nicht der Kasus das grammat. Element, das mit einem Andauern im Rahmen des Temporalsatzes sich schwer in Übereinstimmung bringen lässt).

In die Rückspiegelperspektive, die mit Verwendung des fut. exactum erzeugt wird, lässt sich meiner Meinung nach das PPP ohne größere Schwierigkeiten integrieren.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
filix am 17.5.15 um 13:29 Uhr, überarbeitet am 17.5.15 um 13:33 Uhr (Zitieren)
Da das Werk abbricht, ist der Spielraum für die Deutung der Widersprüche, die diverse prophetische Verse erzeugen, groß - solche tun sich aber schon mehrfach zwischen Verheißungen und den ausgeführten Teilen auf. Siehe z.B.

https://books.google.de/books?id=nhAFo12lV7IC&pg=PA79#v=onepage&q&f=false,

wo auch Didos Fluch entgegenstehende Anspielungen im 6. Buch erörtert werden.
Einige Interpreten schränken dabei den Deutungshorizont für unseren Abschnitt auf die Funktion eines Tröstungsversuches unter Göttern ein, der sich weniger der reinen Wahrheit verpflichtet sieht als der Beruhigung der Adressatin („parce metu, Cytherea ...“). Das minimiert im Übrigen den einem modernen Leser eher unsympathischen Charakter eines Spoilers und führt vor die Frage, ob die vollständige Beseitigung der Inkonsistenzen überhaupt Sinn der Lektüre ist.

Dessen ungeachtet kann ich mich nach wie vor deiner Auffassung, was den Abl. abs. angeht, nicht anschließen - für mich stockt da nichts, er markiert in dieser Lesart den knapp umrissenen Punkt von dem aus die poetisch gefasste Dauer von drei Jahren her sich verstehen lässt. Die ältere Reclam-Übersetzung lautet z.B. schlicht „... und <bis> dreimal nach dem Rutulersturz die Winter vorübergegangen.“ Das gibt der lat. Text her, ist frei von überambitionierter Nachdichtung und erzeugt doch keine Blockade oder Schubumkehr.

Darauf, dass das PPP zunächst Vorzeitigkeit ausdrückt (oder ein vorliegendes Resultat), können wir uns wohl verständigen - in der Umgebung des „dum“-Satzes, der mit Futur II den Schlusspunkt („.... bis endlich“) setzt, bedeutet das aber einfach, dass das Ereignis schon geschehen ist und nicht erst geschieht. Das ist in meinen Augen ein ziemlicher Störfaktor. Entsprechend müssen Binder und Binder in ihrer Übertragung, die deiner Lesart wohl am nächsten kommt, das Partizip eliminieren und schreiben „... und drei Winter über die Unterwerfung der Rutuler ins Land gegangen sind.“



Re: Vergil Aeneis 1, 266
Kuli am 18.5.15 um 0:38 Uhr (Zitieren)
Zitat von filix am 17.5.15, 13:29Da das Werk abbricht, ist der Spielraum für die Deutung der Widersprüche, die diverse prophetische Verse erzeugen, groß ...

Meine Rede. Letztlich müssen aber solche Prophezeiungen, die sich dem mit dem eigenen Gründungsmythos vertrauten Römer als vaticinia ex eventu darstellten, ihre Plausibilität an einem gemeinsamen mythologischen Plot erweisen. Das gilt auch, wenn der kritische Leser die der Intention des jeweiligen Sprechers geschuldeten Manipulationen in Anschlag bringt. (Wenn er weiterhin davon ausgeht, dass auch der Erzähler eine literarische Figur ist und die Erzählung im Grunde nicht transzendiert, steht er vor dem Problem, die „Wahrheit“ des Mythos aus lauter potentiellen Fälschungen ermitteln zu müssen. Hiermit verbunden ist das Problem, dass jede poetische Mythengestaltung in gewissem Maße auch Mythopoiesis ist.)

(Übrigens erscheint mir der angebliche Widerspruch, den O’Hara zwischen 1, 264 und 12, 834 ff. feststellt, nicht unaufhebbar. In 1, 264 wird lediglich verkündet, dass Äneas sein Volk aus dem Zustand der Gesetz- und Heimatlosigkeit zurück zu Sesshaftigkeit und sittlich-rechtlicher Ordnung führt. Dass später die Teukrer sich in Sprache und Sitten der indigenen Bevölkerung assimilieren, ist damit nicht ausgeschlossen. Unser Problem wird hiervon aber nicht berührt.)

Wie bereits gesagt, sehe ich keine Schwierigkeit darin, dem durch das PPP mitgeteilten Geschehen eine zeitliche Position zuzuweisen, die seine Vollendung nach Eintritt, aber vor Vollendung des durch das regierende Futur II mitgeteilten Geschehens festlegt. (Nur gleichzeitige Vollendung beider Geschehnisse erforderte ein Präsenspartizip.)

Jupiter enthüllt, dass Äneas wilde Völker vernichten und eine Stadt gründen werde, geht dann (zur Schonung des strapazierten Nervenkostüms seiner Tochter) mit dem dum-Satz direkt über zu einem Zeitpunkt, der nach dem Tod des Helden anzusiedeln ist, um zu berichten, dass nach Gründung der Stadt noch ein dritter Sommer ihn als Herrscher gesehen haben wird. Von dieser Warte aus sehen wir die Rutuler unterworfen, wenn sie drei Winter lang kampiert haben werden.

Nachdem in Vers 265 bereits mitgeteilt wurde, dass Äneas nach Gründung der Stadt noch drei Jahre herrsche, würde dagegen (auch hierin wiederhole ich mich) die Funktion des folgenden Verses fragwürdig, wenn er durch einen abl. abs. Rutulis ... subactis dieselbe Information - hierbei aber gedanklich noch einmal vor den Zeitpunkt der Stadtgründung zurückspringend - mit anderen Worten übermittelte.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
filix am 18.5.15 um 2:00 Uhr, überarbeitet am 18.5.15 um 2:01 Uhr (Zitieren)
Könntest du bitte die Verse 261 - 266 in der Struktur „A geschieht (mit der Dauer a), bis B eintritt und dauert (mit der Dauer b) [nachdem/während/mit Bezug auf?] C, das eingetreten ist/eintritt (mit der Dauer c)]“ übersetzen, sodass deine Position im Unterschied zu den genannten Übersetzungen zum Ausdruck kommt, wobei das Partizip verbal aufgelöst wird?
Re: Vergil Aeneis 1, 266
Kuli am 18.5.15 um 13:43 Uhr, überarbeitet am 18.5.15 um 22:44 Uhr (Zitieren)
Ganz ohne Kennzeichnung durch Temporaladverbien lässt sich die zeitliche Staffelung, wie sie mir am überzeugendsten erscheint, in der Übersetzung nicht darstellen.

