Das Problem ist ohne den Satz davor nicht zu verstehen:
„Atque utinam, patres conscripti, Kalendis Sextilibus adesse potuissem! non quo profici potuerit aliquid, sed ne unus modo consularis, quod tum accidit, dignus illo honore, dignus republica inveniretur. “ (Cicero: Phil. I,6,14)
„Und ach, Senatoren, hätte ich doch, an den Kalenden des August anwesend sein können (potuissem)! (unerfüllbarer Wunsch der Vergangenheit - Konj. Plusquamp. --->) Nicht weil dadurch (non quo) irgendetwas hätte erreicht werden können (profici potuerit - Konj.Perf.), sondern damit nicht nur (sed ne modo) ein einziger (unus) ehemaliger Konsul (consularis) ... für des Staates würdig (re publica dignus) befunden worden wäre (inveniretur; Konj.Imperfekt)“
Nun sieht die Regel für einen verneinten Kausalsatz - eingeleitet durch ‚non quo, non quod, non quia‘ - vor, dass der Konjunktiv nach der c.t. steht - cf. Menge novus §583; davon gibt es aber Ausnahmen und eine solche liegt hier vor: statt Konj. Imperfekt, gefordert von dem Nebentempus (adesse potuissem) des letztlich übergeordneten unerfüllbaren Wunsches des vorangehenden Satzes, steht Konj. Perf.; die dt. Übersetzung weicht stark vom lat. Sprachgebrauch ab.
Dazu „Die Consecutio temporum des Cicero. Eine grammatische Untersuchung von Hugo Lieven“ auf Seite 6:
„Von der II. Hauptregel unabhängig sind a) conj. Consecutivsätze b) Causalsätze c) Concessivsätze d) alle Relativsätze, die nicht final sind insofern in ihnen auch nach einem Perfetcum und Prateritum ... 2) das Perfectum um des grösseren rhetorischen Nachdrucks willen auch da stehen darf, wo die Handlung im Verlaufe der Vergangenheit angehört.“ Die II. Hauptregel ist keine andere als die uns bekannte Regel der c.t., die für von übergeordneten, in Nebenzeiten (Imperf., Perf., Plusqupf., hist. Inf.) stehenden Sätzen abhängige Sätze - je nach Zeitverhältnis - entweder i Konj. Imp. (gleichzeitig) oder Konj.Plusquamperfekt (vorzeitig) vorsieht. Die diskutierte Stelle wird von Lieven auf S. 42 loc. cit. als Beispiel für die Ausnahme auch angeführt.
Bei „sed ne unus modo ... inveniretur“ kehrt Cicero zur Regel zurück.
Nein, eigentlich müsste Konjunktiv Imperfekt stehen, denn im übergeordneten Bezugssatz wird ein unerfüllbarer Wunsch der Vergangenheit über den Konjunktiv Plusquamperfekt („... adesse potuissem“), der als Nebentempus gilt, ausgedrückt, und der negierte Kausalsatz („non quo...“) ist als gleichzeitig anzusehen. Cf. folgende , den Regeln der c.t. gehorchende Stelle:
„Verum id feci,non quo vos hanc in hac causa defensionem desiderare arbitrarer,sed ut omnes intellegerent nec ademptam cuiquam civitatem esse neque adimi posse.“ (Cicero: Pro A. Caecina 101)
„Ich habe dies allerdings getan (feci - Perfekt: Nebentempus ->), nicht weil (non quo) ich der Ansicht gewesen wäre (arbitrarer - Konj. Imperfekt), dass ..., sondern damit (sed ut) alle erkennen (omnes intellegerent - Konj. Imperfekt), dass ... “
Die zitierte Einschätzung Lievens, dass diese Abweichung „des rhetorischen Nachdrucks“ wegen geschehe, müsste man überprüfen, sie passt jedenfalls zur diskutierten Stelle sehr gut.
Es ist nicht einfach, diese Verschiebung im Lat. vom dt. Sprachgebrauch her betrachtet zu verstehen. Man könnte eventuell den Fall des Wechsels in den Indikativ bzw. des Tempus in verneinten Kausalsätzen im Dt. („Wir haben uns für diese Lösung entschieden - nein, nicht weil wir Angst haben! - sondern ...“) als analogen Vorgang begreifen, um sich davon eine gewisse Vorstellung zu machen (obschon der allerdings gerade nicht auf die diskutierte Stelle aus der Philippica passt, während dies bei der Parallelstelle aus Pro A. Caecina sehr wohl funktioniert).
Ne longus sim: Cicero resurrectus , dem Reich des Todes entfleucht und überdies der deutschen Sprache mächtig (quomodo haec inter se conexa sint, quaeritur ), wird uns zweifelsohne all dies einleuchtend und in der ihm eigenen Knappheit erläutern können.
Achso, dann ist der Satz mit dem Optativ im PQP der HS? Ich dachte, der Satz hört beim Ausrufezeichen auf... Dann wird er über das Satzende hinausgeführt, oder anders, die innerliche Abhängigkeit erstreckt sich über das Satzzeichen, weil der nächste Satz inhaltlich davon abhängt?
Wer setzt gerne bald fünf, bald zwei, bald vier, selten aber drei Auslassungspunkte und davor fast nie einen Leerschritt in seinen Postings? Wer neigt dazu, konvulsivisch im Minutentakt zu posten, ohne dass dazwischen eine Antwort läge? Wer nimmt gelegentlich Anstoß an meiner vermeintlich komplizierten Ausdrucksweise?
De inveniendo sileatur et sileat inveniendus posthac.
Leute, die hier gelegentlich anonym, d.h. unter einem anderen Namen schreiben als dem, unter dem sie hier eingeführt sind, sollten in der Tat bedenken, daß der Stil so etwas wie ein literarischer Fingerabdruck ist. Niemand wird so leicht einen filix-, Bibulus-, arbiter-, Graeculus-, paeda- oder Lateinhelfer-Text, um ein paar signifikante Beispiele aufzuzählen, mit dem eines anderen verwechseln.
Wer unter wechselnden Namen schreibt, der möchte ja nicht erkannt werden. Da ist der warnende Hinweis doch hilfreich: Man erkennt Dich doch - an Deinem Stil.
Du selber, rex, hast ja in dieser Hinsicht, wenn auch unter anderen Namen, hier schon leidvolle Erfahrungen gemacht. Deshalb verstehe ich auch Deine Empfindlichkeit bei diesem Thema.
Erinnerst Du Dich noch, wie Du unter anderem Namen Deine eigenen Beiträge gelobt hast? Sowas ist doch peinlich, oder?
Re: Satz aus Cicero Philippicae I,6,14
Ulric Thiede am 17.4.13 um 16:26 Uhr (Zitieren) III
als Neuling - homo novus - muss ich die geistreiche und amüsante Diskussion auf hohem Niveau einfach einmal bewundernd loben. Aber: keine Regel ohne Ausnahme, die unpassenderweise sich Cicero statt Catilina nennt.