Socio-logicus am 19.5.13 um 10:30 Uhr (Zitieren) II
Hallo!
Frage: kann „der legitimierende und legitimierte Mensch“ mit „homo legitimans et legitimatus“ bezeichnet werden?
Problem: Ich habe „legitimare“ als mittellateinische Herkunft für legitimieren, dort jedoch lediglich im Sinne von „ein nicht eheliches Kind rechtlich anerkennen“ im Duden gefunden: http://www.duden.de/rechtschreibung/legitimieren. Dennoch wäre es wünschenswert, falls es nur passt, „legitimare“ verwenden und etwa auf „iustificare“ zurückzugreifen, da es darum geht, den Kontext zum etablierten Begriff „legitimacy“ aufzuzeigen. Eine Alternative zu „legitimare“, die ebenfalls auf die Stammsilbe „leg-“ baut, wäre daher ebenso willkommen.
Hintergrund: In ihrem für die Soziologie bedeutenden Werk „The Social Construction of Reality“ legen Berger und Luckmann dar, dass der homo sapiens, in Abgrenzung zu anderen Säugetieren, ein eigentlicher homo socius ist. Ich möchte nun jedoch argumentieren, dass als Alleinstellungsmerkmal (im Rahmen der neo-institutionellen Theorie) viel eher sein legitimierendes Verhalten und seine legitimierten Verhalten hervorgestrichen werden sollten, da von höheren Säugetieren schliesslich auch soziales, aber kein „legitimierendes“ Verhalten bekannt ist.
Könntest du etwas genauer erläutern, was damit gemeint sein soll bzw. was du damit ausdrücken willst ?
Re: homo legitimans?
Socio-logicus am 19.5.13 um 11:14 Uhr (Zitieren) I
Ja, allerdings muss ich dazu etwas ausholen. Berger und Luckmann legen dar, dass jede Art von menschlichem Verhalten einer Habitualisierung unterworfen ist; wiederholte Handlungen werden mit der Zeit nicht mehr hinterfragt und bilden dadurch eine soziale Realität, welche für die jeweilige Gesellschaft bezeichnend ist, z.B. „die Männer jagen und die Frauen bleiben zuhause“ (das widerspiegelt nicht meine Ansicht, ist jedoch ein anschauliches Beispiel).
Da durch diese Institutionalisierung von Handlungen die unmittelbare Bedeutung für den Einzelnen nicht mehr offensichtlich gegeben ist (insbesondere bei abstrakteren Regeln wie z.B. wenn Frauen das Betreten der „Heiligen Höhle des Jagdgottes“ verboten ist), erfordern solche Institutionen eine Legitimation auf kognitiver und normativer Ebene (Erklärung und Rechtfertigung), da sie ansonsten Gefahr laufen, von einzelnen Abweichenden innerhalb der Institution („die emanzipierte Höhlenbewohnerin“), konkurrierende Institutionen („die fortschrittliche Sippe in der Nachbarschaft“) oder neuen Technologien („Ackerbau“) in Frage gestellt zu werden. Der Mensch ist dabei in dialektischem Verständnis sowohl Subjekt als auch Objekt dieser Legitimation, was ich mit der Wendung „legitimierend und legitimiert“ darstellen möchte.
Eine solche Legitimation könnte nun zum Beispiel im Rahmen eines sogenannt „symbolischen Universums“ eines mythischen Kultes erfolgen, der die Existenz eines männlichen Jagdgottes postuliert. Dadurch werden die Rollen von Mann und Frau legitimiert („der Jagdgott ist schliesslich keine Frau“). Dies ist nach Berger und Luckmann für die Institution schließlich dermaßen wichtig, dass aus in ihr sogar Rollen entstehen, die ausschließlich der Legitimation dienen („der Priester der Jagdgottheit“). Aber nicht nur der Priester, sondern alle Männer und Frauen, indem sie ihre spezifischen Rollen befolgen, sind legitimierend in dem Sinne, als dass sie mit der Befolgung der sozialen Realität dieselbe bestätigen.
Korrektur letzter Absatz
Socio-logicus am 19.5.13 um 11:16 Uhr (Zitieren) I
Das dürfte schon hinkommen mit „homo legitimans et legitimatus“ - mit einer kleinen Einschränkung: „legitimatus“ ist Partizip Perfekt Passiv = der Mensch, der legitimiert worden ist, nicht: der Mensch, der legitimiert wird.
Als Alternative schlage ich „homo legitimandus“ vor. Eventuell kann man das sogar insgesamt für beide Teilausdrücke setzen: der Mensch der legitimieren bzw. legitimiert werden muß; m.W. hat das Gerundivum beide Bedeutungen. Aber warte dazu bitte noch die Meinung anderer ab.
Klassisches Latein ist das nicht, da „legitimare“ in der Antike nicht vorkommt; aber das weißt Du - wie Dein Hinweis auf Mittellatein bezeugt- selber.
Das Gerundivum steht ursprünglich für das Partizip Präsens Passiv. In jedem Falle ist es also eine bessere Wahl als „homo legitimatus“. Ob man auch den kompletten Doppelausdruck auf „homo legitimandus“ reduzieren kann - in der Doppelbedeutung -, ist mir noch nicht klar.
die zweiteilung würde ich belassen, also: homo legitimans et legitimandus. der legitimierende und zugleich der mensch, der zu legitimieren ist (legitimiert werden muss/ soll). das gerund wäre hier jedenfalls eine präzisierung.
Socio-logicus am 19.5.13 um 14:00 Uhr (Zitieren) I
Vielen Dank für die sehr hilfreichen Kommentare!
Ich hatte Spinozas natura naturans und natura naturata im Hinterkopf; legitimans et legitimandus drückt jedoch präzise aus, was ich zu sagen gedenke – im vollen Bewusstsein, dass dies nicht klassisches Latein ist.