Latein Wörterbuch - Forum
In perducas — 1702 Aufrufe
filix am 5.5.18 um 18:29 Uhr, überarbeitet am 5.5.18 um 18:31 Uhr (Zitieren)
Ich wurde heute Zeuge eines Monologs, den ein sichtlich verwirrter Greis am Rand eines Marktplatzes hielt, während er aus gut einem Dutzend Einkaufstaschen seine Habseligkeiten, darunter eine Menge verschlissener Bücher, räumte, um sie nach einem wohl nur ihm verständlichen System zu ordnen.
Jedenfalls entpuppte er sich als Macaronicus, der insbesondere eine Wendung mehrmals gebrauchte, die mir merkwürdig bekannt vorkam: „in perducas gehen“.
Ich hatte diesen Ausdruck schon in meiner Kindheit mehrmals gehört. Ein wenig Recherche förderte zutage, dass sich der einzige Beleg in einer niedergeschriebenen Unterhaltung des ertaubten Beethoven, der auf solchen Zetteln mit seiner Umgebung kommunizierte, findet:

F (= Beethoven). Können Sie mir keinen Schneider recommandiren ? Der meinige ist ein Esel. Dieser Frack gleicht einem Sack, und ich sehe darin aus, als ob ich ihn gestohlen hätte!
A. Ich werde Ihnen den Meister N. schicken, der mir arbeitet.
F. Nennt er sich Kleiderkünstler?
A. Nein; er bleibt getreu seinem ehrlichen, deutschen Handwerksnamen.
F. Näht er gut und fest ?
A. Ich zweifle keineswegs.
F. Mein lumpiger Bügeleisenheld kann nicht einmal Knöpfe ordentlich befestigen. Ich trage diese Jacke kaum ein halbes Jahr und schon sind deren fünf in perducas gegangen.


Ob ausgerechnet diese komische Szene (mit einem auffälligen Einschlag von Nationaldünkel) nun echt ist, sei dahingestellt. Die Frage, die mich beschäftigt, ist vielmehr, wie diese Verballhornung herzuleiten ist. Dass es sich nämlich sowohl bei dem Alten als auch in meiner Kindheit um ein Zitat aus Beethovens Konversationsheften handeln könnte, halte ich für ausgeschlossen. Da es zudem sonst keine Hinweise auf eine größere Verbreitung gibt, vermute ich, dass zu unterschiedlichen Zeiten an verschiedenen Orten sich diese Fehlleistung wiederholt.

Als Ausgangsmaterial ziehe ich „perditum ire“ und „perditum ducere“ in Betracht, außerdem klingt natürlich das über das Frz. eingebürgerte „perdu gehen“ an, was aber der Konjunktiv, der durch die Präposition scheinbar wie ein Akk. Plural behandelt wird, hier zu suchen hat, bleibt mir unklar. Habt ihr alternative Erklärungen oder kennt ihr Beispiele für ähnliche Verballhornungsmuster?


Re: In perducas
Klaus am 5.5.18 um 20:09 Uhr, überarbeitet am 5.5.18 um 20:24 Uhr (Zitieren)
Salve filix,
https://books.google.com/ngrams

Wenn man das Wort hier eingibt, wird die Häufigkeitsverteilung angezeigt. Um 1960 war es a häufigsten zu finden.
Den Link mit dem eingegebenen Wort erkennt das Programm hier als Spam und sendet nicht(?)

P.S. Auch die Häufigkeitsverteilung des Wortes „Mündlein“ ist interessant. Aber entschuldige, wenn ich dir als Sprachwissenschaftler hier kalten Kaffee serviere, wo ich hier ja häufig wegen meiner Inkompetenz geschmäht werde.
Re: In perducas
filix am 5.5.18 um 20:38 Uhr, überarbeitet am 5.5.18 um 20:40 Uhr (Zitieren)
Welches Wort, Klaus? Googles Ngram Viewer arbeitet mit Textkorpora verschiedener Sprachen. „in perducas“, „in perducas gehen“, „perducas gehen“, „perducas geht“, „geht in perducas“ & c. liefern keinerlei Ergebnisse für welche Sprache auch immer, „perducas“ für verschiedene Sprachen unterschiedlich marginale. Das erklärt sich vermutlich daher, dass die lat. Form „perducas“ (Konj. Präsens) in Form von Zitaten (neben Eigennamen, ignoriert man die Groß-/Kleinschreibung) in die Korpora eingegangen ist.

PS: Ist der kalte Kaffee wenigstens schwarz und wie in Neapel geröstet?
Re: In perducas
Klaus am 5.5.18 um 20:57 Uhr (Zitieren)
Ja, dann war das wohl kalter und verdorbener Kaffee. Ich hatte nur „perducas“ eingegeben und nicht an die lateinischen Texte gedacht, sorry!
rex scharrt sicher schon mit den Hufen
Re: In perducas
Graeculus am 5.5.18 um 23:28 Uhr (Zitieren)
Ob es einen Zusammenhang mit der Zeile „et ne nos inducas in tentationem“ des Paternoster gibt?
Assoziativ gesehen, haben wir da ein „in“ und den Konjunktiv „ducas“.
Der Übergang von dort zu „in perducas“ bleibt natürlich erklärungsbedürftig.
Re: In perducas
filix am 6.5.18 um 1:55 Uhr (Zitieren)
Gebetsformeln mögen eine Rolle spielen. Die Wendung hat jedenfalls einen klaren Sinn und drückt den Verlust einer Sache aus (das ist nicht nur bei Beethoven so, sondern war auch bei den anderen mir untergekommenen Verwendungen der Fall). Mir scheint sie in der Verballhornung noch konsequent konstruiert, „perducas“ übt quasi die Funktion eines Akkusativs der Richtung bei „in“ aus, obwohl es sich formal natürlich um eine Verbform handelt.
Re: In perducas
vox populi am 6.5.18 um 10:28 Uhr (Zitieren)
Vllt. hieß es ursprünglich:

