Latein Wörterbuch - Forum
Gemischtwarenladen — 3566 Aufrufe
Paedagoga/Anastacia am 11.9.12 um 22:32 Uhr (Zitieren) I
@Bib, Graec, Anaticula & andere der griechischen Sprache Kundige

Ich habe mich im Griechisch-Forum etwas umgesehen. Die „gemischten“ Themen zeigen, dass wir uns heute gesellschaftlich mit ganz anderen Themen beschäftigen müssen als die Menschen der Antike. Teilweise sind die Belange sogar gegensätzlich. Beispiel: Während die Römer zusehen mussten, wie sie ihre Population vergrößern konnten (Siehe: Der Raub der Sabinerinnen), müssen wir heute schauen, wie wir die explodierende Weltbevölkerung eindämmen können (Ein-Kind-Politik der Chinesen).
Umweltpolitik und Artenschutz waren sicherlich auch keine Themen für die Antike.

Interessant wäre es also zu vergleichen:
Was ist gleich geblieben?
Was hat sich geändert und in welche Richtung mit welcher Bewertung?
Nur einige der möglichen Fragestellungen.
Re: Gemischtwarenladen
Bibulus am 11.9.12 um 22:38 Uhr (Zitieren) I
Ich ziehe sehr viele Parallelen zur (vor allem römischen) Antike:
Das Wirtschaftssytem,
das Rechtssystem,
die gesellschaftliche Gliederung.

So fern ist uns die Antike,
sieht man von Technik und Medizin mal ab,
nicht.

Meine antiken Kollegen haben Bauten errichtet,
die nach 2.000 Jahren immer noch stehen,
während „moderne“ Bauten schon nach 20 Jahren marode sind...
B-)
Re: Gemischtwarenladen
Paedagoga am 11.9.12 um 22:47 Uhr (Zitieren) II
Da gebe ich dir zu 100 % Recht!
Ich meine auch mehr die Themen wie Bevölkerungszahl, Umgang mit Resourcen, Umwelt- und Artenschutz.
Re: Gemischtwarenladen
filix am 12.9.12 um 0:02 Uhr (Zitieren) I
Bekanntlich sollten Überlegungen zur Verteilungsgerechtigkeit den Überlegungen zur Reduktion potentieller oder auch tatsächlicher Esser vorausgehen, zumal wenn sie im Namen eines Kollektivs („wir“, wer auch immer das im globalen Maßstab sein mag) erfolgen und vorzugsweise die am anderen Ende des Planeten betreffen.
Re: Gemischtwarenladen
Bibulus am 12.9.12 um 0:15 Uhr (Zitieren) I
@filix?

Die Erfahrungen der letzten fünfzig Jahre haben gezeigt,
daß Wohlstandmehrung bei Vielen (also „Verteilung“),
die Reproduktion von „Essern“ sehr stark vermindert.

Arme bekommen Nachwuchs in der Hoffnung,
daß ein oder zwei überleben, um im Alter der
Eltern für deren Versorgung zu sorgen.

Das war ja auch der Ansatz der Adenauerschen Rentenreform
in den 1950er-Jahren.

Was heute nicht mehr greift.

In Zukunft müssen die Maschinen unsere Renten erwirtschaften.

Nur,
dazu muß man die „Besitzer“ der Maschinen überzeugen,
auch, wenn es nicht anders geht, mit sanfter Gewalt.

Karl Marx hat schon vor 150 Jahren sehr richtig erkannt,
daß Kapital akkummuliert (also auf einen Haufen zusammenfließt).

Es gilt für jetzige und kommende Generationen,
diesen Haufen wie Dünger auf den Acker zu verteilen.

Denn der Komposthaufen (Der Haufen Kapital) in einer Gartenecke nützt niemanden.
Re: Gemischtwarenladen
Bibulus am 12.9.12 um 0:20 Uhr (Zitieren) I
Übrigens sehe ich da auch Parallelen zur römischen Antike zur unseren Zeit:
Die ungeheurere Anhäufung von Kapital
(nicht „Geld“) in wenigen Händen lähmte
die Handlungsfähigkeit des römischen Staates.

Selbst die mächtigsten und brutalsten römischen Kaiser
konnten oder wollten dem nicht entgegensteuern,
oder scheiterten letztendlich, wie Diokletian.
Re: Gemischtwarenladen
arbiter am 12.9.12 um 1:00 Uhr (Zitieren) I
K. Marx verstand unter Kapital etwas ganz anderes als Bibulus, und von einer Verteilung desselben hielt er demzufolge gar nichts.

Bekanntlich sollten Überlegungen zur Verteilungsgerechtigkeit den Überlegungen zur Reduktion potentieller oder auch tatsächlicher Esser vorausgehen
- dieser mit einem dürftigen rhetorischen Trick ausgestattete Satz kann nicht von unserem bekannten filix stammen - es sei denn, er hätte sich zu weit aus dem Gebiet seiner Kernkompetenz herausgewagt.

Man kann versuchen, für sich selbst den Druck der persönlichen Verantwortung für unabweisbare bekannte Problemlagen durch moralinsaure realitätsferne Globalforderungen abzumildern und die Verantwortung für Lösungen damit anderen zuzuweisen und diese am besten ad Kalendas Graecas zu verschieben, (gefühlt) besser wird dadurch allenfalls die eigene Gemütsverfassung, aber nicht die Welt.

Ähnlich ist ja das abscheuliche System der Almosengeberei (die grassierende Spendenwut zu Weihnachten z.B. wie auch die einschlägige Säule des Islam), das die Perpetuierung der Almosenbedürftigkeit zur Voraussetzung und zur Folge hat.
Re: Gemischtwarenladen
Bibulus am 12.9.12 um 1:12 Uhr (Zitieren) I
@arbiter?
Hast Du heute abend zum Abendbrot etwas Unbekömmliches zu Dir genommen?
Re: Gemischtwarenladen
arbiter am 12.9.12 um 2:11 Uhr (Zitieren) II
ich esse nie Unbekömmliches; ich halte es aber schon für möglich, dass mein Statement dem einen oder anderen schwer im Magen liegt und übel aufstößt
Re: Gemischtwarenladen
Bibulus am 12.9.12 um 2:53 Uhr (Zitieren) I
*rülps*
Re: Gemischtwarenladen
Anaticula am 12.9.12 um 10:22 Uhr (Zitieren) I
Mein Güte, ich dachte, ab 15 wäre mal zu alt für Flame-Wars... Bitte rutscht nicht noch weiter in die Richtung ab!


