Latein Wörterbuch - Forum
Tertullian, de spectaculis 30 — 3746 Aufrufe
vir_plebis am 14.4.13 um 14:23 Uhr (Zitieren) IV
Liebe Leute,

ich komme bei einem Satz aus Tertullian nicht weiter.

„tunc xystici contemplandi, non in gymnasiis, sed in igne iaculati, nisi quod ne tunc quidem illos velim visos, ut qui malim ad eos potius conspectum insatiabilem conferre, qui in dominum desaevierunt.“

Der erste Teil ist klar, den habe ich hier nur gepostet, um etwas mehr Kontext zu geben. T. vergegenwärtigt sich, dass am Ende alle im Höllenfeuer brennen werden. So auch die Athleten:
„Dann müssen die Athleten betrachtet werden, nicht in den Gymnasien, sondern wie sie im Feuer den Spieß schleudern.“ Und dann wird es kompliziert. Da bekomme ich ein paar einzelne Brocken zusammen, aber die Satzstruktur leuchtet gar nicht ein. Was soll das nisi quod und das ut qui. ...?

Danke!
Re: Tertullian, de spectaculis 30
gast2 am 14.4.13 um 14:37 Uhr (Zitieren) V
Re: Tertullian, de spectaculis 30
vir_plebis am 14.4.13 um 14:46 Uhr (Zitieren) III
Danke. Aber einfach einen Link zur Übersetzung zu posten reicht nicht. Ich bräuchte schon ein wenig mehr erläuternde Hilfe...
Re: Tertullian, de spectaculis 30
Kuli am 14.4.13 um 15:05 Uhr (Zitieren) IV
... sondern ins Feuer geworfen (sed in igne iaculati - vgl. Georges: „iaculātus, a, um, passiv, Lucan. 3, 568. Tert. de spect. 30. “), außer (nisi) dass (quod) ich nicht einmal dann (ne tunc quidem) will (velim), dass jene erscheinen (illos ... visos [esse]), weil ich ja (ut qui) vorziehe (malim) lieber auf jene (ad eos potius) den unersättlichen Blick (conspectum insatiabilem) zu richten (conferre), die (qui) gegen den Herrn (in dominum) gewütet haben (desaevierunt).
Re: Tertullian, de spectaculis 30
Kuli am 14.4.13 um 15:07 Uhr (Zitieren) IV
dass jene erscheinen [von mir] betrachtet werden
Re: Tertullian, de spectaculis 30
vir_plebis am 14.4.13 um 15:10 Uhr (Zitieren) III
Top! Danke!!!
Re: Tertullian, de spectaculis 30
vir_plebis am 14.4.13 um 15:11 Uhr (Zitieren) IV
Re: Tertullian, de spectaculis 30
Kuli am 14.4.13 um 15:17 Uhr (Zitieren) III
Ja, s. v. ganz unten.
Re: Tertullian, de spectaculis 30
vir_plebis am 14.4.13 um 15:18 Uhr (Zitieren) IV
Ah, jetzt. Hmm. Doppeldeutig. Kann man im Deutschen nicht nachmachen.

Und noch eine Nachfrage: ut qui als ewil ja?
Re: Tertullian, de spectaculis 30
Kuli am 14.4.13 um 15:28 Uhr (Zitieren) III
Bei der Konstruktion ut qui bildet das Relativpron. (soweit ich sehe) das nachdrücklich betonte Subjekt des ut-Satzes.
Re: Tertullian, de spectaculis 30
filix am 14.4.13 um 15:50 Uhr (Zitieren) III
Also eigentlich „... der (qui) ich nämlich/ja (ut) vorziehe (malim) ... “ - wobei der Konj. einen kausalen Nebensinn erzeugt.
Wie erklärt sich der Inf. Perfekt „visos <esse>“? (Nietzsche las noch „vivos“)
Re: Tertullian, de spectaculis 30
Graeculus am 14.4.13 um 15:51 Uhr (Zitieren) III
Ein liebenswerter Zeitgenosse, dieser Tertullian!

