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Übersetzung von Deutsch in Latein — 3734 Aufrufe
Thomas am 30.4.13 um 0:25 Uhr (Zitieren) II
Hallo zusammen,

ich suche schon seit geraumer Zeit eine Übersetzung für „Du bist der Weg“ was soviel heißen soll wie:

allein du selbst bist der Weg zu dem was du auch immer finden möchtest/ musst.
Also Weg nicht als Straße gemeint, sondern vielmehr der Weg den man im Leben geht...
Ich hoffe ihr wisst wie ich das meine und könnt mir helfen...

Beste Grüße
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 30.4.13 um 0:37 Uhr (Zitieren) II
Vorschlag: Tu (ipse/ipsa) via es!

ipse für einen Mann
ipsa für eine Frau

ipse, ipsa, ipsum = selbst
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 30.4.13 um 0:41 Uhr (Zitieren) II
Anderer Vorschlag: Tu ipse/ipsa modo viam tuam novisti!

Nur du selbst kennst deinen Weg.
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Thomas am 30.4.13 um 0:45 Uhr (Zitieren) II
Danke das ihr euch die Mühe gemacht habt...

Vielen dank :)
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Thomas am 30.4.13 um 1:40 Uhr (Zitieren) II
Nur noch mal um sicher zu gehen, ob ich das richtig verstehe...

„Du bist der Weg“ - könnte ich mit - „Tu ipsa via es“ übersetzen, was soviel heißt wie: Du bist der Weg - auf eine Frau bezogen...

Jedoch bedeutet ipse, ipsa und ipsum alles „selbst“

Also könnte ich auch schreiben

„Tu ipsum via es“ und es würde bedeuten - Du bist der Weg - Aber man könnte es auch als - Du selbst bist der Weg übersetzen ?

Und was ist wenn ich aus ästetischen Gründen stattdessen lieber das ipse oder ipsa nehmen möchte, würde es dann noch - du bist der Weg - bedeuten, oder doch bezogen auf ein Geschlecht - männlich oder weiblich - Du bist der Weg - Lisa z.B. oder -Du bist der Weg- Alex bedeuten ?

Ich hoffe ihr könnt das verstehen ...

Beste Grüße
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 30.4.13 um 11:16 Uhr (Zitieren) II
ipse ist männlich und wird nicht nur für das biologische Geschlecht, sondern für alle Wörter verwendet, die im lateinischen männlich sind.

Dasselbe gilt für ipsa, nur dass es sich auf das weibliche, biologische und grammatische, Geschlecht bezieht.

Bei ipsum gibt es kein natürliches Geschlecht, nur ein grammatisches.

Ich bin übrigens nur eine Person, wenn auch mit den üblichen mehreren Facetten! ;-))
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 30.4.13 um 11:16 Uhr (Zitieren) II
Korrektur: im Lateinischen
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Graeculus am 30.4.13 um 12:05 Uhr (Zitieren) II
An Thomas:
Und wenn Du aus ästhetischen Gründen lieber ästetisch schreibst statt ästhetisch, bedeutet es dann noch dasselbe?
Du kannst doch nicht mit Worten und Sprache machen, was willst Du!
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 30.4.13 um 12:15 Uhr (Zitieren) II
Zitat von Graeculus am 30.4.13, 12:05Du kannst doch nicht mit Worten und Sprache machen, was willst Du!


Aber warum denn nicht? ;-))

Beispiel: autobus (französisch), otobüs (türkisch)
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Graeculus am 30.4.13 um 12:40 Uhr (Zitieren) II
Die Sprache beruht auf Konventionen, d.i. Regeln; diese Konventionen sind aber überindividuell, nicht individuell. „Man kann nicht allein einer Regel folgen.“ (Wittgenstein)
Beispiel: autobus (türkisch), otobüs (französisch)

ist falsch, oder?
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 30.4.13 um 12:56 Uhr (Zitieren) II
Nein. „autobus“ ist die konventionelle Schreibweise im Französischen und „otobüs“ ist die konventionelle Schreibweise im Türkischen. Gleiches Wort, gleiche Aussprache, unterschiedliche Schreibweise.