Zum Thema (mehr oder weniger):

arbiter schrieb am 12.09.2012 um 01:00 Uhr:
Man kann versuchen, für sich selbst den Druck der persönlichen Verantwortung für unabweisbare bekannte Problemlagen durch moralinsaure realitätsferne Globalforderungen abzumildern und die Verantwortung für Lösungen damit anderen zuzuweisen und diese am besten ad Kalendas Graecas zu verschieben, (gefühlt) besser wird dadurch allenfalls die eigene Gemütsverfassung, aber nicht die Welt.

Ähnlich ist ja das abscheuliche System der Almosengeberei (die grassierende Spendenwut zu Weihnachten z.B. wie auch die einschlägige Säule des Islam), das die Perpetuierung der Almosenbedürftigkeit zur Voraussetzung und zur Folge hat.


Dem stimme ich im Großen und Ganzen zu. Mich würde jedoch interessieren, was du als Alternative vorschlägst. Oder anders gesagt: Wie sieht deiner Meinung nach persönliche Verantwortung in der Umsetzung konkret aus bzw. wie könnte sie aussehen?
Re: Gemischtwarenladen
Paedagoga am 12.9.12 um 10:29 Uhr (Zitieren) I
Hier ein Paradoxon (Ich habe ein Stück weit im endlos scheinenden Paradoxie-Thread des Griechisch-Forums gelesen):

Ich halte mich zurück, um nicht den Eindruck zu erwecken, ich wolle das Forum dominieren! Außerdem bin ich eine Frau!!

(Ups, sind das zwei Paradoxien geworden?)
Re: Gemischtwarenladen
Paedagoga am 12.9.12 um 11:52 Uhr (Zitieren) I
Die Diskussion ist doch zu interessant, um mich ganz zurückzuhalten. Hier geht es richtig zur Sache!

Da ich das Kapital von Marx zugegebenermaßen nicht gelesen habe, kann ich nur spekulieren und vermuten, dass er der Meinung war, dass es erst gar nicht zur Anhäufung des Düngemittels Kapital kommen sollte, sodass auch die Verteilung entfällt. Allerdings ist es ganz anders gekommen.

Ich freue mich schon auf mehr erhellende Beiträge!



Re: Gemischtwarenladen
filix am 12.9.12 um 12:29 Uhr (Zitieren) I
Natürlich hielt Marx von „Almosen“ gar nichts, er betrachtete sie in seiner Theoriebildung konsequenterweise als Bestechung der Arbeiterklasse, i.e. Lähmung ihrer revolutionären Potenz durch kurzfristige Erleichterung der Verhältnisse. Dabei hatte er allerdings
wohl noch andere Bilder vor Augen als die Welt des „Tittytainment“, wie das in den 1990ern hieß.
Von Moralin und kollektiver Anmaßung kann ich in meiner Bemerkung nichts erkennen - im Gegenteil richtete sie sich gegen diesen
in meinen Augen neomalthusianisch anmutenden Aufruf zur „Eindämmung“ im Namen eines Wir, das sich als Subjekt erst einmal ausweisen sollte, ehe es für andere spricht. Sich mit der Reduktion der schieren Zahl der Esser, biopolitischer Einflussnahme auf das
immerhin Menschenrecht der Familienplanung als Antwort auf die Frage, wie viel Gedecke auf dem Tisch möglich sind und wer sie auflegt oder nicht, nicht zu begnügen, heißt die Frage nach Verteilung und Gerechtigkeit stellen. Über die Antwort ist dabei nicht entschieden, bloß über die Exposition der Frage. Den idiosynkratischen Abwehrreflex, der dabei anscheinend sofort vermutet, dass es nur darum gehen könne, das in der Eigenwahrnehmung stets sauer verdiente Geld als zu Weltverbesserungszwecken eingetriebene, abgebettelte usf. Gabe ohne Gegenleistung wirkungslos im Nirgendwo verschwinden zu sehen, muss mein Statement nicht verantworten. Auch zeugt die muntere Vermengung von europäischer Spendenpraxis und des damit einhergehenden Wettbewerbs der Erweckung von schlechtem Gewissen und Mitleid und Zakat zwischen Pflicht und Freiwilligkeit vorrangig von persönlicher Aversion und trägt zur begrifflichen Differenzierung nichts bei. Da die Klärung der angerissenen Probleme aber offensichtlich zu arbiters Kernkompetenz zählt, erwarte ich dessen Annahme von Anaticulas Angebot, sich diesbezüglich umfassend zu erklären, durchaus mit Spannung.
Re: Gemischtwarenladen
Anaticula am 12.9.12 um 12:36 Uhr (Zitieren) I
Vielleicht sollte ich noch hinzufügen, dass meine Zustimmung zur oben von mir zitierte Aussage arbiters („moralinsaure realitätsferne Globalforderungen“ usw.) nicht in Bezug auf filix gemeint war.

filix schrieb am 12.09.2012 um 12:29 Uhr:
Von Moralin und kollektiver Anmaßung kann ich in meiner Bemerkung nichts erkennen


Soll heißen: Ich auch nicht.
Re: Gemischtwarenladen
Paedagoga am 12.9.12 um 12:42 Uhr (Zitieren) I
Ich kann ja gut nachvollziehen, dass bei diesen Themen die Emotionen hochkochen, allerdings haben gegenseitige Beschimpfungen, Zurechtweisungen usw. bisher noch nie zu konstruktiven Ergebnissen geführt, nicht einmal auf der theoretischen Ebene, geschweige denn in der praktischen Umsetzung.
Geht es auch mit non-violent communication skills? Nur durch Argumentation? Nach griechischem Vorbild? Es geht doch auch um Überzeugungsarbeit, die man nur leisten kann, wenn man den anderen nicht gegen sich aufbringt.
Re: Gemischtwarenladen
Anaticula am 12.9.12 um 13:11 Uhr (Zitieren) I
Danke, Paedagoga!
Re: Gemischtwarenladen
Paedagoga am 12.9.12 um 14:20 Uhr (Zitieren) I
In männerdominierten Gesellschaften und Foren - uch, das hätte ich vielleicht nicht sagen sollen - haben wir Frauen die Rolle von Katalysatoren und Regulatoren! War das jetzt eine Provokation?
Re: Gemischtwarenladen
Anaticula am 12.9.12 um 15:50 Uhr (Zitieren) I
Inwiefern eine Provokation?

