Hallo,
kann mir bitte jemand folgenden Spruch übersetzen:
‚Einzeln sind wir Worte, zusammen ein Gedicht‘
Vielen Dank vorab!
Mit freundlichen Grüßen
Pia
erster Impuls: was für ein Unsinn; nach kurzem Nachdenken:
könnte ein Quäntchen Lebenserfahrung drin stecken, da es ja viele Wörter gibt, die inhaltsleer sind (z.B. Gott), und jede Menge unerträglich degoutante Gedichte
Re: Einzeln sind wir Worte, zusammen ein Gedicht
entilmonterus am 19.7.13 um 15:35 Uhr (Zitieren) III
Inwiefern ist denn bitte das Wort „Gott“ als inhaltsleer zu verstehen?
Das Wort „Gott“ ist inhaltsleer, insofern es weder einen definierten Sinn noch einen Gegenstandsbezug = Bedeutung hat. Auch gibt es für Sätze, in denen dieses Wort vorkommt, keinerlei Verifikations- oder Falsifikationskriterien.
Diese These ist kein originaler arbiter, sondern das kann man in extenso nachlesen bei: Rudolf Carnap, Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache. „Gott“, so Carnap, ist genauso sinnlos wie „Babig“. Bevor man sinnvoll über die Existenz von Babig, seinen Charakter etc. sprechen kann, muß man „Babig“ definieren. Daran hapert es auch im Falle von „Gott“. Daß „Gott“ - anders als „Babig“ - ein häufig verwendeter Begriff ist, stellt ja nicht schon per se eine Definition dar.
Die Verzweiflung an solchen Definitionsversuchen hat im 20. Jhdt. zur sog. negativen Theologie geführt.
Letztlich stellt sich jeder unter „Gott“ etwas anderes vor, und das ist natürlich katastrophal für einen Begriff, der sinnvoll intersubjektiv verwendet werden soll.
Wittgenstein geht vom (subjektiven) Begriff „Schmerz“ aus; dafür könnte man auch „Gott“ einsetzen.
Der vorliegende Text ist u.d.T. ‚Käfergleichnis‘ berühmt geworden.
Wittgenstein kennt neben (1) dem Sprechen über Gegenstände und (2) dem Sprechen über Sprache auch (3) einen sog. symbolischen Sprachgebrauch - und von dieser Art sind religiöse & theologische Aussagen. Sie sagen nichts über einen Gegenstand im Sinne von (1), natürlich auch nichts über Sprache selbst im Sinne von (2) - sie teilen eine Entscheidung für eine Lebensform mit. „Ich glaube an Gott“ = „Ich habe mich entschieden, in einer bestimmten Weise zu leben“.
Zwischen verschiedenen Lebensformen gibt es lt. Wittgenstein keine sinnvolle Diskussion wie bei Tatsachenaussagen (1); wohl aber kann man die Lebensform wechseln.
Auf hochphilosophischem Niveau kann ich nicht einsteigen, doch scheinen mir manche Zitate nicht unanfechtbar. Die philosophische Bedeutung Wittgensteins will ich damit nicht anzweifeln, wie könnte ich auch?
Dass man von sogenannten Abstrakta nur subjektiv sprechen kann, scheint unwiderlegbar. Ob es sinnvoll ist, über Glaubensfragen zu diskutieren, halte ich auch für fraglich. Weshalb aber sollte es sinnlos sein, über Lebensformen zu diskutieren?
Weil das, was als Argument gilt, Teil der jeweiligen Lebensform ist. Für Moslems ist der Koran ein, genauer: das Argument; für andere Lebensformen nicht.
Falls Du jemals mit Jehovas Zeugen diskutiert hast, verstehst Du, was Wittgenstein meint.
Ich bin von einer (konstruktiven) Diskussionskultur ausgegangen, die es wohl heute nicht mehr oder vielleicht weniger gibt.
Die Zeugen Jehovas sind ein gutes Beispiel für Vertreter einer Glaubensgruppe, mit denen man NICHT diskutieren kann. Vielleicht trifft das für alle zu, die entschlossen sind, ihre Geisteshaltung (lebenslang) nicht mehr zu verändern.
Was ich unter Diskussionen verstehe, ist ein offener Austausch, bei dem es darum geht, MEHR oder BESSER verstehen zu wollen, was vermutlich nicht eingefahrene Persönlichkeitsstrukturen voraussetzt.
Den Begriff „Argument“ sehe ich nicht als starr an. Ich argumentiere, um in einem - sagen wir - Experiment die Nachhaltigkeit meines Weltbildes zu prüfen, quasi wie in einem Erörterungsaufsatz.