in perdita/ in perditas (res) = zu den kaputt gemachten/gegangenen Gegenständen
oder:
in (per)caducas res = zu den Gegenständen, die keiner mehr mag
(percaducus = Analogiebildung wie permagnus o.ä. ?? )
vgl.
bona, ICt.: u. Plur. subst., cadūca, ōrum, n., heimgefallene, herrenlose Güter, ICt. – übtr., prudentiae doctrinaeque possessio quasi caduca (gleichs. verschmähte) atque vacua (herrenlose), Cic. de or. 3, 122.
http://www.zeno.org/Georges-1913/A/caducus?hl=caducus

Der Volkmund könnte, wie so oft, für die Abwandlung verantwortlich sein.
Re: In perducas
filix am 6.5.18 um 11:24 Uhr, überarbeitet am 6.5.18 um 11:36 Uhr (Zitieren)
in res caducas/perditas

Auf die culinarii ist Verlass - das dürfte die heiße Spur sein. Die Schöpfung hat es sogar zu Wörterbuchehren gebracht und stammt von keinem Geringeren als Johann Fischart höchstpersönlich aus dessen Affentheurlich Naupengeheurlicher Geschichtklitterung, einer frei hinzudichtenden Übersetzung von François Rabelais’ Gargantua und Pantagruel (wo der Ausdruck fehlt):

vgl. in caducas gehn (als lat. gedruckt): die memory will mir schier incaducas gehn! Garg. 154ᵇ

Das „per“ halte ich weniger für ein Verstärkungspräfix, „perducas“ eher für eine Zusammenziehung von „perditas“ und „caducas“.

Danke.




Re: In perducas
esox am 6.5.18 um 11:40 Uhr (Zitieren)
Wunderbar! Endlich mal wieder ein gänzlich gelungener und spannender Thread. Danke!
 
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Ich wurde heute Zeuge eines Monologs, den ein sichtlich verwirrter Greis am Rand eines Marktplatzes hielt, während er aus gut einem Dutzend Einkaufstaschen seine Habseligkeiten, darunter eine Menge verschlissener Bücher, räumte, um sie nach einem wohl nur ihm verständlichen System zu ordnen.
Jedenfalls entpuppte er sich als Macaronicus, der insbesondere eine Wendung mehrmals gebrauchte, die mir merkwürdig bekannt vorkam: „in perducas gehen“.
Ich hatte diesen Ausdruck schon in meiner Kindheit mehrmals gehört. Ein wenig Recherche förderte zutage, dass sich der einzige Beleg in einer niedergeschriebenen Unterhaltung des ertaubten Beethoven, der auf solchen Zetteln mit seiner Umgebung kommunizierte, findet:

F (= Beethoven). Können Sie mir keinen Schneider recommandiren ? Der meinige ist ein Esel. Dieser Frack gleicht einem Sack, und ich sehe darin aus, als ob ich ihn gestohlen hätte!
A. Ich werde Ihnen den Meister N. schicken, der mir arbeitet.
F. Nennt er sich Kleiderkünstler?
A. Nein; er bleibt getreu seinem ehrlichen, deutschen Handwerksnamen.
F. Näht er gut und fest ?
A. Ich zweifle keineswegs.
F. Mein lumpiger Bügeleisenheld kann nicht einmal Knöpfe ordentlich befestigen. Ich trage diese Jacke kaum ein halbes Jahr und schon sind deren fünf in perducas gegangen.


Ob ausgerechnet diese komische Szene (mit einem auffälligen Einschlag von Nationaldünkel) nun echt ist, sei dahingestellt. Die Frage, die mich beschäftigt, ist vielmehr, wie diese Verballhornung herzuleiten ist. Dass es sich nämlich sowohl bei dem Alten als auch in meiner Kindheit um ein Zitat aus Beethovens Konversationsheften handeln könnte, halte ich für ausgeschlossen. Da es zudem sonst keine Hinweise auf eine größere Verbreitung gibt, vermute ich, dass zu unterschiedlichen Zeiten an verschiedenen Orten sich diese Fehlleistung wiederholt.

Als Ausgangsmaterial ziehe ich „perditum ire“ und „perditum ducere“ in Betracht, außerdem klingt natürlich das über das Frz. eingebürgerte „perdu gehen“ an, was aber der Konjunktiv, der durch die Präposition scheinbar wie ein Akk. Plural behandelt wird, hier zu suchen hat, bleibt mir unklar. Habt ihr alternative Erklärungen oder kennt ihr Beispiele für ähnliche Verballhornungsmuster?


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