Ich bin dir jedenfalls dankbar dafür, dass du dich für einen zivilisierten Umgangston in dieser Diskussion einsetzt!
Re: Gemischtwarenladen
Paedagoga am 12.9.12 um 20:32 Uhr (Zitieren) I
Liebe Anaticula,

ich bin erkenntnisorientiert und fände es viel zu schade, wenn die Diskussion abbräche, nur weil der Ton unter die Gürtellinie zieht!
Re: Gemischtwarenladen
arbiter am 12.9.12 um 22:22 Uhr (Zitieren) II
zuerst nochmal zu Marx: Kapital war das zurMehrwertproduktion eingesetzte Produktiv-Kapital qua Lohnarbeit (d.h. notwendigerweise Ausbeutung). Ausbeutung war definiert als Nichtauszahlung des vollen Wert-Äquivalents (bestimmt durch den gesellschaftlich durchschnittlich notwendigen anteiligen Aufwand zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft) an den Lohnarbeiter. Der Mehrwert wird akkumuliert und wieder in neues Produktivkapital umgewandelt (letzlich also: Warenproduktion vermittels Waren). Abhilfe sollte die Vergesellschaftung des Kapitals und die gesellschaftliche ORganisation der Produktion unter Führung der Arbeiterklasse bringen. Marx verachtete außerdem das sog. Lumpenproletariat. < Selbstverständlich kann hier die Marxsche Theorie nicht in 3 Sätzen dargestellt werden; item sind natürlich die Weltprobleme nicht in 3 Sätzen zu umreißen, geschweige denn zu lösen>
Zu filix: Die Einleitungsformel „bekanntlich“ soll ja wohl den Konsens wenigstens aller Informierten suggerieren und hat eine ähnliche Funktion wie die gegenwärtig oft verwendete Formulierung „alternativlos“. Zudem setzt sie genauso ein undefiniertes Kollektiv (die, die Kenntnis genommen haben, die anderen sind ja nicht diskursfähig) voraus wie das anschließend inkriminierte „wir“.
Unfair ist schließlich auch, unter Verzicht auf „begriffliche Differenzierung“ diese von anderen einzufordern, wohl wissend, dass ein Versuch in diesem Rahmen vermutlich scheitern wird.

Gerechtigkeit ist vor allem deswegen ein so beliebter Kampfbegriff, weil niemand dagegen sein kann, aber jeder etwas anderes darunter versteht.
Verteilungsgerechtigkeit kann es niemals geben (daher auch das nicht enden wollende Geschwätz über dieselbe), da nicht nur die unterschiedlichen Interessen ihr entgegenstehen, sondern auch die unabsehbaren Folgen zu berücksichtigen sind. Man denke auch an: summum ius summa iniuria (ja ja - wird meist in anderem Zusammenhang verwendet).
Umverteilung - gerecht oder nicht - löst niemals strukturelle Probleme; letztere müssen durch Ertüchtigung (Frauenbildung, Ausbildung) der Menschen mit der Folge der PRoduktivitätssteigerung sowie begleitende adaptive Infrastrukturverbesserung angegangen werden.
Die Höhe ist es, wenn der Begriff Familienplanung für das genaue Gegenteil verwendet wird und für die Tatsache, dass Kinder ohne ausreichende (Über-)Lebenschancen in die Welt gesetzt werden, Menschenrechte in Anspruch genommen werden, wo diesen Kindern das vornehmste, das Recht auf LEben, schon mit der Geburt faktisch genommen wird. So etwas zu äußern trauen sich sonst nur ausgewiesene Papstknechte.
Dabei ließe eine verantwortungsvolle Geburtenregelung viele Probleme gar nicht erst entstehen. Natürlich würde dadurch auch üblen Figuren wie Mutter Teresa etc. der Boden entzogen.
Re: Gemischtwarenladen
ONDIT am 13.9.12 um 8:09 Uhr (Zitieren) I
@arbiter
Wes Geistes Kind du bist, hattest du doch eigentlich schon in früheren Statements klar genug zum Ausdruck gebracht, glaubte ich, aber du bist immer wieder für eine Überraschung und weitere Enthüllung gut. Mutter Teresa als „üble Figur“ zu bezeichnen bzw. zu beschimpfen, das ist nun der Gipfel.
Es gibt keine und es wird auch nie eine Wirtschaftsform oder eine Ideologie geben, die Persönlichkeiten wie Mutter Teresa überflüssig macht.
Re: Gemischtwarenladen
paeda am 13.9.12 um 13:43 Uhr (Zitieren) I
Mutter Theresa würde ich auch nicht beschimpfen, denn sie tat ihr Werk ja bestimmt nach bestem Wissen und Gewissen und ganz ohne bösartige Absichten und Hintergedanken, wie man bestimmt annehmen darf. Schließlich hat sie ihre eigene Gesundheit und ihr eigenes Leben auf’s Spiel gesetzt. Was soll übel sein an jemandem, der sich aufopfert?

Sachlichere Argumentationen und Auseinandersetzungen an Stelle akademisch-abstrakter und polemisierender wären angesichts der drängenden Probleme weltweit wünschenswert!!


Re: Gemischtwarenladen
filix am 14.9.12 um 1:10 Uhr (Zitieren) I
Traurig-komisch ist die Verlässlichkeit, arbiter, mit der die von dir mit gewohntem Sinn für strategische Provokation ins Spiel gebrachte Mutter T. die Fragestellung korrumpiert und die so Aufgescheuchten aufs Stichwort brav die Zeugen dafür abgeben, dass du ja schon immer gewusst hast, woher der Wind weht.

