Im Zusammenhang:
Wenn nur Besitz (si res sola) einen Menschen (ergänze: hominem) glücklich (beatum) machen und erhalten kann (potest facere et servare), | [dann] soll man von Anfang an (primus – wörtl.: als erster) dieser (hoc) Berufung (opus) nachgehen (repetas) [und] sie (hoc) erst am Ende (postremus – wörtl.: als letzter) aufgeben (omittas), | wenn aber (si) gefälliges Äußeres und angenehmes Auftreten (species et gratia) für sein Glück (fortunatum – wörtl.: für [ihn als] einen glücklichen) bürgen (praestat), | dann lass uns einen Sklaven kaufen (mercemur servum), der [uns] die Namen [der einflussreichen Persönlichkeiten, die uns begegnen] einflüstert (qui dictet nomina) ...
Vielleicht liegt es ja an meinem Verständnis des deutschen Ausdrucks ‚sich verbürgen‘ welchen ich in diesem Zusammenhang überhaupt nicht verstehe. vielleicht ist ‚verbürgen‘ veraltet?
Eventuell im Sinne von ‚ausmachen‘:
Wenn Antlitz/Ansehen und Gunst den Reichen ausmachen.
fortunatum ist hier der Reiche, d.h. der, der Geld/Reichtum hat ist auch mit Ansehen und Gunst versehen.
Eben nicht. Die beiden si-Sätze stellen verschiedene Lebensentwürfe einander gegenüber. Der Zusammenhang macht dies deutlich. Ich will die Stelle einmal noch etwas prägnanter paraphrasieren:
Jemand, der Reichtum nötig hat, um sich sein Glück zu verschaffen, (weil er nämlich sonst keine Talente hat), für den ist es das Beste, er bemüht sich von morgens bis abends um nichts als um Gelderwerb.
Wer hingegen ein einnehmendes Wesen besitzt, der braucht kein Geld, denn seine Erscheinung wird ihm für sein Glück als Bürge (praes) einstehen, (indem es ihm wohlhabende Gönner zuführt, die ihn finanzieren), was er braucht, ist ein Nomenclator.
Du kannst Species et Gratia als Personifikation betrachten. So wie dem anderen Regina Pecunuia (Vers 37) eine Gattin, Freunde, Vertrauen, einen Stammbaum und Schönheit verschafft, so kann dieser sich auf seine Species et Gratia verlassen, von denen er alles für sein Lebensglück nötige bekommt.
Natürlich braucht der „fortunatus“ auch im zweiten Fall Geld, sonst kann er seine Klienten ja auch nicht bedienen und auch der Nomenclator hat seinen Preis: darum steht im Text zunächst auch „res sola“: Geld allein reicht nicht, will man mehr darstellen als den Tag und Nacht Geschäftstüchtigen. Der Unterschied liegt somit auf der Ebene der Repräsentation nicht der Ökonomie. „species et gratia“ kann man eventuell mit „Ansehen und Beliebtheit“ übersetzen.
Ich weiß nicht, ob hier eine hierarchische Wertung der verschiedenen Lebensformen ausgesprochen werden soll. Meiner Meinung nach stehen sie gleichwertig bzw. wertfrei nebeneinander. Mir erscheint die Aussage des Gedichts durchaus amoralisch. Insofern glaube ich, dass sola res in Analogie zu virtus una (30) nicht Beschränktheit, sondern Adäquatheit zu den betreffenden Lebensumständen ausdrückt.
@Kuli:
Das sehe ich ähnlich; es sind verschiedene, nicht ohne Ironie vorgetragene Optionen, wie man sein Leben gestalten kann, um Glücksempfindungen zu generieren. Allerdings kann ich nicht herauslesen, dass für denjenigen, der sich nicht damit begnügt, Geld zu scheffeln und Besitz aufzuhäufen , weil es ihn nicht glücklich macht, Geld keine Voraussetzung ist, um „species et gratia“ als Glücksquelle zu erschließen. Es mögen „species et gratia“ in Folge auch ökonomische Zuwächse mit sich bringen, aber in meinen Augen werden sie im Text zunächst nicht als alternative Einkommensquellen vorgestellt. Manche übersetzen „species“ sogar mit „glänzende Stellung“ oder „Ansehen des Amts“, „species et gratia“ sind mithin nicht Eigenschaften, die
er als Subjekt mitbringt, sondern zu erringende Dinge, aus deren ‚Besitz‘ Glücksgefühl erwächst. Wie man den folgenden Versen entnehmen kann geht es vorrangig um politische Betätigung bzw. das Feedback, das man erhält, wenn man sich in Gesellschaft der Einflussreichen zu bewegen weiß und emporstrebt: dafür brauchte
es aber ganz sicher damals wie heute eine Menge Geld und der Nomenclator ist so eine Art unverzichtbarerpersonal assistent für den, der eine professionelle Karriere anstrebt, eben auf dem Weg zu „species et gratia“.
wie ist denn ‚fortunatum praestat‘ hier mit dem Akk, zu übersetzen?
bzw. bevor mir jemand wieder ‚verbürgen für jmd.‘
anbietet: Was heißt das, knapp, auf deutsch?
fortunatus mit glücklich zu übersetzen, ist naheliegend, nahe liegt dann aber auch das Mißverständnis, das damit ein Gefühls- oder Seelenzustand - was im Dt. als nächstliegend erscheint- gemeint ist
Es war „bürgen“ im Sinn von „garantieren, gewährleisten“ gemeint, es heißt hier einfach „einen Glücklichen/Glückspilz (da ist etwas Ironie im “fortunatus„) machen“, „glücklich machen“ So gebraucht es auch Seneca „etiam quae non est supervacua nihil in se momenti habet in hoc, ut possit fortunatum beatumque praestare“ (Epistulae morales XLV)