„Er (hic) wird - stell dir vor! (tibi) - ich werde <jetzt> nämlich (enim), da nun einmal (quando) diese (haec) Sorge (cura) an dir (te) nagt (remordet), die Geheimnisse der Parzen (Fatorum arcana) verraten (fabor) und, sie recht weit abspulend* (longius et volvens), zum Vortrag bringen (movebo) -, <er also> wird einen ungeheuren Krieg in Italien führen (bellum ingens geret Italia) und wilde Stämme vernichten (populosque feroces contundet) und seinen Leuten Gesetze und Mauern aufrichten (moresque viris et moenia ponet), bis dann noch (dum) ein dritter (tertia) Sommer (aestas) <ihn als> Herrscher** in Latium (Latio regnantem) gesehen haben wird (viderit) und (-que) den Rutulern (Rutulis), <nun> unterworfen*** (subactis), drei (terna) Kriegswinter (hiberna) dahingegangen sein werden (transierint).“


* Götte (und wohl auch die Binders) versteht unter volvens das Entrollen eines Volumens. Naheliegender erscheint mir aber, dass hier von der Spindel, auf der sich der Schicksalsfaden befindet, die Rede ist (vgl. Vers 22: sic volvere Parcas). Zu diskutieren wäre auch, ob ein personales Verständnis von Fatorum gerechtfertigt ist, da ja fata in Vers 258 sich wohl eher nicht so auffassen lässt.

** bzw. verbal: „während er herrscht“

*** bzw. „die nun unterworfen sind“
Re: Vergil Aeneis 1, 266
filix am 20.5.15 um 11:19 Uhr, überarbeitet am 20.5.15 um 11:31 Uhr (Zitieren) II
Trotz der zahlreichen Zusätze, über deren Rechtfertigung aus der lat. Vorlage man länger diskutieren könnte, geht es mir mit deiner Übersetzung wie im oben zitierten engl. Kommentar: ich kann keinen Bedeutungsunterschied ausmachen.

Es sind aus meiner Sicht die Partizipien im nachzeitigen „dum“-Satz, die Zeitverhältnisse ausdrückend ihren endgültigen zeitlichen Sinn aus den finiten Verbformen erhalten und die Zählweise der ihren Subjekten zugeordneten Zahlangaben erst verständlich werden lassen, so zwar dass sie den terminierenden Charakter des Temporalsatzes nicht völlig aufheben, wohl aber ihn in Richtung des Ausdrucks von Sukzession, wie es ja auch deine Adverbien nahelegen, verschieben. Fehlten sie, verfiele man doch darauf, im übergeordneten Satz nach dem Nullpunkt der Zählweise zu suchen und ihn mit dem Beginn der in ihm geschilderten Handlungen zu verknüpfen, wodurch der terminierende Charakter wieder in den Vordergrund rückte und die Aussage hinsichtlich der Dauer sich bloß auf diese Handlungen erstreckte.

Um den Unterschied an zwei knappen dt. Beispielen in Anlehnung an die Vergilstelle zu illustrieren:


a) Er kämpfte, baute und ordnete, bis der dritte Sommer kam.

b) Er kämpfte, baute und ordnete, bis <dann noch> der/ein dritte/r Sommer ihn regieren(d) sah.

In a) ist der terminierende Sinn stark, der dritte Sommer wird mangels anderer Informationen vom Beginn der Hauptsatzhandlungen weg gezählt, die eben andauern bis dieser dritte Sommer kommt. Danach geschieht nichts mehr, worüber der Satz Auskunft erteilt.

In b) hingegen bleibt letztlich unklar, wie lange diese dauern und letztlich wann genau der Übergang zu der im Partizip, das hier die Zählweise erläutert und an sich bindet, geschilderten Regentschaft stattfindet, über deren Dauer allein der Temporalsatz etwas Eindeutiges mitteilt. Nur das „bis“ trennt den Sinn von einem „und dann noch“.

Selbes gilt m.E. für das zweite Partizip in „Rutulis subactis“. Auch deine Zusätze können hierbei den Aspekt der Vergangenheit im Verhältnis zur Dauer der drei Winter, deren Zählweise der Ausdruck, wie oben geschildert, ja erst erläutert, nicht abschütteln, du fügst lediglich ein „nun“, das sofort die Frage aufwirft, wann dieses denn ist, ein und tust das Möglichste, um den verbalen Teil aus der Satzumgebung zu lösen, indem du das unflektierte Partizip attributiv nachstellst.

Dass dieses „nun“ - im Übrigen in meinen Augen die am wenigstens gerechtfertigte Ergänzung – plötzlich für zwei Wörter die Perspektive eines auf Künftiges wie auf eine Vergangenheit zurückblickenden Gottes, der sich beliebig auf der Zeitachse zu bewegen weiß, ausdrücken soll, halte ich, wenn überhaupt sinnvoll, für eine willkürliche Annahme. Bliebe der Gott für den Rest des Satzes in dieser Rückschauposition, änderte sich dadurch auch gar nichts – das PPP formulierte wieder nur vor dem finiten Verbalausdruck liegende Vorgänge, die dem zeitreisenden Jupiter allesamt als vergangene erschienen. Solche Volten sind mir auch unverständlich, da du dich ja selbst an den angeblich den Erzählfluss hemmenden Effekten des Zeitsprungs in der Auffassung vom Abl. abs. gestoßen hast.

Psychologisch plausibel ist endlich die Auffassung, dass die sich angesichts enttäuschter Erwartungen verunsichert fühlende, in Tränen aufgelöste Venus, die nun den Göttervater angeht, zu sagen, was Sache, Äneas und den Seinen also nun wirklich bestimmt sei, vorrangig Trost aus dieser wie beschrieben im Temporalsatz kommunizierten Dauer der Herrschaft empfängt. Das Mutterherz versteht so: wie beschwerlich auch immer die dazu führenden Handlungen im Hauptsatze auch sein, wie lange auch immer sie dauern mögen (hier öffnet sich viel Spielraum für Interpreten), es findet all dies ein Ende in einer drei Sommer und Winter währenden Herrschaft, eine zutiefst symbolische Zahl, die sich als erstes Glied einer schon erwähnten Steigerungskette deuten lässt, in der die Nachfolger ihre Vorgänger jeweils ums Zehnfache überbietend die so gegründete Herrschaft befestigen, bis diese ins imperium sine fine mündet.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
Kuli am 21.5.15 um 11:22 Uhr, überarbeitet am 21.5.15 um 12:05 Uhr (Zitieren)
Zitat von filix am 20.5.15, 11:19..., geht es mir mit deiner Übersetzung wie im oben zitierten engl. Kommentar: ich kann keinen Bedeutungsunterschied ausmachen.

Der von dir zitierte Kommentar äußert gerade das nicht, sondern bezieht in unserer Frage überhaupt keine Position. Eine Reihe von Kommentaren, die sich sämtlich für eine Deutung als Dativ aussprechen, sind hier versammelt:

http://dcc.dickinson.edu/vergil-aeneid/vergil-aeneid-i-254-271

Bedeutungsunterscheidend ist der Kasus hier durchaus. Denn entweder - beim absoluten Ablativ - hat das Verstreichen der drei Winter(-lager/-perioden) keinen direkten Bezug auf die Rutuler und das, was ihnen widerfährt oder - beim Dativ - eben doch. Daraus ergeben sich die zwei alternativen Interpretationen des Sagenverlaufs: (a) Turnus tot, Rutuler erledigt - oder (b) Turnus tot, Rutuler machen noch drei Jahre lang Ärger.