An dem Popanz mögen andere sich abarbeiten - entsprechend kurz will ich mich noch einmal zur Sache äußern, um einiges klarzustellen:
recht zahm nimmt sich eigentlich die von dir präsentierte Idee einer „verantwortungsvollen Geburtenregelung“ aus, die, so deute ich deine wenigen Sätze, an eine gut gemeinte aufklärerische Selbstermächtigung durch Wissen der individuell Entscheidenden jenseits von staatlicher oder religiöser Bevormundung denken lässt, nicht aber daran, wogegen mein Statement in Bezug auf neomalthusianische Begehrlichkeiten in puncto „Eindämmung der Überbevölkerung“ gerichtet war: institutionelle Quotenregelung, Erhebung von Strafgebühren à la „fostering fee“, medizinische Unterversorgung der „Überzähligen“, erzwungene Sterilisation und Abtreibung (mit oft mittelbarem Selektionseffekt z.B. in puncto Geschlecht), Umsiedelung usf. Das Menschenrecht auf Familienplanung zu befürworten, ist keineswegs gleichbedeutend damit, ein verblendeter Pro-Life-Aktivist zu sein.

Auch liest sich dein „Programm“ nicht wesentlich anders als ein Auszug aus den Millenium Development Goals, die durch globale Transferleistungen finanziert werden, sich aber selbstredend nicht in Geldflüssen erschöpfen. Einem gegeneinander Ausspielen von strukturellen Veränderungen und ihrer Finanzierung habe ich nirgendwo das Wort geredet.

Dass dich der Dissens über den Begriff der Gerechtigkeit und die Aufladung der Auseinandersetzung darüber mit Partikularinteressen geradewegs in amoralischen (nicht unmoralischen) Skeptizismus führen, mag ja sein, trotzdem fehlt es an ernstzunehmender Theoriebildung der Gegenwart nicht, die nach Prinzipien für die Zuweisung von Rechten und Pflichten und die Verteilung gesellschaftlicher Chancen und Güter sucht, die für sich beanspruchen können, Gerechtigkeit anzustreben, nicht aber alle zufriedenzustellen: für sie ist das geschilderte Dilemma schlicht der Ausgangspunkt der Frage, nicht ihr Waterloo. Das objektive Unrecht beginnt mit dem Los, das jeder in der Geburtslotterie zieht. Einen Teil der Lose gar nicht erst auszugeben, um die Gewinnchance zu erhöhen, umgeht die Frage nach dem Gewinnschlüssel.

Außerdem werde ich aus manchen deiner Positionen nicht schlau: deine Attacke gegen (lassen wir die Vermengung mit dem Zakat einmal außen vor) Spenden, sofern sie sich als freiwillige Gabe in einer Art Wettbewerb vollzieht, fiele nicht einmal einem eingefleischten Vertreter des Libertarismus ein, wohl aber würde dieser gegen jede verpflichtende (etwa durch Besteuerung) Abgabe auch nur eines Cents, der etwa ein Vermittlungsprogramm für Empfängnisverhütung sponserte, vehement protestieren, will sagen: irgendeine Vorstellung davon, wie das, was so zu „Ertüchtigungszwecken“ verteilt werden soll, und durch wen es aufzubringen ist, und nach welchen Prinzipien, nach welchem Schlüssel es wofür einzusetzen ist, musst du doch haben. Dass du dabei ohne die Frage nach der Gerechtigkeit auskommst, kann ich mir nicht vorstellen.
Re: Gemischtwarenladen
Bibulus am 14.9.12 um 2:14 Uhr (Zitieren) I
Ich erinnere aus gegebenem Anlaß an den Titel dieses Forums.

Ich merke auch an, daß ich gewisse Admin.-Rechte innehabe.

Ich weise darauf hin, daß es gewisse Gesetze und Regeln in Deutschland gibt,
die ein gewisses Verhalten einem Gegenüber nicht vorschreiben, aber anmahnen.

Diese Gesetze gelten auch im Internet, soweit es sich auf den deutschen Raum erstreckt.

Jeder Plattformbetreiber („Forum“) ist per Gesetz verpflichtet,
ergänzt durch einige OLG-Urteile („Oberlandesgerichte“,
die höchstinstanzlichen Gerichte in Deutschland,
nicht zu verwechseln mit „Bundesgerichtshöfen“
oder „Europäischen Gerichtshöfen“), dafür zu sorgen,
daß auf der von ihm betriebenen Plattform („Forum“)
diese Gesetze eingehalten werden.

Beleidigungen, rassistische Äusserungen etc.,
die durch Gesetze der Bundesrepublik Deutschland
strafbewehrt sind, können strafrechtlich verfolgt werden.

Das hat nicht mit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit zu tun,
sondern ist durch Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland begründet:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Ich bitte euch, sich an diesen Grundsatz, der die Grundlage unserer „polis“ darstellt, zu halten.

Ich lösche im Moment in diesem Thread noch keinen Beitrag.

Aber sollte es noch mal zu gewissen Ausfällen kommen, werde ich diesen Thread löschen,
auch um dieses Forum zu erhalten.
Re: Gemischtwarenladen
gast am 14.9.12 um 8:58 Uhr (Zitieren) II
Ach komm, mach dich nicht lächerlich! In dem Moment, wo ein bisschen Niveau ins Spiel kommt, drohst du mit Löschung. Abschweifungen vom Foren-Titel, die bloße Albernheit sind, werden dagegen munter unterstützt.

Dafür dass die Kontrahenten sich bei aller Vehemenz mit der sie ihre Positionen vertreten, nicht zu „gewissen Ausfällen“ hinreißen lassen, sollte ihr bisheriges Verhalten hier im Forum bürgen. Die Fremdwörter lassen sich ja problemlos nachschlagen (falls dahinter stehende Beschimpfungen vermutet worden sind).

Ich jedenfalls habe beim Lesen wirkliche Erkenntnisse gewonnen.
Re: Gemischtwarenladen
paeda am 14.9.12 um 10:08 Uhr (Zitieren) I
Wie ich schon zuvor bemerkte, finde ich die Auseinandersetzungen auch interessant, weil gewichtige Argumentationspotenziale darin stecken.

Den Stil möchte ich allerdings weiterhin kritisieren, soweit ich mir das als Frau und Neuling erlauben darf, denn er dient eher dazu, Fronten aufzubauen und zur Radikalisierung beizutragen, als aufklärerisch zu wirken und Überzeugungsarbeit zu leisten.