(Amo Wittgenstein! ;-))
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
filix am 30.4.13 um 12:57 Uhr (Zitieren) II
„Man kann nicht allein einer Regel folgen“ Doch, man kann. Man kann nur nicht erwarten, dass die Regel deshalb, weil man sie alleine konsequent befolgt, von anderen als verbindlich angesehen und gleichfalls befolgt wird.
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Graeculus am 30.4.13 um 13:03 Uhr (Zitieren) II
Nein, man kann innerhalb einer Kommunikationssituation (Sprache!) nicht. Niemand verstünde mich.

(Ein schönes Beispiel für den Versuch, eine Privatsprache zu sprechen, ist der Jazz-Saxophonist Lester Young.)
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 30.4.13 um 13:08 Uhr (Zitieren) II
Zitat von Graeculus am 30.4.13, 13:03Nein, man kann innerhalb einer Kommunikationssituation (Sprache!) nicht. Niemand verstünde mich.


Deshalb gibt es ja so oft Missverständnisse und das berühmte Aneinander-vorbei-Reden.
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 30.4.13 um 13:09 Uhr (Zitieren) II
..., weshalb nicht nur interkulturelle Kommunikationstechniken vonnöten sind! ;-))
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Graeculus am 30.4.13 um 13:13 Uhr (Zitieren) II
Das Aneinander-Vorbeireden kommt teils durch einen „originellen“ Wortgebrauch, teils durch ein Nicht-Verstehen-Wollen zustande.
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 30.4.13 um 13:16 Uhr (Zitieren) II
Einverstanden: Nichtverstehen hat mehrere, wenn nicht viele, Gründe!
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
filix am 30.4.13 um 13:18 Uhr (Zitieren) II
Zwischen dem diskutierten Beispiel (das hier niemanden am Verständnis hindert) und einer Privatsprache liegt ein weites Spektrum an Abweichungen von der Konvention. Die Zahl derer, die dieser Abweichung folgt (alleine) kann als Kriterium nicht genügen, sie muss m.E. um eine graduelle Abstufung der qualitativen Devianz ergänzt werden, um das Problem zu erfassen. Umgekehrt ergibt sich bei einer sprachlichen „folie à deux“ ja auch nicht aus n > 1 sofort eine Universalität der Regel. D.h. auch hier verfehlt eine bloß quantitative Begrenzung derer, die die Regel befolgen, das Phänomen.
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Thomas am 30.4.13 um 13:54 Uhr (Zitieren) II
an Graeculus...
zunächst vielen dank für deine Hilfe.

Wenn du schon Wittgenstein rausholst solltest du eins wissen, er war der Großonkel von Heinz von Foerster.

Er begründete das grundlegende hermaneutische Prinzip: „ Der Hörer nicht der Sprecher bestimmt die Bedeutung einer Aussage“

Also egal was ich sage, es kann falsch verstanden werden.

Wenn nun Wittgenstein schreibt, dass wir diese Konventionen überindividuell treffen, vergisst er den subjektiven Charakter eines jeden Gespräches.

Eine Kovention trifft nur ein Individuum.

Außerdem müssen diese Regeln ja irgendwo herkommen? Oder? Sprache ist immer eine individuelle Form.

Und wenn Wittgenstein schreibt überindividuell dann vergisst er den Menschen selbst.

Es freut mich aber das du Wittgenstein liest und wenn du die Zeit findest lese noch Heinz von Foerster, sehr zu empfehlen.

Weiterhin finde ich es sehr übertrieben zu sagen, ich mache mit einer ganzen Sprache und deren Worte was ich will, wenn ich ein Wort, welches 3 Synomyme besitzt, adaptiere !

Es war eine Frage der Bedeutung, ob dies möglich wäre und ob dies dem Kontext entspricht, welchen ich selbst mit - du bist der Weg - erreichen möchte.

Du selbst hast den Kontext des Satzes nicht verstanden, wenn du das Fragezeichen nicht mitliest.

Und mit verlaub, wenn ich um 1.40 Uhr am morgen ästhetisch ohne „h“ schreibe, dann ist das natürlich mein Fehler und wenn sich dir dadurch ein völlig neuer Sinn dieses Wortes ergeben hat, dann tut mir das natürlich leid.

Da wir alle den Worten erst die Bedeutung geben, welche sie Besitzen, darf ich annehmen, dass ich in einem Dialog, mit einer Sprache die ich nicht kenne, gewiss einen Fehler machen darf oder ?

Es ist nicht gut zu viel zu trivialisieren, aber ich stimme dir zu, es ist notwendig um zu wissen was der Andere meint ;)

Danke auch an Paeda.