Zitat von filix am 20.5.15, 11:19Es sind aus meiner Sicht die Partizipien im nachzeitigen „dum“-Satz, die Zeitverhältnisse ausdrückend ihren endgültigen zeitlichen Sinn aus den finiten Verbformen erhalten und die Zählweise der ihren Subjekten zugeordneten Zahlangaben erst verständlich werden lassen, so zwar dass sie den terminierenden Charakter des Temporalsatzes nicht völlig aufheben, wohl aber ihn in Richtung des Ausdrucks von Sukzession, wie es ja auch deine Adverbien nahelegen, verschieben. Fehlten sie, verfiele man doch darauf, im übergeordneten Satz nach dem Nullpunkt der Zählweise zu suchen und ihn mit dem Beginn der in ihm geschilderten Handlungen zu verknüpfen, wodurch der terminierende Charakter wieder in den Vordergrund rückte und die Aussage hinsichtlich der Dauer sich bloß auf diese Handlungen erstreckte.

Mit den Partizipien hat das nichts zu tun. Bezeichnet die Satzhandlung ein unwillkürlich eintretendes, iteratives Geschehen, dem die Qualität einer chronometrischen Angabe zukommt*, so wird jede Spezifizierung der Satzhandlung - gleichgültig, ob durch Partizip, Adjektiv, Präpositionalausdruck etc. - den Beginn der Zählung markieren, auf den sich Angabe bezieht, wie oft sich die Satzhandlung wiederholt.

Dieses Prinzip herauszustellen, wird durch die Wahl deiner Beispiele nicht geleistet. Zumal du hierin insofern unredlich verfährst, als diese der Ceteris-paribus-Klausel nicht genügen.**

Ist das im Satz dargestellte Geschehen (wie beim Satz in Vers 266, sofern man hiberna als h. castra auffasst, was durch das Distributivum nahegelegt wird) nicht per se iterierend, so entfällt auch die Notwendigkeit, den Beginn der Zählung durch zusätzliche Angaben zu markieren.
_____
* also Satzaussagen wie: „der Sommer kommt [x Mal]“, „die Sonne geht [x Mal] auf“, „der Mond füllt sich [x Mal]“

**Stattdessen wäre eine Beispielreihe zu wählen wie:
Er kämpfte, baute und ordnete, bis <dann noch> der/ein dritte/r Sommer ihn ...
(a) ... regieren(d) sah.
(b) ... als König sah.
(c) ... zufrieden sah.
(d) ... auf Weltreise sah.


Zitat von filix am 20.5.15, 11:19... und tust das Möglichste, um den verbalen Teil aus der Satzumgebung zu lösen, indem du das unflektierte Partizip attributiv nachstellst.

Wenn, wie von dir gefordert, das satzwertige Partizip der Vorlage in der Übersetzung verbal wiedergegeben werden soll, bestehen zunächst zwei Möglichkeiten: die Verbform wird aus dem Satz ausgegliedert und durch einen Nebensatz wiedergegeben (ich habe diese Möglichkeit als Anmerkung beigefügt) oder es wird das satzwertige Partizip (die satzwertige Partizipialgruppe) verwendet. Dieses ist dann selbstredend unflektiert.

Der von dir als mustergültig erachteten Übersetzung von Plankl/Vretska kann man übrigens denselben Vorwurf (das Partizip zu „eliminieren“) machen, mit dem du der Übersetzung von E. und G. Binder begegnet bist.


Zitat von filix am 20.5.15, 11:19Solche Volten sind mir auch unverständlich, da du dich ja selbst an den angeblich den Erzählfluss hemmenden Effekten des Zeitsprungs in der Auffassung vom Abl. abs. gestoßen hast.

Du verwechselst hier Perspektive und Sequenz. Die Treue gegenüber der Chronologie im Vortrag der fata ist vom Perspektivenwechsel nicht berührt.

Das „nun“ ist, mit Bezug auf den nachfolgenden Vers, in der Tat fehl am Platze. Ein „dann“ passt hier besser. Eine Unterbrechung der Chronologie liegt übrigens in den beiden Verse 267/268 vor. Das ist jedoch dem Umstand geschuldet, dass hier der Vortrag der Prophezeiung selbst unterbrochen wird: Man stelle sich Jupiter vor, gebeugt über die Buchrolle (resp. Spindel), die die fata verzeichnet, gemessenen Tons das, was er da liest, vortragend (Fut. I). Plötzlich verstummt er, murmelt dann eine kursorische Zusammenfassung des soeben Überflogenen (nachz. dum-Satz im Fut. II), die mehr verschweigt als enthüllt. Sich sammelnd geht er zum Schicksal des Askanius über, blickt vom Buch auf und erklärt mit gespielter Heiterkeit, dass der Junge sich jetzt übrigens Julus nenne. Daraufhin kehrt er zurück zum feierlichen, immer weiter ausgreifenden Vortrag der Prophezeiung des Schicksals der künftigen Römer (wieder im Fut. I).

Eben in der Übereilung der Darstellung an ihrem heikelsten Punkt (an dem der Mutter eigentlich der baldige Tod ihres Sohnes hätte mitgeteilt werden müssen), sehe ich den Grund dafür, dass der Vortrag vorübergehend aus bloßer chronologischer Reihung in den dum-Satz mit Fut. II fällt.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
filix am 21.5.15 um 12:27 Uhr, überarbeitet am 21.5.15 um 12:36 Uhr (Zitieren)

Der von dir zitierte Kommentar äußert gerade das nicht, sondern bezieht in unserer Frage überhaupt keine Position.


Das sehe ich anders - er bietet beide Alternativen (Dat. versus Abl. abs) und fasst dann - ganz offensichtlich unterschiedslos - zusammen: „In these lines we learn that Aeneas will die the third year after the defeat of Turnus“. Woher soll die Information im Satz (mit Bezug auf das Ende des Werkes, denn von T. ist im Satz nicht die Rede) denn kommen, wenn nicht aus „Rutulis subactis“ in Verbindung mit den Zählungen?


Mit den Partizipien hat das nichts zu tun. Bezeichnet die Satzhandlung ein unwillkürlich eintretendes, iteratives Geschehen, dem die Qualität einer chronometrischen Angabe zukommt*, so wird jede Spezifizierung der Satzhandlung - gleichgültig, ob durch Partizip, Adjektiv, Präpositionalausdruck etc. - den Beginn der Zählung markieren, auf den sich Angabe bezieht, wie oft sich die Satzhandlung wiederholt.


Korrekt, aber in unserem Fall sind es die Partizipien, die das bewirken, eine andere Quelle des Nullpunkts der Zählung gibt es im Vers nicht - mit den beschriebenen Effekten auf die Verschiebung des Sinns von „bis“. Dass nur Partizipien solches bewirken, habe ich nie behauptet.

Der von dir als mustergültig erachteten Übersetzung von Plankl/Vretska kann man übrigens denselben Vorwurf (das Partizip zu „eliminieren“) machen, mit dem du der Übersetzung von E. und G. Binder begegnet bist.