Noch einmal: Wäre schade, wenn der Stil Erkenntnisse und Überzeugungsarbeit verhinderte!
Re: Gemischtwarenladen
arbiter am 14.9.12 um 16:40 Uhr (Zitieren) I
@filix
Ein Menschenrecht auf Elternschaft (geschweige denn auf besinnungslose Fortpflanzung) kenne ich nicht, es wird gelegentlich vom Recht auf Familie abgeleitet und insbesondere von Behindertenorganisationen propagiert. Unbestritten oberstes Menschenrecht ist aber das Recht auf Leben, und dieses steht durchaus in Konflikt mit dem erstgenannten, das - wie ich bereits Gelegenheit hatte anzudeuten - besonders von Herrn Ratzinger und seinen Kohorten propagiert wird. (Der Vatikan ist übrigens einer der wenigen Staaten, die die Menschenrechtskonvention nicht ratifiziert haben).

Dass der (sozio-ökonomische) Ort der Geburt weitgehend die Lebenschancen präjudiziert, ist eine Tatsache, dies als Unrecht zu bezeichnen, ist albern (oder Satire?).

Dass Theorie-Diskussionen über Gerechtigkeit ernstzunehmen seien, mag unter denen, die damit ihr (selbstverständlich von anderen gebackenes) Brot verdienen, Konsens sein; für alle anderen dürfte die Praxisrelevanz ein bedeutendes Kriterium sein.

Ich selbst habe kein Programm (wie von Dir unterstellt) zur Weltverbesserung - wer wäre ich denn? Solche Programme sind in der Regel anmaßend und weit von Realisierungschancen entfernt und /oder in ihren Folgen nicht übersehbar. Nehmen wir Occupy: Die verständlichen Motive konnten - und das war von Anfang an erkennbar - nicht in ein konsistentes Programm und schon gar nicht in zielführendes Handeln umgesetzt werden.

Bedauerlicherweise bis Du auf mein Argument, bei Verteilungsdiskussionen sei der Gerechtigkeitsbegriff nicht hilfreich (da „unbestimmter Rechtsbegriff“), inhaltlich nicht eingegangen. Ich fühlte mich anfänglich nur bemüßigt darauf hinweisen, dass Verteilung ohne das Ziel, selbst überflüssig zu werden, als reines Sedativum (für das Gewissen der Geber und für die möglichen Revolte-Gelüste der Empfänger) fungiert. Und das ist nicht moralisch, sondern zynisch. Ebenso als zynisch empfinde ich Hilfe, die mehr oder weniger offen Bestechungscharakter hat: z.B. Systemwidrige Rentenerhöhung vor den Wahlen im Inneren, Waffenhilfe oder auflagenfreie Hilfeleistungen an Dritte-Welt-Staaten zwecks Herstellung von politischer Gleichsschaltung nach außen.

@Anaticula
zu Deiner Frage nach der persönlichen Verantwortung:
nein, ich bin nicht auf die Welt gekommen, um diese zu retten - ja, ich gehe verantwortlich mit mir selbst, mit meinen Kindern um und achte auf meinen ökologischen Fußabdruck. Dabei mokiere ich mich über Leute, die gegen die Kinderarbeit agitieren und dafür ihre durch ebendieselbe produzierten Smartphones benutzen. Dabei versuche ich, nicht doktrinär zu sein und hinter die Dinge zu schauen.
Zu meinen Grundwerten gehört die Auffassung, dass jeder die Pflicht hat, aus seinen Möglichkeiten das Beste zu machen. (Daher ärgert es mich auch so, wenn Menschen, die ich - vielleicht etwas voreilig - für intelligent gehalten habe, ohne Not Unsinn verbreiten).
Re: Gemischtwarenladen
andreas am 14.9.12 um 19:43 Uhr (Zitieren) I
Zum Verständnis der Wirklichkeit und der Wahrnehmung habe ich ein paar Fragen.
Marx verließ wochenlang seine Wohnung nicht, weil sein einziger Anzug beim Pfandleiher war. Erregt das bei euch Mitleid oder Schadenfreude? Erklärt es, dass er nie eine Fabrik besucht hat? Beunruhigt euch das Wort „Fiskalpakt“? Ist bekannt, das jeder Bundesbürger statistisch 25.000,-€ Schulden hat? Ist klar, beim wem die Bundesbürger diese Schulden haben? Hat jemand dafür unterschrieben? Wer? Haben die Griechen ihre Bilanzen gefälscht? Und hat das wirklich keiner gemerkt? Hat Caesar seine Schulden bezahlt? Und wenn ja, mit wessen Geld? Könnt ihr erklären, was Schuldenschnitt bedeutet? Hat das wirklich nichts mit dem Goldenen Schnitt zu tun? Wusste Aristoteles mehr als wir, als er gegen Zinsen war? Lesen unsere Parlamentarier alles, worüber sie abstimmen? Glaubt ihr, dass es Bürgerkrieg geben wird? Ist der „Euro“ an sich schlecht oder das, was man mit ihm macht? Soll man in Windräder investieren? Ist es moralisch vertretbar, in Warentermingeschäfte zu investieren? Darf der Nachbar einen Pool bauen oder ist das nicht Wasserverschwendung? Wenn er ein Windrad neben den Pool stellt, ist er dann exkulpiert? Hätte Jesus erlaubt, Luxuskarossen zu bauen? Hätte er die Idee mit der Bankenaufsicht gut gefunden? Hat Oktavian Caesars Schulden bezahlt? Habt ihr darüber nachgedacht, welche Rechtsform der ESM hat? Kann man Anteile von „Higgs-Bosonen“ kaufen? Wäre jemand gerne Schweizer? Sollte man jetzt Schulden machen? Warum ist die Welt so schlecht? Wen kann man dafür zur Rechenschaft ziehen? Ist es eine glückliche Fügung, dass es „institutionelle Anleger“ gibt? Wer sind die „Märkte“? Weiß jemand, wer sich solche Begriffe ausdenkt? Beruhigt Geld die Nerven wirklich? Sind die Nerven der Unvermögenden zerrüttet? Ist Umverteilung gerecht? Wer bestimmt, wie viel jemand abgeben soll und an wen?
Ist Europa „unumkehrbar“? Steigert Unumkehrbarkeit das Vertrauen? Gibt es Verträge, die man nicht kündigen kann? Findet ihr es beruhigend, dass Gesetze ausgelegt werden müssen? Hätte Justinian das erlaubt? Wer rettet die Welt?
Seid ihr alle gesund?
Re: Gemischtwarenladen
paeda am 14.9.12 um 20:47 Uhr (Zitieren) I
Irgendwie erinnerte mich der letzte Beitrag an ein Gedicht und ich dachte, ich kopier’s mal. Auf ein paar Fragen mehr oder weniger kommt’s ja nicht an!