Ich hoffe natürlich, dass ihr mir trotzdem noch helft meinen Spruch in dem Sinne zu Formen, in dem ich ihn gerne hätte.

Mit besten Grüßen
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 30.4.13 um 14:00 Uhr (Zitieren) II
Zitat von Thomas am 30.4.13, 13:54Eine Kovention trifft nur ein Individuum.


Alternativorschlag: Eine Konvention wird von Individuen getroffen.

Ich lese weiter!
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 30.4.13 um 14:02 Uhr (Zitieren) II
Zitat von Thomas am 30.4.13, 13:54Außerdem müssen diese Regeln ja irgendwo herkommen? Oder? Sprache ist immer eine individuelle Form.


Das glaube ich wiederum nicht, denn Sprache erlernt man ja im Umfeld durch Nachahmung.
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 30.4.13 um 14:03 Uhr (Zitieren) II
Zitat von Thomas am 30.4.13, 13:54Weiterhin finde ich es sehr übertrieben zu sagen, ich mache mit einer ganzen Sprache und deren Worte was ich will, wenn ich ein Wort, welches 3 Synomyme besitzt, adaptiere !


Es ging Graeculus um das fehlende „h“ nach dem „t“. Übrigens: Er ist Philosoph!
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 30.4.13 um 14:10 Uhr (Zitieren) II
Zitat von Thomas am 30.4.13, 13:54Da wir alle den Worten erst die Bedeutung geben, welche sie Besitzen, darf ich annehmen, dass ich in einem Dialog, mit einer Sprache die ich nicht kenne, gewiss einen Fehler machen darf oder ?


Grammatik-, Rechtschreib-, Stil- und sonstige Fehler kommen in den Threads in großer Menge vor. Da ist das fehlende „h“ in der Tat eine Kleinigkeit, zumal es, wie ich es in meinem Beispiel aufzuzeigen versuchte, leicht durch eine Konvention wegretuschiert werden könnte.

Allerdings ist mir selbst Sprachästhetik auch wichtig, und ich bemühe mich, so gut ich kann.

Was machst du denn, wenn du dich mit Wittgenstein beschäftigst?
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Graeculus am 30.4.13 um 14:13 Uhr (Zitieren) II
An Thomas:
Deine Frage ist beantwortet seit:
paeda schrieb am 30.04.2013 um 00:37 Uhr (Zitieren)
Vorschlag: Tu (ipse/ipsa) via es!

ipse für einen Mann
ipsa für eine Frau

ipse, ipsa, ipsum = selbst


Wenn Du aus (individuellen) ästhetischen Gründen eine grammatisch regelwidrige Formulierung bevorzugst, betrittst Du den Bereich dessen, was Wittgenstein „Privatsprache“ nennt. Niemand kann Dich daran hindern.
Wir können lediglich sagen, daß dies ein Regelverstoß wäre, der die Verständlichkeit gefährdet.

Für diejenigen, dies es noch nicht kennen:

Peter Bichsel

EIN TISCH IST EIN TISCH
(1969)


