Ich bitte um Eure Hilfe bei der Verbesserung meiner Übersetzung zu folgendem Text:
Putaresne umquam accidere posse, ut mihi verba dessent, neque solum ista vestra oratoria, sed haec etia levia nostratia? desunt autem propter hanc causam, quod mirifice sum sollicitus, quidnam de provinciis decernatur. mirum me desiderium tenet urbis, incredibile meorum atque in primis tui, satietas autem provinciae, vel quia videmur eam famam consecuti, ut non tam accessio quaerenda quam fortuna metuenda sit, vel quia totum negotium non est dignum viribis nostris, qui maiora onera in re publica sustinere et possim et soleam, vel quia belli magni timor impendet, quod videmur effugere, si ad constitutam diem decedemus.
Glaubtest (Konj. Imp.) du, dass es je eintreten kann (ACI?), dass mir die Wörter fehlen, nicht nur für diese Eure Redekunst, sondern auch für das leichte Einheimische? desunt (???) aber aus diesem Grund, dass ich außerordentlich beunruhigt bin, was über die Provinzen entschieden wird. Mich hält ein erstaunliches Verlangen nach der Hauptstadt gefangen, unglaublich [sehne ich mich] nach den Meinen (gen. obi.?) und in erster Linie nach dir. Der Provinz hingegen bin ich überdrüssig, entweder weil ich mir diesen guten Ruf erworben zu haben scheine, sodass nicht so sehr eine Vermehrung erstrebt als ein Unglück befürchtet werden muss oder weil die ganze Mühe nicht meine Kräfte wert ist, der ich es vermag und gewohnt bin schwere Lasten im Staat zu ertragen oder weil Furcht vor einem großen Krieg droht, dem ich zu entkommen scheine, wenn ich mich bis zum festgesetzten Tag entferne.
In Zeile 2 des lateinischen Textes habe ich mich beim 3. Wort vertippt. Es müsste etiam statt etia heißen.
Re: Verbesserung meiner Übersetzung
filix am 8.7.15 um 22:21 Uhr, überarbeitet am 8.7.15 um 22:24 Uhr (Zitieren)
„putares“ ist Potentialis der Vergangenheit, im Dt. fehlen die Worte, nicht die Wörter - „verba oratoria“ = „gewählten W. der Redner“, „(verba) levia nostratia“ ~ „die W. der lokalen Umgangssprache“, „desunt“ = „desunt <verba>“ = „Ich bin sprachlos“. „... eam famam consecuti, ut non tam accessio quaerenda ...“ = „... einen so guten Ruf erworben zu haben scheine, dass nicht so sehr <dessen> Mehrung zu erwarten, vielmehr eine ungünstige Entwicklung zu befürchten ist“
Sie schreiben, putares sei der Potentialis der Vergangenheit. Aber es handelt sich im Lateinischen hier doch um einen Konjunktiv Imperfekt. Zudem weiß ich nicht wie ein Potentialis der Vergangenheit von putare auf Deutsch übersetzt werden muss (mochte glauben?).
Sie schreiben, dass man verba oratoria mit „gewählten W. der Redner“ übersetzt. Aber im lateinischen Text steht ja vestra oratoria. Zudem scheint mir oratoria kein Genitiv zu sein.
„desunt <verba>“ übersetzen Sie mit „Ich bin sprachlos“. Aber das scheint mir im Gesamtzusammenhang keinen Sinn zu ergeben.
Danke Klaus. Wird der Potentialis der Vergangenheit immer mit Konj. Imp. ausgedrückt? Und der Potentialis der Gegenwart wird mit Konj. Präs. oder Konj. Perf. ausgedrückt?
Ist das durch putare eingeleitete „accidere posse“ eine ACI-Konstruktion, wobei der Akkusativ im Lateinischen nicht ausgedrückt und im Deutschen mit „es“ wiedergegeben wird (siehe meine Übersetzung oben)? Wenn nicht, kann ich das ganze dann trotzdem wie einen ACI ohne Akk. übersetzen?
Ich habe versucht, den Potentialis (vgl. filix) im Deutschen nachzumachen. Insofern gilt mir das „konntest“ als Konjunktiv. Sagt man es nicht auch so im Deutschen?
Ja, wobei der Konj. Perfekt häufiger ist. Für die Beschränkungen des Potentialis der Vergangenh. siehe das Posting von Ailourofilos.
Nun, wörtlich heißt das „eure zum Redner gehörenden Worte“, meine Übersetzung nimmt sich also eine gewisse Freiheit, um den Gegensatz von „verba oratoria“ und „<verba> levia nostratia“ herauszustellen.
Wörtlich „Sie fehlen“, die Worte nämlich, wofür man auch sagen kann: Ich bin sprachlos.
Die Übersetzung ist richtig. Im Lat. gibt es kein Scheinsubjekt („es“) - tatsächlich fungiert der Pseudokonsekutivsatz als Subjekt-Satz bei der Konstruktion „accidit, ut“.
Re: Verbesserung meiner Übersetzung
filix am 9.7.15 um 18:26 Uhr, überarbeitet am 9.7.15 um 18:38 Uhr (Zitieren)
Man fragt in den Regel schon „Hättest du geglaubt, dass ...?“ oder dgl.
