Hallo, ich habe eine grammatische Frage - oder grammatikalische?
Es gibt ja die Konstruktion ad + Gerundium im finalen Sinne. Neulich habe ich den Ausdruck „Mora ad recreandos animos“ gelesen, als eine „Pause zur Erholung des Geistes (der Geister)“.
Ich verstehe nicht, warum hier eine KNG-Kongruenz nötig ist, die ja postuliert, dass es zwischen animos und dem recreandum eine Beziehung gäbe, so, dass beide gleichsam das Akkusativobjekt wären: Sind sie aber nicht. Es geht ja nicht um „zu erholende Gemüter“ im Akkusativ, dann hätten wir ja ein Gerundivum, sondern die Verwendung des „recreare“ allein fordert erst ein Akk.objekt. Das recreare muss sich doch nach der Präposition richten: Ad verlangt schlicht den Akkusativ, also ad recreandum (by the way: Wieso endet überhaupt der Akkusativ des Ger. in diesem einen Fall auf -um? Eig ist er doch identisch mit dem Infinitiv.)
Das heißt dann soweit ich weis Gerundivum attributivum . Wieso funktioniert es aber?
Imus ad ludos spectandos dürfte ja eigentlich nicht übersetzt heißen: Wir gehen, die Spiele zu sehen. Sondern:
Imus präd. ad präp. ludos spectandos Akk.obj.[/i]
Wir gehen zu den anzuschaunden Spielen / zu den Spielen, die gesehen werden müssen.
Und dass macht m.E. keinen großen Sinn...
Ein ähnliches Problem habe ich mit Catos AcI.
Cetero censeo Carthaginem esse delendam.
„Carthaginem delendam“ ist ja nicht das Akk. objekt des AcI, sondern lediglich „Carthaginem“ ist das Objekt.
Man könnte (müsste?) ja ansonsten derart zusammenfassen:
Wörtlich Catos Ausspruch übersetzt:
"Im Übrigen bin ich der Meinung, Karthago sei
(„esse“ im A.c.I.!) eine zu zerstörende."
Wir haben im Deutschen kein Gerundivum,
daher müssen wir es umschreiben.
Ebenso müssen wir den A.c.I. mit den Mitteln
der deutschen Sprache ausdrücken.
Re: Ich glaube es gibt ein Karthago, dass man zerstören muss...
Das ist schon mir klar, aber das heißt ja nicht, dass ich nicht versuchen darf, die gram. Konstruktion nachzuvollziehen anstatt ihre Übersetzung auswendig zu lernen...
Re: Ich glaube es gibt ein Karthago, dass man zerstören muss...
Eben. Da das Gerundivum (wie ja auch das Gerundium) wie ein Adjektiv funktioniert müsste Cato ja logischerweiße sagen: Censeo id delendum esse. Aber es heißt ja auch: Penseo puella pulchram esse - oder? Was ja dasselbe Problem ist und ich auch nicht ganz verstehe, weswegen eig. das ganze Problem garnicht das Gerundi(v)um ist.
Puella und pulchra gehören ja garnicht zusammen, sondern pulchra und esse gehören zusammen... „schön sein“ ist doch Infinitiv und „puellam“ ist alleine Akkusativ, nicht „puellam pulchram“ ist Akkusativ und „esse“ Infinitiv...
Re: Ich glaube es gibt ein Karthago, dass man zerstören muss...
Vorsicht!
Du wirfst da jetzt einiges durcheinander!
Ich muß hier noch mal betonen:
Ich bin kein Lateinlehrer oder studierter Lateiner.
Ich habe vor Jahrzehnten das Latinum abgelegt
und betreibe Latein als Liebhaberei.
Vielleicht solltest Du einen Fachmann fragen,
der Dir das genau erklären kann.
Ich habe hier nur meine alte Schulgrammatik.
Re: Ich glaube es gibt ein Karthago, dass man zerstören muss...
Ja, und was ich eben nicht verstehe, ist, warum „delenda(m)“ Teil des AcI sein soll. Es ist doch Teil des Infinitiv, nicht des Objekts.