[...] Aber es bleiben noch andere Schauspiele übrig: jener letzte und immerwährende Tag des Gerichts, jener den [heidnischen] Völkern unerwartete, jener verspottete, an dem die ganze alte Welt und alles, was sie hervorgebracht hat, in einem Feuer verbrannt wird. Welche Fülle von Schauspielen wird da sein! Was werde ich da zu bestaunen haben, was zu belachen. Wie werde ich mich freuen, wie frohlocken, wenn ich so viele Könige erblicke, von welchen gesagt wurde, sie seien in den Himmel aufgenommen worden , wie sie nun mit Jupiter selbst und ihren eigenen Zeugen – in der tiefsten Finsternis ächzen. Ebenso die [Provinzial-]Statthalter, die Verfolger des Namens des Herrn , [sehe ich] in wütenderen Flammen vergehen als die, mit denen sie gegen die Christen wüteten. Und welche weiter? Jene weisen Philosophen, die vor ihren Schülern, mit denen zusammen sie verbrennen, erröten, [den Schülern,] denen sie eingeredet haben, dass nichts Gott berühre, denen sie versicherten, dass es Seele entweder nicht gebe oder dass sie nicht in den früheren Körper zurückkehre. Und auch die Dichter [sehe ich] nicht vor Rhadamant[y]s‘ oder Minos‘ , sondern vor des unerwarteten Christus Richtstätte erzittern. Dann sind die Tra-gödiendichter besser zu hören, bei stärkerer Stimme versteht sich, in ihrem eigenen Unheil; dann kann man die Schauspieler kennenlernen, vom Feuer viel schlaffer gemacht; dann ist der Wagenlenker zu sehen, ganz rot im Flammenrad; dann sind die Athleten zu beschauen, nicht in ihrem Tummelplatz, sondern ins Feuer geworfen – abgesehen davon, dass ich auch dann nicht jene sehen möchte, sondern lieber auf jene den unersättlichen Blick richte, welche gegen den Herrn gewütet haben [mit Worten wie:] ‚Hier ist jetzt – würde ich sagen – dieser Sohn des Zimmermanns und der „Käuflichen“ [Dirne] , der Sabbath-Zerstörer, der Samariter, der den Teufel im Leibe hat. Es ist der, den ihr von Judas erkauft habt, es ist der mit jenem Rohre und mit Faustschlägen Getroffene, mit Speichel Besudelte, mit Galle und Essig Getränkte. Es ist der, welchen [angeblich] heimlich seine Jünger entwendeten, damit sie sagen konnten[,] er sei auferstanden, oder den der Gärtner weggetragen hat, damit nicht seine Salate von der Menge der Zusammenströmenden geschädigt würden .‘
Dafür, dass du solches erblickst, dass du über solches frohlockst, welcher Praetor oder Konsul oder Quaestor oder [heidnische] Priester könnte dir dies als sein Geschenk geben? Und dennoch haben wir das gewissermassen schon durch den Glauben im Geiste als Vorstellung vergegenwärtigt. Und im übrigen: welcher Art sind jene Dinge, welche weder das Auge gesehen hat, noch das Ohr gehört hat, noch in das Herz des Menschen gekommen sind. Ich glaube, es ist willkommener als Zirkus, und beide Theater und jedes Stadion.


Endlich Rache!
Re: Tertullian, de spectaculis 30
Graeculus am 14.4.13 um 15:54 Uhr (Zitieren) III
Ach so, die Fundstelle der Übersetzung:
Curt Paul Janz, Friedrich Nietzsche – Eine Biographie. 3 Bde. München – Wien 1979, Bd. 3, S. 264 f.
Re: Tertullian, de spectaculis 30
Bibulus am 14.4.13 um 16:15 Uhr (Zitieren) IV
Das ist aber doch völlig unchristlich,
sich solchen Gedanken hinzugeben!