Der Binderschen Übersetzung, die ich übrigens oft sehr gelungen finde, mache ich lediglich den „Vorwurf“, dass in „drei Winter über die Unterwerfung der R. ins Land gegangen sind“ suggeriert wird, dass es sich um ein gleichzeitiges, eben drei „Winter“ beanspruchendes Ereignis handelt, denn ich verstehe hier „über“ als Ausdrucks eines gleichzeitigen Währens beider Vorgänge:

„Über die Diskussion zu Vers 266 verstrichen zweitausend Jahre“.

Das verträgt sich m. E. nicht mit dem PPP, welches seinen endgültigen zeitlichen Sinn aus dem finiten Verb danach empfängt. Woher sonst? „über die besiegten R.“ wäre auch widersinnig, während bei Plankl/Vretska die verbale Auflösung „nach dem Rutulersturz“ in „nachdem die R. gestürzt worden sind“ keine derartigen Probleme verursacht.
Das gilt auch beim Dativ.


„sehe ich den Grund dafür, dass der Vortrag vorübergehend aus bloßer chronologischer Reihung in den dum-Satz mit Fut. II fällt.“


Das verstehe ich einfach nicht. Der dum-Satz mit Futur II fällt doch nicht aus der chronologischen Reihung. Liest man §580, 1 im Neuen Menge und sieht sich die Beispiele an, so wird offenbar, dass der Sinn von Futur II das regulär neben dem Präsens im nachzeitigen dum-Satz bei Futur I im übergeordneten Satz steht, ausdrückt, was eintritt, um das davor Gesagte zu terminieren bzw. unter Umständen anschließende Dauer der darin geschilderten Vorgänge auszudrücken. Simples dort unter lit. c aufgeführtes Beispiel:

„Mihi curae erit, quid agas, dum, quid egeris, sci(v)ero“ (Cic.: Ad fam. 12,193).

Die (künftig) eintretende Gewissheit beendet die (künftige) Sorge - beides ein Vorblick auf die Zukunft aus der Gegenwart eines Schreibers.
Auch wenn man unbedingt annehmen will, dass der Hauptsatz aus der Gegenwart unverrückt in die Zukunft blickt, der „dum“-Satz (und nur er) aber in eine Zukunft jenseits des Gesagten eilt und von dort zurückschaut (was für ein Aufwand!), ziehen doch allfällige in ihm stehende Partizipien, die Zeitverhältnisse ausdrücken, den Verhältnischarakter bewahrend mit, da die Abfolge nicht verändert wird, nur die Perspektive aus der sie erscheint:
Was aus der Gegenwart betrachtet an künftigem Ereignis X vor einem künftigen Ereignis Y geschieht, geschieht auch aus der Zukunft zurückblickend vor diesem.


Re: Vergil Aeneis 1, 266
Klaus am 21.5.15 um 12:50 Uhr (Zitieren)
filix und Kuli sollten diese Disputation als Sonderdruck edieren. Hier im Forum bleibt sie der Nachwelt sicher nicht erhalten
Re: Vergil Aeneis 1, 266
Lateinhelfer am 21.5.15 um 12:57 Uhr (Zitieren)
Das Internet behält vieles über lange Zeit. Aber dennoch: interessant ist es, so eine Dikussion zu lesen.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
Kuli am 22.5.15 um 0:43 Uhr, überarbeitet am 22.5.15 um 0:46 Uhr (Zitieren)
Zitat von filix am 21.5.15, 12:27Das sehe ich anders - er [der Kommentar] bietet beide Alternativen (Dat. versus Abl. abs) und fasst dann - ganz offensichtlich unterschiedslos - zusammen ...

Nun ja, in diesem Kommentar wird dem abl. abs. der Vorzug gegeben („probably ablative absolute“). Daraus kann man schließen, dass die Interpretation auf diese Deutung gemünzt ist. Seltsamerweise soll aus der kommentierten Stelle auch die Apotheose des Äneas ablesbar sein, so dass man den Eindruck gewinnt, hier werde nicht Textauslegung betrieben, sondern frei assoziiert. Woraus sich die Frage ergibt, welche Inhalte denn nun tatsächlich als den besprochenen Versen entnehmbar hingestellt werden. In meinen Augen erscheint ein Kommentar, der selbst eines Kommentars bedarf, letztlich nicht wirklich brauchbar.

Zitat von filix am 21.5.15, 12:27Korrekt, aber in unserem Fall sind es die Partizipien, die das bewirken, eine andere Quelle des Nullpunkts der Zählung gibt es im Vers nicht - mit den beschriebenen Effekten auf die Verschiebung des Sinns von „bis“. Dass nur Partizipien solches bewirken, habe ich nie behauptet.

Eigentlich hast du das schon behauptet. Du schreibst ja, es seien „die Partizipien [...], die Zeitverhältnisse ausdrückend ihren endgültigen zeitlichen Sinn aus den finiten Verbformen“ erhielten „und die Zählweise der ihren Subjekten zugeordneten Zahlangaben erst verständlich werden“ ließen. Das ist doch wohl so zu verstehen, dass das Spezifikum des Partizips, ein zeitliches Verhältnis zum finiten Verb auszudrücken, auf die Zahlangaben übertragen würde und sie mit Sinn füllte, wodurch sich der Charakter des Temporalsatzes änderte. Da andere Wortarten kein Zeitverhältnis von Handlungen ausdrücken, wäre dieser Argumentation zufolge die Hineinziehung des „Nullpunkts“ in den dum-Satz nur durch ein Partizip leistbar. Meine Einwände dagegen habe ich angeführt, auch, dass im zweiten dum-Satz der Nullpunkt aus dem Subjekt selbst abgeleitet wird.

Zitat von filix am 21.5.15, 12:27Das verträgt sich m. E. nicht mit dem PPP, welches seinen endgültigen zeitlichen Sinn aus dem finiten Verb danach empfängt. Woher sonst? „über die besiegten R.“ wäre auch widersinnig, während bei Plankl/Vretska die verbale Auflösung „nach dem Rutulersturz“ in „nachdem die R. gestürzt worden sind“ keine derartigen Probleme verursacht.

Mit diesem, die Vorzeitigkeit des PPP streng auf den Eintritt der Satzhandlung beziehenden Verständnis werden dir aber noch andere Stellen Probleme bereiten.

