Hey,
wir übersetzen gerade Seneca (epistulae) und da rät Seneca Lucilius, dass er sich zurückziehen solle aus der Politik. Aber steht das nicht gegen die römische Vorstellung -und auch der Stoa?-, dass sich jeder pflichtgebunden für den Staat engagieren soll???
Also ich kenn die epistula nicht, aber ich weiß, dass ein stoischer Grundsatz „lathe biosas“ (an die Griechen - leider kann ich die richtige Übertragung nicht) - was man mit „lebe im Verborgenen“ frei übersetzen könnte.
ohoh, das muss deinem griechenherz echt weh getan haben, graeculus...
aber kommt davon, wenn, man sich ablenken lässt...
Re: stoa
Marius Sagax am 28.6.11 um 11:05 Uhr (Zitieren) II
Der Aspekt des Epikurs kommt im Brief II 19 wohl zur Geltung, aber in folgendem Sinne: Lucilius bleibt auch nach seinem „Rücktritt“ aus der aktiven Politik ein gefragter Mann, nur dass er sich jetzt seine Freunde, auf die er Einfluss nehmen kann (vgl. elder statesman), selbst aussuchen kann und nicht mehr Freunde seiner Ämter bedienen muss. Politisches Leben und philosophisches Leben können im „Ruhestand“ besser und gewinnbringender für alle vereint werden.
Es handelt sich also nicht um den Rat, sich aus der Politik zurückzuziehen - das beabsichtitg ja Lucilius nach einer erfüllten Ämterlaufbahn -, sondern um Anregung, den Ruhestand sinnvoll zu nutzen (otium cum dignitate),
Ah danke. Was unterscheidet denn noch den Epikurismus von der Stoa, denn Seneca zitiert ja so oft Epikur. Ich dachte, er wäre Stoiker und eben nicht Eklektiker
Die Antwort erfordert eine kleine Vorlesung; das ist mir zu viel Aufwand - ich schaue hier zur Auflockerung meiner Arbeit immer wieder mal kurz vorbei.
seit 2500 Jahren bemühen sich die besten Köpfe, Epikur, die Stoa und andere Strömungen zu interpretieren, zu analysieren, zu verstehn und zu erklären...
Klar, ich verstehe, dass das ein großes Thema ist und verlange natürlich auch nicht, dass einer hier in vollster Fülle und Breite Stellung bezieht oder seine Zeit „opfert“, aber ein paar markante Unterschiede wird man ja wohl sammeln, sagen können. Eben wurde ja schon einmal erwähnt, dass der Epikureer sich eher zurückzieht als der Stoiker.
Soweit ich weiß, ist es doch z.B. bei den Epikureern so, dass sie der Meinung sind, dass die Götter zwar existieren, sich jedoch nicht für den Menschen interessieren. Die Stoa hingegen geht von Jupiter aus und dass dieser alles durchdringt.
Also, eine interessante Diskussion fände ich sehr wünschenswert.
ganz kurz und in Stichworten:
Stoa -> heitere Gelassenheit gegenüber allen Fährnissen
Epikur -> Lebensfreude, Genuß, Überwindung all dessen, was dem im Wege steht
Eklektizismus -> aus verschiedenen sich das beste rauspicken und neu gestalten
Epikur:
Unterscheidung der Bedürfnisse in:
- nicht natürliche
- natürliche, aber nicht notwendige
- (für Leben und Gesundheit) notwendige
Glück besteht nicht in der Befriedigung von (möglichst vielen) Bedürfnissen, sondern in der Reduzierung von Bedürfnissen, idealerweise auf die notwendigen.
Erotik z.B. gehört zu den natürlichen, aber nicht notwendigen Bedürfnissen.
Ich widerspreche Dir nicht bei diesem etwas ‚weitläufigen‘ Thema; aber Epikur sieht es eindeutig anders. Nun, man stirbt nicht gerade ohne Sex, oder? Ohne Essen & Trinken & Atemluft schon. Epikur meint halt - salopp ausgedrückt -: je weniger Bedürfnisse, desto weniger Probleme. Und was die Probleme der Liebe angeht, so möchte ich ihm darin nicht widersprechen.
So ist es,
weil Epikur damit nur auf Sinnengenuß reduziert wird.
So, wie ich Epikur verstehe, meint er, wenn denn der ‚Kick‘ auf sexuelle Befriedigung
dein Handeln und Denken bestimmt, dann sollst du diese ‚Sucht‘ überwinden versuchen.
Aber er sagt nicht, daß du der ‚Liebe‘ mit allem, was dazu gehört (eben auch die Körperlichkeit)
entsagen oder dich kasteien (ständig kalt duschen) sollst.
naja, vielleicht ist das so zu verstehen, dass man zwar Schlaf braucht, aber nicht so viel, wobei das ja auch beim Essen so ist.
Weiß einer, wer eigentlich (erstmals) (in der Literatur) dafür verantwortlich ist, dass der Epikurismus so in Verruf geriet. Oder hatten die Römer selbst es schon falsch verstanden oder wollten es lieber falsch verstehen, dafür spricht zumindest
Eo libentius Epicuri egregia dicta commemoro, ut istis qui ad illum confugiunt spe mala inducti, qui velamentum ipsos vitiorum suorum habituros existimant, probent quocumque ierint honeste esse vivendum (ep. XXI,11)
zum Vergleich:
die deutsche „Klassik“ (auch in der Philosophie) ist nicht mal 200 Jahre her...
Wenn wir von heute 350 Jahre zurückrechnen, dann kommen wir zu einem Zeitpunkt,
an dem eine deutsche Literatur incl. philosophischer Schriften überhaupt erst entstand...
Der Unterschied zwischen Stoa (Ältere Stoa - mittlere Stoa, wozu Seneca zu rechnen ist) ist kompliziert darzustellen, das beide von gemeinsamen Überlegungen ausgehen: Für die Stoa ist der wichtigste Begriff die „Tugend“: man erkennt an, dass der Mensch von Gefühlen geleitet ist, dass es aber seine Aufgabe ist, sein Leben anhand eines Tugendepfindens (Tugendkatalog) zu führen. Damit ist im Grunde der „Weise“ angesprochen, den zu definieren aber die Stoiker vermeiden. Die römische Stoa ist im Wesentlichen von Poeseidonios geprägt, der die Tugend als „Pflicht“ propagiert hat (so später bei Cicero).
Epikur seinerseits anerkennt, dass das Handeln des Menschen geprägt ist von Lust und Unlust, sieht aber auch seinerseits als Ziel das Bemühen um tugendhaftes Handeln unter Anerkenntnis (nicht unterdrücken) menschlicher Gefühle. Es ist also nicht das, was man gemeinhin dem „Epikuräertum“ unterstellt.
Seneca seinerseits bemüht sich vor allem in den Lucilius-Briefen (aber nicht nur dort) um „praktische“ Anweisungen, um zu eben dieser „tugendhaften“ - von „Weisheit“ geleiteten Lebensführung zu gelangen. So ist es ihm auch möglich, auf stoisches wie epikuräisches Gedankengut zurückzugreifen.
Dass das hier Gesagte natürlich nicht der von Graeculus angesprochenen „Vorlesung“ entspricht, ist klar. Wenn Dich das Thema aber in allen Facetten interessiert, so soll hier auf die Arbeit von Malte Hossenfelder, Die Philosophie der Antike Bd. III. Stoa, Apikureismus und Skepsis (Beck-Verlag) verwiesen werden.
Viel Spass beim Lesen