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„Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet? — 5303 Aufrufe
Irene R. am 21.9.15 um 21:26 Uhr (Zitieren)
Ich bin auf der Suche nach einer (zitierbaren) Quelle, welche explaniert, warum im Lateinischen Entscheidungsfragen nicht mit einem (profanen) „Ja“/„Nein“ beantwortet werden. Herzlichen Dank ex ante!

Irene R.
Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
filix am 21.9.15 um 21:56 Uhr (Zitieren)
Was verstehst du unter einem (profanen) „Ja“ bzw. „Nein“ im Lat. denn?
Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
I. Rademacher am 21.9.15 um 22:21 Uhr (Zitieren)
Ich bezog mich auf die im Deutschen übliche solitäre „Ja/Nein“-Antwort auf Entscheidungsfragen um Kontrast zur lateinischen Formulierung einer Antwort als Deklarativsatz. Oder anders: Warum existiert im Lateinischen keine „Kurzantwort Ja/Nein“?
Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
Ailourofilos am 22.9.15 um 0:11 Uhr (Zitieren)
[Beitrag entfernt]
Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
filix am 22.9.15 um 12:59 Uhr (Zitieren)
Es ist wohl letztlich eine Definitionsfrage, ob z.B. isoliertes „ita“ und „non“ (die v.a. bei Terenz und Plautus vorkommen) im Lat. vollwertige Pendants für die Antwortpartikeln „ja“ und „nein“ (bzw. „doch“) darstellen, sicher jedoch, dass es im Lat. verschiedene Möglichkeiten gibt, Affirmation und Negation als Antwort auf eine Entscheidungsfrage auszudrücken, die über echo answers vom Typ „venitne? [non] venit (Ist er gekommen? Er ist [nicht] gekommen)“ hinausgehen. Dazu gehören die von Ailourofilos angeführten (unvollständigen) Beispiele in jedem Falle.




Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
supplens am 22.9.15 um 14:12 Uhr (Zitieren)
Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
Kuli am 22.9.15 um 19:54 Uhr (Zitieren)
Da nach einer zitierfähigen Quelle gefragt wurde, kann man auf Burkard-Schauer, Lehrbuch der lat. Synt. u. Sem., § 416 verweisen, wo eine ganze Reihe von Beispielen aus Ciceros Werken für Antworten auf Satzfragen, die nur aus Modaladverbien oder Negationspartikeln bestehen, angeführt werden, etwa: „Addictus erat tibi?“ - „Non.“ (Q. Rosc. 41) oder „Satisne hoc conclusum videtur?“ - „Certe.“ (fin. 3, 27).

Freilich kann man jede dieser Antworten als Ellipse auffassen, denn sowohl Negationspartikel als auch Adverb können an ein Verb angeschlossen werden. Im Unterschied dazu sind die Ja- und Nein-Wörter auch der romanischen Sprachen - ob sie nun der lingua si, der lingua oil oder der lingua oc (um die Dantesche Einteilung zu bemühen) zuzurechnen sind - nicht als Verbergänzungen zu verstehen, selbst wenn ihre Etymologien auf solche verweisen.
Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
filix am 22.9.15 um 21:52 Uhr, überarbeitet am 22.9.15 um 23:41 Uhr (Zitieren)
Eine ausführliche Darstellung der Antwortmöglichkeiten auf Satz-/Entscheidungsfragen im Lat. bietet auch Harm Pinksters Oxford Latin Syntax: Volume 1 - The Simple Clause, S.371ff.

Darin liest man u.a. die Behauptung : „In Late Latin adverbs and particles became the most common form of affirmative response to a question.“ (Mit Verweis auf: Müller, Roman (2012). 'Sit autem sermo vester est est non non: Klassisches und nichtklassisches “Ja”)

Eine Bibliographie zu schon genannten Partikeln findet sich unter: http://latinparticles.userweb.mwn.de/#latinparticles

@Kuli: Ich frage mich, ob es genügt, die Ergänzungsfähigkeit als Abgrenzungskriterium z.B. zwischen Antwortpartikel und elliptisch gebrauchter Negationspartikel anzusetzen. Wie soll man ausschließen, dass im Lat. ein isoliertes „non“ als Antwort schon als satzwertig aufgefasst wurde? Muss man wirklich annehmen, dass hierbei, um das einmal ins Dt. zurückzuspiegeln, sozusagen stets „[...] nicht [...]“ statt „nein“ verstanden wurde? („Venitne? Non.“ -> „Ist er gekommen? [Er ist] nicht [gekommen]“ vs. „Ist er gekommen? Nein.“).
Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
Kuli am 23.9.15 um 11:28 Uhr (Zitieren)
Vermutlich nicht. (Nur, vom Deutschen her können wir nicht nachempfinden, was es bedeutet, da ein Wort zu verwenden, wo wir zwei haben.)

Ich halte es immerhin für denkbar, dass die Neuerung, die im Italienischen und Französischen (bzw. ihren vulgärlateinischen Vorläufern) eingetreten ist, nämlich für die fraglichen Ein-Wort-Sätze einen eigenen (von Satznegation und Satzadverbial verschiedenen) Ausdruck zu reservieren, nicht zufällig erfolgt, sondern auf Veränderungen im Sprachbau zurückzuführen ist. (Etwa weil die polysemen Ausdrücke zunehmend zu Missverständnissen führten, der Art, dass bei einer Frage „Num putas eum non venisse?“ die Antwort „Non[,] venit.“ gegensätzliche Auslegungen zulässt.)
Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
Graeculus am 23.9.15 um 11:43 Uhr (Zitieren)
Gilt das mit den möglichen gegensätzlichen Auslegungen nicht auch für Ja-/Nein-Antworten?