Ich will von einem alten Mann erzählen, von einem Mann, der kein Wort mehr sagt, ein müdes Gesicht hat, zu müd zum Lächeln und zu müd, um böse zu sein. Er wohnt in einer kleinen Stadt, am Ende der Straße oder nahe der Kreuzung. Es lohnt sich fast nicht, ihn zu beschreiben, kaum etwas unterscheidet ihn von andern. Er trägt einen grauen Hut, graue Hosen, einen grauen Rock und im Winter den langen grauen Mantel, und er hat einen dünnen Hals, dessen Haut trocken und runzelig ist, die weißen Hemdkragen sind ihm viel zu weit.
Im obersten Stock des Hauses hat er sein Zimmer, vielleicht war er verheiratet und hatte Kinder, vielleicht wohnte er früher in einer andern Stadt. Bestimmt war er einmal ein Kind, aber das war zu einer Zeit, wo die Kinder wie Erwachsene angezogen waren. Man sieht sie so im Fotoalbum der Großmutter. In seinem Zimmer sind zwei Stühle, ein Tisch, ein Teppich, ein Bett und ein Schrank. Auf einem kleinen Tisch steht ein Wecker, daneben liegen alte Zeitungen und das Fotoalbum, an der Wand hängen ein Spiegel und ein Bild.
Der alte Mann machte morgens einen Spaziergang und nachmittags einen Spaziergang, sprach ein paar Worte mit seinem Nachbarn, und abends saß er an seinem Tisch.
Das änderte sich nie, auch sonntags war das so. Und wenn der Mann am Tisch saß, hörte er den Wecker ticken, immer den Wecker ticken.
Dann gab es einmal einen besonderen Tag, einen Tag mit Sonne, nicht zu heiß, nicht zu kalt, mit Vogelgezwitscher, mit freundlichen Leuten, mit Kindern, die spielten – und das Besondere war, daß das alles dem Mann plötzlich gefiel.
Er lächelte.
„Jetzt wird sich alles ändern“, dachte er. Er öffnete den obersten Hemdknopf, nahm den Hut in die Hand, beschleunigte seinen Gang, wippte sogar beim Gehen in den Knien und freute sich. Er kam in seine Straße, nickte den Kindern zu, ging vor sein Haus, stieg die Treppe hoch, nahm die Schlüssel aus der Tasche und schloß sein Zimmer auf.
Aber im Zimmer war alles gleich, ein Tisch, zwei Stühle, ein Bett. Und wie er sich hinsetzte, hörte er wieder das Ti-cken, und alle Freude war vorbei, denn nichts hatte sich geändert.
Und den Mann überkam eine große Wut.
Er sah im Spiegel sein Gesicht rot anlaufen, sah, wie er die Augen zukniff; dann verkrampfte er seine Hände zu Fäusten, hob sie und schlug mit ihnen auf die Tischplatte, erst nur einen Schlag, dann noch einen, und dann begann er auf den Tisch zu trommeln und schrie dazu immer wieder:
„Es muß sich ändern, es muß sich ändern!“
Und er hörte den Wecker nicht mehr. Dann begannen seine Hände zu schmerzen, seine Stimme versagte, dann hörte er den Wecker wieder, und nichts änderte sich.
„Immer derselbe Tisch“, sagte der Mann, „dieselben Stühle, das Bett, das Bild. Und dem Tisch sage ich Tisch, dem Bild sage ich Bild, das Bett heißt Bett, und den Stuhl nennt man Stuhl. Warum denn eigentlich?“ Die Franzosen sagen dem Bett „li“, dem Tisch „tabl“, nennen das Bild „tablo“ und den Stuhl „schäs“, und sie verstehen sich. Und die Chinesen verstehen sich auch.
„Weshalb heißt das Bett nicht Bild“, dachte der Mann und lächelte, dann lachte er, lachte, bis die Nachbarn an die Wand klopften und „Ruhe“ riefen.
„Jetzt ändert es sich“, rief er, und er sagte von nun an dem Bett „Bild“.
„Ich bin müde, ich will ins Bild“, sagte er, und morgens blieb er oft lange im Bild liegen und überlegte, wie er nun dem Stuhl sagen wolle, und er nannte den Stuhl „Wecker“.
Er stand also auf, zog sich an, setzte sich auf den Wecker und stützte die Arme auf den Tisch. Aber der Tisch hieß jetzt nicht mehr Tisch, er hieß jetzt Teppich. Am Morgen verließ also der Mann das Bild, zog sich an, setzte sich an den Teppich auf dem Wecker und überlegte, wem er wie sagen könnte.
Dem Bett sagte er Bild.
Dem Tisch sagte er Teppich.
Dem Stuhl sagte er Wecker.
Der Zeitung sagte er Bett.
Dem Spiegel sagte er Stuhl.
Dem Wecker sagte er Fotoalbum.
Dem Schrank sagte er Zeitung.
Dem Teppich sagte er Schrank.
Dem Bild sagte er Tisch.
Und dem Fotoalbum sagte er Spiegel.
Also:
Am Morgen blieb der alte Mann lange im Bild liegen, um neun läutete das Fotoalbum, der Mann stand auf und stellte sich auf den Schrank, damit er nicht an die Füße fror, dann nahm er seine Kleider aus der Zeitung, zog sich an, schaute in den Stuhl an der Wand, setzte sich dann auf den Wecker an den Teppich und blätterte den Spiegel durch, bis er den Tisch seiner Mutter fand.
Der Mann fand das lustig, und er übte den ganzen Tag und prägte sich die neuen Wörter ein. Jetzt wurde alles umbenannt: Er war jetzt kein Mann mehr, sondern ein Fuß, und der Fuß war ein Morgen und der Morgen ein Mann.
Jetzt könnt ihr die Geschichte selbst weiterschreiben. Und dann könnt ihr, so wie es der Mann machte, auch die anderen Wörter austauschen:
läuten heißt stellen,
frieren heißt schauen,
liegen heißt läuten,
stehen heißt frieren,
stellen heißt blättern.
So daß es dann heißt:
Am Mann blieb der alte Fuß lange im Bild läuten, um neun stellte das Fotoalbum, der Fuß fror auf und blätterte sich auf den Schrank, damit er nicht an die Morgen schaute.
Der alte Mann kaufte sich blaue Schulhefte und schrieb sie mit den neuen Wörtern voll, und er hatte viel zu tun damit, und man sah ihn nur noch selten auf der Straße.
Dann lernte er für alle Dinge die neuen Bezeichnungen und vergaß dabei mehr und mehr die richtigen. Er hatte jetzt eine neue Sprache, die ihm ganz allein gehörte.
Hie und da träumte er schon in der neuen Sprache, und dann übersetzte er die Lieder aus seiner Schulzeit in seine Sprache, und er sang sie leise vor sich hin.
Aber bald fiel ihm auch das Übersetzen schwer, er hatte seine alte Sprache fast vergessen, und er mußte die richtigen Wörter in seinen blauen Heften suchen. Und es machte ihm Angst, mit den Leuten zu sprechen. Er mußte lange nachdenken, wie die Leute zu den Dingen sagen.
Seinem Bild sagen die Leute Bett.
Seinem Teppich sagen die Leute Tisch.
Seinem Wecker sagen die Leute Stuhl.
Seinem Bett sagen die Leute Zeitung.
Seinem Stuhl sagen die Leute Spiegel.
Seinem Fotoalbum sagen die Leute Wecker.
Seiner Zeitung sagen die Leute Schrank.
Seinem Schrank sagen die Leute Teppich.
Seinem Tisch sagen die Leute Bild.
Seinem Spiegel sagen die Leute Fotoalbum.
Und es kam so weit, daß der Mann lachen mußte, wenn er die Leute reden hörte.
Er mußte lachen, wenn er hörte, wie jemand sagte:
„Gehen Sie morgen auch zum Fußballspiel?“ Oder wenn jemand sagte: „Jetzt regnet es schon zwei Monate lang.“ Oder wenn jemand sagte: „Ich habe einen Onkel in Amerika.“
Er mußte lachen, weil er all das nicht verstand.