Fragen eines lesenden Arbeiters

Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon –
Wer baute es so viele Male auf? In welchen Häusern
des goldstahlenden Lima wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war
die Maurer? Das große Rom
ist voll von Triumphbögen. Wer errichtete sie? Über wen
triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz
nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis
brüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlang
die Ersaufenden nach ihren Sklaven.
Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte
untergegangen war. Weinte sonst niemand?
Friedrich der Zweite siegte im siebenjährigen Krieg. Wer
siegte außer ihm?

Jede Seite ein Sieg.
Wer kochte den Siegesschmaus?
Alle zehn Jahre ein großer Mann.
Wer bezahlte die Spesen?

So viele Berichte.
So viele Fragen
Re: Gemischtwarenladen
Bibulus am 14.9.12 um 21:04 Uhr (Zitieren) II
Der gute alte Bert Brecht....
Re: Gemischtwarenladen
arbiter am 14.9.12 um 21:32 Uhr (Zitieren) I
@paeda
ja, durchaus passender Einwurf.
Brächte man einem Bewohner Afrikas, der in einer Region lebt, wo es kein sauberes Wasser, keine zureichende Nahrungsmittelversorgung, aber marodierende Banden gibt, die frohe Botschaft: Wir, eine ernstzunehmende Gruppe internationaler Wissenschaftler, haben unter Beachtung aller denkbaren Einwände und unter Einebnung aller weltweit verschiedenen Wertvorstellungen die Weltgerechtigkeitsformel gefunden - was würde der antworten? - Etwas Wasser und Hirse für den Tag wäre besser gewesen! Würde man diese Botschaft einem Kubaner bringen, würde der antworten: Danke, Gerechtigkeit satt haben wir schon, es fehlt aber sonst an allem.
Re: Gemischtwarenladen
paeda am 14.9.12 um 21:41 Uhr (Zitieren) II
Ja, der gute alte Berthold Brecht hat vieles in genialer Weise auf den Punkt gebracht, was in erstaunlicherweise immer noch hochaktuell ist!
Re: Gemischtwarenladen
andreas am 14.9.12 um 22:02 Uhr (Zitieren) I
unter Beachtung aller denkbaren Einwände und unter Einebnung aller weltweit verschiedenen Wertvorstellungen die Weltgerechtigkeitsformel gefunden


Gerechtigkeit wäre so einfach, wenn es die Justiz nicht gäbe. In der Realität erwartet man von einer Regierung, den Kuchen so aufzuteilen, dass jeder glaubt, das größte Stück bekommen zu haben.
Ibi fas ubi proxima merces ...
Re: Gemischtwarenladen
paeda am 14.9.12 um 22:05 Uhr (Zitieren) II
Solange jeder mehr haben möchte, als er dem anderen gönnt, kann es keine Gerechtigkeit geben!
Re: Gemischtwarenladen
Bibulus am 14.9.12 um 22:17 Uhr (Zitieren) I
Einwurf:
Zu meiner Studi-Zeit habe mal in einer Juristen-WG gewohnt
(Ich war der einzigste Nicht-Jurist).
Ich habe viel über die Juristerei gelernt in dieser Zeit:
1. Von einem Gericht, bzw. einem Richter bekommt man nicht Gerechtigkeit,
sondern ein Urteil.
2. Das Recht ist nicht mit einer wie auch immer empfundenen Gerechtigkeit
gleichzusetzen, sondern kodifizierte Verhaltensnorm, die von Stärkeren
Schwächeren oktroyiert wird
(Im günstigsten Falle [Demokratie] entscheidet eine auch noch so kleine Mehrheit).
3. Ein absolutes (übernatürliches) Recht gibt es nicht.
4. Im günstigsten Fall urteilt ein Richter ohne Rechtsbeugung
(Deshalb gibt es ja Berufungsgerichte)
5. Recht muß nicht unbedingt definiert werden („Gewohnheitsrecht“).
Re: Gemischtwarenladen
paeda am 14.9.12 um 22:35 Uhr (Zitieren) II
Lieber Bibulus,
ich gebe dir absolut Recht, dass das, was du beschrieben hast, gängiges Recht ist und nicht notwendigerweise mit Gerechtigkeit, geschweige denn mit empfundener Gerechtigkeit zu tun haben muss.
Trotzdem bin ich damit nicht einverstanden, sondern postuliere Rechtsverhältnisse, die auch mit dem Rechtsempfinden übereinstimmen.
Re: Gemischtwarenladen
filix am 15.9.12 um 0:43 Uhr (Zitieren) I
@arbiter

Die Ableitung erfolgt in der Tat von Artikel 16 der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
„(1) Men and women of full age, without any limitation due to race, nationality or religion, have the right to marry and to found a family.“, aber nicht nur durch Behindertenorganisationen (an welche denkst du konkret?) sondern etwa 1968 durch die „International Conference on Human Rights“ veranstaltet von den Vereinten Nationen zum 20. Jahrestag der AEMR in Teheran - im Wortlaut der No. XVIII der „Resolutions adopted by the Conference“ „The International Conference of Human Rights [...] considering that art. 16 of the Universal Declaration of Human Rights s [...] considers that couples have a basic human right to decide freely and responsibly on the number and spacing of their children and a right to adequate education and information in this respect.“ (Es ist nicht die einzige diesbezüglich klare Stellungnahme im internationalen Rahmen).
Da ich zu keinem Zeitpunkt von einem Recht auf „besinnungslose Fortpflanzung“ (die ja auch im zitierten Abschnitt als verantwortungsvoll wahrzunehmende gekennzeichnet wird) gesprochen habe, gehe ich auf deine wiederholten Insinuationen nicht weiter ein. Der Charakter der Abwehr von sich als rechtmäßig verstehenden Eingriffen in die individuelle Entscheidungssphäre (in Bezug auf das diskutierte Thema habe ich Beispiele genannt), nicht die Legitimation eines wahllosen Gebrauchs ist für ein solches Verständnis von Menschenrecht kennzeichnend. Ich nehme nach wie vor nicht an, dass du für derlei Eingriffe plädierst, oder?