Kühner (Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache, Hannover 1878, S. 566 ff.) führt aus:
Dem Passive fehlt das Partic. Praes. Dasselbe wird ersetzt: [...] γ) durch das Partic. Perf. Pass., wenn die vollendete Handlung sich zugleich auch als gegenwärtig fortbestehend auffassen lässt. [...] Aber auch ohne diese Beziehung wird es, wie das Partizip des Griechischen Aorists, ohne Rücksicht auf die Zeitenfolge gebraucht, indem es die Handlung als mit der durch das Verbum finitum bezeichneten Haupthandlung zusammenstellend ausdrückt. C. Lael. 22, 84 ea (virtute) neglecta qui se amicos habere arbitrantur, tum se denique errasse sentiunt, quom eos gravis aliquis casus experiri cogit (= si ea neglegitur). 27, 100 amare nihil est aliud nisi eum ipsum diligere, quem ames, nulla indigentia, nulla utilitate quaesita (ohne dass man sucht). Liv. 2. 36, 1 servum sub furca caesum medio egerat circo. Macrob. 1. 11, 3 servum suum verberatum per circum egit. (Aber genauer: C. Divin. 1. 26, 55 servus per circum, quom virgis caederetur, furcam ferens ductus est.) Liv. 1. 9, 7 ut rem claram exspectatamque facerent. 30. 30, 19 melior tutiorque est certa pax quam sperata victoria (ubi v. Weissenb.). Oft in der Konstruktion der absoluten Abl.: C. ND. 1. 41, 116 dii quam ob rem colendi sint, non intellego, nullo nec accepto ab iis nec sperato bono (= si nullum nec accipitur ab iis nec speratur bonum). Caes. B. G. 5. 11, 6 in his rebus circiter dies X consumit ne nocturnis quidem temporibus ad laborem militum intermissis (= ita, ut ne nocturna quidem tempora .. intermitterentur). Sall. J. 13, 5 Jugurtha patratis consiliis postquam omni Numidia potiebatur (= patrans, dadurch, dass er seine Pläne durchführte). Liv. 1. 34, 2 Arruns prior quam pater moritur uxore gravida relicta (stirbt und hinterlässt). Ebenso Justin. 5. 11, 1. 4. 10, 7 consul triumphans in urbem redit, Cluilio, duce Volscorum, ante currum ducto praelatisque spoliis (indem Cl. geführt wurde). 21. 5, 4 quo metu perculsae minores civitates stipendio imposito imperium accepere (indem sie sich .. auflegen liessen, oder: sie liessen sich .. auflegen und u. s. w., s. Weissenb.). 21. 14, 3 Hannibal totis viribus adgressus urbem momento cepit signo dato, ut omnes puberes interficerentur (cepit signumque dedit, wobei er gab). Curt. 4. 1 (2), 10 Dareus cum magno exercitu mare trajecit illato Macedoniae et Graeciae bello (= bellum inferens).

[...]

In der Dichtersprache wird zuweilen durch das Partic. Perf. P. eine noch zukünftige Handlung als bereits vollendet ausgedrückt. Verg. A. 1, 708 convenere toris jussi discumbere pictis. 5, 113 et tuba commissos medio canit aggere ludos (die beginnenden [ἀρχομένους]). 9, 565: quaesitum matri multis balatibus agnum | Martius a stabulis rapuit lupus. Lucan. 5, 201 f. tuque potens veri, Paean, nullumque futuri | a superis celate diem, suprema ruentis | imperii caesosque duces et funera regum | et tot in Hesperio collapsas sanguine gentes | cur aperire
times? (=qui caedentur et quae collabentur).
Re: Vergil Aeneis 1, 266
filix am 22.5.15 um 1:48 Uhr, überarbeitet am 22.5.15 um 12:51 Uhr (Zitieren)
Seltsamerweise soll aus der kommentierten Stelle auch die Apotheose des Äneas ablesbar sein, so dass man den Eindruck gewinnt, hier werde nicht Textauslegung betrieben, sondern frei assoziiert. Woraus sich die Frage ergibt, welche Inhalte denn nun tatsächlich als den besprochenen Versen entnehmbar hingestellt werden


Es liegt mir fern, den Kommentar nach dieser Seite um jeden Preis zu verteidigen, man kann diese Zusammenziehung von Informationen aus dem Werk und außertextlichen Quellen, um die Stelle mit Bedeutung aufzuladen (wir haben beide im Verlauf der Diskussion es nicht anders gemacht), sicher im Detail diskutieren. Das war aber nicht mein Punkt, der allein auf die implizite Deutung der Partizipien hinsichtlich der Abfolge der Handlungen bzw. der daraus sich ableitenden Dauer zielte, für die die Alternativen in meinen Augen ebendort keinen Unterschied machen.


Eigentlich hast du das schon behauptet. Du schreibst ja, ...


Nein, das war dann wohl ein Missverständnis bzw. zu viel Information auf einmal. Ich wollte vorrangig darauf hinaus, dass die Partizipien hier als den Nullpunkt der Zählung bestimmend angesehen werden können und es keine anderen Quellen dafür im Vers gibt, nicht dass es prinzipiell nur Partizipien sind, die solches leisten. Fehlten sie im Vers - wie ich schon schrieb - erstarkte der terminierende Sinn des „dum“-Satzes und man bezöge die drei Sommer und Winter auf die Hauptsatzhandlungen und leitete für diese daraus eine Dauer von (in poetischer Redeweise) drei Jahren ab.
Das sollten die dt. Beispiele illustrieren.

Meine Einwände dagegen habe ich angeführt, auch, dass im zweiten dum-Satz der Nullpunkt aus dem Subjekt selbst abgeleitet wird


Wie? Stünde da nur „bis drei Winter vergangen sind“, setzte doch besagte Verknüpfung mit der Hauptsatzhandlung ein und würde als Aussage über deren Dauer verstanden.



Dem Passive fehlt das Partic. Praes. Dasselbe wird ersetzt: [...] γ) durch das Partic. Perf. Pass., wenn die vollendete Handlung sich zugleich auch als gegenwärtig fortbestehend auffassen lässt. [...]


Das ist ja wohl nicht in deinem Sinne, denn es hieße, dass die unterworfenen R. unterworfen bleiben, während drei Winter vergehen.


Was die übrigen Beispiele angeht, stellen sie Ausnahmen* dar - wir müssten sie jetzt einzeln durchgehen, um sie mit unseren Versen zu vergleichen. Dass es solche gibt, kann allerdings kaum heißen, dass es hier mit Notwendigkeit der Fall ist, ist doch das Vorzeitigkeitsverständnis die Regel. Ich sehe dich in diesem Punkt also klar in der Bringschuld, was die Ausnahme stützende Argumente angeht. Wenn ich dich bisher richtig verstanden habe, ist dein Hauptargument stilistischer bzw. informationsökonomischer Natur - dir gilt „Rutulis subactis“ a) als redudant (da schon im Hauptsatz summarisch behandelt) b) stört dich der Rückgriff. Die Argumentation, dass das Futur II hier irgendetwas Besonderes in puncto Zeitordnung bewirkte, hast du ja, da du auf meine Gegenargumente nicht mehr eingegangen bist, wohl aufgegeben.
Ist das korrekt bzw. gibt es noch andere Argumente?





* Zur Unterstreichung des Ausnahmecharakters der möglichen Gleichzeitigkeit eines PPP in einer abs. Konstruktion nicht bloß im Allgemeinen sondern im I. Buch der Aeneis seien daraus (teilweise sogar aus dem unmittelbaren Umfeld des behandelten Verses) folgende aufgezählt, die allesamt eindeutig vorzeitig zu verstehen sind:

V. 250f. : „nos, tua progenies [...] navibus - infandum! - amissis unius on iram prodimur atque Italis longe disiungimur oris“
Binder & Binder: "Wir, deine Nachkommen [...] werden nach dem Verlust der Schiffe - wie abscheulich - wegen des Zornes einer einzige Gottheit preisgegeben und fernab von Italiens Küste gehalten.