Aber eine lustige Geschichte ist das nicht. Sie hat traurig angefangen und hört traurig auf.
Der alte Mann im grauen Mantel konnte die Leute nicht mehr verstehen, das war nicht so schlimm.
Viel schlimmer war, sie konnten ihn nicht mehr verstehen.
Und deshalb sagte er nichts mehr.
Er schwieg,
sprach nur noch mit sich selbst,
grüßte nicht einmal mehr.


[Quelle: Peter Bichsel, Kindergeschichten. Neuwied 10. Aufl. 1980, S. 18-27]
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 30.4.13 um 14:22 Uhr (Zitieren) II
Graeculus, du hast Schuld, wenn ich heute zu spät komme! ;-)))
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Thomas am 30.4.13 um 14:28 Uhr (Zitieren) III
Ganz ehrlich Leute,
es macht ein heiden Spaß sich mit euch über Sprache zu unterhalten :) :) :)

Und genau deshalb hoffe ich, dass wir den Dialog heute Abend fortführen.

Mit besten Grüßen
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
filix am 30.4.13 um 14:44 Uhr (Zitieren) II
Die Kindergeschichte von Bichsel zeigt u.a. zwei Dinge:

a) man kann sich als einziger an bestimmte Regeln halten - der Preis, den man dafür entrichtet, verunmöglicht die komplexe Handlung „sich an eine Regel halten“ nicht. Die Frage ist, wie weit man das treiben kann in Bezug auf „sich an eine Regel halten“,
d.h. wo ist der Punkt erreicht, wo die individuelle Regelung dessen, was es heißt „sich an eine Regel halten“, Strukturen angreift, die zu einem irreversiblen Auflösungprozess führen. Paradoxer Grenzfall: „Meine Grundregel lautet: mich nie an Regeln zu halten.“