Das „objektive Unrecht“ (als Zustand ohne moralische Schuld aber als nicht rechtmäßiger - es lässt sich sicher ein weniger missverständlicher Terminus finden) sollte natürlich ausdrücken, dass das Geburtslos einen in positiver wie negativer Hinsicht unverdienten Startplatz markiert, der als Zufall, nicht als Ausdruck einer wie auch immer höheren Ordnung begriffen, die Frage nach Fairness und Ausgleichsmechanismen provoziert. Das ist weder albern noch Satire, auch wenn es keineswegs an Menschen fehlt, die antworten würden, dass es sich dabei um Pech, Schicksal, ein bedauerliches aber unabänderliches Faktum, dessen Bewältigung ohne weitere Unterstützung Aufgabe des Starters ist, oder sogar um eine verdiente Strafe handelt. Deinem Grundwert,d.h. der Forderung „dass jeder die Pflicht hat, aus seinen Möglichkeiten das Beste zu machen“, stimme ich durchaus zu, aber nicht unter Ausschuss der Frage, wie die faktische Ungleichheit der Möglichkeiten und der Entfaltungsspielraum ausgleichend, nicht nivellierend zu organisieren ist, wobei diese säuerlichen Freuden der Pflichterfüllung im Vollzugsfall hoffentlich denen am so entfalteten Leben weichen. Dass jemand in einem unfairen Rennen als tapferer Verlierer wenigstens gute Figur machen soll, ist damit ja kaum gemeint. Ebenso wenig, wie von dir anscheinend permanent vermutet, bedeutet eine so etablierte Fragestellung automatisch, dass man sich mit dem Erwerb eines Verteilungsanspruchs auch pauschale Freistellung von Verpflichtungen erwirbt.

„Programm“ stand nicht umsonst unter Anführungszeichen.

Zum Punkt: „...bei Verteilungsdiskussionen sei der Gerechtigkeitsbegriff nicht hilfreich (da “unbestimmter Rechtsbegriff")... - hier müsstest du präzisieren, was du genau ausdrücken willst. Hilfreich wofür? Für das Erreichen eines von allen Beteiligten akzeptierten (aber nicht oder doch als gerecht betrachteten oder empfundenen?) Konsenses in einer spezifischen Verteilungsfrage, wobei der Verzicht worin läge? Wie soll das, ganz ohne Ironie und Suggestion gefragt, gehen, wenn z.B. das Ziel ist, eine Verteilung zum Ausgleich einer Chancenungleichheit zu erwirken?


Re: Gemischtwarenladen
paeda am 15.9.12 um 9:28 Uhr (Zitieren) I
Da mich der Diskurs anspricht, möchte ich demokratische Rechte in Anspruch nehmen und mich gelegentlich einmischen. Dabei will ich mich bescheiden geben, da ich wissensmäßig nicht mithalten kann, aber durchaus gelernt habe zu reflektieren. In diesem Zusammenhang möchte ich mein Bedauern zum Ausdruck bringen, dass sich die Philosophen in dieser Auseinandersetzung bedeckt halten.

Also zum ersten Abschnitt der obigen Ausführungen:

... have a basic human right to decide freely and responsibly on the number and spacing of their children ...

Problematisch finde ich an diesem „Gesetz“, dass ‚responsibility‘ nicht näher definiert wird, sowie die Außerachtlassung der Möglichkeit, dass Verantwortung aufgrund fehlender Bildung und Erziehung oder auch zu schlechter Konditionen angemessen wahrgenommen werden kann.
Re: Gemischtwarenladen
paeda am 15.9.12 um 12:01 Uhr (Zitieren) I
Aus gegebenem Anlass möchte ich noch einen literarischen Beitrag in die Diskussion werfen:

„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glück­lich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ - „Du musst nur die Lauf­richtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie.

Die Literaturkundigen werden es wissen, von wem die Fabel ist!
Re: Gemischtwarenladen
gast am 15.9.12 um 12:05 Uhr (Zitieren) I
Für die Interessierten, weniger Kundigen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kleine_Fabel
Re: Gemischtwarenladen
arbiter am 15.9.12 um 17:23 Uhr (Zitieren) II
Bevölkerungspolitik ist hierzulande einigermaßen tabuisiert; nichtsdestoweniger findet sie statt, hier durch Anreizsysteme und Zuwanderungsregelungen. Die Menschenrechte haben zwar universalen Anspruch, sind allerdings doch ziemlich neuen Datums, insgesamt und besonders die von Dir zitierten historisch bedingt und durchaus wandelbar; die zitierte Stelle stellt eine damals aktuelle Erweiterung als Spitze gegen die chinesische Politik dar. Die chinesische Ein-Kind-Politik hat mit Sicherheit zum Überleben des Volkes beigetragen, indem sie die Hungerkrisen früherer Jahre abmilderte und eine Art ursprüngliche Akkumulation förderte (wobei sie in naher Zukunft zu massiven Problemen bei der Rentnerversorgung führen wird). Eine Verabsolutierung ist ein rhetorisch unzulässiges Argument und entspricht nicht der politischen Praxis, nirgends. (Trotzdem ist für mich unser oberstes Grundrecht so etwas wie ein rocher de bronze). Dies zu meiner Forderung, sich nicht auf theoretische Diskussionen von Werten etc. zu konzentrieren, sondern sich mit den realen Problemen zu befassen. Bezogen auf das in Rede stehende Thema heißt das: Natürlich würde ich mir verbitten, mir Vorschriften für mein Reproduktionsverhalten machen zu lassen, und insofern fiele es mir leicht, den o.a. Rechtspositionen zuzustimmen - allerdings gibt es (und hat es gegeben) Situationen, wo Eingriffe in dieses Menschenrecht (und ggflls. andere, wie z.B. das Recht auf Leben in den Ländern mit Todesstrafe oder auch nur mit unzureichender med. Versorgung und das eingeschränkte Recht auf Freizügigkeit bei unseren ALG-II-lern) unabweisbar erscheinen, insbesondere weil die Menschen nicht in der Lage sind, ihr auf (vorgestellten) individuellen Maximalnutzen gerichtetes Verhalten in Beziehung zum Nutzen der Gesamtgesellschaft (die ja heute mehr denn je die Basis der Überlebensmöglichkeit ist) auszutarieren.