V. 291: „aspera tum positis mitescent saecula bellis:“
Binder & Binder: „Grimmige Zeiten werden dann nach dem Ende der Kriege friedlich werden:“

V. 553f.: „ ... si datur Italiam sociis rege recepto tendere, ut Ialiam laeti Latiumque petamus“
Binder & Binder: „... wenn uns denn nach der Wiederkehr von Gefährten und König vergönnt ist, Italien anzusteuern.

Re: Vergil Aeneis 1, 266
Kuli am 22.5.15 um 14:33 Uhr, überarbeitet am 22.5.15 um 14:36 Uhr (Zitieren)
Bei den im Nachtrag angeführten Belegen weiß ich nicht, was sie demonstrieren sollen. Darüber, dass das PPP in der Regel Vorzeitigkeit ausdrückt und man dies von der überwiegenden Zahl der PPP auch in der Aeneis sagen kann, bestand doch niemals ein Zweifel. Zudem beschränkst du dich auf absolute Partizipialkonstruktionen. Ich habe aber doch deutlich zu machen versucht, dass ich die diskutierte Konstruktion für einen Dativ halte. Du müsstest dich also argumentativ dagegen wenden.

Zur möglichen Präsensbedeutung des PPP noch einmal unten.

Zitat von filix am 22.5.15, 1:48Wie? Stünde da nur „bis drei Winter vergangen sind“, setzte doch besagte Verknüpfung mit der Hauptsatzhandlung ein und würde als Aussage über deren Dauer verstanden.

Die Stelle ist im Thread möglicherweise nicht mehr ganz leicht zu finden. Geschrieben habe ich:
Zitat von Kuli am 21.5.15, 11:22Ist das im Satz dargestellte Geschehen (wie beim Satz in Vers 266, sofern man hiberna als h. castra auffasst, was durch das Distributivum nahegelegt wird) nicht per se iterierend, so entfällt auch die Notwendigkeit, den Beginn der Zählung durch zusätzliche Angaben zu markieren.


Zitat von filix am 22.5.15, 1:48„Dem Passive fehlt das Partic. Praes. Dasselbe wird ersetzt: [...] γ) durch das Partic. Perf. Pass., wenn die vollendete Handlung sich zugleich auch als gegenwärtig fortbestehend auffassen lässt. [...]“

Das ist ja wohl nicht in deinem Sinne, denn es hieße, dass die unterworfenen R. unterworfen bleiben, während drei Winter vergehen.

Richtig. Darum habe ich auch die sich hieran anschließenden Belege ausgelassen. Diesen Satz ins Zitat aufzunehmen, war dennoch notwendig, da sich der nachfolgende - für unsere Problematik entscheidende - Satz auf ihn bezieht:
Zitat von Kuli am 22.5.15, 0:43„Dem Passive fehlt das Partic. Praes. Dasselbe wird ersetzt: [...] γ) durch das Partic. Perf. Pass., wenn die vollendete Handlung sich zugleich auch als gegenwärtig fortbestehend auffassen lässt. [...] Aber auch ohne diese Beziehung wird es, wie das Partizip des Griechischen Aorists, ohne Rücksicht auf die Zeitenfolge gebraucht, indem es die Handlung als mit der durch das Verbum finitum bezeichneten Haupthandlung zusammenstellend ausdrückt.“

Zitat von filix am 22.5.15, 1:48Was die übrigen Beispiele angeht, stellen sie Ausnahmen dar ...

Auch das sei zugegeben. Aber wir bewegen uns ja mit unserem nicht-determinierenden dum-Satz auch keineswegs im Bereich der Standardsprache der Klassik. Wenn dem so wäre, hätte die Diskussion sehr viel kürzer ausfallen können: Hinweis auf den entsprechenden Paragraphen im Neuen Menge und aus die Maus.

Zu zeigen war, dass die lateinische Sprache im Allgemeinen und die lateinische Dichtersprache im Besonderen eine nicht-vorzeitige (zumindest in Bezug auf die Vollendung der Handlung) Verwendung des PPP kennt. Die Reihe der (gar nicht so wenigen) Belege, die Kühner anführt, kann man um Stellen aus der Aeneis erweitern, etwa 12, 650 f. medius volat ecce per hostis | vectus equo spumante Saces (womit wohl kaum der unfreiwillige Flug des Reiters nach einem Abwurf gemeint ist) oder 6, 309 f. quam multa in silvis autumni frigore primo | lapsa cadunt folia.

Auch angesichts der angeführten Stellen, an denen Vergil das PPP sogar nachzeitig verwendet (Aen. 1, 708 iussi; 5, 113 commissos; 9, 565: quaesitum), erscheint mir die Übersetzung von E. und G. Binder (ebenso die von J. Götte in der Sammlung Tusculum) durchaus gerechtfertigt.

Zitat von filix am 22.5.15, 1:48Die Argumentation, dass das Futur II hier irgendetwas Besonderes in puncto Zeitordnung bewirkte, hast du ja, da du auf meine Gegenargumente nicht mehr eingegangen bist, wohl aufgegeben.

Das nicht, aber es ist doch etwas ermüdend, die immer gleichen Punkte, über die offenbar keine Einigung erlangt werden kann, von neuem durchzugehen.

Dass die Nachzeitigkeit im dum-Satz durch Futur II ausgedrückt werden kann, ändert ja nichts daran, dass das Tempus hier dieselbe Funktion übernimmt, die ihm auch im Hauptsatz zugewiesen wird: ein künftig eintretendes Geschehen als abgeschlossen darzustellen. So auch in der bei Burkard-Schauer angeführten Cicero-Briefstelle.

Vergil hätte doch, die parataktische Reihung der verkündeten Ereignisse fortführend, formulieren können: bellum ingens geret Italia - populosque ferocis contundet - moresque viris et moenia ponet - et Latio tres annos regat - at puer Ascanius ... und so ein und dieselbe Perspektive bis zum Schluss durchhalten können. Würde Jupiter so das auf sicherem Gleis laufende Geschick der Äneaden verkünden, wäre die beschwichtigende Wirkung des Berichts ungleich stärker. Aber es gibt eben die Stolperstelle in den fata, die ihn aus dem Konzept bringt. (So erscheint es mir.)


In den kommenden Tagen werde ich nicht online sein.
Re: Vergil Aeneis 1, 266
filix am 23.5.15 um 14:20 Uhr, überarbeitet am 5.6.15 um 11:21 Uhr (Zitieren)
Bei den im Nachtrag angeführten Belegen weiß ich nicht, was sie demonstrieren sollen ...

Die Beispiele aus Vergil sollten textnah a) die Dominanz der regulären Auffassung des Zeitsverhältnisses unterstreichen, die mir bei der Fokussierung auf die Ausnahmen verloren zu gehen schien, wobei b) zwei (V. 250f & 291) derselben in unmittelbarer Nähe zu unserer Stelle, beide in direkter Rede – einmal spricht Venus, dann Jupiter - funktional genau das leisten, was in meiner Auffassung auch in Vers 266 der Fall ist: der Abl. abs. dient dazu eine im Satz geschilderte Handlung zeitlich einzuordnen, indem er ein abgeschlossenes Ereignis formuliert, nach welchem diese stattfindet.