b) die Regelhaftigkeit selbst garantiert eine Rekonstruktion der Verschiebung durch einen Beobachter, der sich von der unmittelbaren Unverständlichkeit nicht beirren lässt. Das ist das Dechiffrierungsproblem. Erst wenn eine Dechiffrierung nicht mehr möglich ist, kann von der Privatsprache im Unterschied zur Geheimsprache die Rede sein.
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Thomas am 30.4.13 um 21:24 Uhr (Zitieren) II
Paeda, wie muss ich die Frage mit Wittgenstein verstehen ?
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 30.4.13 um 21:58 Uhr (Zitieren) II
Salve Thomas,

tut mir Leid für meine ungeschickt formulierte Frage. Mich hat es einfach spontan interessiert, ob du dich beruflich oder privat mit Wittgenstein beschäftigst.
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 30.4.13 um 22:16 Uhr (Zitieren) II
Zur Geschichte von Peter Bichsel: Geschrieben für Kinder? Ich weiß nicht, ob ich die Botschaft 1969 im jugendlichen Alter schon verstanden hätte.

Den Protagonisten finde ich etwas untypisch, denn alte Leute stellen ihre Welt ja eher selten auf den Kopf. Na ja, darauf kommt es hier vielleicht weniger an. Die Story ist vielseitig interpretierbar. Sie wirft viele Fragen auf:

- Wie soll man’s mit der Tradition halten? Mit den mores maiores?
- Welches Risiko geht man ein, wenn man Herkömmliches über Bord wirft?
- Wo verläuft die Grenze zwischen notwendigen und schädlichen Neuerungen?
- Wieviel Gesellschaft verträgt ein Individuum, wieviel Individualität eine Gesellschaft?

Man könnte in diesem Zusammenhang sicher noch mehr kritische Fragen stellen und auch über Vieles nachdenken.
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Thomas am 1.5.13 um 0:02 Uhr (Zitieren) II
@paeda

das is überhaupt nicht schlimm...

mich wundert es, dass es noch Leute gibt die sich so mit Sprache auseinander setzen !

Ganz ehrlich, ich bin wirklich sehr beeindruckt das jemand Wittgenstein noch kennt, da die meisten aus meinem Freundeskreis angesprochen auf solche Dinge eher freundlich nicken und dann das Thema wechseln.

Ich kenn leider Peter Bichsel überhaupt noch nicht, werde mich von deinem Anstoß aus gern mit ihm auseinander setzen.

Darf man fragen wie alt du bist und wie lange du dich schon damit auseinandersetzt ?

Zu deiner Frage:

beruflich ... nicht ganz, privat dagegen aus Feuer und Flamme für eine Sache

Mit besten Grüßen
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 1.5.13 um 0:13 Uhr (Zitieren) II
Zitat von Thomas am 1.5.13, 0:02mich wundert es, dass es noch Leute gibt die sich so mit Sprache auseinander setzen !


Möglicherweise eine aussterbende Spezie! ;-))
Ich lese weiter.
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 1.5.13 um 0:15 Uhr (Zitieren) II
Zitat von Thomas am 1.5.13, 0:02Ich kenn leider Peter Bichsel überhaupt noch nicht, werde mich von deinem Anstoß aus gern mit ihm auseinander setzen.


Der Anstoss kam vom Philosophen des Forums!
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 1.5.13 um 0:18 Uhr (Zitieren) II
Zitat von Thomas am 1.5.13, 0:02Darf man fragen wie alt du bist und wie lange du dich schon damit auseinandersetzt ?


Mein Alter? Oh je! Die „6“ habe ich noch nicht davor!

Wie lange ich mich damit auseinandersetze? Kann ich so nicht sagen. Immer mal wieder mit unterschiedlicher Intensivität. Das Leben gibt nicht immer die Spielräume für alles, was man gerne tun würde.
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 1.5.13 um 0:21 Uhr (Zitieren) II
Vielleicht muss ich doch noch einmal nachfragen, ob du mit deiner Frage die Sprache oder die Philosophie meintest.
Meine Beschäftigung mit Sprache ist kontinuierlicher als meine Beschäftigung mit der Philosophie, wobei bei mir unter Sprache auch fremde Sprachen fallen.
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Thomas am 1.5.13 um 0:55 Uhr (Zitieren) II
@Graeculus

jemand schrieb du seist Philosoph, ich glaube ihm nicht...

denn du meinst meine Frage sei beantwortet, aber wer außer ich kann das entscheiden ? Und was ist mit den Tausend Fragen die daraus folgen, die sich alle auf die erste Frage beziehen ?