Das ist freilich nicht religiös gedacht; religiöse Menschen lassen kein Experiment zur Überprüfung ihres Weltbildes bzw. ihrer Lebensform zu. Falls Wittgensteins Ansicht zutrifft, ist das auch gar nicht möglich, weil Experimente & Argumente nur innerhalb einer Lebensform funktionieren - sie sind konstitutiver Bestandteil von ihnen. Sage mir, was du als Argument wertest, und ich sage dir, welche Lebensform du hast.
arbiter geht es doch primär um Provokation. Außerdem will er sein atheistisches Weltbild hier jedem aufdrängen. Es ist seine persönliche Sichtweise. Seine Art zu argumentieren unterscheidet sich nicht von der der Zeugen Jehowas.
Mir fällt zum wiederholten Male auf, daß die Theisten - wenn ich sie so nennen darf - immer wieder provoziert auf arbiters Provokationen reagieren (auf ihn hereinfallen?), aber nicht auf (meine) Argumente.
Man muß anscheinend provozieren, um einer Antwort gewürdigt zu werden. Oder, lector?
Habe ich das gesagt bzw. unterstellt? Nein. Ich wollte nur wissen, ob auch Du diesen Eindruck hast. Vielleicht hast Du ja schon frühere, ähnlich verlaufene Diskussionen hier verfolgt. arbiter provoziert - ONDIT (z.B.) reagiert. Ich argumentiere - ONDIT schweigt. Um nur ein Beispiel zu nennen, an das ich mich noch konkret erinnere.
Klang so. Ich kenne das arbiter-ONDIT-Duell. Sehr amüsant.
Was Wittgenstein dazu sagt, finde ich höchst interessant und bedenkenswert. Danke für die Hinweise.
Re: Einzeln sind wir Worte, zusammen ein Gedicht
Lateinhelfer am 20.7.13 um 17:42 Uhr (Zitieren) III
Sehe ich auch desöfteren so, Graecule.
Aber ich habe manchmal das Gefühl, dass der feste Glaube an Gott, den jemand hat, nicht philosophischen Argumenten oder Ausführungen zugänglich ist. Aber eine „Beleidigung“ des eigenen Standpunktes schenkt jemand mehr Aufmerksamkeit. Durch philosophische Argumente wird sich ein Gläubiger auch kaum von seinem Glauben abbringen lassen.
Graeculus, der natürlich genau weiß, worauf sich meine Randbemerkung gründete, hat dankenswerterweise mit Hilfe seines Zettelkastens zum Thema alles Nötige gesagt. Er gehört halt auch zu den Gebildeten unter den Verächtern der Religion und nimmt es gelegentlich auf sich, den anderen (unwiderlegliche) Argumente vorzutragen, die, wie er weiß, völlig wirkungslos bleiben. Die Gründe für diesen betrüblichen Sachverhalt sind genannt worden.
Allerdings ist m.E. die pessimistische Aussage über die Wirkungsreichweite von Argumenten innerhalb von Lebensformen/Weltbildern (Foucault: Diskurskreisen) insofern einzuschränken, als sie nur für hermetische Ausprägungen gelten kann, insbesondere für solche, die sich auf prärationale Axiome/Prämissen stützen, wie eben alle Religionen.
Die relativistische Abwertung des Arguments geht mir daher zu weit. Seit Aristoteles (und den Späteren) haben wir eine allgemein akzeptierte Argumentationslehre, ohne Konsens hierüber gäbe es keine Wissenschaft und auch im Alltag (z.B. hier) nur eine Art soziales Geräusch.
Ich danke für die Unterstützung meines Beitrags von unerwarteter Seite - unabhängig davon, ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt!
Re: Einzeln sind wir Worte, zusammen ein Gedicht
Christian Herger am 7.11.13 um 18:12 Uhr (Zitieren) II
Faszinierend! Eigentlich ging es um eine einfache Übersetzung… Und es wuchs daraus eine überdimensionale Diskussion!
Ich liebe vor allem ‚arbiter‘! Ein Kommentar und die Welt ist in Aufruhr! Einfach schön… macht weiter so… aber vergesst nicht die Realität...
Damit gehörst du wohl einer Minderheit in diesem Forum an.
Re: Einzeln sind wir Worte, zusammen ein Gedicht
Christian Herger am 7.11.13 um 18:43 Uhr (Zitieren) I
Du bist verhärmt! Weisst Du nicht: Gott liebt alle Menschen gleichermassen und hasst alle Menschen gleichermassen… In unserem Sinne. Weil Liebe und Hass eine Einheit bilden… mehr noch: … Gott urteilt nicht… Und ‚arbiter‘ hat seine Meinung die ihm niemand streitig machen kann! Also: wenn Du an einen (den) Gott glaubst… ist das völlig legitim! Und wenn jemand einfach an den Lauf der Dinge glaubt… ist das doch auch völlig legitim?? Wieso überhaupt streiten? Einfach nur um zu Diskutieren?