(ich meine den Tertullian)
Re: Tertullian, de spectaculis 30
Graeculus am 14.4.13 um 16:18 Uhr (Zitieren) V
Sollte man meinen. Oder wir müssen unsere Vorstellung von dem, was christlich ist, revidieren.
Re: Tertullian, de spectaculis 30
Graeculus am 14.4.13 um 16:20 Uhr (Zitieren) III
Immerhin ist er ein Kirchenvater.
Aber:
In der Orthodoxen Kirche wird Tertullians nach Ansicht dieser Kirche übermäßig negatives Menschenbild teilweise als Quelle einer unguten theologischen Tendenz angesehen, die sich in Augustinus von Hippo fortsetzte und 1054 schließlich zum Bruch zwischen West- und Ostkirche führte.

(Wikipedia)
Re: Tertullian, de spectaculis 30
filix am 14.4.13 um 16:21 Uhr (Zitieren) III
Da fehlen doch nur scholastischer Ordnungssinn, der Sound von Terzinen und wohltemperierte Anfälle von Mitleid. :)
Re: Tertullian, de spectaculis 30
Kuli am 14.4.13 um 23:30 Uhr (Zitieren) IV
Zitat von filix am 14.4.13, 15:50Wie erklärt sich der Inf. Perfekt „visos <esse>“?


Neuer Menge § 479 (6): „Bei den Verba voluntatis steht oft mit bes. Nachdr. der Inf. Perf. Pass. (zumeist ohne esse), um den Ggst. des Wunsches als schon vollendet zu bez. Im Dt. setzt man in diesem Fall zu dem Verb ‚wollen‘ das Verb ‚wissen‘ od. ‚sehen‘“
Gemäß dieser Anweisung muss es dann wohl heißen: „außer dass ich jene nicht einmal dann betrachtet zu haben wissen will“

Auch muss man wohl gar nicht mit Georges annehmen, dass Tertullian hier ein ungewöhnliches P. P. P. zu iaculo/r verwendet. Denn, wenn er in seiner Höllenvision alle Insassen in dem für ihr Leben typischen Habitus zeigt, bezieht sich auf iaculati wohl gleichermaßen auf in igne wie auf in gymnasiis. Man kann dann ähnlich wie vir_plebis übersetzen: „Dann können die Athleten betrachtet werden, die [dann] nicht [mehr] auf den Turnplätzen ihre Wurfspiele gemacht haben, sondern [nun] im Feuer [machen]“
Re: Tertullian, de spectaculis 30
filix am 15.4.13 um 9:39 Uhr (Zitieren) III
Danke. Nostra aetate sagen wir allerdings eher „Ich will das erledigt haben/wissen/sehen!“. Bei „sehen“ oder „betrachten“ widerstrebt das jedoch dem Sprachgebrauch so stark, dass die Übersetzer es zu Recht unterschlagen.
Re: Tertullian, de spectaculis 30
vir_plebis am 15.4.13 um 17:13 Uhr (Zitieren) III
Kuli, sehr schöne Ausführung. Teil 2 ganz besonders. :) Empfinde ich ebenso.

Ich muss aber nochmal nach Haken: Was bedeutet ganz genau dieses „ut“ in „ut qui malim“?

Tertullian schreibt echt „krasses Zeug“, wobei ich auch feststellen muss, dass alles irgendwie noch mit einem Augenzwinkern geschieht. Auch diese Höllenpassage entbehrt einer gewissen Komik nicht!
Re: Tertullian, de spectaculis 30
vir_plebis am 15.4.13 um 17:13 Uhr (Zitieren) III
pardon: nachhaken
Re: Tertullian, de spectaculis 30
filix am 15.4.13 um 17:22 Uhr (Zitieren) V
„ut“ heißt hier „ja“, „nämlich“ - Georges: „ut [...] 4) zur Angabe eines Grundes, ausgedrückt a) durch einen relativen Satz, der nämlich, magna pars Fidenatium, ut qui coloni additi ... “
 
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