Ich finde die Geschichte sehr schön die du gepostet hast. Sie zeigt das alles im Leben zwei Seiten hat.
Es ist niemals gut zu sehr auf einer Seite zu stehen.

Es ist nicht gut alle Wörter neu zu erfinden und es ist nicht gut alle Wörter festzulegen.

Wenn ich meine eigene Geschichte schreiben sollte auf „Ein Tisch ist ein Tisch“ würde ich schreiben, dass die Welt in kein Wort zu fassen ist und die Dinge und Wunder die passieren, nicht erklärt werden können, weil das was wir Sprache nennen, nicht dazu ausreicht.

Und ich wage es auszusprechen, dass gerade innerhalb einer Sprache, die man sein ganzes Leben lang gesprochen hat, ein Metaphysischer Terminus über allem schwebt.

Ich weiß das ich nichts weiß

Niemand weiß was ich weiß und niemand weiß was du weißt.

Wenn ich sehe was filix für Möglichkeiten unserer Sprache nutzt, dann werde ich neidisch... und gleichzeitig frage ich mich, ob es Sinn macht , dass ein Wort die Bedeutung beibehalten sollte oder ob die „Geheimsprachen“ die wir heutzutage in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft nutzen, wirklich ein tieferes Verständnis der änderen Person mir gegenüber bewirkt.

Dies Entscheide bitte jeder für sich selbst und nicht für den Anderen.

Mit besten Grüßen
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Thomas am 1.5.13 um 0:56 Uhr (Zitieren) II
Zitat von paeda am 1.5.13, 0:15Der Anstoss kam vom Philosophen des Forums!


Da hast du allerdings recht
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 1.5.13 um 1:06 Uhr (Zitieren) II
Zitat von Thomas am 1.5.13, 0:56Da hast du allerdings recht


Und doch stellst du in Frage, ob er es ist?
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Thomas am 1.5.13 um 1:08 Uhr (Zitieren) II
Zitat von paeda am 1.5.13, 0:21Vielleicht muss ich doch noch einmal nachfragen, ob du mit deiner Frage die Sprache oder die Philosophie meintest.
Meine Beschäftigung mit Sprache ist kontinuierlicher als meine Beschäftigung mit der Philosophie, wobei bei mir unter Sprache auch fremde Sprachen fallen.


Ok, ok ich dachte ich wäre in einem Philosophiemilieu gelandet, da alles was ich sage auf der Goldwaage liegt, was nichts schlimmes heißen soll :D

Machst du das alles beruflich (mit Sprachen) ?

Und welche Rolle spielt denn die Philosophie in diesem Zusammenhang für dich ?



Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 1.5.13 um 1:13 Uhr (Zitieren) II
Zitat von Thomas am 1.5.13, 1:08Machst du das alles beruflich (mit Sprachen) ?
Und welche Rolle spielt denn die Philosophie in diesem Zusammenhang für dich ?


Mit Sprachen habe ich beruflich zu tun, Philosophie ist mein Privatinteresse, jedoch nicht im Zusammenhang stehend.
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Thomas am 1.5.13 um 1:18 Uhr (Zitieren) II
Zitat von paeda am 1.5.13, 1:06Zitat von Thomas am 1.5.13, 0:56Da hast du allerdings recht

Und doch stellst du in Frage, ob er es ist?


Das musste ich, aus zwei Gründen

1.) weil ich seine Art zu argumentieren als aggressiv empfand

2.) weil für mich kein Philosoph der Welt sagen darf, wann meine Frage für mich beantwortet ist

Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 1.5.13 um 1:27 Uhr (Zitieren) II
Zu Punkt 1) würde ich dir insofern widersprechen wollen, weil - ganz allgemein gesprochen - Kommunikationsformen mit dem Beruf nicht in einem logischen Zusammenhang stehen.

Was Punkt 2) betrifft, so hat er m. W. nur darauf verwiesen, dass deine deutsche Vorgabe schon übersetzt wurde. Du scheinst es anders interpretiert zu haben.
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Thomas am 1.5.13 um 1:42 Uhr (Zitieren) II
Ok, du wirst Graeculus länger kennen als ich.
Und wenn du sagst das er nicht so ist, wie ich es empfunden habe, dann belassen wir es dabei.