Nein… Ich denke Gott ist ein Wort, das sogar ein Atheist akzeptieren kann, wenn es nicht in ein fixes Schema gepresst wird… Das Wort Gott verkörpert den Glauben eines jeden einzelnen im individuellen. Und ist damit universell verwendbar… Schlussendlich glaubt ein Atheist.. nicht zuletzt an sich selbst… Und da gibt es keine Kritik anzubringen!
@Christian Herger: Woraus schließt du, dass gast verhärmt ist? Du rufst zum Frieden auf und attakierst gast.
Re: Einzeln sind wir Worte, zusammen ein Gedicht
Christian Herger am 7.11.13 um 19:15 Uhr (Zitieren) I
Da kann ich einfach nicht mehr… Ihr seid ein Völckchen das nicht zu verstehen ist… Egal:
Deus odit, diligit Deus, vivit Deo
Ich kann kein Latein und bin völlig unvorsehbar in diesem Forum gelandet… Nehmt meine Entschuldigung an und verabschiedet mich in Ehren… Nichts des zum Trotz muss ich sagen… ich habe mich köstlich amüsiert! Ihr habt ein Theaterstück geschrieben mit diesem Thread!
Grosse Klasse! Vielleicht wird es eines Tages aufgeführt… So long...
da ich nicht - wie viele andere, besonders die Bigotten - befürchten muss, in die Hölle zu kommen noch in den langweiligen Himmel (und das auch noch ewig), sehe ich dem Tod - geschult an klassischen Vorbildern - gelassen entgegen
nach dem tod sind wir körperlose wesen, können überall herumschnüffeln, besser als die NSA, das dumme ist nur, wir können ins irdische geschehen nicht eingreifen.
Glückwunsch zu dieser Einstellung ! Hoffentlich trägt sie auch noch , wenn es mal soweit ist.
Zwischen der realen Begegnung mit dem Tod und der philosophischen Auseinandersetzung mit ihm gibt es, denke ich, schon noch (gewaltge) Unterschiede.
Wie jemand letztlich etwa mit Schmerz, Leid etc. klar kommt, zeigt sich erst, wenn er/es wirklich eingetreten ist. Kein Mensch kann sich eine zukünftige, unerschütterliche Haltung zu etwas „vorab“ zurechtzimmern, was er noch nie erlebt oder durchgemacht hat.
Das soll keine billige Angstmache sein, sondern ist eine reine Tatsachenfeststellung.
Der Tod muss von jedem letzlich immer konkret „bestanden“ werden. Er lässt sich antizipativ nie ganz bewältigen.
Das Problem ist vllt. vergleichbar mit bestimmten Kapitalanlagen, etwa einer Lebensversicherung. Deren Ablaufleistung steht erst am Auszahltag endgültig fest.
Beim Thema „Tod“ geht es nicht Höllenangst oder einen unendlich langweiligen Himmel. Solche Klischees sollten als längst überwunden betrachtet werden.
Mit dem Tod stellt sich die Sinnfrage, die man so oder so beantworten kann. Es spricht viel für eine letztliche Sinnlosigkeit.Dazu zählt sicher auch der Tod.
Dennoch gibt es Erfahrungen und Werte im Leben eines jeden Menschen, die „Sinn“ erkennen lassen könnten.
Man muss allerdings das nötige Glück haben, diese machen zu dürfen bzw. entdecken zu können.
Leider hat das (ungerechterweise ?) nicht jeder, wahrscheinlich eher die Wenigsten.
Genetik und Umwelt setzen zudem vorab klare Grenzen, was sicher wieder für Zufall und Ziellosigkeit spricht.
Es ist ein anscheinend unlösbares Dilemma. Dennoch bleibt die (absurde ?) Hoffnung, dass nicht alles sinnlos ist.
An einen letzten Sinn zu glauben hat immer etwas Absurdes (credo, quia absurdum). Vllt. gehört dies aber zum Wesen des Glaubens, was wiederum irgendwie absurd wäre. :(((
Re: Einzeln sind wir Worte, zusammen ein Gedicht
entilmonterus am 9.11.13 um 12:58 Uhr (Zitieren) I
Einzeln sind wir Worte, zusammen ein religionsphilosophisch-theologisch-ethischer, schier ewig währender Disput. ;)
Da frag ich mal vor vier Monaten was nach und die Diskussion gibt’s immer noch...faszinierend.
Re: Einzeln sind wir Worte, zusammen ein Gedicht
Christian Herger am 15.11.13 um 19:55 Uhr (Zitieren) I
Ist das schön oder nicht?
Auch ‚entilmonterus‘ findet es faszinierend!
Das schönste daran ist, Gedanken haben freien Lauf… sie werden aufgenommen, nicht verstanden, umgewandelt und freigesinnt! Ein jeder kann sagen was er will, wird beleidigt, gehuldigt oder kritisieret und degradiert sowie gelobt und gehegt… Das ist Leben! In purer reiner Form… Ich liebe alle in diesem Forum! Weil ihr alle noch selbst denkt… Was ist gar nicht so wichtig, Hauptsache ist selbst...