Volksbefragung in Rußland:
Haben Sie keine Einwände gegen die Politik unseres Präsidenten Putin?

0 Ja
0 Nein
Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
Kuli am 23.9.15 um 11:57 Uhr (Zitieren)
Na ja, in deinem Beispiel ließe sich durch Hinzufügen des Verbs Eindeutigkeit herstellen: „Ja/doch, habe ich“ - „Nein, habe ich nicht“.
Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
Klaus am 23.9.15 um 11:58 Uhr (Zitieren)
Haec interrogatum vere daemonicum est.
Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
filix am 23.9.15 um 11:59 Uhr (Zitieren)
Eine Volksbefragung, die vom vollen Repertoire dt. Antwortpartikeln Gebrauch macht, müsste eigentlich:

0 Nein (ich habe keine Einwände)
0 Doch (ich habe Einwände)


anbieten.


Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
Graeculus am 23.9.15 um 14:28 Uhr (Zitieren)
Man kann das durch Zusätze eindeutig machen (falls einem an der Kenntnis des Volkswillens gelegen ist).
Mit geht es nur darum, daß ein „nein“ als Antwort auf die Frage: „Glaubst du, daß er nicht gekommen ist?“ nicht eindeutiger ist als „non[,] venit“. Ich würde sofort gegenfragen: „Was denn, glaubst du es nicht, oder ist er doch gekommen?“
M.a.W.: Wie und warum auch immer „ja/nein“ eingeführt worden sind, ich halte es für zweifelhaft, daß es dabei um die Vermeidung von möglichen Mißverständnissen ging. Dieses Ziel erfordert - so oder so - in manchen Fällen Zusätze.
Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
filix am 23.9.15 um 15:07 Uhr, überarbeitet am 23.9.15 um 15:10 Uhr (Zitieren)
Diese Verunsicherung bei isolierten Antwortpartikeln (ja/nein/doch) resultiert meiner Ansicht nach daraus, dass die sehr wohl eindeutigen Regeln für den Gebrauch derselben in Abhängigkeit von bejahten und verneinten Satz-/Entscheidungsfragen Schwierigkeiten verursachen. Insbesondere scheint bei verneinten Satz-/Entscheidungsfragen „doch“ durch (regelwidriges) „ja“ tlw. verdrängt zu werden. All das provoziert Nachfragen.
„Glaubst du, dass er nicht gekommen ist?“ verschärft das Problem insofern, als hier die Negation im Nebensatz steht, während der Matrixsatz nicht verneint ist - ihm aber gilt die Frage, wobei die entsprechende Regel als Antworten „Ja“ oder „Nein“ vorsieht.


Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
Graeculus am 23.9.15 um 15:15 Uhr (Zitieren)
Das stimmt. Wenn alle Gesprächspartner sich an die Regeln hielten, wäre fast alles eindeutig. Da viele das jedoch nicht tun, ist vieles eben nicht eindeutig. „Das ist gar nicht so undumm“ - wie oft ich das schon gehört habe!
Manchmal möchte ich gegenfragen: „Meinst du wirklich das, was du gerade gesagt hast?“
Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
Graeculus am 23.9.15 um 15:22 Uhr (Zitieren)
Gestern habe ich in „Die Insel des zweiten Gesichts“ von Albert Vigoleis Thelen gelesen:
„Im Bett, entschuldige“, fuhr Zwingli unbeirrt fort, wie jemand, der seinen geweisten Weg geht, „ist sie großartig, ohne die geringste Übertreibung eine Uroffenbarung im Sinne der Genesis, aber der Rest ...“

(S. 32)

Thelen war ein sprachmächtiger Schriftsteller, aber bei dem ‚geweisten Weg‘ weiß ich nicht, ob es sich um einen Fehler oder um eine bewußte Abweichung von der Regel (warum?) handelt.
Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
filix am 23.9.15 um 15:32 Uhr, überarbeitet am 24.9.15 um 16:40 Uhr (Zitieren)
Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
Kuli am 23.9.15 um 16:16 Uhr (Zitieren)
Wir reden hier, Graeculus, allerdings von zwei verschiedenen Problemen. In deinem Scherz (der in einer anderen Sprache mit nur zwei Antwortpartikeln besser funktionieren mag) entsteht die Mehrdeutigkeit der Antwort dadurch, dass die Antwort „Nein“ bei einer negativen Satzfrage affirmierend und bei einer positiven negierend verwendet wird.

In meinem Beispiel besteht die Mehrdeutigkeit darin, dass nicht klar ist, ob die Negation in der Antwort den Gegenstand der Frage verneint oder den Inhalt der Antwort modifiziert. Ein weiteres Beispiel (diesmal mit positiver Frage): Esne saepe ebrius? - Non, numquam / nonnumquam ebrius sum.

(Das Schriftbild wirkt hier allerdings disambiguierend, ähnlich wie in einem Gedicht von Sarah Kirsch, worin der Frage nach dem bevorzugten Heißgetränk - Kaffee oder Tee? - mit einem Bekenntnis begegnet wird: Liberté!)
Re: „Ja“/„Nein“ - Warum wird mit bejahendem/verneinendem Satz geantwortet?
Irene R. am 24.9.15 um 22:23 Uhr (Zitieren) I
vielen Dank an Euch mit euren vielen Ideen, Vorschlägen und Denkanstößen. Es ist schon spannend, was 2 einfache Worte anregen können.
 
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