@Ailourofilos : Ja, das weiß ich, nur fangen die Sätze mit Prohibitv, die ich kenne, meist mit „ne“ an. Das „sed“ davor hat mich gestört, und ich dachte es könne wieder ein Germanismus sein.
Quaedam Germanismi larva te nunc persequi videtur. Quidam esse videtur, qui te Germanismi metu infecerit. Vae isti scelerato ! Quem ubi cepi, „ suum miraculum lividum videbit“.
Tu autem, Klause optime, timore Germanismi superato potius in arte Germanisticae verseris. Cave quidem, ne in illa nulla Latinisma adhibeas. :))
Finio cum Anglicismo: Qui se Germanismo usum esse putat, nonnumquam „arborem falsam allatrat“.
Wenn ich die Sache richtig deute, hat sich der Angesprochene nicht rechtzeitig einen Schattenplatz (unter Zweigen und Blättern) gesucht, und beklagt sich nun, dass die Sonne ihn mit größerer Hitze bedrängt als jene, die sich Schutz gesucht haben.
(Von daher wäre „parteilich“ wohl besser mit iniquus zu übersetzen, oder man sagt z. B.: Te ipsum accusa, si eges ramis et fronde, neque vero negaveris solem aequum esse.)
Ich hatte mir folgende Deutung für dieses chinesische Sprichwort überlegt:
Tadel dich selbst, wenn du nichts hervorbringst, aber mache nicht andere dafür verantwortlich.
Du meinst, dass der Adressat selbst ein Baum wäre bzw. sich als ein solcher vorzustellen hätte?
Ja gut, dann entsteht allerdings die Frage, warum er ausgerechnet die Sonne für sein gehemmtes Wachstum verantwortlich gemacht haben sollte. (Die meisten Bäume wachsen ja besser, wenn sie dem offenen Sonnenlicht ausgesetzt sind, als wenn sie im Schatten stehen.)
Re: Übersetzung Sprichwort
Klaus am 24.7.15 um 21:09 Uhr, überarbeitet am 24.7.15 um 21:15 Uhr (Zitieren)
Der Adressat ist sauer auf die Sonne, weil sie parteiisch nur die anderen Bäume wachsen lässt. Er soll sich vielmehr selbst um sein Wachstum/Fortkommen kümmern. (evtl. hab ich mich da auch geirrt, ich kenn mich mit chinesischem Gedankengut nicht aus)
Das fasse auch ich deutlich so auf: der Adressat, der sich gleichsam als im Wachstum gehemmten Baum sieht und in der Versuchung steht, die Sonne dafür verantwortlich zu machen,
Was die deutsche Formulierung auch suggeriert. „Blätter und Zweige haben“ funktioniert ja wie „einen Bart, eine Glatze, Plattfüße haben“ u. s. f.
Infrage steht, was das Original zulässt und was es ausschließt. Ob „Blätter und Zweige haben“ auch „Blätter und Zweige über sich haben“ bedeuten kann.
Und dann stellt sich noch die Frage, wie man sich auf der anderen Seite den angesprochenen Baum eigentlich vorzustellen habe, so ohne Zweige und Blätter.
Ich denke Michael, wird uns aufklären, was er mit diesem Spruch ausdrücken will.
Re: Übersetzung Sprichwort
Kuli am 25.7.15 um 8:42 Uhr, überarbeitet am 25.7.15 um 8:49 Uhr (Zitieren)
Also nicht ein zu klein gebliebener Baum (wie in Klaus' Deutung), sondern ein absterbender oder bereits toter? In welcher Situation sollte man das Sprichwort dann anwenden? Wenn man am Bett eines Sterbenskranken sitzt und ihm mitteilen will: „Hör auf zu stöhnen! Hätt’st halt nicht krank werden dürfen?“
Wahrscheinlicher erscheint mir, dass die Übersetzung aus dem Chinesischen etwas unglücklich gewählt worden ist und dass sich die Ermahnung auf eine echte Willensentscheidung bezieht.
Wie etwa bei einem Wanderer, der statt des schattigen Waldwegs den durchs offene Gelände gewählt hat und in der Mittagshitze klagt, dass die Sonne allzu unbarmherzig herabbrenne. Hier wäre die passende Entgegnung: „Gib dir selbst die Schuld, wenn dir ein Laubdach fehlt, nicht der Sonne!“
Ja, die Formulierung ist verkürzt, damit das für den Zusammenhang Wichtige deutlicher hervortritt. Natürlich kannst du hier nach Belieben auch das Sprichwort in der Gestalt, die es in der Fragestellung hat, einsetzen. Was es meiner Meinung nach mit der Parteilichkeit der Sonne auf sich hat, hatte ich ja oben schon erklärt.
Aber, in der Tat, wirklich Sinn macht eine Auslegung nur, wenn das Original hinzugezogen wird und man weiß, wie Muttersprachler das Sprichwort verwenden.
Re: Übersetzung Sprichwort
Kuli am 26.7.15 um 22:24 Uhr, überarbeitet am 26.7.15 um 22:26 Uhr (Zitieren)
Nach vorläufiger Recherche, schließe ich mich eurer Auslegung an. Das Sprichwort hat im Chinesischen die Form
自恨無枝葉,莫怨太陽偏。
(In Kurzzeichen-Schrift: 自恨无枝叶,莫怨太阳偏。)
Die deutsche Übertragung geht wohl auf eine englische Vorlage zurück, vielleicht diese (Nr. 1698):
In einer verbreiteten Alternativform, die u. a. im chinesischen Wikiquote zitiert wird, steht das 無 (wú) zwischen 枝 (zhī) und 葉 (yè), so dass eindeutig ist, dass das (vorgestellte) Subjekt des Satzes ein Baum sein muss (nicht etwa ein schattensuchender Wanderer wie in meiner Deutung), da die Äste ja zum Subjekt gehören müssen: 自恨枝無葉 = „Hasse dich selbst, wenn deine Äste keine Blätter haben ...“ oder „Er hasst sich selbst, wenn seine Äste blattlos sind ...“
Dem entspricht auch die Übersetzung in einem chinesischen Lehrbuch, das Chinesen die englische Sprache anhand von Sprichwörtern beibringen will (Nr. 222):
Hieraus wird auch ersichtlich, dass 偏 (piān) nicht im übertragenen Sinn „parteilich“, sondern in der Bedeutung „zu einer Seite neigen, schräg“ verwendet wird. So steht statt diesem mitunter auch 倾 (qīng - „sich neigen“).