Aus der Tatsache der Chancenungleichheit umstandslos (moralischen, rechtlichen, politischen) Zwang zum Ausgleich derselben abzuleiten - damit macht man sich sicher einen schlanken Fuß. Ernstzunehmen wäre das aber nur dann, wenn man bei Überlegungen zur Realisierung mit berücksichtigen würde, dass 1. ein Ausgleich aus den verschiedensten Gründen natürlich gar nicht möglich ist, 2. möglicherweise weder im Sinne der Allgemeinheit noch im Sinne aller Beteiligten wünschenswert wäre, 3. ein Versuch mit unverhältnismäßigen Kosten (nicht nur finanzieller Art) verbunden wäre.

Nochmal zum „Unrecht“ der ungleichen Startchancen: ein „unabänderliches Faktum, dessen Bewältigung ohne weitere Unterstützung Aufgabe des Starters ist“, ja, so sehe ich das. Eine Forderung nach Hilfe ist natürlich begründet in akuten unverschuldeten Notlagen (resultiert auch schon aus Art. I GG). Bei darüberhinausgehenden Maßnahmen muss aber die Frage nach dem Nutzen für das Allgemeinwohl gestellt werden.
Wenn man - wie anscheinend Du - einer nicht nur prinzipiellen, sondern faktischen Gleichstellungspolitik mit dem Ziel der Einebnung aller sozialen Unterschiede das Wort redet, landet man bei Pol Pot.
Re: Gemischtwarenladen
paeda am 15.9.12 um 18:10 Uhr (Zitieren) I
@arbiter
Zu einer gründlichen Lektüre und Antwort reicht es im Augenblick nicht, aber ich werde es nachholen für den Fall, dass der Beitrag an mich gerichtet ist, was nicht eindeutig abzuleiten ist.

Vorab zwei Vokabelfragen:
Was bedeutet: Sich einen schlanken Fuß machen?
Hier in BW habe ich das bisher noch nicht gehört!

Mit PolPot kann ich auf Anhieb auch nichts anfangen. Für eine kurze Erklärung wäre ich daher dankbar!
Re: Gemischtwarenladen
Comitissa am 15.9.12 um 18:13 Uhr (Zitieren) I
Pol Pot war doch Diktator in Kambodscha, ganz übel!
Re: Gemischtwarenladen
paeda am 15.9.12 um 18:26 Uhr (Zitieren) I
Danke, schön von dir zu lesen!

Die andere Frage kannst du mir nicht beantworten?
Re: Gemischtwarenladen
Comitissa am 15.9.12 um 18:35 Uhr (Zitieren) I
Liebe paeda,

auch ich kannte es nicht (BW!), aber Google hilft:

http://mundmische.de/bedeutung/22991-schlanken_Fuss_machen

(Passt das? Ich habe nicht alle Beiträge oben gelesen geschweige verstanden.)

Gruß von Comitissa.
Re: Gemischtwarenladen
paeda am 15.9.12 um 18:39 Uhr (Zitieren) II
Liebe Comitissa,

ja, bestimmte Herren diskutieren auf sehr hohem Niveau, was ich nicht grundsätzlich kritisieren will, nur weil nicht alles auf Anhieb verständlich ist für Leute mit weniger Bildungshintergrund!

Den Links werde ich am späteren Abend nachgehen, Danke dafür!

Verrätst du mir, wo in BW du bist? Ich bin in der Landeshauptstadt, falls ich’s noch nicht gesagt habe!
Re: Gemischtwarenladen
Bibulus am 15.9.12 um 18:41 Uhr (Zitieren) I
„Sich einen schlanken Fuß machen“ bedeutet,
etwas zu kaschieren, bzw. nicht seine wahre Meinung zu sagen
Re: Gemischtwarenladen
Bibulus am 15.9.12 um 18:43 Uhr (Zitieren) I
Wenn Politiker „sich einen schlanken Fuß machen“ bedeutet das,
sie reden das, was der Wähler vermeindlich hören will.
Re: Gemischtwarenladen
paeda am 15.9.12 um 18:43 Uhr (Zitieren) II
Oh, danke! Da kommt jemand aus derselben Ecke!
Re: Gemischtwarenladen
Comitissa am 15.9.12 um 18:44 Uhr (Zitieren) II
Re: Gemischtwarenladen
Comitissa am 15.9.12 um 18:45 Uhr (Zitieren) II
Bibulissimus,

ist an Deiner Tastatur heute was mit d und t kaputt???!
Re: Gemischtwarenladen
paeda am 15.9.12 um 18:52 Uhr (Zitieren) I
(Uff, das könnte ins Mobbing ausarten!)

Übrigens: Was sind das für Superlative, Comitissa?
Hat dein Name etwas mit Comes zu tun?

Bibulissimus ist ja entweder der kleinste unter den Trinkern oder ein renommierter Römer, wie ich gelernt habe! (Könnte wieder unter ‚alber‘ fallen, wie ich mich schäme!
Re: Gemischtwarenladen
paeda am 15.9.12 um 18:54 Uhr (Zitieren) I
‚albern‘ natürlich oder alternativ ausgelassen, übermütig.
Re: Gemischtwarenladen
Bibulus am 15.9.12 um 19:01 Uhr (Zitieren) I
„Bibulissimus“ -> der größte aller Trinker
„Bibulusculus“ -> der kleinste der Trinker („Trinkerlein“)

B-)
Re: Gemischtwarenladen
paeda am 15.9.12 um 21:31 Uhr (Zitieren) I
Diese Steigerungsformen überfordern mich im Moment.
Ich dachte Bibulus ist eine Verkleinerungsform und wenn man -issimus dran hängt, hat man die höchste Steigerung. In diesem Fall: klein, kleiner, am kleinsten. Es scheint aber nicht so zu sein! ???

-usculus kenne ich überhaupt nicht! :-(
 
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