Wie gesagt, ob es ein Gerundivum ist oder nicht, ist ja für die Satzkonstruktion unwichtig. Deswegen bevorzuge ich das Beispiel mit dem Mädchen. Ist aber auch wurscht: Diese „Gleichung“ schaffe ich nicht zu lösen:
[Video] [puellam] [currere]
Akkusativ: puellam
Infinitiv: currere.
[Video] [puellam] [celeriter currere]
Akk.: puellam
Inf.: celeriter currere
[Video] [puellam] [hic esse]
Akk.: puellam
Inf.: hic esse
[Video] [puellam] [pulchram esse]
Akk.: Puellam oder puellam pulchram?
Inf.: esse oder pulchram esse?
pulchram steht an derselben Stelle wie vorher „hic“ oder „celeriter“ und ist ebenso optional, wieso also hier ein Akkusativ, wenn ein Adverb wie „celeriter“ auch keinen hat? Bei „celeriter“ ist es eindeutig: Es bezieht sich lediglich auf das VERB „currere“. Abstrakter: Das Attribut bezieht sich auf den Infinitiv.
Ersetzen wir nun „currere“ durch „esse“ und „celeriter“ durch „pulchra“, wieso gilt dann nicht mehr: Das Attribut bezieht sich auf den Infinitiv, sondern es gilt: Das Attribut bezieht sich auf das Objekt?
Re: Ich glaube es gibt ein Karthago, dass man zerstören muss...
Deswegen wollte ich eig. von dem Gerundi(v)umproblem loskommen... Dass „delenda“ ein Verbaladjektiv ist, ändert m.E. nicht wirklich etwas, eigentlich weiß ich, was ein Gerundivum ist.
Re: Ich glaube es gibt ein Karthago, dass man zerstören muss...
Es handelt sich hier ja wohl um eine Coniugatio periphrastica, d.h. um die Verbindung eines Partizips Fut. Akt. (oder Gerundivum) mit dem Hilfsverb esse. Dafür finde ich nur Beispiele, in denen das Partizip bzw. Gerundivum dem Nomen angeglichen ist, zu dem es gehört: „Epistula scribenda est“ usw.
Re: Ich glaube es gibt ein Karthago, dass man zerstören muss...
Der Spruch „Ceterum...“ ist in der Form bekanntlich nicht von Cato, sondern vermutlich aus dem 19.Jhdt. Er hätte
es wahrscheinlich auch so nie gesagt - das „esse“ tritt
zum Gerundivum im Akk. bei „censere“ nämlich erst später hinzu und erzeugt so die Auffassung, dass es sich um einen AcI handelt. Vorher ist es eher als prädikativer Zusatz zu dem Akkusativobjekt bei „censere“ zu sehen , wohingegen es im AcI Prädikatsnomen ist, das mit dem Subjektsakkusativ kongruiert.
„mora ad recreandos animos“ ist offensichtlich nach Cäsars „Caesar neque satis militibus perterritis confidebat spatiumque interponendum ad recreandos animos putabat“ (B.C. III) gebildet und um die Konstruktion,
die das Gerundivum im Akk. mit ad „ad librum legendum“ (um ein Buch zu lesen), das unter Aufgabe des Notwendigkeitscharakters einen finalen Sinn auszudrückt, verständlich macht, verkürzt.
Re: Ich glaube es gibt ein Karthago, dass man zerstören muss...
ad „ad librum legendum“ (um ein Buch zu lesen), das unter Aufgabe des Notwendigkeitscharakters einen finalen Sinn auszudrückt,
ad [e.g. „ad librum legendum“ (um ein Buch zu lesen], das unter Aufgabe des Notwendigkeitscharakters einen finalen Sinn ausdrückt,...
Re: Ich glaube es gibt ein Karthago, dass man zerstören muss...
immer noch nicht
„δοκέω“ -> „ich erwarte“, „ich meine“?
oder wie, oder was?
„Δοκεῖ δέ μοι“ -> „Es ist mein Erwarten/Meinen“
(ich kann das nicht anders ausdrücken)
Re: Ich glaube es gibt ein Karthago, dass man zerstören muss...
Wo liegt die Schwierigkeit zu verstehen, dass Cato vermutlich keinen AcI bei „censere“ gebraucht hätte, wenn man die sprachgeschichtliche Entwicklung betrachtet? Nichts anderes war nämlich gemeint.