Beim Versuch, einen lat. Potentialis im Dt. zu imitieren, gelangt man recht bald zur Erkenntnis, dass im Dt. der Modus alleine nicht ausreicht, um Möglichkeit auszudrücken. Daher taucht z.B. in euren Übersetzungen das Modalverb „können“ auf, das ja im Lat. nicht bei „putares“ steht.
Ich meine mich zu erinnern, daß wir schonmal darüber gesprochen haben, daß zumindest das Umgangsdeutsch mit dem Hätte-Konjunktiv sehr inflationär umgeht: „Ich hätte da mal eine Frage ...“, „Ich hätte gerne den gemischen Salat“ usw.
Da wird eine Irrealität suggeriert, die gar nicht vorliegt.
Für gutes Deutsch halte ich das (bei Potentialität) nicht, für weit verbreitetes natürlich schon.
Re: Verbesserung meiner Übersetzung
filix am 9.7.15 um 22:29 Uhr, überarbeitet am 9.7.15 um 22:47 Uhr (Zitieren) I
Nun, die suggerierte Irrealität in deinen Beispielen kennzeichnet eine Gebrauchsweise des Konj. II, die schon etwas länger (gewiss seit dem 19. Jhdt) als höflich empfunden wird. Dass du gegen diese Abschwächung einer Bitte, Forderung oder Behauptung auf grammatischem Wege Vorbehalte hast, mag ja sein, ändert aber nichts an der etablierten Funktion.
Das hat allerdings mit der Frage nach den Möglichkeiten, im Dt. Potenzialität (zumal der Vergangenheit) auszudrücken, nur insofern etwas zu tun, als dass auch hierbei der Konj. II in einer Weise zum Einsatz kommt, die den Ausdruck von Irrealität (eine der beiden Funktionsdomänen desselben im Dt.) in spezieller Weise nutzt.
Wahrscheinlich ist schon die Erfassung des lat. Konj. Imperfekts in besagten Wendungen unter dem Titel eines Potentialis der Vergangenheit eher irreführend und mehr Abgrenzungsbedürfnissen (zum Irrealis der Vergangenheit, der durch den Konj. Plusquamperf. ausgedrückt wird) geschuldet, als dass sie zur Erhellung der Bedeutungsaspekte dieser Formen beiträgt.
Es ist doch bereits im Lat. so, dass hier nicht einfach eine bloß gewesene Möglichkeit abgefragt, vielmehr die Unglaublichkeit schon der Annahme derselben in einer rhetorischen Frage in den Raum gestellt wird, um so das Unerwartete des tatsächlichen Eintritts noch deutlicher hervorzukehren, wofür im Dt. völlig zu Recht auf den Konj. II zurückgegriffen wird.
Warum der Konj. II in der diskutierten Übersetzung nun schlechtes Deutsch sein soll, müsstest du also genauer erläutern.
Beim Salat ist ein Irrealis schon berechtigt, den hat man ja noch nicht, wenn man um ihn bittet. (Die zuversichtlichere Formulierung: „Ich bekomme einen Salat.“)
Die Frage, ja, die hat man, während man sie äußert. (Eine Steigerung zur Frage, die man „hätte“, bildet übrigens die Auskunft, die man „bräuchte“.)
Für eine Formulierung „man hätte glauben können“ lässt sich zugunsten des Irrealis sagen, dass sich das Glauben, indem es vom (behaupteten) Faktum überholt worden ist, bereits erledigt hat.
Der Konjunktiv II dient außerdem als Höflichkeitsform. Sie wird zum einen verwendet, wenn man Bitten an andere Personen richtet:
Könnten Sie das für mich erledigen? anstatt Erledigen Sie das für mich! (Imperativ) oder Können Sie das für mich erledigen? (Indikativ als Frage)
Hätten Sie einen Moment Zeit? anstatt Haben Sie einen Moment Zeit? (Indikativ als Frage)
Zum anderen kann der Konjunktiv II als Bescheidenheitsform in Bezug auf sich selbst fungieren:
Ich hätte gerne ein Bier . oder Ich möchte gerne ein Bier. anstatt Ich will ein Bier.
Ich würde gerne ins Kino gehen. anstatt Ich will ins Kino gehen.
Ich würde vorschlagen, dass wir noch eine Nacht darüber schlafen. anstatt Ich schlage vor, dass wir noch eine Nacht darüber schlafen.
Die Möglichkeitsform dient hier dazu, um den Wunsch oder den Anspruch auf Erfüllung förmlich abzumildern.
Das gibt’s auch in anderen Sprachen, z.B. im Englischen:
I would like/ Could you....?
Die Sprechaktfunktion dieser Konjunktiv-Verwendung ist wohl bereits klar gewesen. Bezüglich der inhaltlichen Konsistenz (darauf zielte Graeculus' Beitrag ja ab) ist der Konjunktiv II bei den verschiedenen Floskeln in unterschiedlichem Maße berechtigt. Im Falle von „Ich hätte gern ein Bier!“ ist er stimmig, auch wenn der Satz als bloße Äußerung eines Empfindens verstanden wird und nicht als Aufforderung. (Der alte Witz - Gast: „Herr Ober, ich hätte gern drei Eier!“ - Ober: „Ich auch.“ - basiert darauf.)
Den Satz „Ich hätte da mal eine Frage ...“ sollte man dagegen nicht getrennt von seiner Funktion als Höflichkeitsfloskel analysieren.