Ich würde trotzdem gerne noch ein paar Fragen stellen, weil ich mir diesen Spruch gerne tätowieren lassen möchte, weshalb ich so darauf poche es ganz genau zu wissen.

Hier nochmal aus dem anderen Beitrag

Wenn der Lateiner eine allgemeine Aussagen machen will,
und vor dieser Wahl steht, nutzt er die masculine Form.
„tu ipse via es“.

Man kann das aber umgehen,
indem man „tu eadem via es“-> „Du bist ebenderselbe, genau der Weg“
nimmt

1 Frage:

Wenn ich also „tu ipse via es“ verwende, dann ist dies die allgemeine Form die allerdings damals als männlich bezeichnet wurde.

Wenn ein Lateinprofi das für sich übersetzen würde, dann würde er lesen „ Du bist der Weg“ ?
Oder gibt diese Interpretation noch einen Spielraum ?

2 Frage:

Wenn ich „tu eadem via es“ verwende bedeutet es dann auch „ Du bist der Weg “ oder bedeutet es exakt genau das was bibulus meinte also
- Du bist ebenderselbe, genau der Weg - weil ich das irgendwie nicht so schön finde.

3 Frage:

Ist die Groß und Kleinschreibung der von euch vorgeschlagenen Lösungen so exakt korrekt ?

Vielen dank für die Hilfe

Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 1.5.13 um 2:44 Uhr (Zitieren) II
Zitat von Thomas am 1.5.13, 1:421 Frage:

Wenn ich also „tu ipse via es“ verwende, dann ist dies die allgemeine Form die allerdings damals als männlich bezeichnet wurde.


Im Satz „Tu ipse via es“ bezieht sich „ipse“ auf „tu“. „Tu“ muss eine männliche oder eine weibliche Person sein. Zwangsläufig. Da ipse nicht neutral ist, muss es sich nach dieser Person ausrichten.

Die Übersetzung dazu lautet: Du selbst bist der Weg!
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 1.5.13 um 2:46 Uhr (Zitieren) II
Zitat von Thomas am 1.5.13, 1:422 Frage:

Wenn ich „tu eadem via es“ verwende bedeutet es dann auch „ Du bist der Weg “ oder bedeutet es exakt genau das was bibulus meinte also
- Du bist ebenderselbe, genau der Weg - weil ich das irgendwie nicht so schön finde.


Bei „idem, eadem, idem“ ist der Bezug auf via, also der Weg. Via ist weiblich, also muss man die zweit Form nehmen.

Die Übersetzung hat Bibulus schon dazugeschrieben.
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
paeda am 1.5.13 um 2:50 Uhr (Zitieren) II
Zitat von Thomas am 1.5.13, 1:423 Frage:

Ist die Groß und Kleinschreibung der von euch vorgeschlagenen Lösungen so exakt korrekt ?


Man schreibt nur das erste Wort und Eigennamen groß oder alles in Großbuchstaben, wie es die Römer früher praktizierten. Allerdings gab es damals auch keine Leer- oder Satzzeichen.

Hoffentlich konnte ich deine Fragen für dich verständlich beantworten.
Re: Übersetzung von Deutsch in Latein
Thomas am 1.5.13 um 17:18 Uhr (Zitieren) II
Hey paeda,

danke für deine Geduld, nicht das du denkst ich bin schwer von Begriff ... ich muss bloß ganz ganz sicher gehen.

Vielen dank für eure Mühe, ich hoffe das wir uns bald wieder unterhalten.

Mit besten Grüßen
 
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  • Grundsätzliches: Wir sind ein freies Forum, d.h. jeder Beteiligte arbeitet hier unentgeltlich. Uns eint das Interesse an der Antike und der lateinischen Sprache. Wir gehen freundlich und höflich miteinander um.

    Hinweise an die Fragesteller:

    1. Bitte für jedes Anliegen einen neuen Beitrag erstellen!
    2. Bei Latein-Deutsch-Übersetzungen einen eigenen Übersetzungsversuch mit angeben. Das gilt vor allem dann, wenn es sich um Hausaufgaben oder Vergleichbares handelt.
      Eine übersichtliche Gliederung erleichtert den Helfern die Arbeit.
      Je kürzer die Anfrage ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass schnell geantwortet wird.
    3. Bei Deutsch-Latein-Übersetzungen bitte kurz fassen. Für die Übersetzung eines Sinnspruchs wird sich immer ein Helfer finden.