Warum du dich so sehr gegen den Abl. abs. per se aussprichst, verstehe ich – nebenbei gesagt - im Hinblick darauf, dass ein Gutteil der von dir aus Kühner argumentativ übernommenen Belege für PPP = Partizip Präsens Passiv einen solchen aufweist („Oft in der Konstruktion der absoluten Abl.:...“), auch nicht so recht – am von dir angestrebten Sinn der Gleichzeitigkeit änderte sich ja nichts: „und bis drei Winter(lager) die Rutuler besiegt werdend vergangen werden sein.“ ~ „bis den besiegt werdenden Rutulern noch drei Winter(lager) hingegangen sein werden.“

Wie auch immer – die bloße Möglichkeit an sich bestreite ich selbst für das PC beim Dativ nicht, beharre aber darauf, dass es bessere Gründe geben muss als diese Möglichkeit als Möglichkeit allein, zumal die reguläre Auffassung im Kontext einen guten Sinn ergibt (in vielen der Beispiele bei Kühner ist das ja anders).

Die eigentliche Begründung sehe bei dir nach wie vor nur in der schon am Anfang der Diskussion gebrachten Behauptung der Redundanz bzw. des störenden Rückgriffs.

Ersterer habe ich widersprochen mit Hinweis auf die bisher nicht erfolgte Nennung des Namens des Hauptgegners und ergänz(t)e sie um die in der Schwächung aber nicht vollständigen Aufhebung der Terminierung (d.h. wie lange die Hauptsatzhandlungen immer dauern, sie finden ein zunächst unbestimmtes Ende, worauf danach noch drei Sommer und Winter vergehen - diesen Aspekt des „dum“ kann kein Zusatz vollständig eliminieren) wirksame Zusatzinformation, dass „Rutulis subactis“ offensichtlich der letzte Akt vor dem Übergang in die symbolisch zu verstehende volle Herrschaft von in poetischer Redeweise drei Jahren ist.

Dass hier ein all- oder wenigstens mehr wissender lector doctus, den du oben zum relevanten Leser des Werkes erklären willst, das alles schon im Hauptsatz verstanden hätte, erscheint mir a) eine willkürliche Annahme und passt b) überhaupt nicht zur psychologischen Dimension der Gesprächssituation.

Venus, an die die Rede Jupiters sich zunächst richtet, ist ja ob der enttäuschten Erwartung völlig verunsichert und in Tränen aufgelöst, zweifelt am Glück ihres Sohnes und fordert Klartext.

Was der lector doctus da schon im Hauptsatz alles mitverstehen mag, beeinflusst ja die Notwendigkeit der ausführlichen Deutlichkeit der Adressatin gegenüber, die in dem Augenblick sicher nicht in dessen Position sich befindet, nicht.
Binder & Binder übersetzen m.E. sehr treffend „fabor enim, quando haec te cura remordet, longius, et ...“ mit „ ... ich will jetzt ausführlicher sprechen, da diese Sorge sichtlich an dir nagt, und ...“.


Die Stelle ist im Thread möglicherweise nicht mehr ganz leicht zu finden. Geschrieben habe ich: "Ist das im Satz dargestellte Geschehen (wie beim Satz in Vers 266, sofern man hiberna als h. castra auffasst, was durch das Distributivum nahegelegt wird) nicht per se iterierend, so entfällt auch die Notwendigkeit, den Beginn der Zählung durch zusätzliche Angaben zu markieren.“


Das werden wir uns wohl nicht einig. Ich bleibe dabei:

Wenn du den Beginn der Zählung nicht auf irgendeine Weise markierst, tritt ein, was ich mehrfach geschildert habe: der Temporalsatz gewinnt eine die Hauptsatzhandlung stark terminierende Komponente und macht vorrangig eine Aussage über deren Dauer allein. Ich greife deine anfänglich (14.5.15 um 10:06) gegebene Erklärung für den distributiven Sinn von „terna“ auf (die mich nicht wirklich überzeugt) und übersetze ohne die Partizipien und andere Zusätze im Nebensatz mit von dir favorisiertem Dativ:

„Er wird einen ungeheuren Krieg in Italien führen, wilde Völker vernichten, Mauern und Regeln aufstellen, bis der dritte Sommer ins Land gegangen sein wird und <bis> den Rutulern <wie den Äneaden jeweils> drei Winterlager vorübergegangen sein werden.“

D.h. die ganze Chose ist in drei Sommern und Winter(lager)n erledigt, erstere kommen nicht noch ab Beginn der Regentschaft (regnantem) hinzu, letztere vergehen nun (je nach Auffassung) weder ab noch während der Unterwerfung der Rutuler (R. subactis) zusätzlich zur Hauptsatzhandlung.

Du selbst (darin stimme ich dir zu) übersetzt oben: „bis dann noch (dum) ein dritter (tertia) Sommer (aestas) <ihn als> Herrscher in Latium (Latio regnantem) gesehen haben wird …“. „bis dann noch“ meint aber schlicht „zusätzlich“ (zur unbestimmten) Dauer der abgeschlossenen Hauptsatzhandlung.

Willst du letzteren Sinn erhalten, brauchst du eine Markierung der gezählten Handlungen, ob es sich dabei um zyklische Geschehen oder nicht handelt , ist gleichgültig. Da Partizipien nicht die einzigen Kandidaten für die Markierung sind, könnte diese durch das zugesetzte „dann noch“ allein erfolgen, da schon das bloße „dann“ den Markierungspunkt vom Beginn der Hauptsatzhandlung an deren Ende verschiebt. Auch das gilt ganz unabhängig von der tatsächlichen Zahl der Ereignisse und der Frage, ob sie zyklisch sich wiederholende sind oder nicht.

Die Vorstellung, dieses „dann noch“ stecke schon im „dum“ alleine, lässt man alle anderen Zusätze im lat. Satz weg, halte ich jedoch für falsch. Cf.
„dum, quoad […] regieren in der Bedeutung ‚bis, solange bis, bis dass‘ den Indikativ (des Perfekts, des Präsens und des Futurs II (unser Fall) [...], wenn sie ein rein temporales Ziel und das tatsächliche Eintreten einer Handlung bezeichnen.“ (Menge § 580, 1)

Entsprechend lässt sich die Cicero-Briefstelle nicht mit „Ich werde in Sorge sein, bis ich dann <zusätzlich> noch (dum) wissen werde, was du getan haben wirst.“ oder dgl. sinnvoll übersetzen. Dass das Wissen, das die Sorge beendet, fortdauert, ist banal aber nicht der primäre Sinn des Nebensatzes – der liegt eben in dem „temporalen Ziel“, dem darin geschilderten Eintritt einer Handlung, die die im übergeordneten Satz stattfindende begrenzt und (je nach Maßgabe der Information mehr oder minder präzise) so in ihrer Dauer festsetzt: Cicero sorgt sich vom Beginn der Sorge, bis das Wissen, das diese beendet, eintritt.


