Latein Wörterbuch - Forum
Frage zum PPP, für Experten — 2231 Aufrufe
Latinusibus am 16.4.14 um 18:11 Uhr (Zitieren) I
Mir als Laie stellt sich die Frage, wie man im Lateinischen eig. die Bedeutungen des PPP bei prädikativem Gebrauch mit „esse“ (adjektivisches Prädikatsnomen) einerseits und bei Gebrauch etwa im Zusammenhang mit dem Ind. Perfekt Passiv auseinanderhält.

Im Deutschen fällt das Zustandspassiv im Präsens ja ebenfalls der Form nach mit dem als Prädikatsnomen gebrauchten Partizip Perfekt zusammen, z.B. Das Haus ist gestrichen (im Sinne einer Zuweisung des Attributs „das gestrichene Haus“ und im Sinne eines Vorgangs „das Haus wird bzw. ist gestrichen“) . Irgendwie scheint das aber nichts auszumachen, weil beide präsentische Bedeutungen haben.

Wie sieht es aber im L aus? Nehmen wir den Satz: Gallia est omnis divisa in partes tres. Man weiß sofort, dass ein Prädikatsnomen, d.h. die Zuweisung eines Attributes vorliegt. Aber wie kann man die Bedeutung als Perfekt Passiv (Gallien ist geteilt worden) von vornherein ausschließen? Reine Kontextsache? Oder verstehe ich hier grundsätzlich etwas falsch?
Re: Frage zum PPP, für Experten
gast1604 am 16.4.14 um 18:22 Uhr (Zitieren)
Reine Kontextsache?


Letztlich wird es so sein.

Vgl. folgenden möglichen Satz:
Gallia omnis ab aliquo divisa est.
Gallien als Ganzes wurde einst von irgendjemandem geteilt.

Im Lat. gibt es kein reines Zustandsperfekt, soweit ich weiß. Wie in diesem Kontext Formen wie divisa fuit/fuerat
einzuordnen sind, dazu kann ich im Moment nichts sagen.

filix ist wieder mal vonnöten, denke ich.
Re: Frage zum PPP, für Experten
Klaus am 16.4.14 um 18:27 Uhr, überarbeitet am 16.4.14 um 18:29 Uhr (Zitieren)
@Latinusibus: Deine Fragen klingen aber nicht wie die eines Laien, der du zu sein vorgibst.
Ich sehe das ganz einfach: Gallien ist geteilt worden, folglich ist es geteilt.
P.S. Mein Beitrag ist nicht als der eines Experten zu werten, die eigentlich angesprochen werden sollen!
Re: Frage zum PPP, für Experten
gast1604 am 16.4.14 um 18:34 Uhr (Zitieren)
Mir fällt dazu noch ein Stichwort ein:
resultatives Perfekt (i.S. von Klausens Anmerkung)
Re: Frage zum PPP, für Experten
Latinusibus am 16.4.14 um 19:44 Uhr (Zitieren)
Danke für die Antworten.

Von dem Stichwort bin ich zufällig auf ein Dokument gestoßen, in dem 3 Perfektbedeutungen unterschieden werden, ich poste mal die Stelle:

Das Perfekt wird gebraucht

1. zur Feststellung einer Tatsache/Abschluss einer Handlung in der Vergangenheit: konstatierendes/ resultatives Perfekt; im Deutschen ebenfalls Perfekt.
Oppidum deletum est. Die Stadt ist zerstört worden

2. zur Erzählung einmaliger Handlungen in der Vergangenheit: historisches Perfekt (komplexiv, narrativ); im Deutschen Imperfekt.
Oppidum deletum est. Die Stadt wurde (im Verlauf des Krieges) zerstört.

3. um einen Zustand in der Gegenwart anzugeben, der durch eine Vergangenheitshandlung erreicht worden ist: „Perfekt Präsens“.
Oppidum deletum est. Die Stadt ist zerstört.

(Quelle: http://www.telemachos.hu-berlin.de/materialien/leitfaden.pdf)

Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, ob die eher „temporale“ von der eher „attributiven“ Bedeutungsebene formal wirklich nicht unterscheidbar ist, und zwar im Hinblick auf eine bevorstehende Lateinprüfung (da wären wir wieder bei der Laienthematik), da es doch als (schwerer?) Übersetzungsfehler zu werten wäre, wenn man in solchen Fällen beide miteinander vertauscht.

Was mich beunruhigt hat, ist eben die Tatsache, dass es sich im Hinblick auf das Textverständnis doch um einen grundlegenden Unterschied handelt (die Stadt ist zerstört worden/ wurde zerstört vs. die Stadt ist zerstört) und formal doch einiges an Verwechslungsgefahr besteht.

habt ihr Ergänzungen zu dem Thema?


Re: Frage zum PPP, für Experten
filix am 17.4.14 um 10:44 Uhr, überarbeitet am 17.4.14 um 10:49 Uhr (Zitieren)
Der lat. Verbalkomplex PPP + esse ist nicht in allen Kombinationen zweideutig; Kombinationen mit Perfekt, Plusquamperfekt und Futur II drücken stets einen Zustand aus.
So kann „fores clausae erant“ einerseits „Die Türen waren geschlossen worden“ (dt. Vorgangspassiv Plusquamperfekt Ind.), andererseits „Die Türen waren geschlossen“ (dt. Zustandspassiv Präteritum Ind.) heißen, „ille consul designatus fuit“ hingegen immer nur „Jener ist zum Konsul bestimmt gewesen“ (dt. Zustandspassiv Perfekt Ind.).

Beim zweideutigen Verbalkomplex gibt es in der Regel genügend Indizien, die die intendierte Bedeutung klarmachen. Zwei Beispiele:
Steht ein Ablativ des logischen Subjekts ist offensichtlich, dass ein Vorgang ausgedrückt wird. „Oppidum a Romanis deletum est“ → „Die Stadt ist von den Römern zerstört worden.“
In einem Kontext wie „Nam nunc quidem partium contentionem esse dictitat. Quarum partium? Alteri victi sunt, alteri sunt e mediis C. Caesaris partibus“ (Cic. Phil. V), bietet sich in der Entgegensetzung von „alteri – alteri“ und angesichts des nachfolgenden Präsens an, „victi sunt“ als Zustandspassiv Präsens Ind., i.e. „sind besiegt“ zu übersetzen, liegt das Augenmerk doch auf der Beschreibung gegenwärtiger Verhältnisse, nicht auf der Schilderung abgelaufener Vorgänge.
Re: Frage zum PPP, für Experten
Latinusibus am 8.5.14 um 21:40 Uhr (Zitieren)
Der lat. Verbalkomplex PPP + esse ist nicht in allen Kombinationen zweideutig; Kombinationen mit Perfekt, Plusquamperfekt und Futur II drücken stets einen Zustand aus.

klar übrigens, weil die übrigen 3 Zeiten, in die das „esse“ gesetzt werden kann, mit dem PPP zusammen eine eigene Zeit im Passiv bilden; d.h. Präsens:esse+PPP=Perfektpassiv, Imperfekt:esse+PPP= Plusquamperfektpassiv, Futur:esse+PPP= FuturIIpassiv.

Für Zeitformen, in denen das „esse“ in Kombination mit einem PPP nicht „vorbelastet“ ist, haben wir auch keine Zweideutigkeit, danke für die Info!

Man stößt beim Übersetzen doch immer wieder auf diese Thematik...
 
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