filix am 5.5.18 um 18:29 Uhr, überarbeitet am 5.5.18 um 18:31 Uhr (Zitieren)
Ich wurde heute Zeuge eines Monologs, den ein sichtlich verwirrter Greis am Rand eines Marktplatzes hielt, während er aus gut einem Dutzend Einkaufstaschen seine Habseligkeiten, darunter eine Menge verschlissener Bücher, räumte, um sie nach einem wohl nur ihm verständlichen System zu ordnen.
Jedenfalls entpuppte er sich als Macaronicus, der insbesondere eine Wendung mehrmals gebrauchte, die mir merkwürdig bekannt vorkam: „in perducas gehen“.
Ich hatte diesen Ausdruck schon in meiner Kindheit mehrmals gehört. Ein wenig Recherche förderte zutage, dass sich der einzige Beleg in einer niedergeschriebenen Unterhaltung des ertaubten Beethoven, der auf solchen Zetteln mit seiner Umgebung kommunizierte, findet:
Ob ausgerechnet diese komische Szene (mit einem auffälligen Einschlag von Nationaldünkel) nun echt ist, sei dahingestellt. Die Frage, die mich beschäftigt, ist vielmehr, wie diese Verballhornung herzuleiten ist. Dass es sich nämlich sowohl bei dem Alten als auch in meiner Kindheit um ein Zitat aus Beethovens Konversationsheften handeln könnte, halte ich für ausgeschlossen. Da es zudem sonst keine Hinweise auf eine größere Verbreitung gibt, vermute ich, dass zu unterschiedlichen Zeiten an verschiedenen Orten sich diese Fehlleistung wiederholt.
Als Ausgangsmaterial ziehe ich „perditum ire“ und „perditum ducere“ in Betracht, außerdem klingt natürlich das über das Frz. eingebürgerte „perdu gehen“ an, was aber der Konjunktiv, der durch die Präposition scheinbar wie ein Akk. Plural behandelt wird, hier zu suchen hat, bleibt mir unklar. Habt ihr alternative Erklärungen oder kennt ihr Beispiele für ähnliche Verballhornungsmuster?
Re: In perducas
Klaus am 5.5.18 um 20:09 Uhr, überarbeitet am 5.5.18 um 20:24 Uhr (Zitieren)
Wenn man das Wort hier eingibt, wird die Häufigkeitsverteilung angezeigt. Um 1960 war es a häufigsten zu finden.
Den Link mit dem eingegebenen Wort erkennt das Programm hier als Spam und sendet nicht(?)
P.S. Auch die Häufigkeitsverteilung des Wortes „Mündlein“ ist interessant. Aber entschuldige, wenn ich dir als Sprachwissenschaftler hier kalten Kaffee serviere, wo ich hier ja häufig wegen meiner Inkompetenz geschmäht werde.
Re: In perducas
filix am 5.5.18 um 20:38 Uhr, überarbeitet am 5.5.18 um 20:40 Uhr (Zitieren)
Welches Wort, Klaus? Googles Ngram Viewer arbeitet mit Textkorpora verschiedener Sprachen. „in perducas“, „in perducas gehen“, „perducas gehen“, „perducas geht“, „geht in perducas“ & c. liefern keinerlei Ergebnisse für welche Sprache auch immer, „perducas“ für verschiedene Sprachen unterschiedlich marginale. Das erklärt sich vermutlich daher, dass die lat. Form „perducas“ (Konj. Präsens) in Form von Zitaten (neben Eigennamen, ignoriert man die Groß-/Kleinschreibung) in die Korpora eingegangen ist.
PS: Ist der kalte Kaffee wenigstens schwarz und wie in Neapel geröstet?
Ja, dann war das wohl kalter und verdorbener Kaffee. Ich hatte nur „perducas“ eingegeben und nicht an die lateinischen Texte gedacht, sorry!
rex scharrt sicher schon mit den Hufen
Ob es einen Zusammenhang mit der Zeile „et ne nos inducas in tentationem“ des Paternoster gibt?
Assoziativ gesehen, haben wir da ein „in“ und den Konjunktiv „ducas“.
Der Übergang von dort zu „in perducas“ bleibt natürlich erklärungsbedürftig.
Gebetsformeln mögen eine Rolle spielen. Die Wendung hat jedenfalls einen klaren Sinn und drückt den Verlust einer Sache aus (das ist nicht nur bei Beethoven so, sondern war auch bei den anderen mir untergekommenen Verwendungen der Fall). Mir scheint sie in der Verballhornung noch konsequent konstruiert, „perducas“ übt quasi die Funktion eines Akkusativs der Richtung bei „in“ aus, obwohl es sich formal natürlich um eine Verbform handelt.
in perdita/ in perditas (res) = zu den kaputt gemachten/gegangenen Gegenständen
oder:
in (per)caducas res = zu den Gegenständen, die keiner mehr mag
(percaducus = Analogiebildung wie permagnus o.ä. ?? )
vgl.
bona, ICt.: u. Plur. subst., cadūca, ōrum, n., heimgefallene, herrenlose Güter, ICt. – übtr., prudentiae doctrinaeque possessio quasi caduca (gleichs. verschmähte) atque vacua (herrenlose), Cic. de or. 3, 122. http://www.zeno.org/Georges-1913/A/caducus?hl=caducus
Der Volkmund könnte, wie so oft, für die Abwandlung verantwortlich sein.
Re: In perducas
filix am 6.5.18 um 11:24 Uhr, überarbeitet am 6.5.18 um 11:36 Uhr (Zitieren)
Auf die culinarii ist Verlass - das dürfte die heiße Spur sein. Die Schöpfung hat es sogar zu Wörterbuchehren gebracht und stammt von keinem Geringeren als Johann Fischart höchstpersönlich aus dessen Affentheurlich Naupengeheurlicher Geschichtklitterung, einer frei hinzudichtenden Übersetzung von François Rabelais’ Gargantua und Pantagruel (wo der Ausdruck fehlt):
Das „per“ halte ich weniger für ein Verstärkungspräfix, „perducas“ eher für eine Zusammenziehung von „perditas“ und „caducas“.