Aber wir bewegen uns ja mit unserem nicht-determinierenden dum-Satz auch keineswegs im Bereich der Standardsprache der Klassik.


Der „dum“-Satz ist in puncto Modus- und Tempuswahl ganz klassisch, erst die Zusätze erwirken die Verschiebung, die kommt nicht aus dem „dum“, nicht aus dem Futur II.

Vergil hätte doch, die parataktische Reihung der verkündeten Ereignisse fortführend, formulieren können: bellum ingens geret Italia - populosque ferocis contundet - moresque viris et moenia ponet - et Latio tres annos regat - at puer Ascanius ... und so ein und dieselbe Perspektive bis zum Schluss durchhalten können. Würde Jupiter so das auf sicherem Gleis laufende Geschick der Äneaden verkünden, wäre die beschwichtigende Wirkung des Berichts ungleich stärker.


In der Auffassung vom Abl. abs. mit PPP, wobei dieses regulär Vorzeitigkeit ausdrückt, wird der Sieg über den jetzt erst benannten Hauptgegner zum Endpunkt des im Hauptsatz geschilderten Ringens um Herrschaft, worauf diese, das Leben des Begründers derselben rundend symbolträchtig noch drei Sommer und Winter währt, ehe dessen Sohn sie zehnfach überbietet. Was könnte beruhigender als dieser Spoiler sein?


Da auch meine Zeit, mich der Diskussion zu widmen, in den nächsten Tagen begrenzt ist, schlage ich vor, sie auf Eis zu legen.



 
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Bei den im Nachtrag angeführten Belegen weiß ich nicht, was sie demonstrieren sollen. Darüber, dass das PPP in der Regel Vorzeitigkeit ausdrückt und man dies von der überwiegenden Zahl der PPP auch in der Aeneis sagen kann, bestand doch niemals ein Zweifel. Zudem beschränkst du dich auf absolute Partizipialkonstruktionen. Ich habe aber doch deutlich zu machen versucht, dass ich die diskutierte Konstruktion für einen Dativ halte. Du müsstest dich also argumentativ dagegen wenden.

Zur möglichen Präsensbedeutung des PPP noch einmal unten.

Zitat von filix am 22.5.15, 1:48Wie? Stünde da nur „bis drei Winter vergangen sind“, setzte doch besagte Verknüpfung mit der Hauptsatzhandlung ein und würde als Aussage über deren Dauer verstanden.

Die Stelle ist im Thread möglicherweise nicht mehr ganz leicht zu finden. Geschrieben habe ich:
Zitat von Kuli am 21.5.15, 11:22Ist das im Satz dargestellte Geschehen (wie beim Satz in Vers 266, sofern man hiberna als h. castra auffasst, was durch das Distributivum nahegelegt wird) nicht per se iterierend, so entfällt auch die Notwendigkeit, den Beginn der Zählung durch zusätzliche Angaben zu markieren.


Zitat von filix am 22.5.15, 1:48„Dem Passive fehlt das Partic. Praes. Dasselbe wird ersetzt: [...] γ) durch das Partic. Perf. Pass., wenn die vollendete Handlung sich zugleich auch als gegenwärtig fortbestehend auffassen lässt. [...]“

Das ist ja wohl nicht in deinem Sinne, denn es hieße, dass die unterworfenen R. unterworfen bleiben, während drei Winter vergehen.

Richtig. Darum habe ich auch die sich hieran anschließenden Belege ausgelassen. Diesen Satz ins Zitat aufzunehmen, war dennoch notwendig, da sich der nachfolgende - für unsere Problematik entscheidende - Satz auf ihn bezieht:
Zitat von Kuli am 22.5.15, 0:43„Dem Passive fehlt das Partic. Praes. Dasselbe wird ersetzt: [...] γ) durch das Partic. Perf. Pass., wenn die vollendete Handlung sich zugleich auch als gegenwärtig fortbestehend auffassen lässt. [...] Aber auch ohne diese Beziehung wird es, wie das Partizip des Griechischen Aorists, ohne Rücksicht auf die Zeitenfolge gebraucht, indem es die Handlung als mit der durch das Verbum finitum bezeichneten Haupthandlung zusammenstellend ausdrückt.“

Zitat von filix am 22.5.15, 1:48Was die übrigen Beispiele angeht, stellen sie Ausnahmen dar ...

Auch das sei zugegeben. Aber wir bewegen uns ja mit unserem nicht-determinierenden dum-Satz auch keineswegs im Bereich der Standardsprache der Klassik. Wenn dem so wäre, hätte die Diskussion sehr viel kürzer ausfallen können: Hinweis auf den entsprechenden Paragraphen im Neuen Menge und aus die Maus.

Zu zeigen war, dass die lateinische Sprache im Allgemeinen und die lateinische Dichtersprache im Besonderen eine nicht-vorzeitige (zumindest in Bezug auf die Vollendung der Handlung) Verwendung des PPP kennt. Die Reihe der (gar nicht so wenigen) Belege, die Kühner anführt, kann man um Stellen aus der Aeneis erweitern, etwa 12, 650 f. medius volat ecce per hostis | vectus equo spumante Saces (womit wohl kaum der unfreiwillige Flug des Reiters nach einem Abwurf gemeint ist) oder 6, 309 f. quam multa in silvis autumni frigore primo | lapsa cadunt folia.

Auch angesichts der angeführten Stellen, an denen Vergil das PPP sogar nachzeitig verwendet (Aen. 1, 708 iussi; 5, 113 commissos; 9, 565: quaesitum), erscheint mir die Übersetzung von E. und G. Binder (ebenso die von J. Götte in der Sammlung Tusculum) durchaus gerechtfertigt.

Zitat von filix am 22.5.15, 1:48Die Argumentation, dass das Futur II hier irgendetwas Besonderes in puncto Zeitordnung bewirkte, hast du ja, da du auf meine Gegenargumente nicht mehr eingegangen bist, wohl aufgegeben.

Das nicht, aber es ist doch etwas ermüdend, die immer gleichen Punkte, über die offenbar keine Einigung erlangt werden kann, von neuem durchzugehen.

Dass die Nachzeitigkeit im dum-Satz durch Futur II ausgedrückt werden kann, ändert ja nichts daran, dass das Tempus hier dieselbe Funktion übernimmt, die ihm auch im Hauptsatz zugewiesen wird: ein künftig eintretendes Geschehen als abgeschlossen darzustellen. So auch in der bei Burkard-Schauer angeführten Cicero-Briefstelle.

Vergil hätte doch, die parataktische Reihung der verkündeten Ereignisse fortführend, formulieren können: bellum ingens geret Italia - populosque ferocis contundet - moresque viris et moenia ponet - et Latio tres annos regat - at puer Ascanius ... und so ein und dieselbe Perspektive bis zum Schluss durchhalten können. Würde Jupiter so das auf sicherem Gleis laufende Geschick der Äneaden verkünden, wäre die beschwichtigende Wirkung des Berichts ungleich stärker. Aber es gibt eben die Stolperstelle in den fata, die ihn aus dem Konzept bringt. (So erscheint es mir.)


In den kommenden Tagen werde ich nicht online sein.
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